Wien: Freispruch trotz 88-Tattoo
Wien: Freispruch nach Beschimpfungen und „Heil Hitler“-Sager
Wels/OÖ: Mildes Urteil für langjährigen Neonazi
Salzburg: Prüfung auf Zurechnungsfähigkeit verzögert Verfahren nach Verbotsgesetz
Wien: Mit Pumpgun-Diskussion zur Diversion
Wien: Freispruch trotz 88-Tattoo
Am 29.11. fand am Landesgericht Wien der Prozess gegen einen Mann statt, der am 23.7.23 im Freibad Gänsehäufel wegen seines Tattoos angezeigt wurde: Die von einem Lorbeerkranz umrandete Zahl 88 zierte den Rücken des bis dato unbescholtenen 31-jährigen Installateurs. Die Doppel-Acht wird in Neonazi-Kreisen gerne als Code für „Heil Hitler“ verwendet – das H ist der achte Buchstabe im Alphabet.
Der Angeklagte wollte sich diese bekannte Ziffernfolge aus gänzlich anderen Gründen tätowiert haben lassen: Sein Bruder sei im Jahr 1988 geboren, es gehe um „Wertschätzung“ und „Familienzusammenhalt“. Zu der Frage nach dem NS-Bezug sagte er, er wisse von dem Code zwar seit 2015, habe aber in seinem Fall „nie den Gedanken gehabt, dass das andere so sehen könnten“. Den Lorbeerkranz erklärte er damit, dass er Fan der Austria Wien sei und außerdem mit einem Verweis auf die Modemarke „Fred Perry“. Die auffällig eckige Schrift wiederum habe damit zu tun, dass er der „Hardcore“-Musikszene angehöre. Die Staatsanwältin bezeichnete diese Erklärungen als „Schutzbehauptungen“ und führte den Geschworenen eine beinahe identische Abbildung des 88-Neonazicodes mitsamt Lorbeerkranz vor, die aus dem Fundus des Dokumentationsarchiv des öst. Widerstandes (DÖW) stammte.
Als Zeug*innen wurden der Bruder des Angeklagten und eine Polizistin, die an dem Einsatz im Gänsehäufel beteiligt war, befragt. Beide sagten nichts Belastendes gegen den Mann aus. Die Polizistin wollte es nicht einschätzen können, ob er den Eindruck gemacht habe, aus der rechten Szene zu kommen, und der Bruder bestätigte zumindest einmal gehört zu haben, dass die „88“ am Rücken des Angeklagten ihm galt.
Die Geschworenen entschieden sich in einem deutlichen Verhältnis von sieben zu eins für einen Freispruch. Das Urteil ist nicht rechtskräftig.
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Wien: Freispruch nach Beschimpfungen und „Heil Hitler“-Sager
Am 27.11. fand in Wien ein Prozess nach dem Verbotsgesetz gegen eine frühpensionierte Gastronomin statt. Die 56-Jährige war bereits im März 2023 wegen Nötigung zu sechs Monaten bedingter Haft verurteilt worden: Sie hatte eine dunkelhäutige Person in einem öffentlichen Verkehrsmittel mehrmals rassistisch beschimpft. Auch bei dem aktuellen Prozess ging es um rassistische Beschimpfungen und außerdem um den Ausruf „Heil Hitler“. Die Frau war am 15.8.23 mit einem Pärchen in Konflikt geraten, nachdem sie mit dem Mann zusammengestoßen war. Zum Ziel ihrer rassistischen Beschimpfungen wurde allerdings schnell die dunkelhäutige Partnerin des Mannes.
Konkreter Gegenstand der Anklage war der Satz „Was willst du, scheiß N****?“ und „Bist du Affe aus Schönbrunn ausgebrochen?“. Zudem hat die Angeklagte auch Affengeräusche als Provokation gemacht. Die beiden Betroffenen haben einen Teil der Situation mit dem Handy aufgenommen; eine der Aufnahmen wurde im Gerichtssaal abgespielt. Auch soll die Frau dann einmal „Heil Hitler“ gesagt haben. Die Betroffenen interpretierten das als weitere Provokation, die Angeklagte erklärte, sie hätte damit lediglich auf den Vorwurf reagiert, sie sei ein „Nazi“, worauf sie gesagt habe, dazu hätte sie ja „Heil Hitler“ sagen müssen.
Bezüglich ihres Rassismus, insbesondere des Gebrauchs des N‑Wortes, zeigte die Frau vor Gericht keine Einsicht, aber sie entschuldigte sich bei den Betroffenen. Zudem dürfte ihr die Einschätzung des Bewährungshilfevereins „Neustart“ entgegengekommen sein, wonach die Frau zum Tatzeitpunkt aufgrund der langen Pflege ihres Partners psychisch schwer belastet war. Es kam zu einem beinahe einstimmigen Freispruch.
