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Rückblick KW 14 (Teil 2): Prozesse

Die straf­ge­richt­li­chen Pro­zes­se zu den Delik­ten Wie­der­be­tä­ti­gung und Ver­het­zung: von Hit­ler­bär­ten, Schlä­ge­rei­en und einer angeb­lich gestoh­le­nen Facebook-Identität.

11. Apr 2024
Prozesse
Prozesse

Linz: Hitlerei in der Altstadt
Innsbruck: Jesus und Hitler-Bärte
Graz: Freispruch im Zweifel

Linz: Hitlerei in der Altstadt

Vor Jah­ren waren ein­zel­ne Loka­le in der Lin­zer Alt­stadt ziem­lich ver­ru­fen: vie­le Schlä­ge­rei­en, vie­le Neo­na­zis dabei. Wie­der­holt sich das jetzt wie­der, oder gab’s da ohne­hin nie eine Pau­se? Am 3.4.24 muss­te sich Julia R. (28) vor einem Geschwo­re­nen­se­nat beim Lan­des­ge­richt Linz als Ange­klag­te ver­ant­wor­ten. Sie hat­te im August des Vor­jah­res in einem die­ser Alt­stadt­lo­ka­le nicht nur ordent­lich gezecht, son­dern einem ande­ren Lokal­be­su­cher einen wei­ßen Sprit­zer ins Gesicht geschüt­tet, wor­auf sich der dadurch revan­chier­te, indem er ihr ein Bier über den Kopf leer­te. Dabei habe die Ange­klag­te anschei­nend aber auch den Hit­ler­gruß gezeigt und rechts­extre­me Paro­len gebrüllt.

Nach der gegen­sei­ti­gen alko­ho­li­schen Tau­fe ging der Streit wei­ter. Mit einem Beglei­ter ver­ließ der ange­spritz­te Kon­tra­hent zwar das Lokal, wur­de aber von der nach­ei­len­den Ange­klag­ten auf der Stra­ße gestellt und mit einer Fla­sche, die ihm über den Kopf gezo­gen wur­de, atta­ckiert. Unse­re Pro­zess­be­ob­ach­tung notier­te dazu:

Des­sen Beglei­ter hat das abzu­weh­ren ver­sucht, die Fla­sche hat den Kopf nur leicht getrof­fen und eine klei­ne Schnitt­ver­let­zung ver­ur­sacht, die Hand des Zwei­ten wur­de aber zer­schnit­ten, und am Hand­rü­cken wur­de eine Seh­ne ver­letzt, und er muss­te genäht wer­den. Das ist auf einer Über­wa­chungs­ka­me­ra fest­ge­hal­ten. Ein Zeu­ge hat das zum Teil mit dem Han­dy gefilmt, und da ist klar zu hören, wie die Ange­klag­te brüllt: Du gehörst ver­gast. Du Asy­lant gehörst ver­gast, Sol­che wie Dich haben sie im Zwei­ten Welt­krieg alle vergast.

Julia R. wur­de von der her­bei­ge­ru­fe­nen Poli­zei fest­ge­nom­men und ver­brach­te drei Tage in Haft, bestritt aber alle geschil­der­ten Vor­komm­nis­se. Auf die Vide­os reagier­te sie mit einem Tatsachen‑, nicht aber mit einem Schuld­ein­ge­ständ­nis. In der Ver­hand­lung setz­te sich das fort. Die Ange­klag­te, die bereits 2021 eine Vor­stra­fe aus­ge­fasst hat­te, woll­te sich nicht erin­nern kön­nen, gab sich ent­setzt über sich, beton­te, dass sie nicht so sei und schluchz­te viel.

Der vor­sit­zen­de Rich­ter hält ihr ent­ge­gen, dass ihre Alko­ho­li­sie­rung und Berau­schung gar nicht so hoch gewe­sen sei. Auf die Ein­ver­nah­me von Zeu­gen wird ver­zich­tet, was im End­ef­fekt der Ange­klag­ten bei der Schuld­fra­ge zu ihrer Hit­le­rei im Lokal zugu­te kommt. Die Geschwo­re­nen ver­nei­nen ihre Schuld nach § 3g Ver­bots­ge­setz im Lokal, beja­hen sie aber bezüg­lich ihrer Nazi-Paro­len auf der Stra­ße. Dazu kom­men noch die ein­stim­mi­ge Beja­hung ihrer Schuld wegen vor­sätz­li­cher ver­such­ter schwe­rer Kör­per­ver­let­zung und eben­so wegen fahr­läs­si­ger Kör­per­ver­let­zung. In der Sum­me bedeu­tet das für die Ange­klag­te 24 Mona­te Haft, davon acht Mona­te unbe­dingt – noch nicht rechtskräftig.

