Der Tod des Ernst Kirchweger

Vor 50 Jah­ren, am 31. März 1965, wur­de der Pen­sio­nist Ernst Kirch­we­ger (67), der an einer Demons­tra­ti­on des Anti­fa­schis­ti­schen Stu­den­ten­ko­mi­tees und der Öster­rei­chi­schen Wider­stands­be­we­gung gegen den Anti­se­mi­ten und Alt­na­zi Taras Boro­da­jke­wy­cz (63) teil­ge­nom­men hat­te, durch einen Faust­hieb des jun­gen Anti­se­mi­ten und Rechts­extre­men Gün­ther Kümel so schwer ver­letzt, dass er zwei Tage spä­ter an den Folgen […]

30. Mrz 2015


Ernst Kirch­we­ger

Eini­ge Tau­send Men­schen waren am 31. März dem Auf­ruf der Orga­ni­sa­to­ren gefolgt und demons­trier­ten für die Demo­kra­ti­sie­rung der Uni­ver­si­tä­ten und die Ent­las­sung jenes Hoch­schul­pro­fes­sors Boro­da­jke­wy­cz, der zu die­sem Zeit­punkt schon meh­re­re Jah­re die uni­ver­si­tä­re Öffent­lich­keit beschäf­tigt hatte.

An sei­ner Hoch­schu­le, der für Welt­han­del (jetzt: Wirt­schafts­uni­ver­si­tät), hat­te Boro­da­jke­wy­cz eine gro­ße Fan­ge­mein­de unter den Stu­die­ren­den. Nicht nur die übli­chen Rechts­extre­men, son­dern auch die offi­zi­el­len Funk­tio­nä­re der Hoch­schü­ler­schaft waren – unter Beru­fung auf die Lehr- und Mei­nungs­frei­heit – Unter­stüt­zer von Borodajkewycz.

„An der Hoch­schu­le für Welt­han­del wird die demo­kra­ti­sche Gesin­nung den Stu­den­ten unter ande­rem von Pro­fes­sor Taras Boro­da­jke­wy­cz bei­gebracht, der unter Schu­sch­nigg Katho­li­ken­ta­ge orga­ni­sier­te, aber 1938 zum Nazi­re­gime über­ging und der jetzt aka­de­mi­scher Leh­rer und Vor­bild sein soll.“ („Die Zukunft“ Nr. 4 /1962)

Mit die­sen harm­lo­sen Sät­zen des dama­li­gen VSStÖ-Funk­tio­närs und jet­zi­gen Bun­des­prä­si­den­ten Heinz Fischer hat­te Anfang der 1960er-Jah­re eine Aus­ein­an­der­set­zung begon­nen, die in den Demons­tra­tio­nen am 31. März 1965 kulminierte.

Der anti­fa­schis­ti­schen Demons­tra­ti­on in der Wie­ner Innen­stadt ver­such­te sich näm­lich die Rech­te ent­ge­gen­zu­stel­len: Ein vor­wie­gend stu­den­ti­sches Publi­kum hat­te sich vor der Tech­ni­schen Uni­ver­si­tät ver­sam­melt und brüll­te Paro­len wie „Hoch Boro“, „Hoch Ausch­witz“ Pro­le­ten raus“ und „Juden raus“ – Rufe, an die sich spä­ter, rund um die Gerichts­ver­hand­lung – die Teil­neh­men­den mehr erin­nern woll­ten, die sie auch nicht gehört haben wollten.

Auch an die öffent­li­che Ver­bren­nung von Zei­tungs­pa­ke­ten des „Kurier“ vor der Uni­ver­si­tät Wien woll­te sich spä­ter nie­mand mehr so genau erin­nern. Der „Kurier“ unter sei­nem dama­li­gen Chef­re­dak­teur Hugo Port­isch hat­te schon in den Tagen vor der Demons­tra­ti­on offen gegen den Nazi-Pro­fes­sor Boro­da­jke­wy­cz Par­tei ergrif­fen und war des­halb von den rechts­extre­men Stu­die­ren­den als „Juden­blatt“ mit einer öffent­li­chen Ver­bren­nungs­ak­ti­on „abge­straft“ wor­den. An der Zei­tungs­ver­bren­nung soll nach Aus­sa­gen eines Pro­zess­zeu­gen auch Gün­ther Kümel betei­ligt gewe­sen sein.

