Wir Überlebende sind nicht zuständig für Verzeihung. Zum Tod von Ruth Klüger.

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Ges­tern wur­de bekannt, dass die 1931 in Wien gebo­re­ne Ruth Klü­ger ver­stor­ben ist. Auch wir haben immer wie­der über sie berich­tet, weil sie, die gar nicht stil­le Lite­ra­tur­wis­sen­schaf­te­rin, Autorin und Holo­cau­st­über­le­ben­de Ziel von Angrif­fen durch Rechts­extre­me gewor­den ist – vor allem in der inzwi­schen ver­bli­che­nen „Aula“.

Dass das rechts­extre­me und zum Teil auch neo­na­zis­ti­sche ehe­ma­li­ge Bur­schen­schaf­ter­or­gan „Die Aula“ 2018 ein­ge­stellt wer­den muss­te, war indi­rekt auch auf einen 2011 erschie­nen Arti­kel zurück­zu­füh­ren. Denn schon damals beschimpf­te Fred Dus­wald KZ-Häft­lin­ge als „Land­pla­ge“ – eine Bezeich­nung, die er dann 2015 noch­mals ver­wen­de­te und mit eini­gen ande­ren Dif­fa­mie­run­gen an eine uner­träg­li­che Spit­ze trieb. 2011 hat­te Dus­wald spe­zi­ell die in Wien gebo­re­ne, 1942 nach The­re­si­en­stadt, spä­ter nach Ausch­witz-Bir­ken­au, Chris­ti­an­stadt und Groß­ro­sen depor­tier­te Ruth Klü­ger im Visier. Sie war am 5. Mai bei der Ver­an­stal­tung zum „Gedenk­tag gegen Gewalt und Ras­sis­mus“ Fest­red­ne­rin im Par­la­ment. Das hat den noto­risch an der Gren­ze zum Neo­na­zis­mus ent­lang schram­men­den Aula-Stamm­au­tor Fred Dus­wald auf den Plan geru­fen, der in einem Rund­um­schlag nicht nur KZ-Über­le­ben­de gene­rell her­ab­wür­dig­te, son­dern Klü­ger auch als Lüg­ne­rin dif­fa­mier­te, indem er ihr unter­stell­te, ihre Erin­ne­run­gen an die Kon­zen­tra­ti­ons­la­ger zusam­men­ge­reimt zu haben. Dus­wald bezog sich auf ein Gedicht, das Klü­ger als etwa Drei­zehn­jäh­ri­ge in Bir­ken­aus ver­fasst und erst­mals im Par­la­ment vor­ge­tra­gen hatte.

Eine Anzei­ge der IKG gegen die „Aula“ und Dus­wald nach dem Ver­bots­ge­setz ver­lief ergeb­nis­los. Dus­wald konn­te wei­ter­het­zen. Bis 2015, wo er zwar nicht Klü­ger direkt, aber KZ-Über­le­ben­de gene­ra­li­sie­rend als Mas­sen­mör­der beschimpf­te. Eine neu­er­li­che Anzei­ge – dies­mal durch den dama­li­gen Grü­nen Natio­nal­rats­ab­ge­ord­ne­ten Harald Wal­ser – wur­de zwar wie­der ein­ge­stellt, aber die Skan­dal­be­grün­dung durch die Gra­zer Staats­an­walt­schaft rief eine Rie­sen­em­pö­rung her­vor: über die Jus­tiz und über die „Aula“. Eine von den Grü­nen unter­stütz­te Kla­ge von KZ-Über­le­ben­den, die die Anwäl­tin Maria Wind­ha­ger in Öster­reich und dann auch beim Euro­päi­schen Gerichts­hof für Men­schen­rech­te ein­brach­te, führ­te zu bemer­kens­wer­ten Teil­erfol­gen. Die „Aula“ war zu einem Sinn­bild rechts­extre­mer Wider­wär­tig­keit gewor­den und für die FPÖ nicht mehr zu halten.

