Verfassungsschutzbericht 2013 (III): Rechtsextreme Gewalt in Österreich

Der Ver­fas­sungs­schutz weist in sei­nen Berich­ten Gewalt­de­lik­te mit rechts­extre­mer Moti­va­ti­on nicht geson­dert aus. In der Sta­tis­tik wer­den sie unter den „sons­ti­gen Delik­ten“ nach dem Straf­ge­setz­buch (StGB) wie gefähr­li­cher Dro­hung, Sach­be­schä­di­gung usw. ein­ge­reiht. Rechts­extre­me Gewalt wird so unsicht­bar gemacht. Damit ent­le­digt sich der Ver­fas­sungs­schutz einer schwie­ri­gen, aber not­wen­di­gen Auf­ga­be: Was ist unter rechts­extre­mer Gewalt zu verstehen? […]

16. Aug 2014

Wäh­rend es in Deutsch­land eine bis­wei­len hef­tig geführ­te Debat­te um rechts­extre­me Gewalt und ihre Defi­ni­ti­on gibt, in der die offi­zi­el­len Opfer­zah­len mehr­mals deut­lich nach oben kor­ri­giert wer­den muss­ten, gibt es in Öster­reich bis­lang kei­ne öffent­lich geführ­te Sta­tis­tik, in der ver­sucht wür­de, die Opfer (vor allem die Todes­op­fer) rechts­extre­mer Gewalt sicht­bar zu machen.

Wiki­pe­dia ver­sucht in dem Ein­trag über „Rechts­extre­me Gewalt in Deutsch­land“ so etwas wie eine Defi­ni­ti­on: „Rechts­extre­me Gewalt geht häu­fig mit For­men der Abwer­tung gegen­über Men­schen auf­grund ver­schie­de­ner Merk­ma­le ein­her. Grund­la­ge rechts­extre­mer Gewalt bil­den Ein­stel­lun­gen, auf­grund derer den Opfern häu­fig das Recht auf Leben und kör­per­li­che Unver­sehrt­heit abge­spro­chen wird.” Für Öster­reich schei­tert die­ser Defi­ni­ti­ons­ver­such schon dar­an, dass die offi­zi­el­len Ermitt­lungs­er­geb­nis­se oft­mals kaum Auf­schluss über eine rechts­extre­me Moti­va­ti­on der Straf­tat geben. Jüngs­tes Bei­spiel: der „Brei­vik von Traun. Beim Tod nach Faust­schlag in Ried im Inn­kreis 2002 lie­gen zwei völ­lig unter­schied­li­che Inter­pre­ta­tio­nen vor: Vor Gericht wur­de offen­bar eine simp­le Schlä­ge­rei abge­han­delt, wäh­rend in den Berich­ten von Fuß­ball­fans ein rechts­extre­mer Hin­ter­grund beim Täter behaup­tet wird.

Mehr als pro­ble­ma­tisch wird es dort, wo von ermit­teln­den Stel­len oder auch ein­zel­nen Medi­en eine poli­ti­sche Moti­va­ti­on der Tat nicht nur aus­ge­blen­det wird, son­dern sogar fal­sche Fähr­ten gelegt wer­den. Ein­deu­tig war das der Fall beim Tod durch Brand­an­schlag in Wels 1997 und beim nach wie vor unge­klär­ten Toten bei Brand­an­schlag 2008 in Kla­gen­furt, wo der dama­li­ge Lan­des­haupt­mann Hai­der ent­ge­gen jeder Fak­ten­la­ge als Motiv einen Streit zwi­schen Dro­gen­dea­lern pro­pa­gier­te und damit den toten Afri­ka­ner nach­träg­lich schän­de­te. Beson­ders maka­ber sind die völ­lig fal­schen Fähr­ten, die von den Ermitt­lungs­be­hör­den selbst bei dem Spreng­stoff­at­ten­tat auf eine Moschee in Wien-Her­nals im Jahr 2007 (Spreng­stoff­at­ten­tat und ver­such­ter Mord) aus­ge­legt bzw. ver­folgt wur­den: so wie bei der Mord­se­rie des NSU wur­den kri­mi­nel­le Moti­ve, der Streit um Dro­gen-Revie­re und sogar riva­li­sie­ren­de eth­ni­sche Grup­pen ange­nom­men. Erst das „Tes­ta­ment“ des Täters brach­te hier Aufklärung.

