Es begann damit, dass die Angeklagte schon vor dem Einmarsch des Richtersenats einige Minuten neben der Anklagebank stand. Alleine. Weil sie nervös war? Nein, das Rätsel klärte sich, allerdings nur für Eingeweihte, als der Vorsitzende versuchte, ihre Personalien zu erfragen. Da setzte die Angeklagte Renate (60) zu einer längeren Erklärung an, die der Richter dann zwar unterbrach, die aber dennoch eine erste politische Zuordnung ermöglichte. Renate stellte sich als ein lebender Mensch aus dem Stamm der P. vor, um dann noch hinzuzufügen, dass sie jede weitere Antwort verweigern würde, weil der Richter schon im Vorfeld der Verhandlung keine Antwort auf ihren Vorhalt gegeben habe, dass er bzw. das Gericht für sie nicht legitimiert seien, da Österreich noch immer unter der Fuchtel des Alliierten Kontrollrats stehen würde und die Republik daher nicht existiere.
Eingeweihte wissen: Das ist die Schwurbelei einer Staatenbündlerin, Staatsverweigerin oder auch „Reichsbürgerin“. Angeklagt war sie aber nicht deshalb, sondern weil ihr die Staatsanwaltschaft die Mitgliedschaft in der Neonazi-Gruppe „Europäische Aktion“ (EA) zur Last legte. Renate P. stand im Jahr 2013 über mehrere Monate in intensivem Kontakt zu Hans Berger, dem Landesleiter der EA für Österreich, hatte ihm Internet-Unterstützung und die Produktion von Schulungsvideos angeboten, Kontaktlisten erstellt und auch an Treffen bzw. Vorträgen der EA teilgenommen.
Renate bleibt auch standhaft, als der Vorsitzende Richter versucht, eine Befragung durchzuführen: Erstens bleibt sie stehen (während der gesamten Verhandlung) und zweitens verweigert sie jede Antwort. Prozessmäßig ist das nicht gerade ein Vorteil, den sie da für sich erarbeitet. Aber das ist nicht ihr einziges Problem. Auch Gespräche mit ihrem Pflichtverteidiger hat sie im Vorfeld mehrmals abgelehnt, wie der bedauernd dem Gericht mitteilt. Wobei ich mir da nach dessen abschließendem Plädoyer gar nicht mehr sicher bin, ob daraus wirklich ein Nachteil für sie erwachsen ist.
Prozesstechnisch gesehen wird über die Neonazis von der EA insgesamt ganz wenig Information geboten. Die Geschworenen erfahren aus den Akten nur, dass der Landesleiter Hans Berger und sein Gebietsleiter für Wien, Rudolf Vogel, mittlerweile schon einige Jahre verstorben sind und dass im Februar 2021 einige führende Aktivisten der EA zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt worden sind. Die „sieben Ziele“ der EA wurden zwar als nationalsozialistisch erwähnt, aber genauso wenig näher beschrieben wie die „131 Grundsätze für eine Wiedererrichtung eines Deutschen Reiches“, die die Angeklagte auf der Webseite von „mzw-widerstand.com“ gefunden und Hans Berger zur Verwendung empfohlen hat.
MZW (soll heißen: Mut zur Wahrheit) war die Propagandaseite des US-Neonazi John Nugent, der zeitweise auch in Österreich residiert hat. Weder er noch seine in den letzten Jahren aufgelassene Webseite noch die „131 Grundsätze“ wurden im Prozess gegen Renate P. genauer dargestellt bzw. kontextualisiert. Woher sollen die Geschworenen wissen, was sich hinter den Begriffen verbirgt, wenn die „131 Grundsätze“, die Renate wärmstens empfohlen hatte, anscheinend nicht einmal in den Akten zu finden waren?
Was ist überhaupt in den Akten zu finden? Der Vorsitzende Richter blätterte darin jedenfalls sehr häufig und ausgedehnt, die allem Anschein nach viel über die antisemitischen und kruden Ansichten des Hans Berger enthalten, aber nicht sehr viele und sehr deutliche Aussagen von Renate P.. Wenigstens fand er dort einen Spruch, der Martin Bormann, dem Hitler- Privatsekretär und Reichsminister zugeschrieben wird: „Wir kommen wieder, aber in einer Form, die die Welt nicht vergessen wird.“ Warum zitiert Renate P. ausgerechnet diesen Nazi-Spruch zustimmend? Bormann war einer jener führenden Nazis, die ganz massiv gegen den bei den Nazis weit verbreiteten Okkultismus vorgingen. Bormann wäre also auch ein klarer Gegner und Verfolger von Renate P. gewesen, die in ihren Mails Berger erzählte, dass der ganze Kosmos auf Zahlen aufgebaut sei und dass die Außerirdischen ganz deutliche Lebenszeichen von sich geben würden.
