Keine Distanzierung, dafür Rückendeckung der Partei
Zuerst zur Liederbuch-Affäre. Inzwischen wird es ernst für den FPÖ-Abgeordneten Wolfgang Zanger, denn die ermittelnde Staatsanwaltschaft beantragt nun die Aufhebung von Zangers Immunität durch das Parlament, wie am Montag bekannt wurde.
Zur Erinnerung: Zanger will sich seit zwei Wochen partout nicht von den neonazistischen und antisemitischen Textstellen in dem durch die Kronen-Zeitung bekannt gewordenen Liederbuch distanzieren. Das über 400 Seiten starke Buch soll ein Geschenk von der unzweifelhaft rechtsextremen Burschenschaft „Cheruskia“ an die steirische Burschenschaft „Pennales Corps Austria zu Knittelfeld“ gewesen sein. Bei letzterer ist Zanger Mitglied. Er gibt ganz unumwunden zu, dass er das Buch bei sich zuhause liegen hat, verweigert aber seither jede Distanzierung von den braunen Inhalten. Mehr noch: Zanger versucht zuerst sogar den Antisemitismus des Liederbuchs in eine „Kapitalismuskritik“ umzudeuten und lässt außerdem via Facebook wissen, dass er sich für die Lieder, die seine Eltern gesungen haben „NIEMALS schämen und auch nicht rechtfertigen“ werde. Das überrascht nur bezüglich des Ausmaßes, schließlich hat Zanger schon 2006 im ORF-Report erklärt, dass es am Nationalsozialismus auch gute Seiten gegeben habe, „nur die hören wir heute alle nicht mehr“. Was schon mehr überrascht, ist die volle Rückendeckung seiner Partei, einschließlich des Parteichefs Hofer.
Keine Volksgemeinschaft?
Auch das völkische FPÖ-Urgestein Andreas Mölzer bläst zur Verteidigung Zangers. Nicht nur in „Zur Zeit“ (dazu weiter unten), sondern auch auf Ö1 und im ORF und zuletzt am 7. November in dem TV-Diskussions-Format „Talk im Hangar 7“ (1). In dieser Diskussion versteigt sich Mölzer in einem kurzen Schlagabtausch mit Karl Öllinger zur Behauptung, dass es im freiheitlichen Parteiprogramm kein Bekenntnis zur deutschen „Volksgemeinschaft“ gebe, sondern lediglich von der deutschen „Kulturgemeinschaft“ sei die Rede.
Das stimmt so nicht. Denn das Bekenntnis zur deutschen Volksgemeinschaft wurde tatsächlich nach der Ära Haider (der es gestrichen hatte) im Jahr 2011 von der Strache-FPÖ wieder in das Parteiprogramm aufgenommen. Auch im 2013 von Norbert Hofer herausgegebenen „Handbuch freiheitlicher Politik“ (4. Auflage) gibt es eine deutlich ausbuchstabierte deutschnational-völkische Diktion – wir haben im April 2016 ausführlich darüber berichtet (Teil I und Teil II), und im November 2016 folgte ein Kommentar im Standard von Brigitte Bailer, der ehemaligen wissenschaftlichen Leiterin des Dokumentationsarchivs des österreichischen Widerstandes (DÖW). Bailer stellt darin klar, dass Hofers Machwerk für freiheitliche Parteikader „nach allen wissenschaftlichen Kriterien als rechtsextrem einzustufen“ sei, wobei sich ihr Urteil wesentlich auf das propagierte Konzept der „Volksgemeinschaft“ bezog.
In dem besagten Handbuch wird auf die direkte Verwendung des Begriffs „Volksgemeinschaft“ zwar verzichtet. Nicht so aber auch im online einsehbaren Parteiprogramm der FPÖ – dort findet sich der NS-Terminus bis heute in dem Unterkapitel ‚Heimat, Identität und Umwelt’:
„Sprache, Geschichte und Kultur Österreichs sind deutsch. Die überwiegende Mehrheit der Österreicher ist Teil der deutschen Volks‑, Sprach- und Kulturgemeinschaft. Unsere autochthonen Volksgruppen der Burgenlandkroaten, Slowenen, Ungarn, Tschechen, Slowaken und Roma sind als historisch ansässige Minderheiten eine Bereicherung und integrierter Bestandteil Österreichs und unseres Staatsvolkes.“
Die Aufzählung ‚deutsche Volks‑, Sprach- und Kulturgemeinschaft’ macht es einerseits unscheinbar, dass der völkische Begriff „Volksgemeinschaft“ da drinnen steckt, verweist aber andererseits ganz deutlich darauf, dass die FPÖ neben Sprache und Kultur von einem ethnisch definierten deutschen Volk ausgeht.
Nun gibt es guten Grund zu monieren, dass die Verwendung dieses Begriffs besonders skandalös ist: Es handelt sich dabei immerhin um ein zentrales propagandistisches Konstrukt des NS, das 1937 in Meyers Lexikon als „Zentralbegriff des nationalsozialistischen Denken[s]“ angeführt wird. Aber andererseits bringt die bloße Verabschiedung eines Begriffs, bei gleichzeitiger Beibehaltung der damit zum Ausdruck gebrachten Ideologie, keine Verbesserung, sondern verschleiert lediglich.
So kommt der Begriff im „Handbuch“ wie gesagt nicht direkt vor, sein völkischer Inhalt wird dort aber viel detaillierter entfaltet als etwa im Parteiprogramm. Mölzers süffisante Behauptung, wonach nur von „Kulturgemeinschaft“ die Rede sei, ist also gleich doppelt falsch: Inhaltlich sowieso und auch ganz plump bezüglich des NS-Begriffs, der eben bis heute im Parteiprogramm steht.
