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U‑Ausschuss: Polizist in Küssels Mailverteiler

Der U‑Ausschuss zum „rot-blau­en Macht­miss­brauch“ gewann am Mitt­woch „urplötz­lich an Bri­sanz“, wie es Puls24 for­mu­liert hat. Teil der Bri­sanz: Die Ex-Lei­te­rin des Extre­mis­mus­re­fe­rats sprach im Aus­schuss von einem nach der Raz­zia ver­schwun­de­nen Küs­sel-Mail, in dem ein Poli­zist im Ver­tei­ler war. Das wird wohl nicht nur irgend­ein Poli­zist gewe­sen sein!

12. Apr 2024

Einladung ins „Reich”

Sibyl­le G., bis zu ihrer Pen­sio­nie­rung im Febru­ar 2021 Lei­te­rin des Extre­mis­mus­re­fe­rats im „Bun­des­amt für Ver­fas­sungs­schutz und Ter­ro­ris­mus­be­kämp­fung“ (BVT), war am Mitt­woch nicht zum ers­ten Mal in einem par­la­men­ta­ri­schen Unter­su­chungs­aus­schuss. Bereits im Jahr 2019 wur­de sie gleich drei Mal zu den Vor­gän­gen rund um die Raz­zia im BVT befragt. In Erin­ne­rung geblie­ben ist beson­ders ihre For­mu­lie­rung zum Tag der Raz­zia: „Jetzt ist es so weit. Jetzt ist der Tag X, wo in der Sze­ne immer davon gere­det wird: Wenn sie an die Macht kom­men, dann hän­gen sie als Ers­tes die Staats­po­li­zei auf und als Nächs­tes kommt die Jus­tiz dran. – Das war mein ers­tes Emp­fin­den. (Pro­to­koll Unter­su­chungs­aus­schuss parlament.gv.at, 13.3.19)

Im aktu­el­len Unter­su­chungs­aus­schuss zum rot-blau­en Macht­miss­brauch prä­zi­sier­te G. ein­mal mehr, wie sie die vom dama­li­gen Lei­ter des Ver­fas­sungs­schut­zes Peter Grid­ling als „Über­fall“ titu­lier­te Raz­zia emp­fun­den habe. „Die Ex-Beam­tin sprach über eine ‚mar­tia­li­sche’ Raz­zia im BVT, ließ anklin­gen, dass ein Kol­le­ge mit einem Pos­ten belohnt wur­de und dass bei der Raz­zia ein Mail ver­schwand, in dem Neo­na­zi Gott­fried Küs­sel jeman­den mit offi­zi­el­ler Poli­zei­adres­se ein­lud.“ (puls24.at, 10.4.24)

Das sei eine Ein­la­dung „in ein Lokal namens ‚Reich‘“ gewe­sen, berich­tet das Ö1-Abend­jour­nal (10.4.24). Mit „Reich“ wird wohl jener Kel­ler in Küs­sels Wohn­haus in der Leo­pold­stadt gemeint sein, in dem Küs­sel und sei­ne Nazi-Kum­pa­nen bis zu Küs­sels Ver­haf­tung im April 2011 regel­mä­ßig Tref­fen abge­hal­ten hat­ten. „Reich“ hieß damals eben­falls Küs­sels Feri­al­ver­bin­dung, die als Ver­ein ange­mel­det war.

G. füg­te nach einer Inter­ven­ti­on der Ver­fah­rens­rich­te­rin an, „dass sie nicht sagen woll­te, dass EGS-Beam­te den Mail­aus­druck ver­schwin­den hät­ten las­sen” (puls24.at, 10.4.24). Damit jedoch nicht genug: G. erzähl­te, ihr sei „sehr zu ihrer Über­ra­schung (…) dann bei einer Ein­ver­nah­me bekannt gewor­den, dass eine ihrer Unter­la­gen auf­ge­taucht sei” (derstandard.at, 10.4.24).

Standard-Ticker zum U-Ausschuss: Küssel-Mail "war nicht mehr da", "auf dem Verteiler (...) auch jemand mit einer Polizei-Mail-Adresse" (derstandard.at, 10.4.24)
Stan­dard-Ticker zum U‑Ausschuss: Küs­sel-Mail „war nicht mehr da”, „auf dem Ver­tei­ler (…) auch jemand mit einer Poli­zei-Mail-Adres­se” (derstandard.at, 10.4.24)

