Die „Aula“ und die Republik Österreich – eine Chronique scandaleuse

Das öster­re­ichis­che Strafrecht ken­nt ein „Ver­schlechterungsver­bot“. Das ver­hin­dert die Neuaufrol­lung eines Prozess­es gegen die „Aula“, obwohl ein Urteil des Europäis­chen Gericht­shofs für Men­schen­rechte (EGMR) genau das ermöglichen sollte. Es ist der vor­läu­fige End­punkt ein­er Chronique scandaleuse.

„Mau­thausen-Befre­ite als Massen­mörder“ – Das war der Titel jenes Artikels vom Som­mer 2015, der am Anfang vom Ende der „Aula“ stand und der zum Syn­onym gewor­den ist für die Per­fi­die des ehe­ma­li­gen Zen­tralor­gans der frei­heitlichen Burschen­schaften mit ihrer jahrzehn­te­lan­gen Prax­is, genau so zu for­mulieren, um möglichst am Strafrecht, vor­wiegend dem Ver­bots­ge­setz vor­bei zu schrammen.

Schon längst in Vergessen­heit ger­at­en ist, dass diese schi­er unendlich scheinende Geschichte ihren Anfang 2011 nahm, als der Geschicht­sre­vi­sion­ist Fred Duswald bere­its damals in einem Aula-Artikel KZ-Über­lebende als „Land­plage“ und „Krim­inelle“ beze­ich­net hat­te und die jüdis­che Schrift­stel­lerin Ruth Klüger, die in einem Gedicht von fünf Mil­lio­nen Leichen, die in den KZ ver­bran­nt wor­den seien, als Lügner­in abtat: „In Wahrheit gab und gibt es kein einziges feuer­speien­des Kre­ma, weil Koks ein kurzflam­miger Brennstoff ist, die Flam­men bei der Ver­bren­nung nicht ein­mal bis zur Leiche reichen und daher während des Prozess­es die Muf­fel nicht ver­lassen. (…) Aus­sagen von Zeitzeu­gen, die in der Nähe von Kre­ma­to­rien Rauch und Feuer wahrgenom­men haben wollen, sind unwahr.“ (zit. nach SdR, 30.6.11)

Duswald 2011 in der Aula: "Lügt Klüger?"

Duswald 2011 in der Aula: „Lügt Klüger?”

Eine Anzeige durch die Israelitis­che Kul­turge­meinde ver­lief damals eben­so im Sand wie danach jene des ehe­ma­li­gen Grü­nen Nation­al­ratsab­ge­ord­neten Har­ald Walser, der im Sep­tem­ber 2015 Duswalds zynisch-ver­schärfte Neuau­flage in der Aula mit ein­er Sachver­halts­darstel­lung an die Graz­er Staat­san­waltschaft übermittelte:

In der Juli/Au­gust-Aus­gabe des Monats­magazins “Die Aula” aus 2015 wurde der beige­fügte Artikel veröf­fentlicht. Darin wer­den unter dem Titel „Mau­thausen-Befre­ite als Massen­mörder” die 1945 befre­it­en Häftlinge des KZ Mau­thausen als „Land­plage” und „Krim­inelle” beze­ich­net. Weit­ers heißt es dort: „Raubend und plün­dernd, mor­dend und schän­dend plagten die Krim­inellen das unter der ‚Befreiung‘ lei­dende Land. Eine Horde von 3.000 Befre­it­en wählte den Weg ins Wald­vier­tel im Nord­west­en von Niederöster­re­ich und wet­teiferte dort mit den sow­jetis­chen ‚Befreiern‘ in der Bege­hung schw­er­ster Verbrechen.“

Die Staat­san­waltschaft wird ersucht, den beige­fügten Text strafrechtlich auf­grund des Ver­dachts der Ver­wirk­lichung der Tatbestände gemäß §§ 3g, 3h Ver­bots­ge­setz zu über­prüfen, ins­beson­dere, ob die oben zitierte Textpas­sage geeignet scheint, das nation­al­sozial­is­tis­che Ver­brechen der sys­tem­a­tis­chen und rechts­grund­losen Internierung von bes­timmten Bevölkerungs­grup­pen in Konzen­tra­tionslagern zu recht­fer­ti­gen zu ver­suchen, indem befre­ite Häftlinge pauschal als „Massen­mörder“, „Land­plage“ oder „Krim­inelle“ beze­ich­net werden.

