Am 8. Februar 2019 durfte Kümel beim Stammtisch der Neonazi-Zeitschrift „Recht & Wahrheit“ des Meinolf Schönborn über „Selbstbehauptung, die Idee des Nationalismus“ referieren. Der lähmend langweilige Vortrag ist sogar im Netz als Schlaftablettenvideo abrufbar. Erwähnenswert ist die Veranstaltung nur deshalb, weil Kümel hier – so wie zuvor nur bei einer Neonazi-Veranstaltung 2017 – sein Gesicht zeigt. Da bleibt auch kein optischer Zweifel mehr: Der Gunter/Gunther Kümel bzw. „Kümmel“, der auf Videos aus den Jahren 2017 und 2019 zu sehen ist, ist Gunther Kümel aus dem Jahr 1965.
Im Vortrag bei Neonazi Schönborn erwähnt Kümel, der sich selbst als „Gunther Kümel“ vorstellt, seine Jahre in Österreich nur mit der Bemerkung, dass er dort aufgewachsen sei und studiert habe, während er seine Geburt in Teheran 1941 ausführlich bejammert, weil ihn seine Mutter nach der Besetzung des Irans durch englische und sowjetische Truppen in einem „KZ“ zur Welt gebracht habe.
Anders als die in deutschen KZ Inhaftierten kam der kleine Gunther aber zurück in seine „deutsche“ Heimat nach Österreich, wo er zu einem rabiaten Rechtsextremen heranwuchs, der mit dem 2018 verstorbenen Neonazi und Holocaustleugner Gerd Honsik 1961 unter anderem an einem Anschlag mit Molotow-Cocktail auf die italienische Botschaft und einer skurrilen Pistolenattacke auf das Parlament beteiligt war.
Nach seiner Verurteilung wegen des Todes des alten Antifaschisten Ernst Kirchweger zu zehn Monaten bedingter Haft wegen „putativer Notwehrüberschreitung“ wurde der Student Kümel von der Universität in Wien relegiert (die Entlassung aus disziplinären Gründen war damals die übliche universitäre Maßnahme nach einer strafrechtlichen Verurteilung), fand aber in der Folge an der Innsbrucker Universität wieder eine freundliche Aufnahme und dissertierte schließlich an der Universität Würzburg.
Seine politischen Spuren verloren sich in den Jahren bzw. Jahrzehnten danach. Zu Beginn der 2000er-Jahre, möglicherweise auch, weil das Internet bzw. Google alle Infos sammelte, tauchte ein Gunter bzw. Gunther Kümel wieder auf – fast ausschließlich in rechtsextremen, antisemitischen Kontexten.
Obwohl es naheliegend war, dass der rechtsextreme Gunter oder Günther oder Gunther Kümel aus Hessen ident mit dem Günther Kümel aus Wien ist, konnte Kümel so über längere Zeit Nachforschungen über seine Vergangenheit vermeiden. Gegenüber einem Journalisten, den wir auf seine Identität aufmerksam machten, stritt er ab, jener Gunther Kümel aus Wien zu sein.
Fotos des alten Gunther Kümel, die Vergleiche mit dem jungen ermöglicht hätten, gab es bis zur Rede Kümels aus 2017 über die „Befreiung von der Befreiungslüge“ nicht. Mit seinen Video-Auftritten 2017 und 2019 ist die Identität Kümels geklärt.
Aber es gibt auch Erfreuliches zu berichten: Eine Initiative des KZ-Verbands/VdA Wien, die von Birgit Hebein in der Wiener Stadtregierung vertreten wurde, hat dazu geführt, dass Ernst Kirchweger ein Ehrenhalber gewidmetes Grab am Hietzinger Friedhof, wo Kirchweger begraben ist, erhalten wird. Die Presseaussendung:
Ludwig/Hebein: Ernst Kirchweger bekommt Ehrenhalber gewidmetes Grab der Stadt Wien
Gewidmetes Grab als klares Zeichen gegen Rechtsextremismus und NeonazismusWien (OTS) — Der Widerstandskämpfer und Antifaschist Ernst Kirchweger bekommt ein Ehrenhalber gewidmetes Grab der Stadt Wien. Kirchweger wurde bei einer Demonstration gegen den antisemitischen Universitätsprofessor Taras Borodajkewycz 1965 vom Rechtsextremisten Gunther Kümel mit einem Boxhieb so schwer verletzt, dass er wenig später seinen schweren Verletzungen erlag. Kirchweger, der sich dem Austrofaschismus und Nationalsozialismus engagiert entgegenstellte, war der erste politische Tote in der Zweiten Republik.
„Wir freuen uns, dass es uns in der Wiener Stadtregierung gelungen ist, eine Initiative des KZ-Verbands zu unterstützen und Ernst Kirchweger ein Ehrenhalber gewidmetes Grab der Stadt Wien für seine letzte Ruhestätte am Hietzinger Friedhof zu widmen“, so die Spitzenkandidatin der Grünen Wien, Birgit Hebein. „Mit diesem Akt ehren wir nicht nur den Antifaschisten Ernst Kirchweger, sondern setzen auch ein klares politisches Zeichen gegen Neonazismus und Rechtsextremismus im Allgemeinen“, betonen Bürgermeister Ludwig und Hebein.
An der ursprünglichen Begräbnisstätte Kirchwegers am Wiener Zentralfriedhof (Urnenhain) wird heute vormittag im Rahmen eines Festaktes eine Gedenkstätte enthüllt.
Umso betroffener ist Hebein über ein Rechercheergebnis der Watchdog-Plattform „Stoppt die Rechten“, die aufdeckte, dass Kümel in Deutschland, wohin er nach seinem Prozess, der mit einem Skandalurteil von zehn Monaten bedingter Haft endete, verschwand, offenbar unter Verwendung von Pseudonymen nach wie vor im rechtsextremen und neonazistischen Kontext tätig ist. „Wir setzen daher mit dieser posthumen Anerkennung von Kirchwegers politischem Engagement zugleich auch einen Kontrapunkt zur offenbar bruchlosen politischen Gesinnung seines Totschlägers“, unterstreicht Hebein. „Ich danke allen, die diese Initiative für Kirchwegers Ehrenhalber gewidmetes Grab unterstützt haben, allen voran Bürgermeister Michael Ludwig.“
Weiterführende Beiträge:
Der Tod des Ernst Kirchweger
Attentat auf das Parlament
Gerd Honsik und seine Freunde
Die Affäre Borodajkewycz
Taras Borodajkewycz (I): als Nationalsozialist bekannt
Taras Borodajkewycz (II): als Nationalsozialist bekannt