In der Phil­har­mo­ni­ker­gas­se, unmit­tel­bar vor dem Hotel Sacher, traf Gün­ther Kümel, der rechts­extre­me Stu­dent (24), jeden­falls auf Ernst Kirch­we­ger, den Pen­sio­nis­ten. Kirch­we­ger, der bis 1934 Mit­glied der sozi­al­de­mo­kra­ti­schen Arbei­ter­par­tei war und dann wie vie­le ande­re zur KPÖ über­trat, war wäh­rend der Zeit des Aus­tro­fa­schis­mus und auch in der NS-Zeit im orga­ni­sier­ten Wider­stand tätig gewe­sen. Dass er ange­sichts der offen neo­na­zis­ti­schen Aus­rich­tung und der zahl­rei­chen Pro­vo­ka­tio­nen der Gegen­de­mons­tra­ti­on erregt war, ist wohl klar. Dass aber von dem klein gewach­se­nen (165 cm) und zier­li­chen Mann kei­ne rele­van­te Bedro­hung aus­ge­hen konn­te, ebenso.

Bei sei­nem Kon­tra­hen­ten, dem Stu­den­ten Gün­ther Kümel, war das anders. Kümel hat­te sich schon früh, mit 16 Jah­ren, im neo­na­zis­ti­schen Bund Hei­mat­treu­er Jugend (BHJ) orga­ni­siert und an ein­schlä­gi­gen Aktio­nen betei­ligt: Haken­kreuz­schmie­re­rei­en, Stink­bom­ben gegen den Mai­auf­marsch der SPÖ, Zer­trüm­me­rung von Schau­käs­ten. Der BHJ wur­de 1961 ver­bo­ten, aber Kümel setz­te sei­ne Akti­vi­tä­ten im Ring Frei­heit­li­cher Jugend (RFJ) und dar­über hin­aus in einer Grup­pe von Neo­na­zis gemein­sam mit Gerd Hon­sik fort: im Mai eine Brand­bom­be gegen die ita­lie­ni­sche Bot­schaft, im Juli 61 ein Bom­ben­at­ten­tat gegen das Büro der „Alita­lia“, im August eines gegen die US-Bot­schaft, im Okto­ber Schüs­se auf die ita­lie­ni­sche Bot­schaft und dann, Ende Novem­ber 1961, die Schüs­se auf das Par­la­ment.

Wäh­rend Kümels Kom­pli­zen wegen NS-Wie­der­be­tä­ti­gung ver­ur­teilt wer­den, wird er selbst von die­ser Ankla­ge frei­ge­spro­chen und im Mai 1962 ledig­lich wegen Über­tre­tung des Waf­fen­ge­set­zes zu zehn Mona­ten stren­gen Arrest (bedingt) verurteilt.

Über sei­ne Teil­nah­me an der rechts­extre­men Gegen­de­mons­tra­ti­on des 31. März 1965 ver­brei­tet Kümel, der damals eine der neo­na­zis­ti­schen Sze­ne­grö­ßen war, eher bei­läu­fi­ge Ver­sio­nen. Dem Gericht, das im Okto­ber 1965 über sei­ne Tat urteil­te, erzähl­te er, dass er „etwas ver­spä­tet zu der Demons­tra­ti­on gekom­men [sei], um die Demons­tran­ten zu ‚beob­ach­ten‘.“ (Neu­es Öster­reich, 19.10.1965) Boro­da­jke­wy­cz kann­te er zwar aus sei­ner BHJ-Zeit von einem Vor­trag, „er hät­te aber nicht die Absicht gehabt, sich ein­zu­mi­schen“ (eben­da).

Dem His­to­ri­ker Rafa­el Kro­pi­unigg wie­der­um tisch­te er für des­sen Buch „Eine öster­rei­chi­sche Affä­re“ (Wien, Czern­in Ver­lag 2015) eine Ver­si­on auf, wonach er sich in „letz­ter Minu­te“ ent­schlos­sen habe, „doch an dem Zug teil­zu­neh­men“. Fak­tum ist, dass Kümel, der ein Box­trai­ning hin­ter sich hat­te, vor dem Hotel Sacher Ernst Kirch­we­ger einen hef­ti­gen Faust­schlag ins Gesicht ver­setz­te, der dazu führ­te, dass Ernst Kirch­we­ger zu Boden ging und zwei Tage spä­ter, am 2. April, an den Fol­gen sei­ner Kopf­ver­let­zun­gen starb. Kümel, der vom Tat­ort geflüch­tet war, wur­de nach weni­gen Tagen aus­ge­forscht und im Herbst 1965 vor Gericht gestellt.

Ernst Kirch­we­ger war der ers­te poli­ti­sche Tote der Zwei­ten Repu­blik – der Täter, ein damals ein sze­n­e­be­kann­ter Rechts­extre­mer, der noch immer ein­schlä­gig poli­tisch aktiv ist.

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