FPÖ-Politiker als Razzia-Leiter

Wir hal­ten fest: Aus ohne­hin schwer nach­voll­zieh­ba­ren Grün­den wird mit der Raz­zia die ins­be­son­de­re auf Sucht­gift­de­lik­te spe­zia­li­sier­te „Ein­satz­grup­pe zur Bekämp­fung der Stra­ßen­kri­mi­na­li­tät“ (EGS) beauf­tragt. Gelei­tet wird die Durch­su­chung von Wolf­gang Preiszler, dem die EGS unter­stand und der damals auch FPÖ-Gemein­de­rat in Gun­trams­dorf war. Die Preiszler-Trup­pe durch­wühl­te auch stun­den­lang das Büro von Sibyl­le G, obwohl die in der Durch­su­chungs­an­ord­nung nicht als Beschul­dig­te geführt wur­de. Nach der Raz­zia sei das Küs­sel-Mail, in dem ein Poli­zist im Ver­tei­ler gewe­sen sein soll, ver­schwun­den. War­um erwähnt das G. im Unter­su­chungs­aus­schuss? Wohl kaum, wenn es sich um einen unbe­deu­ten­den Poli­zis­ten aus Hin­ter­tup­fing gehan­delt hätte!

Belegt ist, dass Preiszlers Kon­takt­da­ten von Johann Gude­nus sie­ben Wochen vor der BVT-Raz­zia an Kick­ls Kabi­netts­chef Teu­fel geschickt wur­den – angeb­lich, weil Preiszler mit einem Ehren­tross des Innen­mi­nis­te­ri­ums beim Poli­zei­ball ein­zie­hen woll­te. Rein­hard Teu­fel, Kick­ls dama­li­ger Kabi­netts­chef, zugleich nie­der­ös­ter­rei­chi­scher Land­tags­ab­ge­ord­ne­ter und mitt­ler­wei­le dort auch FPÖ-Klub­ob­mann, war im BVT-U-Aus­schuss ganz beson­ders von Erin­ne­rungs­aus­set­zern geplagt. Auch zur Nach­richt von Gude­nus ließ das Gedächt­nis von Teu­fel aus: ‚Ich kann mich nicht erin­nern, ob ich mich irgend­et­was gefragt habe, als ich die Nach­richt erhal­ten habe‘, sagt Teu­fel auf eine Anfra­ge.“ (derstandard.at, 18.6.20)

Kickl mit Preiszler – FB-Posting 10 Tage vor der Razzia. Gudenus kommentiert: "Eine Top-Einheit mit motivierten Ermittlern und guter Leitung" (Screenshot FB 10.2.24)
Kickl mit Preiszler – FB-Pos­ting 10 Tage vor der Raz­zia. Gude­nus kom­men­tiert: „Eine Top-Ein­heit mit moti­vier­ten Ermitt­lern und guter Lei­tung” (Screen­shot FB 10.2.24)

Preiszlers Facebook-Postings

Knapp nach dem Über­fall aufs BVT wur­den Face­book-Pos­tings von Preiszler publik, die die Platt­form „FPÖ Fails“ ent­deckt, gesi­chert und publi­ziert hat­te. Auf dem Account wur­den Arti­kel und Pos­tings u.a. von einem Reichs­bür­ger, von einem den Holo­caust leug­nen­den Blog, von einem Neo­na­zi und wei­te­ren rechts­extre­men Akteu­ren sowie ras­sis­ti­sche Fake-Hetz­mel­dun­gen geteilt.

Preiszler teil Blog, in dem Holocaust geleugnet wird (Screenshot FB 24.10.15)
Preiszler teil Blog, in dem Holo­caust geleug­net wird (Screen­shot FB 24.10.15)

Die Ermitt­lun­gen gegen Preiszler wegen des Ver­dachts auf Ver­het­zung sei­en wegen Ver­jäh­rung ein­ge­stellt wor­den, wie der „Kurier“ (3.7.18) den Lei­ter der Staats­an­walt­schaft Wie­ner Neu­stadt zitie­rend, berich­te­te: „Die meis­ten Preiszler-Pos­tings stam­men aus dem Jahr 2016. Weil bei Ver­het­zung im Inter­net aller­dings ein Jahr als Ver­jäh­rungs­zeit­raum gilt, haben die Inhal­te straf­recht­lich kei­ne Rele­vanz mehr. Sie wur­den daher auch nicht aufVer­het­zung oder ras­sis­ti­sche Inhal­te geprüft.“

Ob es dis­zi­pli­nar­recht­li­che Kon­se­quen­zen gab, ist nicht bekannt – dafür jedoch schon, dass Preiszlers Face­book-Account aus dem Netz ver­schwun­den ist.

Update 19.4.24: Der „Stan­dard” ver­öf­fent­licht, dass es sich bei dem Poli­zis­ten, der in Küs­sels Mail Ver­tei­ler war, um den ope­ra­ti­ven Lei­ter der BVT-Raz­zia, Wolf­gang Preiszler, han­deln soll.