Die FPÖ, ihre „Volksverräter“ und der Galgen

Lesezeit: 5 Minuten

Es ist so maka­ber wie bezeich­nend: Der rechts­extre­me Roman Möse­ne­der, gera­de noch Salz­bur­ger RFJ-Obmann, setzt einen Tweet ab, mit dem er das Video-Inter­view ver­brei­tet, in dem der Rechts­extre­me Micha­el Scharf­mül­ler vom rechts­extre­men „Info-Direkt“ den rechts­extre­men FPÖ-Gene­ral­se­kre­tär Micha­el Schned­litz inter­viewt, der auf der FPÖ-Demo vom 20. Novem­ber gegen die „Volks­ver­rä­ter“ im Par­la­ment hetzt. Hin­ter Schned­litz und wäh­rend des Inter­views wird auf der FPÖ-Demo ein Gal­gen vor­bei­ge­führt, an dem sym­bo­lisch eine Pup­pe baumelt.

Scharfmüller interviewt Schnedlitz – im Hintergrund spaziert Demoteilnehmer mit Galgen vorbei (Demo 20.11.21; Screenshot Video Info-Direkt)

Scharf­mül­ler inter­viewt Schned­litz – im Hin­ter­grund spa­ziert Demo­teil­neh­mer mit Gal­gen vor­bei (Demo 20.11.21; Screen­shot Video Info-Direkt)

Der Begriff „Volks­ver­rä­ter“ wur­de in Deutsch­land von Sprachwissenschafter*innen zum „Unwort des Jah­res 2016“ gewählt. Wie die Jury in ihrer Begrün­dung darlegte,

weil es ein typi­sches Erbe von Dik­ta­tu­ren, unter ande­rem der Natio­nal­so­zia­lis­ten ist. Als Vor­wurf gegen­über Poli­ti­ke­rIn­nen ist das Wort in einer Wei­se undif­fe­ren­ziert und dif­fa­mie­rend, dass ein sol­cher Sprach­ge­brauch das ernst­haf­te Gespräch und damit die für Demo­kra­tie not­wen­di­gen Dis­kus­sio­nen in der Gesell­schaft abwürgt. Der Wort­be­stand­teil Volk, wie er auch in den im letz­ten Jahr in die öffent­li­che Dis­kus­si­on gebrach­ten Wör­tern völ­kisch oder Umvol­kung gebraucht wird, steht dabei ähn­lich wie im Natio­nal­so­zia­lis­mus nicht für das Staats­volk als Gan­zes, son­dern für eine eth­ni­sche Kate­go­rie, die Tei­le der Bevöl­ke­rung aus­schließt. Damit ist der Aus­druck zudem anti­de­mo­kra­tisch, weil er – um eine Ein­sen­dung zu zitie­ren – „die Gül­tig­keit der Grund­rech­te für alle Men­schen im Hoheits­ge­biet der Bun­des­re­pu­blik“ ver­neint.

Galgenträger auf der Demo am 20.11.21 (Foto © John Evers)

Gal­gen­trä­ger auf der Demo am 20.11.21 (Foto © John Evers)

Spä­tes­tens seit der Ermor­dung des Kas­se­ler CDU-Regie­rungs­prä­si­den­ten Wal­ter Lüb­cke im Juni 2019, der zuvor als „Volks­ver­rä­ter“ durch die rechts­extre­me Sze­ne gereicht wur­de, ist in Deutsch­land der Ter­mi­nus auf die Ver­wen­dung in der gewalt­be­rei­ten rechts­extre­men Sze­ne ein­ge­grenzt. Öster­reich ist da anders. Seit der Ära Stra­che wird der Ter­mi­nus „Volks­ver­rä­ter“ wie­der ganz offen­siv von der FPÖ genutzt. Zuvor waren es nur die ganz Ein­schlä­gi­gen, Neo­na­zis wie Hans-Jörg Schi­ma­nek oder der „Por­no-Humer“, die die alte Nazi-Paro­le in den Mund nahmen.

Die Nazis hat­ten in ihren „Natio­nal­so­zia­lis­ti­schen Leit­sät­zen für ein neu­es deut­sches Straf­recht“ den „Volks­ver­rat“ defi­niert als das „unmit­tel­bar gegen das deut­sche Volk gerich­te­te Ver­bre­chen eines Volks­ge­nos­sen, der die poli­ti­sche Ein­heit, Frei­heit und Macht des deut­schen Vol­kes zu erschüt­tern trach­tet“. Damit und unter Beru­fung auf das „gesun­de Volks­emp­fin­den“ war so ziem­lich alles, was den Nazis nicht pass­te, nicht nur straf­bar, son­dern vor allem in den letz­ten Jah­ren des NS-Regimes von Todes­stra­fe bedroht.

Selbst Jörg Hai­der, der sonst nicht beson­ders skru­pu­lös war beim Gebrauch von NS-belas­te­ten Begrif­fen, ver­wen­de­te den Begriff „Volks­ver­rat“ nie, auch nicht „Volks­ver­rä­ter“. Weder im poli­ti­schen Lexi­kon „Schlag­wort Hai­der“, das Hai­ders Aus­sprü­che bis 1994 gesam­melt hat, noch in einer Schlag­wort­su­che ist dazu etwas zu fin­den. 2006 tauch­ten die „Volks­ver­rä­ter“ dann in einer Ascher­mitt­woch-Rede von Heinz-Chris­ti­an Stra­che auf, wer­den in den fol­gen­den Jah­ren dar­auf sogar auf Pla­ka­ten der FPÖ trans­por­tiert, bis sie wäh­rend der kur­zen Regie­rungs­pe­ri­ode der FPÖ 2017–2019 wie­der in den rechts­extre­men Unter­grund ver­bannt wurden.

