Der Gunther und der Günther

Heute geht’s um Kümel, nicht um Küs­sel. Kümel ist etwas älter als Küs­sel. Seine aktivste Phase in der Neon­azi-Szene liegt schon Jahrzehnte zurück: in den 60er Jahren des 20. Jahrhun­derts. Bei ein­er Demon­stra­tion gegen den anti­semi­tis­chen Uni­ver­sität­spro­fes­sor Taras Boro­da­jkewycz am 31.3.1965 schlug er den Pen­sion­is­ten Ernst Kirch­weger mit einem Box­hieb so nieder, dass der an den Fol­gen starb: der erste poli­tis­che Tote der Zweit­en Repub­lik. Nach einem skan­dalösen Prozess ver­schwand Kümel rasch aus der Öffentlichkeit. Jahrzehnte später tauchte er in Deutsch­land als Recht­sex­tremer wieder auf, zulet­zt, als er beim Neon­azi Meinolf Schön­born einen Vor­trag hielt.

Am 8. Feb­ru­ar 2019 durfte Kümel beim Stammtisch der Neon­azi-Zeitschrift „Recht & Wahrheit“ des Meinolf Schön­born über „Selb­st­be­haup­tung, die Idee des Nation­al­is­mus“ referieren. Der läh­mend lang­weilige Vor­trag ist sog­ar im Netz als Schlaftablet­ten­video abruf­bar. Erwäh­nenswert ist die Ver­anstal­tung nur deshalb, weil Kümel hier – so wie zuvor nur bei ein­er Neon­azi-Ver­anstal­tung 2017 – sein Gesicht zeigt. Da bleibt auch kein optis­ch­er Zweifel mehr: Der Gunter/Gunther Kümel bzw. „Küm­mel“, der auf Videos aus den Jahren 2017 und 2019 zu sehen ist, ist der Gun­ther Kümel aus dem Jahr 1965.

Kümel bei "Recht und Wahrheit" (Screenshot Video)

Kümel bei „Recht und Wahrheit” (Screen­shot Video)

Im Vor­trag bei Neon­azi Schön­born erwäh­nt Kümel, der sich selb­st als „Gun­ther Kümel“ vorstellt, seine Jahre in Öster­re­ich nur mit der Bemerkung, dass er dort aufgewach­sen sei und studiert habe, während er seine Geburt in Teheran 1941 aus­führlich bejam­mert, weil ihn seine Mut­ter nach der Beset­zung des Irans durch englis­che und sow­jetis­che Trup­pen in einem „KZ“ zur Welt gebracht habe.

Anders als die in deutschen KZ Inhaftierten kam der kleine Gun­ther aber zurück in seine „deutsche“ Heimat nach Öster­re­ich, wo er zu einem rabi­at­en Recht­sex­tremen her­an­wuchs, der mit dem 2018 ver­stor­be­nen Neon­azi und Holo­caustleugn­er Gerd Hon­sik 1961 unter anderem an einem Anschlag mit Molo­tow-Cock­tail auf die ital­ienis­che Botschaft und ein­er skur­rilen Pis­tole­nat­tacke auf das Par­la­ment beteiligt war.

Nach sein­er Verurteilung wegen des Todes des alten Antifaschis­ten Ernst Kirch­weger zu zehn Monat­en bed­ingter Haft wegen „puta­tiv­er Notwehrüber­schre­itung“ wurde der Stu­dent Kümel von der Uni­ver­sität in Wien relegiert (die Ent­las­sung aus diszi­plinären Grün­den war damals die übliche uni­ver­sitäre Maß­nahme nach ein­er strafrechtlichen Verurteilung), fand aber in der Folge an der Inns­bruck­er Uni­ver­sität wieder eine fre­undliche Auf­nahme und dis­sertierte schließlich an der Uni­ver­sität Würzburg.

der von Kümel niedergeschlagene Ernst Kirchweger (Foto: Alfred Klahr Gesellschaft)

der von Kümel niedergeschla­gene Ernst Kirch­weger (Foto: Alfred Klahr Gesellschaft)

Seine poli­tis­chen Spuren ver­loren sich in den Jahren bzw. Jahrzehn­ten danach. Zu Beginn der 2000er-Jahre, möglicher­weise auch, weil das Inter­net bzw. Google alle Infos sam­melte, tauchte ein Gunter bzw. Gun­ther Kümel wieder auf – fast auss­chließlich in recht­sex­tremen, anti­semi­tis­chen Kontexten.

Kümel 2011

Kümel 2011

Kümel als Referent beim rechtsextremen "Volkslehrer" (2018)

Kümel als Ref­er­ent beim recht­sex­tremen „Volk­slehrer” (2018)

Obwohl es nahe­liegend war, dass der recht­sex­treme Gunter oder Gün­ther oder Gun­ther Kümel aus Hes­sen ident mit dem Gün­ther Kümel aus Wien ist, kon­nte Kümel so über län­gere Zeit Nach­forschun­gen über seine Ver­gan­gen­heit ver­mei­den. Gegenüber einem Jour­nal­is­ten, den wir auf seine Iden­tität aufmerk­sam macht­en, stritt er ab, jen­er Gun­ther Kümel aus Wien zu sein.

