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Rückblick KW 48/23: Prozesse

Ver­gan­ge­ne Woche ende­ten gleich meh­re­re Gerichts­pro­zes­se nach dem Ver­bots­ge­setz mit güns­ti­gen Aus­gän­gen für die Beschul­dig­ten, dar­un­ter meh­re­re Frei­sprü­che, eine Diver­si­on und ein mil­des Urteil für einen lang­jäh­ri­gen Neo­na­zi. Wien: Frei­spruch trotz 88-Tat­too Wien: Frei­spruch nach Beschimp­fun­gen und „Heil Hitler“-Sager Wels/OÖ: Mil­des Urteil für lang­jäh­ri­gen Neo­na­zi Salz­burg: Prü­fung auf Zurech­nungs­fä­hig­keit ver­zö­gert Ver­fah­ren nach Ver­bots­ge­setz Wien: Mit […]

5. Dez 2023
Schwurgerichtssaal Landesgericht Wiener Neustadt (© SdR)
Schwurgerichtssaal Landesgericht Wiener Neustadt (© SdR)

Wien: Freispruch trotz 88-Tattoo
Wien: Freispruch nach Beschimpfungen und „Heil Hitler“-Sager
Wels/OÖ: Mildes Urteil für langjährigen Neonazi
Salzburg: Prüfung auf Zurechnungsfähigkeit verzögert Verfahren nach Verbotsgesetz
Wien: Mit Pumpgun-Diskussion zur Diversion

Wien: Freispruch trotz 88-Tattoo

Am 29.11. fand am Lan­des­ge­richt Wien der Pro­zess gegen einen Mann statt, der am 23.7.23 im Frei­bad Gän­se­häu­fel wegen sei­nes Tat­toos ange­zeigt wur­de: Die von einem Lor­beer­kranz umran­de­te Zahl 88 zier­te den Rücken des bis dato unbe­schol­te­nen 31-jäh­ri­gen Instal­la­teurs. Die Dop­pel-Acht wird in Neo­na­zi-Krei­sen ger­ne als Code für „Heil Hit­ler“ ver­wen­det – das H ist der ach­te Buch­sta­be im Alphabet.

Der Ange­klag­te woll­te sich die­se bekann­te Zif­fern­fol­ge aus gänz­lich ande­ren Grün­den täto­wiert haben las­sen: Sein Bru­der sei im Jahr 1988 gebo­ren, es gehe um „Wert­schät­zung“ und „Fami­li­en­zu­sam­men­halt“. Zu der Fra­ge nach dem NS-Bezug sag­te er, er wis­se von dem Code zwar seit 2015, habe aber in sei­nem Fall „nie den Gedan­ken gehabt, dass das ande­re so sehen könn­ten“. Den Lor­beer­kranz erklär­te er damit, dass er Fan der Aus­tria Wien sei und außer­dem mit einem Ver­weis auf die Mode­mar­ke „Fred Per­ry“. Die auf­fäl­lig ecki­ge Schrift wie­der­um habe damit zu tun, dass er der „Hardcore“-Musikszene ange­hö­re. Die Staats­an­wäl­tin bezeich­ne­te die­se Erklä­run­gen als „Schutz­be­haup­tun­gen“ und führ­te den Geschwo­re­nen eine bei­na­he iden­ti­sche Abbil­dung des 88-Neo­na­zi­codes mit­samt Lor­beer­kranz vor, die aus dem Fun­dus des Doku­men­ta­ti­ons­ar­chiv des öst. Wider­stan­des (DÖW) stammte.

Als Zeug*innen wur­den der Bru­der des Ange­klag­ten und eine Poli­zis­tin, die an dem Ein­satz im Gän­se­häu­fel betei­ligt war, befragt. Bei­de sag­ten nichts Belas­ten­des gegen den Mann aus. Die Poli­zis­tin woll­te es nicht ein­schät­zen kön­nen, ob er den Ein­druck gemacht habe, aus der rech­ten Sze­ne zu kom­men, und der Bru­der bestä­tig­te zumin­dest ein­mal gehört zu haben, dass die „88“ am Rücken des Ange­klag­ten ihm galt.

Die Geschwo­re­nen ent­schie­den sich in einem deut­li­chen Ver­hält­nis von sie­ben zu eins für einen Frei­spruch. Das Urteil ist nicht rechtskräftig.