Innsbruck: Jesus und Hitler-Bärte

Zwi­schen dem Sep­tem­ber 2018 und Febru­ar 2022 soll der Kuf­stei­ner (35), der sich vor dem Inns­bru­cker Lan­des­ge­richt wegen NS-Wie­der­be­tä­ti­gung ver­ant­wor­ten muss­te, 30 Nach­rich­ten mit ein­deu­ti­gen NS-Bezü­gen ver­schickt haben. „In einem reis­te etwa Jesus ins Jahr 1934 und „ver­wan­del­te“ sich dort in Adolf Hit­ler, ande­re ver­gli­chen den „Auf­stieg mit Gas“ von Felix Baum­gart­ner mit Hit­ler – völ­lig irre Gedan­ken­wel­ten. Gleich mehr­fach ver­schick­te der Ange­klag­te außer­dem – an Ein­zel­per­so­nen und in Grup­pen­chats – Fotos von sich mit einem zum „Hit­ler­bart“ gestutz­ten Ober­lip­pen­bart“, berich­te­te die „Kro­ne“ (3.4.24) über die Anklage.

Nicht nur Jesus erhielt einen Hit­ler-Bart, son­dern auch die Bekann­ten des Ange­klag­ten aus der Ska­ter-Sze­ne, denen er so bear­bei­te­te Por­trät­fo­tos wei­ter­schick­te. Dane­ben zog er aber auch den Holo­caust in den Ver­nich­tungs­la­gern der Nazis ins Lächer­li­che. Wie ver­ant­wor­te­te sich der Ange­klag­te? „Nicht nach­ge­dacht“! Das nahm ihm aber der vor­sit­zen­de Rich­ter nicht ab: Vier Jah­re lang nicht nachgedacht?

Nach recht kur­zer Bera­tung ent­schie­den die acht Geschwo­re­nen auf Wie­der­be­tä­ti­gung. Der Unter­län­der wur­de – nicht rechts­kräf­tig – zu 6000 Euro unbe­ding­ter Geld­stra­fe sowie zu zehn Mona­ten beding­ter Frei­heits­stra­fe ver­ur­teilt. Ob es ihm das eine dau­er­haf­te Leh­re ist?“ (Kro­ne, 3.4.24)

Graz: Freispruch im Zweifel

Der Pro­zess wegen des Ver­dachts der Ver­het­zung fand schon am 22. März 24 vor dem Lan­des­ge­richt Graz statt, hat uns aber erst in der Vor­wo­che erreicht. Wie wich­tig die­ser Bericht ist, zeigt schon die ein­lei­ten­de Anmer­kung: kein Publi­kum, kei­ne Zeug*innen. Also kei­ne Öffent­lich­keit vor­han­den. Aber was war denn eigent­lich angeklagt?

Albert G. soll das Face­book-Pos­ting eines deut­schen Fern­seh­sen­ders (mut­maß­lich zu Flucht, See­not­ret­tung) so kom­men­tiert haben: „Man soll­te das Schiff mit den Pas­sa­gie­ren ein­fach ver­sen­ken.“ Das begrün­det sehr deut­lich den Ver­dacht der Ver­het­zung. Aber hat­te Albert G. die­sen het­ze­ri­schen Kom­men­tar tat­säch­lich selbst geschrie­ben? G. bestrei­tet das jeden­falls, gibt an, dass er gar kein beson­de­res Inter­es­se an sol­chen Fra­gen habe, sich auch nicht son­der­lich für Poli­tik inter­es­sie­re. Sein Face­book-Pro­fil ver­wen­de er eigent­lich nur, um sei­ne Fahr­rad­tou­ren zu dokumentieren.

Bei Albert G. wur­de aller­dings eine Haus­durch­su­chung durch­ge­führt, bei der gleich meh­re­re Han­dys, zwei Lap­tops und eini­ge USB-Sticks sicher­ge­stellt wur­den, auf denen aller­dings das fall­re­le­van­te Pos­ting nicht ent­deckt wur­de. Der Ange­klag­te macht Iden­ti­täts­dieb­stahl gel­tend: Das Han­dy, von dem aus er Face­book immer genutzt habe, sei ihm bei einer Fahr­rad­tour ver­lo­ren gegan­gen, wor­auf­hin er eine neue SIM-Kar­te besorgt und sein Face­book-Kon­to gelöscht habe.

Der Gut­ach­ter, der ein­ver­nom­men wur­de, um G.s Anga­ben auf Plau­si­bi­li­tät und tech­ni­sche Mach­bar­keit zu über­prü­fen, müht sich wirk­lich red­lich ab und kommt zu der Erkennt­nis, dass ein Miss­brauch durch ande­re fak­tisch aus­ge­schlos­sen wer­den kön­ne, aber theo­re­tisch, mit sehr, sehr viel Auf­wand doch denk­bar sei. Die Ver­tei­di­gung wird durch unse­re Pro­zess­be­ob­ach­tung so zitiert:

Sach­ver­stän­di­ge konn­te kei­nen tech­ni­schen Beweis brin­gen, dass der Ange­klag­te das Pos­ting selbst abge­setzt hat. Aus irgend­ei­nem nicht nach­voll­zieh­ba­ren Grund dürf­te jemand ein Fake-Account im Namen des Ange­klag­ten ange­legt hat und mit Bil­dern, die er vom tat­säch­li­chen FB-Account des Ange­klag­ten her­un­ter­ge­la­den hat, bespielt.

Auch wenn das wie ein Mär­chen klingt, das Mär­chen konn­te nicht zu 100 Pro­zent wider­legt wer­den, so der Rich­ter. Daher Frei­spruch im Zweifel.