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Wels/OÖ: Mildes Urteil für langjährigen Neonazi
Die WhatApp-Nachrichten eines Kameraden, dessen Handydaten im Rahmen eines Verfahrens am Landesgericht Ried ausgelesen wurden, brachten am 27.11. einen seit Jahren in der Neonazi-Szene aktiven Welser vor Gericht. Der 31-jährige Unternehmer gab sich bei der Verhandlung und auch schon bei einer vorangehenden Hausdurchsuchung reuig und geläutert.
2012 hatte er im Neonazi-Kreis seinen 20. Geburtstag gefeiert. Die dort verspeiste Geburtstagstorte war mit NS-Reichsadler und Eisernem Kreuz verziert. Zudem angeklagt waren Social-Media-Posts, NS-Devotionalien und seine Tattoos: „Unter anderem ließ er sich eine Reichsflagge, eine Triskele, eine Sigrune, Sonnenräder und das SS-Divisionsabzeichen – den Totenkopf – in die Haut ritzen. (…) Auch die Zahl „88“ (Synonym für Heil Hitler) und das Kürzel HONARA (Abkürzung für Hooligans, Nazis, Rassisten) ließ er sich tätowieren.” (krone.at, 1.12.23)
Vor diesem Hintergrund fiel das Urteil der Geschworenen mit 15 Monaten bedingter Haft relativ mild aus. Dass der Mann sich seine Tattoos noch vor der Verhandlung überstechen ließ, wird dazu beigetragen haben. Das Urteil ist rechtskräftig.
Salzburg: Prüfung auf Zurechnungsfähigkeit verzögert Verfahren nach Verbotsgesetz
Am Salzburger Landesgericht wurde der Prozess gegen einen 53-jährigen Mann aus Portugal bereits Ende Oktober vertagt, weil eine psychische Erkrankung im Raum stand. Angelastet wird dem Mann, dass er am 1. April dieses Jahres zwei SPÖ-Wahlhelfer beim Anbringen eines Plakats beschimpft und sinngemäß gesagt haben soll, es brauche „wieder einen Hitler“.
Bei dem neuerlichen Verhandlungstermin am 27.11. wurde eine Psychiaterin aus Bad Ischl per Videocall angehört, die sowohl eine psychische Erkrankung als auch ein Trauma, das in der Kindheit des Angeklagten in der portugiesischen Diktatur wurzle, bestätigte. Bezüglich des Vorfalls ging sie davon aus, dass der Mann dissoziiert war und er folglich in einem unkontrollierten Zustand reagiert habe, der durch einen Trigger (das Aufhängen der Plakate) verursacht wurde. Der Mann war ihr zufolge unfähig zu steuern, was er in diesem Moment sagte.
Der Richter fragte den Angeklagten zuletzt, ob er für eine weitere psychologische Untersuchung bereit sei, was dieser bejahte, und vertagte den Prozess erneut auf unbestimmte Zeit.
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Wien: Mit Pumpgun-Diskussion zur Diversion
Etwas kurios verlief der Prozess gegen einen älteren Wiener, der auf Facebook zu einem Bild, das den Grenzzaun von Melilla mit Geflücheten zeigte, in einem Kommentar aufforderte, die Pumpgun zu nehmen und: „Feuer frei!” In einem längeren Dialog zwischen Richter und Angeklagtem über den Umgang mit Geflüchteten an Grenzzäunen erörterte der Wiener, es sei wegen der kurzen Distanz besser, ein Pfefferspray statt einer Pumpgun zu verwenden, um dann aber doch auf die Vorzüge des Einsatzes eines Schlagstock und eines Sturmgewehrs zu kommen. Immerhin betonte der Richter, dass er den Pumpgun-Einsatz an Grenzen nicht für das probate Mittel hält, um Geflüchtete an einer illegalen Einreise zu hindern.
Aus dem etwa 15-minütigen Gespräch schloss der Richter, der Angeklagte habe „für das Posting im Wesentlichen Verantwortung übernommen” und schlägt eine Diversion vor, in deren Rahmen der Angeklagte das Programm „Dialog statt Hass” in Anspruch nehmen solle. Die Staatsanwältin kommentierte, sie glaube zwar nicht, dass es etwas bringt, hatte dann aber keine Einwände.
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➡️ Ein weiterer Freispruch in Wien: Prozess: Der antisemitische Trickser mit der Triskele