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Wien: Freispruch nach Beschimpfungen und „Heil Hitler“-Sager

Am 27.11. fand in Wien ein Pro­zess nach dem Ver­bots­ge­setz gegen eine früh­pen­sio­nier­te Gas­tro­no­min statt. Die 56-Jäh­ri­ge war bereits im März 2023 wegen Nöti­gung zu sechs Mona­ten beding­ter Haft ver­ur­teilt wor­den: Sie hat­te eine dun­kel­häu­ti­ge Per­son in einem öffent­li­chen Ver­kehrs­mit­tel mehr­mals ras­sis­tisch beschimpft. Auch bei dem aktu­el­len Pro­zess ging es um ras­sis­ti­sche Beschimp­fun­gen und außer­dem um den Aus­ruf „Heil Hit­ler“. Die Frau war am 15.8.23 mit einem Pär­chen in Kon­flikt gera­ten, nach­dem sie mit dem Mann zusam­men­ge­sto­ßen war. Zum Ziel ihrer ras­sis­ti­schen Beschimp­fun­gen wur­de aller­dings schnell die dun­kel­häu­ti­ge Part­ne­rin des Mannes.

Kon­kre­ter Gegen­stand der Ankla­ge war der Satz „Was willst du, scheiß N****?“ und „Bist du Affe aus Schön­brunn aus­ge­bro­chen?“. Zudem hat die Ange­klag­te auch Affen­ge­räu­sche als Pro­vo­ka­ti­on gemacht. Die bei­den Betrof­fe­nen haben einen Teil der Situa­ti­on mit dem Han­dy auf­ge­nom­men; eine der Auf­nah­men wur­de im Gerichts­saal abge­spielt. Auch soll die Frau dann ein­mal „Heil Hit­ler“ gesagt haben. Die Betrof­fe­nen inter­pre­tier­ten das als wei­te­re Pro­vo­ka­ti­on, die Ange­klag­te erklär­te, sie hät­te damit ledig­lich auf den Vor­wurf reagiert, sie sei ein „Nazi“, wor­auf sie gesagt habe, dazu hät­te sie ja „Heil Hit­ler“ sagen müssen.

Bezüg­lich ihres Ras­sis­mus, ins­be­son­de­re des Gebrauchs des N‑Wortes, zeig­te die Frau vor Gericht kei­ne Ein­sicht, aber sie ent­schul­dig­te sich bei den Betrof­fe­nen. Zudem dürf­te ihr die Ein­schät­zung des Bewäh­rungs­hil­fe­ver­eins „Neu­start“ ent­ge­gen­ge­kom­men sein, wonach die Frau zum Tat­zeit­punkt auf­grund der lan­gen Pfle­ge ihres Part­ners psy­chisch schwer belas­tet war. Es kam zu einem bei­na­he ein­stim­mi­gen Freispruch.

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Wels/OÖ: Mildes Urteil für langjährigen Neonazi 

Die What­App-Nach­rich­ten eines Kame­ra­den, des­sen Han­dy­da­ten im Rah­men eines Ver­fah­rens am Lan­des­ge­richt Ried aus­ge­le­sen wur­den, brach­ten am 27.11. einen seit Jah­ren in der Neo­na­zi-Sze­ne akti­ven Wel­ser vor Gericht. Der 31-jäh­ri­ge Unter­neh­mer gab sich bei der Ver­hand­lung und auch schon bei einer vor­an­ge­hen­den Haus­durch­su­chung reu­ig und geläutert.

2012 hat­te er im Neo­na­zi-Kreis sei­nen 20. Geburts­tag gefei­ert. Die dort ver­speis­te Geburts­tags­tor­te war mit NS-Reichs­ad­ler und Eiser­nem Kreuz ver­ziert. Zudem ange­klagt waren Social-Media-Posts, NS-Devo­tio­na­li­en und sei­ne Tat­toos: „Unter ande­rem ließ er sich eine Reichs­flag­ge, eine Tris­ke­le, eine Sig­ru­ne, Son­nen­rä­der und das SS-Divi­si­ons­ab­zei­chen – den Toten­kopf – in die Haut rit­zen. (…) Auch die Zahl „88“ (Syn­onym für Heil Hit­ler) und das Kür­zel HONARA (Abkür­zung für Hoo­li­gans, Nazis, Ras­sis­ten) ließ er sich täto­wie­ren.” (krone.at, 1.12.23)

Vor die­sem Hin­ter­grund fiel das Urteil der Geschwo­re­nen mit 15 Mona­ten beding­ter Haft rela­tiv mild aus. Dass der Mann sich sei­ne Tat­toos noch vor der Ver­hand­lung über­ste­chen ließ, wird dazu bei­getra­gen haben. Das Urteil ist rechtskräftig.