Wor­an liegt es, dass bei den geschil­der­ten Ermitt­lun­gen so häu­fig rechts­extre­me Moti­ve bzw. rechts­extre­mes Milieu der Täter aus­ge­blen­det wur­den? Eine „rech­te Schlag­sei­te“ bei man­chen Ermitt­lern (und Medi­en!) oder poli­ti­scher Druck wie bei dem Brand­an­schlag in Kla­gen­furt kön­nen zwar ein­zel­ne Vor­fäl­le erklä­ren, rei­chen aber ins­ge­samt wohl nicht aus. Mög­li­cher­wei­se ist es eine Kom­bi­na­ti­on aus die­sen Fak­to­ren und ande­ren: etwa einer sub­op­ti­ma­len Zusam­men­ar­beit von kri­mi­nal­po­li­zei­li­chen und ver­fas­sungs­schüt­ze­ri­schen Ermitt­lern. Oder ein­fach auch der Umstand, dass für den Ermitt­lungs­be­richt, der zu einer Ankla­ge führt, das Auf­spü­ren von poli­ti­schen Moti­ven oder die Beschrei­bung eines rechts­extre­men Hin­ter­grunds kei­ne beson­de­re Rele­vanz hat. Für letz­te­res spricht, dass bei den Ein­ver­nah­men der meis­ten „Objekt 21“-Neonazis kaum Fra­gen zum rechts­extre­men Hin­ter­grund gestellt wur­den. Was für die Ermitt­ler zählt: die Ver­däch­ti­gen auf­grund har­ter Indi­zi­en über­füh­ren zu können.

Wir wer­den in Fort­set­zung die­ses Bei­trags eine Samm­lung von Fäl­len rechts­extre­mer Gewalt in Öster­reich seit 1990 ver­öf­fent­li­chen. Das Jahr 1990 als Beginn der Chro­no­lo­gie ist nicht völ­lig will­kür­lich gewählt: Die offi­zi­el­len und die inof­fi­zi­el­len Sta­tis­ti­ken zu Todes­op­fern rechts­extre­mer Gewalt in Deutsch­land neh­men das Jahr der Wie­der­ver­ei­ni­gung als Aus­gangs­punkt. Wir wol­len so einen ver­glei­chen­den Blick ermög­li­chen. In unse­re unvoll­stän­di­ge Samm­lung von Fäl­len rechts­extre­mer Gewalt haben wir auch sol­che auf­ge­nom­men, bei denen es nicht zu Todes­op­fern gekom­men ist, son­dern „nur“ zu schwe­rer Kör­per­ver­let­zung. Wir betrei­ben auch kei­ne Sta­tis­tik, obwohl sie not­wen­dig wäre.

Unse­re Chro­no­lo­gie ist angreif­bar: In eini­gen Fäl­len schwe­rer oder töd­li­cher Gewalt gegen Migran­tIn­nen oder Obdach­lo­se lässt sich zwar eine rechts­extre­me Moti­va­ti­on der Täter ver­mu­ten, aber durch nichts bele­gen. Aus die­ser Grup­pe von Fäl­len haben wir nur stell­ver­tre­tend den Brand­an­schlag von Kla­gen­furt auf­ge­nom­men, weil hier ganz bewusst die Ermitt­lun­gen und die Inter­pre­ta­tio­nen in eine fal­sche Rich­tung geführt wurden.

Wir las­sen auch offen, ob es sich um rechts­extrem moti­vier­te Gewalt­ta­ten han­delt oder ein­fach um Gewalt mit einem rechts­extre­men Hin­ter­grund. Wenn etwa ein Skin­head sei­ne Freun­din erwürgt (Freun­din erwürgt) oder ein ande­rer die­se ersticht (Mit zahl­rei­chen Mes­ser­sti­chen getö­tet), dann han­delt es sich dabei um Taten, bei denen nicht von einer rechts­extre­men Moti­va­ti­on aus­ge­gan­gen wer­den kann, wohl aber eine Kor­re­la­ti­on zwi­schen rechts­extre­mer Ein­stel­lung und erhöh­tem Aggres­si­ons­po­ten­ti­al ver­mu­tet wer­den darf. Aus die­sem Grund haben wir auch eini­ge Bei­spie­le ange­führt, in denen sich das Aggres­si­ons­po­ten­ti­al gegen sich selbst rich­te­te: Nicht weni­ge Rechts­extre­me sind durch Sui­zid aus dem Leben geschieden.

Rechts­extre­me Gewalt hat vie­le Aus­prä­gun­gen, das soll unse­re Samm­lung zei­gen. Und damit auch doku­men­tie­ren, dass sie nicht nur weit­ge­hend ver­schwie­gen und her­un­ter­ge­spielt wird, son­dern auch ein mani­fes­tes Pro­blem dar­stellt. Der nächs­te Schritt wäre daher eine ein­ge­hen­de wis­sen­schaft­li­che Befas­sung mit dem The­ma und dar­aus fol­gend Kon­se­quen­zen für die Poli­tik, aber auch für die Berich­te des Verfassungsschutzes.

➡️ Eine Chro­no­lo­gie rechts­extre­mer Gewalt (1990–2000)
➡️ Eine Chro­no­lo­gie rechts­extre­mer Gewalt (2001–2013)

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