Einladung ins „Reich”
Sibylle G., bis zu ihrer Pensionierung im Februar 2021 Leiterin des Extremismusreferats im „Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung“ (BVT), war am Mittwoch nicht zum ersten Mal in einem parlamentarischen Untersuchungsausschuss. Bereits im Jahr 2019 wurde sie gleich drei Mal zu den Vorgängen rund um die Razzia im BVT befragt. In Erinnerung geblieben ist besonders ihre Formulierung zum Tag der Razzia: „Jetzt ist es so weit. Jetzt ist der Tag X, wo in der Szene immer davon geredet wird: Wenn sie an die Macht kommen, dann hängen sie als Erstes die Staatspolizei auf und als Nächstes kommt die Justiz dran. – Das war mein erstes Empfinden.“ (Protokoll Untersuchungsausschuss parlament.gv.at, 13.3.19)
Im aktuellen Untersuchungsausschuss zum rot-blauen Machtmissbrauch präzisierte G. einmal mehr, wie sie die vom damaligen Leiter des Verfassungsschutzes Peter Gridling als „Überfall“ titulierte Razzia empfunden habe. „Die Ex-Beamtin sprach über eine ‚martialische’ Razzia im BVT, ließ anklingen, dass ein Kollege mit einem Posten belohnt wurde und dass bei der Razzia ein Mail verschwand, in dem Neonazi Gottfried Küssel jemanden mit offizieller Polizeiadresse einlud.“ (puls24.at, 10.4.24)
Das sei eine Einladung „in ein Lokal namens ‚Reich‘“ gewesen, berichtet das Ö1-Abendjournal (10.4.24). Mit „Reich“ wird wohl jener Keller in Küssels Wohnhaus in der Leopoldstadt gemeint sein, in dem Küssel und seine Nazi-Kumpanen bis zu Küssels Verhaftung im April 2011 regelmäßig Treffen abgehalten hatten. „Reich“ hieß damals ebenfalls Küssels Ferialverbindung, die als Verein angemeldet war.
G. fügte nach einer Intervention der Verfahrensrichterin an, „dass sie nicht sagen wollte, dass EGS-Beamte den Mailausdruck verschwinden hätten lassen” (puls24.at, 10.4.24). Damit jedoch nicht genug: G. erzählte, ihr sei „sehr zu ihrer Überraschung (…) dann bei einer Einvernahme bekannt geworden, dass eine ihrer Unterlagen aufgetaucht sei” (derstandard.at, 10.4.24).
FPÖ-Politiker als Razzia-Leiter
Wir halten fest: Aus ohnehin schwer nachvollziehbaren Gründen wird mit der Razzia die insbesondere auf Suchtgiftdelikte spezialisierte „Einsatzgruppe zur Bekämpfung der Straßenkriminalität“ (EGS) beauftragt. Geleitet wird die Durchsuchung von Wolfgang Preiszler, dem die EGS unterstand und der damals auch FPÖ-Gemeinderat in Guntramsdorf war. Die Preiszler-Truppe durchwühlte auch stundenlang das Büro von Sibylle G, obwohl die in der Durchsuchungsanordnung nicht als Beschuldigte geführt wurde. Nach der Razzia sei das Küssel-Mail, in dem ein Polizist im Verteiler gewesen sein soll, verschwunden. Warum erwähnt das G. im Untersuchungsausschuss? Wohl kaum, wenn es sich um einen unbedeutenden Polizisten aus Hintertupfing gehandelt hätte!
Belegt ist, dass Preiszlers Kontaktdaten von Johann Gudenus sieben Wochen vor der BVT-Razzia an Kickls Kabinettschef Teufel geschickt wurden – angeblich, weil Preiszler mit einem Ehrentross des Innenministeriums beim Polizeiball einziehen wollte. Reinhard Teufel, Kickls damaliger Kabinettschef, zugleich niederösterreichischer Landtagsabgeordneter und mittlerweile dort auch FPÖ-Klubobmann, war im BVT-U-Ausschuss ganz besonders von Erinnerungsaussetzern geplagt. Auch zur Nachricht von Gudenus ließ das Gedächtnis von Teufel aus: „‚Ich kann mich nicht erinnern, ob ich mich irgendetwas gefragt habe, als ich die Nachricht erhalten habe‘, sagt Teufel auf eine Anfrage.“ (derstandard.at, 18.6.20)
Preiszlers Facebook-Postings
Knapp nach dem Überfall aufs BVT wurden Facebook-Postings von Preiszler publik, die die Plattform „FPÖ Fails“ entdeckt, gesichert und publiziert hatte. Auf dem Account wurden Artikel und Postings u.a. von einem Reichsbürger, von einem den Holocaust leugnenden Blog, von einem Neonazi und weiteren rechtsextremen Akteuren sowie rassistische Fake-Hetzmeldungen geteilt.
Die Ermittlungen gegen Preiszler wegen des Verdachts auf Verhetzung seien wegen Verjährung eingestellt worden, wie der „Kurier“ (3.7.18) den Leiter der Staatsanwaltschaft Wiener Neustadt zitierend, berichtete: „Die meisten Preiszler-Postings stammen aus dem Jahr 2016. Weil bei Verhetzung im Internet allerdings ein Jahr als Verjährungszeitraum gilt, haben die Inhalte strafrechtlich keine Relevanz mehr. Sie wurden daher auch nicht aufVerhetzung oder rassistische Inhalte geprüft.“
Ob es disziplinarrechtliche Konsequenzen gab, ist nicht bekannt – dafür jedoch schon, dass Preiszlers Facebook-Account aus dem Netz verschwunden ist.
Update 19.4.24: Der „Standard” veröffentlicht, dass es sich bei dem Polizisten, der in Küssels Mail Verteiler war, um den operativen Leiter der BVT-Razzia, Wolfgang Preiszler, handeln soll.