Lesezeit: 5 Minuten

Die „Aula“ und die Republik Österreich – eine Chronique scandaleuse

Das öster­rei­chi­sche Straf­recht kennt ein „Ver­schlech­te­rungs­ver­bot“. Das ver­hin­dert die Neu­auf­rol­lung eines Pro­zes­ses gegen die „Aula“, obwohl ein Urteil des Euro­päi­schen Gerichts­hofs für Men­schen­rech­te (EGMR) genau das ermög­li­chen soll­te. Es ist der vor­läu­fi­ge End­punkt einer Chro­ni­que scan­da­leu­se. „Mau­t­hau­­sen-Befrei­­te als Mas­sen­mör­der“ – Das war der Titel jenes Arti­kels vom Som­mer 2015, der am Anfang vom Ende der […]

3. Mrz 2020
Duswald als Stammautor bei "Die Aula"
Duswald als Stammautor bei "Die Aula"

„Maut­hau­sen-Befrei­te als Mas­sen­mör­der“ – Das war der Titel jenes Arti­kels vom Som­mer 2015, der am Anfang vom Ende der „Aula“ stand und der zum Syn­onym gewor­den ist für die Per­fi­die des ehe­ma­li­gen Zen­tral­or­gans der frei­heit­li­chen Bur­schen­schaf­ten mit ihrer jahr­zehn­te­lan­gen Pra­xis, genau so zu for­mu­lie­ren, um mög­lichst am Straf­recht, vor­wie­gend dem Ver­bots­ge­setz, vor­bei zu schrammen.

Schon längst in Ver­ges­sen­heit gera­ten ist, dass die­se schier unend­lich schei­nen­de Geschich­te ihren Anfang 2011 nahm, als der Geschichts­re­vi­sio­nist Fred Dus­wald bereits damals in einem Aula-Arti­kel KZ-Über­le­ben­de als „Land­pla­ge“ und „Kri­mi­nel­le“ bezeich­net hat­te und die jüdi­sche Schrift­stel­le­rin Ruth Klü­ger, die in einem Gedicht von fünf Mil­lio­nen Lei­chen, die in den KZ ver­brannt wor­den sei­en, als Lüg­ne­rin abtat:

In Wahr­heit gab und gibt es kein ein­zi­ges feu­er­spei­en­des Kre­ma, weil Koks ein kurz­flam­mi­ger Brenn­stoff ist, die Flam­men bei der Ver­bren­nung nicht ein­mal bis zur Lei­che rei­chen und daher wäh­rend des Pro­zes­ses die Muf­fel nicht ver­las­sen. (…) Aus­sa­gen von Zeit­zeu­gen, die in der Nähe von Kre­ma­to­ri­en Rauch und Feu­er wahr­ge­nom­men haben wol­len, sind unwahr. (zit. nach SdR, 30.6.11)

Duswald 2011 in der Aula: "Lügt Klüger?"
Dus­wald 2011 in der Aula: „Lügt Klüger?”

Eine Anzei­ge durch die Israe­li­ti­sche Kul­tur­ge­mein­de ver­lief damals eben­so im Sand wie danach jene des ehe­ma­li­gen Grü­nen Natio­nal­rats­ab­ge­ord­ne­ten Harald Wal­ser, der im Sep­tem­ber 2015 Dus­walds zynisch-ver­schärf­te Neu­auf­la­ge in der Aula mit einer Sach­ver­halts­dar­stel­lung an die Gra­zer Staats­an­walt­schaft übermittelte:

In der Juli/­Au­gust-Aus­ga­be des Monats­ma­ga­zins “Die Aula” aus 2015 wur­de der bei­gefüg­te Arti­kel ver­öf­fent­licht. Dar­in wer­den unter dem Titel „Maut­hau­sen-Befrei­te als Mas­sen­mör­der” die 1945 befrei­ten Häft­lin­ge des KZ Maut­hau­sen als „Land­pla­ge” und „Kri­mi­nel­le” bezeich­net. Wei­ters heißt es dort: „Rau­bend und plün­dernd, mor­dend und schän­dend plag­ten die Kri­mi­nel­len das unter der ‚Befrei­ung‘ lei­den­de Land. Eine Hor­de von 3.000 Befrei­ten wähl­te den Weg ins Wald­vier­tel im Nord­wes­ten von Nie­der­ös­ter­reich und wett­ei­fer­te dort mit den sowje­ti­schen ‚Befrei­ern‘ in der Bege­hung schwers­ter Verbrechen.“

Die Staats­an­walt­schaft wird ersucht, den bei­gefüg­ten Text straf­recht­lich auf­grund des Ver­dachts der Ver­wirk­li­chung der Tat­be­stän­de gemäß §§ 3g, 3h Ver­bots­ge­setz zu über­prü­fen, ins­be­son­de­re, ob die oben zitier­te Text­pas­sa­ge geeig­net scheint, das natio­nal­so­zia­lis­ti­sche Ver­bre­chen der sys­te­ma­ti­schen und rechts­grund­lo­sen Inter­nie­rung von bestimm­ten Bevöl­ke­rungs­grup­pen in Kon­zen­tra­ti­ons­la­gern zu recht­fer­ti­gen zu ver­su­chen, indem befrei­te Häft­lin­ge pau­schal als „Mas­sen­mör­der“, „Land­pla­ge“ oder „Kri­mi­nel­le“ bezeich­net werden.