Salzburg: Prüfung auf Zurechnungsfähigkeit verzögert Verfahren nach Verbotsgesetz 

Am Salz­bur­ger Lan­des­ge­richt wur­de der Pro­zess gegen einen 53-jäh­ri­gen Mann aus Por­tu­gal bereits Ende Okto­ber ver­tagt, weil eine psy­chi­sche Erkran­kung im Raum stand. Ange­las­tet wird dem Mann, dass er am 1. April die­ses Jah­res zwei SPÖ-Wahl­hel­fer beim Anbrin­gen eines Pla­kats beschimpft und sinn­ge­mäß gesagt haben soll, es brau­che „wie­der einen Hit­ler“.

Bei dem neu­er­li­chen Ver­hand­lungs­ter­min am 27.11. wur­de eine Psych­ia­te­rin aus Bad Ischl per Video­call ange­hört, die sowohl eine psy­chi­sche Erkran­kung als auch ein Trau­ma, das in der Kind­heit des Ange­klag­ten in der por­tu­gie­si­schen Dik­ta­tur wurz­le, bestä­tig­te. Bezüg­lich des Vor­falls ging sie davon aus, dass der Mann dis­so­zi­iert war und er folg­lich in einem unkon­trol­lier­ten Zustand reagiert habe, der durch einen Trig­ger (das Auf­hän­gen der Pla­ka­te) ver­ur­sacht wur­de. Der Mann war ihr zufol­ge unfä­hig zu steu­ern, was er in die­sem Moment sagte.

Der Rich­ter frag­te den Ange­klag­ten zuletzt, ob er für eine wei­te­re psy­cho­lo­gi­sche Unter­su­chung bereit sei, was die­ser bejah­te, und ver­tag­te den Pro­zess erneut auf unbe­stimm­te Zeit.

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Wien: Mit Pumpgun-Diskussion zur Diversion

Etwas kuri­os ver­lief der Pro­zess gegen einen älte­ren Wie­ner, der auf Face­book zu einem Bild, das den Grenz­zaun von Mel­il­la mit Geflü­che­ten zeig­te, in einem Kom­men­tar auf­for­der­te, die Pump­gun zu neh­men und: „Feu­er frei!” In einem län­ge­ren Dia­log zwi­schen Rich­ter und Ange­klag­tem über den Umgang mit Geflüch­te­ten an Grenz­zäu­nen erör­ter­te der Wie­ner, es sei wegen der kur­zen Distanz bes­ser, ein Pfef­fer­spray statt einer Pump­gun zu ver­wen­den, um dann aber doch auf die Vor­zü­ge des Ein­sat­zes eines Schlag­stock und eines Sturm­ge­wehrs zu kom­men. Immer­hin beton­te der Rich­ter, dass er den Pump­gun-Ein­satz an Gren­zen nicht für das pro­ba­te Mit­tel hält, um Geflüch­te­te an einer ille­ga­len Ein­rei­se zu hindern.

Aus dem etwa 15-minü­ti­gen Gespräch schloss der Rich­ter, der Ange­klag­te habe „für das Pos­ting im Wesent­li­chen Ver­ant­wor­tung über­nom­men” und schlägt eine Diver­si­on vor, in deren Rah­men der Ange­klag­te das Pro­gramm „Dia­log statt Hass” in Anspruch neh­men sol­le. Die Staats­an­wäl­tin kom­men­tier­te, sie glau­be zwar nicht, dass es etwas bringt, hat­te dann aber kei­ne Einwände.

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➡️ Ein wei­te­rer Frei­spruch in Wien: Pro­zess: Der anti­se­mi­ti­sche Trick­ser mit der Triskele