Fotos des alten Gun­ther Kümel, die Ver­gle­iche mit dem jun­gen ermöglicht hät­ten, gab es bis zur Rede Kümels aus 2017 über die „Befreiung von der Befreiungslüge“ nicht. Mit seinen Video-Auftrit­ten 2017 und 2019 ist die Iden­tität Kümels geklärt.

Günther Kümel 1965

Gun­ther Kümel 1965 (Foto Alfred Klahr Gesellschaft)

Kümel keilte für Honsik

Kümel keilte für Honsik

Gunther Kümel auf rechstextremer Website BRD-Schwindel

Gun­ther Kümel auf rech­s­tex­tremer Web­site BRD-Schwindel

Kümel auf "Radio Ostmark"

Kümel auf „Radio Ostmark”

Aber es gibt auch Erfreulich­es zu bericht­en: Eine Ini­tia­tive des KZ-Ver­band­s/V­dA Wien, die von Bir­git Hebein in der Wiener Stadtregierung vertreten wurde, hat dazu geführt, dass Ernst Kirch­weger ein Ehren­hal­ber gewid­metes Grab am Hiet­zinger Fried­hof, wo Kirch­weger begraben ist, erhal­ten wird. Die Presseaussendung:

Ludwig/Hebein: Ernst Kirch­weger bekommt Ehren­hal­ber gewid­metes Grab der Stadt Wien
Gewid­metes Grab als klares Zeichen gegen Recht­sex­trem­is­mus und Neonazismus

Wien (OTS) — Der Wider­stand­skämpfer und Antifaschist Ernst Kirch­weger bekommt ein Ehren­hal­ber gewid­metes Grab der Stadt Wien. Kirch­weger wurde bei ein­er Demon­stra­tion gegen den anti­semi­tis­chen Uni­ver­sität­spro­fes­sor Taras Boro­da­jkewycz 1965 vom Recht­sex­trem­is­ten Gun­ther Kümel mit einem Box­hieb so schw­er ver­let­zt, dass er wenig später seinen schw­eren Ver­let­zun­gen erlag. Kirch­weger, der sich dem Aus­tro­faschis­mus und Nation­al­sozial­is­mus engagiert ent­ge­gen­stellte, war der erste poli­tis­che Tote in der Zweit­en Republik.

„Wir freuen uns, dass es uns in der Wiener Stadtregierung gelun­gen ist, eine Ini­tia­tive des KZ-Ver­bands zu unter­stützen und Ernst Kirch­weger ein Ehren­hal­ber gewid­metes Grab der Stadt Wien für seine let­zte Ruh­estätte am Hiet­zinger Fried­hof zu wid­men“, so die Spitzenkan­di­datin der Grü­nen Wien, Bir­git Hebein. „Mit diesem Akt ehren wir nicht nur den Antifaschis­ten Ernst Kirch­weger, son­dern set­zen auch ein klares poli­tis­ches Zeichen gegen Neon­azis­mus und Recht­sex­trem­is­mus im All­ge­meinen“, beto­nen Bürg­er­meis­ter Lud­wig und Hebein.

An der ursprünglichen Begräb­nis­stätte Kirch­wegers am Wiener Zen­tral­fried­hof (Urnen­hain) wird heute vor­mit­tag im Rah­men eines Fes­tak­tes eine Gedenkstätte enthüllt.

Umso betrof­fen­er ist Hebein über ein Rechercheergeb­nis der Watch­dog-Plat­tform „Stoppt die Recht­en“, die aufdeck­te, dass Kümel in Deutsch­land, wohin er nach seinem Prozess, der mit einem Skan­dalurteil von zehn Monat­en bed­ingter Haft endete, ver­schwand, offen­bar unter Ver­wen­dung von Pseu­do­ny­men nach wie vor im recht­sex­tremen und neon­azis­tis­chen Kon­text tätig ist. „Wir set­zen daher mit dieser posthu­men Anerken­nung von Kirch­wegers poli­tis­chem Engage­ment zugle­ich auch einen Kon­tra­punkt zur offen­bar bruchlosen poli­tis­chen Gesin­nung seines Totschlägers“, unter­stre­icht Hebein. „Ich danke allen, die diese Ini­tia­tive für Kirch­wegers Ehren­hal­ber gewid­metes Grab unter­stützt haben, allen voran Bürg­er­meis­ter Michael Ludwig.“

 

Weit­er­führende Beiträge:

Der Tod des Ernst Kirchweger
Atten­tat auf das Parlament
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Die Affäre Borodajkewycz
Taras Boro­da­jkewycz (I): als Nation­al­sozial­ist bekannt
Taras Boro­da­jkewycz (II): als Nation­al­sozial­ist bekannt