Aula: Anzeige Walser September 2015
Aula: Anzei­ge Wal­ser Sep­tem­ber 2015

Das ist nun vier­ein­halb Jah­re her: mit einer atem­be­rau­bend skan­da­lö­sen Ein­stel­lungs­be­grün­dung durch die Gra­zer Staats­an­walt­schaft („Es ist nach­voll­zieh­bar, dass die Frei­las­sung meh­re­rer tau­send Men­schen aus dem Kon­zen­tra­ti­ons­la­ger Maut­hau­sen eine Beläs­ti­gung für die betrof­fe­nen Gebie­te dar­stell­te.“), mit einem Auf­schrei danach und mit dem Bekennt­nis aus dem Jus­tiz­mi­nis­te­ri­um, die For­mu­lie­rung der Begrün­dung sei zwar men­schen­ver­ach­tend, aber in der Sache rich­tig: „Gleich­zei­tig ist jedoch fest­zu­hal­ten, dass – im Gegen­satz zur For­mu­lie­rung der Ein­stel­lungs­be­grün­dung – die Ein­stel­lung an sich aus rein recht­li­cher Sicht – wie unten­ste­hend näher aus­ge­führt – im Ergeb­nis nach­voll­zieh­bar ist.“ (Anfra­ge­be­ant­wor­tung Wolf­gang Brand­stet­ter)

Als dann im Febru­ar 2016 auch noch der Rechts­schutz­be­auf­trag­te Gott­fried Stras­ser, der die Ein­stel­lung durch die Gra­zer Staats­an­walt­schaft revi­die­ren hät­te kön­nen, nach­setz­te, indem er von sich gab, „[d]ie Begrün­dung zur Ver­fah­rens­ein­stel­lung, (…) habe er für unbe­denk­lich gehal­ten, ‚und ich hal­te sie nach wie vor für unbe­denk­lich’“ (APA via tt.com 8.2.20), hät­te man mei­nen kön­nen, es sei genug – war es aber nicht; Stras­ser blieb nicht nur unbe­hel­ligt im Amt, son­dern wur­de 2018 in sei­ner Funk­ti­on als Rechts­schutz­be­auf­trag­ter sogar noch um drei Jah­re verlängert.

In den dar­auf fol­gen­den, durch die Grü­nen unter­stütz­ten Kla­gen von KZ-Über­le­ben­den muss­te die „Aula“ zivil­recht­lich einem Ver­gleich zustim­men. Medi­en­recht­lich wur­de die Kla­ge in zwei Instan­zen abge­wie­sen. Die­sem Urteil ver­setz­te der EGMR ein­stim­mig eine schal­len­de Ohr­fei­ge, indem er fest­hielt, dass

eine Ver­let­zung von Arti­kel 8 EMRK (Recht auf Pri­vat- und Fami­li­en­le­ben) statt­ge­fun­den hat­te. (…) Der Gerichts­hof stell­te fest, dass die öster­rei­chi­schen Gerich­te es ver­ab­säumt hat­ten, die Rech­te des Beschwer­de­füh­rers zu schüt­zen, weil sie sich mit einem wesent­li­chen Teil sei­nes Vor­brin­gens nicht aus­ein­an­der­ge­setzt hatten.

Der damals amtie­ren­de Jus­tiz­mi­nis­ter Cle­mens Jablo­ner sprach in einer Pres­se­aus­sendung von „einem wich­ti­gen Signal“ durch den EGMR und: Das Jus­tiz­mi­nis­te­ri­um wird daher bei der Gene­ral­pro­ku­ra­tur eine Erneue­rung des Ver­fah­rens gemäß § 363a StPO anregen.“

Bei einer Nach­fra­ge, wie denn der Stand der Din­ge um das Erneue­rungs­ver­fah­ren sei, muss­te die Anwäl­tin Maria Wind­ha­ger nun erfah­ren, dass es dazu nichts geben wird bzw. gar nichts geben kann, denn „[w]ürde der Fall näm­lich erneut vor Gericht lan­den, dann müss­te dort die EGMR-Ent­schei­dung ein­flie­ßen, und die Medi­en­in­ha­be­rin der ‚Aula’ lau­fe Gefahr, durch das Urteil schlech­ter­ge­stellt zu wer­den als im frü­he­ren Ver­fah­ren. Das wider­spricht dem straf­pro­zess­recht­li­chen Ver­schlech­te­rungs­ver­bot.“ (derstandard.at, 2.23.20) Ums kla­rer aus­zu­drü­cken: Öster­reich wäre über das EGMR-Urteil ver­pflich­tet, die Neu­auf­rol­lung des Ver­fah­rens zu ermög­li­chen, kann die­se Ver­pflich­tung aber auf­grund eines Pas­sus aus dem Straf­recht nicht umsetzen.

Die Jus­tiz­po­li­tik muss sich jetzt damit beschäf­ti­gen, wie mit sol­chen Urtei­len des EGMR umzu­ge­hen ist. Mit Alma Zadić haben wir zwei­fel­los eine Minis­te­rin, die seri­ös prü­fen las­sen wird, wie die­ser ekla­tan­te Man­gel zu besei­ti­gen ist. Die „end­gül­ti­ge Schan­de“ für die Repu­blik, wie Fabi­an Schmid den vor­läu­fi­gen End­punkt all der unsäg­li­chen Vor­gän­ge in die­ser Cau­sa als Resü­mee in sei­nem Kom­men­tar im Stan­dard tref­fend bezeich­ne­te, wird nun aber kaum noch aus­zu­bü­geln sein. Der inzwi­schen fast 97-jäh­ri­ge Klä­ger Aba Lewit muss wei­ter war­ten. „Wir alle wur­den als Ver­bre­cher ver­leum­det. Die Toten kön­nen sich aber nicht mehr weh­ren“, sag­te Lewit zufrie­den direkt nach dem EGMR-Urteil. Wie es aus­sieht, kön­nen das 75 Jah­re nach ihrer Befrei­ung aus der KZ-Höl­le auch die Über­le­ben­den nicht.