Das alles wollte sie im internen Forum der EA besprochen wissen, aber Berger erklärte ihr energisch, dass die hierarchische Struktur und Ordnung der EA solch unkontrolliertes Treiben und Denken ganz klar untersagen würde. Die ermüdende Konversation zwischen den beiden bezog sich immer wieder auf die vergeblichen Versuche von Renate P., mit irgendwelchen Verbesserungsvorschlägen für die EA-Homepage landen zu wollen, während Berger in ermüdenden Ausritten und Erklärungsversuchen über die zionistische Weltverschwörung dagegenhielt und abwehrte.
Im Juli 2013 reichte es Renate, die bis dahin von Berger immer mit dem von ihm erfundenen Decknamen „Hanni“ tituliert wurde, während sich Berger selbst als „Herbert“ zu tarnen versuchte. Renate verbat sich die Verwendung des Tarnnamens, erklärte die EA zu einer „chaotischen Gruppe“ und stieg aus. 2016 war sie aber wieder dabei und vermittelte ein Treffen der EA mit der Chefin vom „Staatenbund“, Monika Unger und einem ihrer Stellvertreter, Franz S.. Was dabei besprochen wurde, ob Renate da schon mehr beim Staatenbund als bei der EA war oder die beiden Gruppen einfach zusammenführen wollte, das wissen vielleicht die Lauscher vom Verfassungsschutz, nicht aber die Geschworenen und sonstigen Zuhörer*innen.
Stattdessen durften wir erfahren, dass sich der Landesleiter in einem seiner Mails bei Renate alias „Hanni“ beleidigt darüber ausließ, dass er von den anderen in der EA für seinen Vorschlag einer Kommandoaktion mit 100 Kämpfern an der Grenze (ausgestattet mit Geld und Waffen) regelrecht ausgelacht worden sei.
Die Geschworenen wurden von den Berufsrichtern mit zwei Fragen in die Beratung über die Schuld der Angeklagten geschickt: Erstens, hat die Angeklagte durch ihren Angebote zur Mitarbeit, bei der EA (Homepage, Kontaktliste, Schulungsvideos) im Jahr 2013 die Ziele der EA und damit die Errichtung einer am Nationalsozialismus orientierten Organisation unterstützt und zweiten,s hat sie 2016 mit ihrem Bormann-Zitat und unter Berufung auf die 131 Grundsätze zur Wiedererrichtung eines Deutschen Reiches zu diesem Ziel beigetragen (die Fragestellung wurde von mir deutlich verkürzt und vereinfacht)? Der Spruch der Geschworenen war eindeutig und überraschend klar: mit 7:1 Stimme wurde die erste Frage deutlich bejaht und einstimmig die zweite. Geschworene und Richtersenat legten dann die Höhe der Strafe fest: Renate P. fasste derweilen nicht rechtskräftig die Mindeststrafe von fünf Jahren Haft aus, weil sie wegen ihrer Weigerung auszusagen bzw. sich zu ihrer Schuld zu erklären auch keine außerordentlichen Milderungsgründe zugesprochen bekam.
Das ist ein zweifellos hartes Urteil, weil ja die „führenden“ Kader der EA, die im Frühjahr vor Gericht standen, durchwegs mildere Urteile erhielten, sich aber in der Verhandlung lammfromm verhalten und schuldig bekannt hatten.
P.S.: Übrigens war auch dieser Prozess nicht der letzte in der Causa EA – an weiteren wird laut Anklage gearbeitet.
Aus unserer umfangreichen Berichterstattung zur EA:
Der Prozess
➡️ Prozess Europäische Aktion (Teil 1): Wo sind die anderen?
➡️ Prozess „Europäische Aktion“ (Teil 2): Das Netzwerk wird sichtbar
➡️ Prozess „Europäische Aktion“ (Teil 3): Zwischenstopp!
Die Verdächtigen
➡️ Die alten und neuen Nazis der „Europäischen Aktion“
Der erste Auftritt der EA in der Schweiz
➡️ Vorarlberg/Schweiz: Treffen der Holocaust-Leugner
Der erste Auftritt der EA in Österreich
➡️ Die „Europäische Aktion“ und ihre sieben Ziele
➡️ Neonazi im „Haus der Heimat“ zu Gast