Dass das rechtsextreme und zum Teil auch neonazistische ehemalige Burschenschafterorgan „Die Aula“ 2018 eingestellt werden musste, war indirekt auch auf einen 2011 erschienen Artikel zurückzuführen. Denn schon damals beschimpfte Fred Duswald KZ-Häftlinge als „Landplage“ – eine Bezeichnung, die er dann 2015 nochmals verwendete und mit einigen anderen Diffamierungen an eine unerträgliche Spitze trieb. 2011 hatte Duswald speziell die in Wien geborene, 1942 nach Theresienstadt, später nach Auschwitz-Birkenau, Christianstadt und Großrosen deportierte Ruth Klüger im Visier. Sie war am 5. Mai bei der Veranstaltung zum „Gedenktag gegen Gewalt und Rassismus“ Festrednerin im Parlament. Das hat den notorisch an der Grenze zum Neonazismus entlang schrammenden Aula-Stammautor Fred Duswald auf den Plan gerufen, der in einem Rundumschlag nicht nur KZ-Überlebende generell herabwürdigte, sondern Klüger auch als Lügnerin diffamierte, indem er ihr unterstellte, ihre Erinnerungen an die Konzentrationslager zusammengereimt zu haben. Duswald bezog sich auf ein Gedicht, das Klüger als etwa Dreizehnjährige in Birkenaus verfasst und erstmals im Parlament vorgetragen hatte.
Eine Anzeige der IKG gegen die „Aula“ und Duswald nach dem Verbotsgesetz verlief ergebnislos. Duswald konnte weiterhetzen. Bis 2015, wo er zwar nicht Klüger direkt, aber KZ-Überlebende generalisierend als Massenmörder beschimpfte. Eine neuerliche Anzeige – diesmal durch den damaligen Grünen Nationalratsabgeordneten Harald Walser – wurde zwar wieder eingestellt, aber die Skandalbegründung durch die Grazer Staatsanwaltschaft rief eine Riesenempörung hervor: über die Justiz und über die „Aula“. Eine von den Grünen unterstützte Klage von KZ-Überlebenden, die die Anwältin Maria Windhager in Österreich und dann auch beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte einbrachte, führte zu bemerkenswerten Teilerfolgen. Die „Aula“ war zu einem Sinnbild rechtsextremer Widerwärtigkeit geworden und für die FPÖ nicht mehr zu halten.
Ruth Klüger, die Literaturwissenschafterin, die spät auch zur Autorin avancierte und in dem inzwischen zum Klassiker gewordenen Buch „Weiter leben. Eine Jugend“ ihre Biografie aufarbeitete, sagte in einem Radiointerview über Wien:
Ach Gott, im März 1938 war ich sechseinhalb. Und damit fängt das Bewusstsein von Ausgegrenztsein an. Und das Krisenbewusstsein. Und die Verfolgung. Ich habe Wien als eine judenfeindliche Stadt erlebt. Als eine Stadt, wo man nie sicher war. Als eine Stadt, aus der man heraus wollte. Als eine Stadt, in der sich die Menschen vor ihren Mitbürgern gefürchtet haben. Eine zutiefst unfreundliche, feindselige Stadt, in der immer mehr verboten wurde, so dass man statt in eine erweiterte Welt hinein zu wachsen, eine Welt erfuhr, die immer mehr zusammengeschrumpft ist. Und wo dann eigentlich auch keine Zuflucht mehr war außer Bücher.
Hatte sich Klüger mit Wien, mit Österreich versöhnt?
„Wir Überlebende sind nicht zuständig für Verzeihung“, sagte Ruth Klüger einmal der APA. Und: „Ich halte Ressentiment für ein angebrachtes Gefühl für Unrecht, das nicht wiedergutzumachen ist.“ Zu groß waren die Enttäuschungen, die Kränkungen, die Trauer um von den Nazis getötete Menschen. Als „ein kleines Stück Wiedergutmachung“ bezeichnete der damalige Kulturminister Josef Ostermayer (SPÖ) dann auch die Würdigung Klügers mit dem Ehrendoktorat der Universität Wien im Jahr 2015. Die fand abermals kritische Worte für die Stadt, die sie vertrieben hatte, eine „Schaukel zwischen Ressentiment und Versöhnungsversuch, aber auf jeden Fall ein unlösbarer Knoten“. (science.orf.at, 7.10.20)
Im Jänner 2016 sprach Ruth Klüger zum Holocaust-Gedenktag im Deutschen Bundestag. Ihre Worte klingen angesichts der zunehmenden gesellschaftlichen und politischen Xenophobie wie von sehr weit weg:
Verehrtes Publikum, ich habe jetzt eine ganze Weile über Versklavung als Zwangsarbeit in Nazi-Europa gesprochen und Beispiele aus dem Verdrängungsprozess nach 1945 zitiert. Aber eine neue Generation ist seither hier aufgewachsen, und dieses Land, das vor 80 Jahren für die schlimmsten Verbrechen verantwortlich war, hat heute den Beifall der Welt gewonnen, dank seiner geöffneten Grenzen und der Großzügigkeit, mit der Sie Flüchtlinge aufgenommen haben. Ich bin eine von den vielen Außenstehenden, die von Verwunderung zu Bewunderung übergegangen sind.
Das war der Hauptgrund, warum ich die Gelegenheit wahrgenommen habe, in Ihrer Hauptstadt über die früheren Untaten sprechen zu dürfen, hier, wo ein gegensätzliches Vorbild entstanden ist und trotz Hindernissen, Ärgernissen und Aggressionen noch weiter entsteht, mit dem schlichten und heroischen Slogan: Wir schaffen das. Ich danke Ihnen für diese Einladung.
Ruth Klüger wusste genau, wovon sie sprach und schrieb. Sie wird fehlen, auch weil sie nicht verziehen hat.
➡️ Presseaussendung Karl Öllinger zum Aula-Artikel 2011
➡️ Die „Aula“ und ihr Hetzbeitrag
➡️ Die FPÖ und ihre „Aula“
➡️ Die „Aula“ und die Republik Österreich – eine Chronique scandaleuse