Ruth Klü­ger, die Lite­ra­tur­wis­sen­schaf­te­rin, die spät auch zur Autorin avan­cier­te und in dem inzwi­schen zum Klas­si­ker gewor­de­nen Buch „Wei­ter leben. Eine Jugend“ ihre Bio­gra­fie auf­ar­bei­te­te, sag­te in einem Radio­in­ter­view über Wien:

Ach Gott, im März 1938 war ich sechs­ein­halb. Und damit fängt das Bewusst­sein von Aus­ge­grenzt­sein an. Und das Kri­sen­be­wusst­sein. Und die Ver­fol­gung. Ich habe Wien als eine juden­feind­li­che Stadt erlebt. Als eine Stadt, wo man nie sicher war. Als eine Stadt, aus der man her­aus woll­te. Als eine Stadt, in der sich die Men­schen vor ihren Mit­bür­gern gefürch­tet haben. Eine zutiefst unfreund­li­che, feind­se­li­ge Stadt, in der immer mehr ver­bo­ten wur­de, so dass man statt in eine erwei­ter­te Welt hin­ein zu wach­sen, eine Welt erfuhr, die immer mehr zusam­men­ge­schrumpft ist. Und wo dann eigent­lich auch kei­ne Zuflucht mehr war außer Bücher.

Hat­te sich Klü­ger mit Wien, mit Öster­reich versöhnt?

„Wir Über­le­ben­de sind nicht zustän­dig für Ver­zei­hung“, sag­te Ruth Klü­ger ein­mal der APA. Und: „Ich hal­te Res­sen­ti­ment für ein ange­brach­tes Gefühl für Unrecht, das nicht wie­der­gut­zu­ma­chen ist.“ Zu groß waren die Ent­täu­schun­gen, die Krän­kun­gen, die Trau­er um von den Nazis getö­te­te Men­schen. Als „ein klei­nes Stück Wie­der­gut­ma­chung“ bezeich­ne­te der dama­li­ge Kul­tur­mi­nis­ter Josef Oster­may­er (SPÖ) dann auch die Wür­di­gung Klü­gers mit dem Ehren­dok­to­rat der Uni­ver­si­tät Wien im Jahr 2015. Die fand aber­mals kri­ti­sche Wor­te für die Stadt, die sie ver­trie­ben hat­te, eine „Schau­kel zwi­schen Res­sen­ti­ment und Ver­söh­nungs­ver­such, aber auf jeden Fall ein unlös­ba­rer Kno­ten“. (science.orf.at, 7.10.20)

Im Jän­ner 2016 sprach Ruth Klü­ger zum Holo­caust-Gedenk­tag im Deut­schen Bun­des­tag. Ihre Wor­te klin­gen ange­sichts der zuneh­men­den gesell­schaft­li­chen und poli­ti­schen Xeno­pho­bie wie von sehr weit weg:

Ver­ehr­tes Publi­kum, ich habe jetzt eine gan­ze Wei­le über Ver­skla­vung als Zwangs­ar­beit in Nazi-Euro­pa gespro­chen und Bei­spie­le aus dem Ver­drän­gungs­pro­zess nach 1945 zitiert. Aber eine neue Gene­ra­ti­on ist seit­her hier auf­ge­wach­sen, und die­ses Land, das vor 80 Jah­ren für die schlimms­ten Ver­bre­chen ver­ant­wort­lich war, hat heu­te den Bei­fall der Welt gewon­nen, dank sei­ner geöff­ne­ten Gren­zen und der Groß­zü­gig­keit, mit der Sie Flücht­lin­ge auf­ge­nom­men haben. Ich bin eine von den vie­len Außen­ste­hen­den, die von Ver­wun­de­rung zu Bewun­de­rung über­ge­gan­gen sind.

Das war der Haupt­grund, war­um ich die Gele­gen­heit wahr­ge­nom­men habe, in Ihrer Haupt­stadt über die frü­he­ren Unta­ten spre­chen zu dür­fen, hier, wo ein gegen­sätz­li­ches Vor­bild ent­stan­den ist und trotz Hin­der­nis­sen, Ärger­nis­sen und Aggres­sio­nen noch wei­ter ent­steht, mit dem schlich­ten und heroi­schen Slo­gan: Wir schaf­fen das. Ich dan­ke Ihnen für die­se Einladung.

Ruth Klü­ger wuss­te genau, wovon sie sprach und schrieb. Sie wird feh­len, auch weil sie nicht ver­zie­hen hat.

➡️ Pres­se­aus­sendung Karl Öllin­ger zum Aula-Arti­kel 2011
➡️ Die „Aula“ und ihr Hetzbeitrag
➡️ Die FPÖ und ihre „Aula“
➡️ Die „Aula“ und die Repu­blik Öster­reich – eine Chro­ni­que scandaleuse