"EU-Verräter" mit Strache (Wahlplakat 2008)

„EU-Ver­rä­ter” mit Stra­che (Wahl­pla­kat 2008)

"EU-Verräter" mit Mölzer und Strache (Wahlplakat 2009)

„EU-Ver­rä­ter” mit Möl­zer und Stra­che (Wahl­pla­kat 2009)

Seit kur­zem sind sie wie­der im Sprach­re­per­toire der FPÖ-Spit­zen: Kickl hetzt gegen „Volks­ver­rä­ter“, sein Pala­din Schned­litz macht es in dem Inter­view bei der FPÖ-Demo noch deut­li­cher, was er dar­un­ter ver­stan­den wis­sen will: „Ich bin hun­dert­mal lie­ber bei die Leut auf da Stroßn als bei lau­ter Volks­ver­rä­ter im Ple­nar­saal – und i muass ganz ehr­lich sogn, es wird Zeit für außer­par­la­men­ta­ri­sche Akti­vi­tä­ten. (…) Und wir wer­den die­sem kor­rup­ten Polit­sys­tem gemein­sam den Ste­cker ziagn.

In weni­gen Wör­tern gebün­delt fin­den sich da die brau­nen Begrif­fe „Volks­ver­rä­ter“ und „kor­rup­tes Polit­sys­tem“ in Ver­bin­dung mit dem „Ste­cker zie­hen“: Schluss mit Par­la­men­ta­ris­mus und reprä­sen­ta­ti­ver Demo­kra­tie und mit den „Volks­ver­rä­tern“ drin­nen? Was will der rechts­extre­me Gene­ral­se­kre­tär mit den „Volks­ver­rä­tern“ aus dem Ple­nar­saal machen, nach­dem er ihnen und dem Sys­tem den Ste­cker gezo­gen hat?

Wäh­rend Schned­litz auf der FPÖ-Demo am 20. Novem­ber sei­ne Über­le­gun­gen dem rechts­extre­men Micha­el Scharf­mül­ler von „Info-Direkt“ ins Mikro­phon spricht, zeigt die Kame­ra hin­ter Schned­litz einen Gal­gen, der vor­bei­ge­tra­gen wird. Eine zufäl­li­ge Koin­zi­denz, wenn man davon absieht, dass es sicher kein Zufall war, dass der Gal­gen für die „Volks­ver­rä­ter“ auf einer FPÖ-Demo getra­gen wer­den durf­te. Passt eben zusammen!

„Volks­ver­rä­ter” von Hit­ler bis zur FPÖ

 

Die natio­nal­so­zia­lis­ti­sche Bewe­gung hat damals zum ers­ten Male ihre Ent­schlos­sen­heit gezeigt, künf­tig­hin auch für sich das Recht auf die Stra­ße in Anspruch zu neh­men und damit die­ses Mono­pol den inter­na­tio­na­len Volks­ver­rä­tern und Vater­lands­fein­den aus der Hand zu winden.
Adolf Hit­ler, Mein Kampf 1927 zum Auf­marsch der Vater­län­di­schen Ver­bän­de im Mün­chen im August 1922, wo erst­mals die SA in geschlos­se­nen Ver­bän­den und mit Haken­kreuz­fah­nen aufmarschierte.

Wir Ober­ös­ter­rei­cher erhal­ten aber noch eine ande­re, beson­de­re Aus­zeich­nung für unse­re Leis­tun­gen wäh­rend der Kampf­zeit. Nach Ober­ös­ter­reich kommt das Kon­zen­tra­ti­ons­la­ger für die Volks­ver­rä­ter von ganz Österreich.
Gau­lei­ter August Eigru­ber 1938

Trotz der Brie­fe aus der Unter­su­chungs­haft, in denen er Volks­ver­tre­ter „Volks­ver­rä­ter” und Rich­ter „Staats­büt­tel und Rat­ten” nann­te (Kurier, 23.11.1995), bil­lig­te der Obers­te Gerichts­hof Hans Jörg Schi­ma­nek jun. eine außer­or­dent­li­che Straf­mil­de­rung zu.

Das sind kei­ne Volks­ver­tre­ter, das sind Volksverräter!
Heinz-Chris­ti­an Stra­che 2006 über die Bun­des­re­gie­rung (pro­fil 10/2006)

Dass die Schwar­zen immer wie­der ver­su­chen, Kri­ti­ker vor Gericht zu zer­ren, führt uns den Macht­rausch die­ser Volks­ver­rä­ter vor Augen.
Gott­fried Wald­häusl, damals Klub­ob­mann im NÖ-Land­tag, Mai 2011

Beglei­tet von „Her­bert! Herbert!“-Rufen hol­te schließ­lich FPÖ-Bun­des­par­tei­chef Her­bert Kickl auf der Büh­ne zum ver­ba­len Rund­um­schlag aus. Er sprach von „Volks­ver­rä­tern statt Volks­ver­tre­tern im Parlament.
FPÖ-Vor­sit­zen­der und Klub­ob­mann Her­bert Kickl, Okto­ber 2021 in den „NÖN“ (24.10.21)

Sehr gute Fotos mit Schil­dern von der Demo am 20.11.2021 in Wien gibt’s beim Foto­gra­fen John Evers ➡️ hier