
Der Begriff „Volksverräter“ wurde in Deutschland von Sprachwissenschafter*innen zum „Unwort des Jahres 2016“ gewählt. Wie die Jury in ihrer Begründung darlegte,
weil es ein typisches Erbe von Diktaturen, unter anderem der Nationalsozialisten ist. Als Vorwurf gegenüber PolitikerInnen ist das Wort in einer Weise undifferenziert und diffamierend, dass ein solcher Sprachgebrauch das ernsthafte Gespräch und damit die für Demokratie notwendigen Diskussionen in der Gesellschaft abwürgt. Der Wortbestandteil Volk, wie er auch in den im letzten Jahr in die öffentliche Diskussion gebrachten Wörtern völkisch oder Umvolkung gebraucht wird, steht dabei ähnlich wie im Nationalsozialismus nicht für das Staatsvolk als Ganzes, sondern für eine ethnische Kategorie, die Teile der Bevölkerung ausschließt. Damit ist der Ausdruck zudem antidemokratisch, weil er – um eine Einsendung zu zitieren – „die Gültigkeit der Grundrechte für alle Menschen im Hoheitsgebiet der Bundesrepublik“ verneint.

Spätestens seit der Ermordung des Kasseler CDU-Regierungspräsidenten Walter Lübcke im Juni 2019, der zuvor als „Volksverräter“ durch die rechtsextreme Szene gereicht wurde, ist in Deutschland der Terminus auf die Verwendung in der gewaltbereiten rechtsextremen Szene eingegrenzt. Österreich ist da anders. Seit der Ära Strache wird der Terminus „Volksverräter“ wieder ganz offensiv von der FPÖ genutzt. Zuvor waren es nur die ganz Einschlägigen, Neonazis wie Hans Jörg Schimanek oder der „Porno-Humer“, die die alte Nazi-Parole in den Mund nahmen.
Die Nazis hatten in ihren „Nationalsozialistischen Leitsätzen für ein neues deutsches Strafrecht“ den „Volksverrat“ definiert als das „unmittelbar gegen das deutsche Volk gerichtete Verbrechen eines Volksgenossen, der die politische Einheit, Freiheit und Macht des deutschen Volkes zu erschüttern trachtet“. Damit und unter Berufung auf das „gesunde Volksempfinden“ war so ziemlich alles, was den Nazis nicht passte, nicht nur strafbar, sondern vor allem in den letzten Jahren des NS-Regimes von Todesstrafe bedroht.
Selbst Jörg Haider, der sonst nicht besonders skrupulös war beim Gebrauch von NS-belasteten Begriffen, verwendete den Begriff „Volksverrat“ nie, auch nicht „Volksverräter“. Weder im politischen Lexikon „Schlagwort Haider“, das Haiders Aussprüche bis 1994 gesammelt hat, noch in einer Schlagwortsuche ist dazu etwas zu finden. 2006 tauchten die „Volksverräter“ dann in einer Aschermittwoch-Rede von Heinz-Christian Strache auf, werden in den folgenden Jahren darauf sogar auf Plakaten der FPÖ transportiert, bis sie während der kurzen Regierungsperiode der FPÖ 2017–2019 wieder in den rechtsextremen Untergrund verbannt wurden.
![]() | ![]() |
Seit kurzem sind sie wieder im Sprachrepertoire der FPÖ-Spitzen: Kickl hetzt gegen „Volksverräter“, sein Paladin Schnedlitz macht es in dem Interview bei der FPÖ-Demo noch deutlicher, was er darunter verstanden wissen will: „Ich bin hundertmal lieber bei die Leut auf da Stroßn als bei lauter Volksverräter im Plenarsaal – und i muass ganz ehrlich sogn, es wird Zeit für außerparlamentarische Aktivitäten. (…) Und wir werden diesem korrupten Politsystem gemeinsam den Stecker ziagn.“
In wenigen Wörtern gebündelt finden sich da die braunen Begriffe „Volksverräter“ und „korruptes Politsystem“ in Verbindung mit dem „Stecker ziehen“: Schluss mit Parlamentarismus und repräsentativer Demokratie und mit den „Volksverrätern“ drinnen? Was will der rechtsextreme Generalsekretär mit den „Volksverrätern“ aus dem Plenarsaal machen, nachdem er ihnen und dem System den Stecker gezogen hat?
Während Schnedlitz auf der FPÖ-Demo am 20. November seine Überlegungen dem rechtsextremen Michael Scharfmüller von „Info-Direkt“ ins Mikrophon spricht, zeigt die Kamera hinter Schnedlitz einen Galgen, der vorbeigetragen wird. Eine zufällige Koinzidenz, wenn man davon absieht, dass es sicher kein Zufall war, dass der Galgen für die „Volksverräter“ auf einer FPÖ-Demo getragen werden durfte. Passt eben zusammen!
„Volksverräter” von Hitler bis zur FPÖ
|
Sehr gute Fotos mit Schildern von der Demo am 20.11.2021 in Wien gibt’s beim Fotografen John Evers ➡️ hier