Aula: Anzeige Walser September 2015

Aula: Anzeige Walser Sep­tem­ber 2015

Das ist nun viere­in­halb Jahre her: mit ein­er atem­ber­aubend skan­dalösen Ein­stel­lungs­be­grün­dung durch die Graz­er Staat­san­waltschaft („Es ist nachvol­lziehbar, dass die Freilas­sung mehrerer tausend Men­schen aus dem Konzen­tra­tionslager Mau­thausen eine Beläs­ti­gung für die betrof­fe­nen Gebi­ete darstellte.“), mit einem Auf­schrei danach und mit dem Beken­nt­nis aus dem Jus­tizmin­is­teri­um, die For­mulierung der Begrün­dung sei zwar men­schen­ver­ach­t­end, aber in der Sache richtig: „Gle­ichzeit­ig ist jedoch festzuhal­ten, dass – im Gegen­satz zur For­mulierung der Ein­stel­lungs­be­grün­dung – die Ein­stel­lung an sich aus rein rechtlich­er Sicht – wie unten­ste­hend näher aus­ge­führt – im Ergeb­nis nachvol­lziehbar ist.“ (Anfrage­beant­wor­tung Wolf­gang Brand­stet­ter)

Als dann im Feb­ru­ar 2016 auch noch der Rechtss­chutzbeauf­tragte Got­tfried Strass­er, der die Ein­stel­lung durch die Graz­er Staat­san­waltschaft rev­i­dieren hätte kön­nen, nach­set­zte, indem er von sich gab, „[d]ie Begrün­dung zur Ver­fahren­se­in­stel­lung, (…) habe er für unbe­den­klich gehal­ten, ‚und ich halte sie nach wie vor für unbe­den­klich’“ (APA via tt.com 8.2.20), hätte man meinen kön­nen, es sei genug – war es aber nicht; Strass­er blieb nicht nur unbe­hel­ligt im Amt, son­dern wurde 2018 in sein­er Funk­tion als Rechtss­chutzbeauf­tragter sog­ar noch um drei Jahre verlängert.

In den darauf fol­gen­den, durch die Grü­nen unter­stützten Kla­gen von KZ-Über­leben­den musste die „Aula“ zivil­rechtlich einem Ver­gle­ich zus­tim­men. Medi­en­rechtlich wurde die Klage in zwei Instanzen abgewiesen. Diesem Urteil ver­set­zte der EGMR ein­stim­mig eine schal­lende Ohrfeige, indem er fes­thielt, dass „eine Ver­let­zung von Artikel 8 EMRK (Recht auf Pri­vat- und Fam­i­lien­leben) stattge­fun­den hat­te. (…) Der Gericht­shof stellte fest, dass die öster­re­ichis­chen Gerichte es ver­ab­säumt hat­ten, die Rechte des Beschw­erde­führers zu schützen, weil sie sich mit einem wesentlichen Teil seines Vor­brin­gens nicht auseinan­derge­set­zt hatten.“

Der damals amtierende Jus­tizmin­is­ter Clemens Jablon­er sprach in ein­er Presseaussendung von „einem wichti­gen Sig­nal“ durch den EGMR und: Das Jus­tizmin­is­teri­um wird daher bei der Gen­er­al­proku­ratur eine Erneuerung des Ver­fahrens gemäß § 363a StPO anregen.“

Bei ein­er Nach­frage, wie denn der Stand der Dinge um das Erneuerungsver­fahren sei, musste die Anwältin Maria Wind­hager nun erfahren, dass es dazu nichts geben wird bzw. gar nichts geben kann, denn „[w]ürde der Fall näm­lich erneut vor Gericht lan­den, dann müsste dort die EGMR-Entschei­dung ein­fließen, und die Medi­en­in­hab­erin der ‚Aula’ laufe Gefahr, durch das Urteil schlechtergestellt zu wer­den als im früheren Ver­fahren. Das wider­spricht dem straf­prozess­rechtlichen Ver­schlechterungsver­bot.“ (derstandard.at, 2.23.20)

Ums klar­er auszu­drück­en: Öster­re­ich wäre über das EGMR-Urteil verpflichtet, die Neuaufrol­lung des Ver­fahrens zu ermöglichen, kann diese Verpflich­tung aber auf­grund eines Pas­sus aus dem Strafrecht nicht umsetzen.

Die Jus­tizpoli­tik muss sich jet­zt damit beschäfti­gen, wie mit solchen Urteilen des EGMR umzuge­hen ist. Mit Alma Zadić haben wir zweifel­los eine Min­is­terin, die ser­iös prüfen lassen wird, wie dieser ekla­tante Man­gel zu beseit­i­gen ist. Die „endgültige Schande“ für die Repub­lik, wie Fabi­an Schmid den vor­läu­fi­gen End­punkt all der unsäglichen Vorgänge in dieser Causa als Resümee in seinem Kom­men­tar im Stan­dard tre­f­fend beze­ich­nete, wird nun aber kaum noch auszubügeln sein. Der inzwis­chen fast 97-jährige Kläger Aba Lewit muss weit­er warten. „Wir alle wur­den als Ver­brech­er ver­leumdet. Die Toten kön­nen sich aber nicht mehr wehren“, sagte Lewit zufrieden direkt nach dem EGMR-Urteil. Wie es aussieht, kön­nen das 75 Jahre nach ihrer Befreiung aus der KZ-Hölle auch die Über­leben­den nicht.