Verschwörungsgeraune und Völkisches in „Zur Zeit“
Dass es sich bei der Mölzerschen Abgrenzung von „Volksgemeinschaft“ eher um eine Verschleierung handeln dürfte, kann auch gut in den aktuellen Ausgaben von „Zur Zeit“ nachvollzogen werden.
In der letzten Ausgabe (Nr. 45, S. 14–15) findet sich als Reaktion auf den neuen Liederbuch-Skandal ein an das „Korporationsstudententum“ gerichteter „Vorschlag für ein Positionspapier“, das eine gewisse Einsicht suggeriert und sich inhaltlich tatsächlich begrüßenswert klar gegen Rassismus, Antisemitismus und Chauvinismus positioniert. Mölzer fordert im Editorial derselben ZZ-Ausgabe (S. 6) eine „Aufklärungswelle“ und eine „Selbstdarstellung“ der pennalen und akademischen Burschenschaften. Das klingt zwar gut, wird von Mölzer aber leider nicht aus der Einsicht heraus gefordert, dass es ein Problem bei den Burschenschaften gibt, sondern um sich gegen die „Diffamierung zur Wehr“ zu setzen. Mölzer bezeichnet die völlig berechtigte und erwartbare Kritik an Zanger und dem braunen Liederbuch allen Ernstes als einen „Vernichtungsfeldzug“.
In demselben milieutypischen Ton einer aggressiven Wehleidigkeit geht es weiter durch die Ausgabe: Zanger selbst spricht in einem Interview (S. 12) von einer „Hetzkampagne gegen die FPÖ, die Waffenstudenten und gegen mich als Person“; Wendelin Mölzer schreibt in einem Artikel mit dem Titel „Hetzkampagne“ (S. 12–13) von einer „Verfolgungsjagd auf Verbindungen und die FPÖ“ und von einem „Vernichtungskrieg“ (diese grotesken Formulierungen bekommen hier beinahe einen NS-relativierenden Beigeschmack, schließlich wird der Begriff „Vernichtungskrieg“ normalerweise auf den tatsächlichen Vernichtungsfeldzug der Nazis in Osteuropa angewandt). Die allzu bekannte Strategie der Täter-Opfer-Umkehr, die Teil des definitorischen Kerns von Rechtsextremismus ist, kommt hier also großspurig zum Einsatz.
Dazu wird natürlich auch eine große Verschwörung fantasiert: Zanger mutmaßt, dass es bei der Sache offensichtlich um die steirische Landtagswahl gehe, so sei die Geschichte wohl „schon einige Zeit fertig in der Schublade der größten Tageszeitung“ gewesen. Auch Mölzers Sohn Wendelin beginnt seinen Text mit Verschwörungsgeraune: „Wem nutzt es? Just drei Wochen vor der steirischen Landtagswahl hat die ‚Kronenzeitung’ einen angeblichen Skandal aufgedeckt.“
Die larmoyante Opferpose macht das Mölzersche „Positionspapier“ also schon etwas unglaubwürdig, weil offensichtlich jede Einsicht fehlt, warum es so ein Papier brauchen könnte. Es geht nach dem haarsträubenden Skandal wieder einmal nur um Selbstverteidigung, nicht um Selbstkritik.
Noch gravierender ist aber die Verlogenheit mit der das Positionspapier sich gegen die „Reste von Rassismus und Antisemitismus“ stellt (S. 15). Denn erst in der ZZ-Ausgabe davor (Nr. 43–44, 2019) wird im „Thema der Woche“ (S. 30–39) immer wieder die völkische Verschwörungstheorie vom „Bevölkerungsaustausch“ bedient. Der auf den rechtsextremen Intellektuellen Renaud Camus zurückgehende, und von der sogenannten „Neuen Rechten“ (insbesondere den Identitären) verbreitete Begriff ist inzwischen zu einer Chiffre geworden, die das ganze rechtsextreme Spektrum miteinander verbindet: Von AfD und FPÖ, über Identitäre und Neonazis, bis hin zu rechtsterroristischen Massenmördern, wie dem Christchurch-Attentäter. Wenn es nicht so abgelutscht wäre, könnte man sagen: Ein Geist geht um in der zeitgenössischen Rechten …
Das Ideologem vom „Bevölkerungsaustausch“ ist so populär, weil es potenziell Rassismus, Antisemitismus und Antifeminismus miteinander verbindet: Die ethnisch bestimmten Anderen (gegenwärtig Muslime) sollen „uns“ ersetzen; dies sei möglich, weil „autochthone“ Frauen, aufgrund des Feminismus, zu wenige Kinder bekommen. Orchestriert werde das alles von einer „globalistischen Elite“, die ein Interesse an der Zersetzung der natürlich gewachsenen Gemeinschaft(en) habe und deren Vertreter nicht zufällig oftmals Soros oder Rothschild heißen.
Das so auszubuchstabieren ist eben nicht mehr nötig, es reicht die Verwendung der Chiffre „Bevölkerungsaustausch“ und die adressierte Zielgruppe versteht. Wer als Teil der volksfeindlichen Elite ausgemacht wird, ist zudem höchst variabel.
In ZZ schreibt Stammautor Bernhard Tomaschitz etwa folgendes: Den Grünen sei „die Förderung der Einwanderung über das Asylsystem [ein wichtiges Anliegen], um auf diese Weise den Bevölkerungsaustausch zu beschleunigen.“ (S. 32) Er behauptet weiter, dass der „voranschreitende Bevölkerungsaustausch“ durch die Zahlen der Statistik Austria bestätigt würde (S. 33). Und besonders entlarvend heißt es wieder zu den Grünen: „an die Stelle nationaler Identität tritt die Dreifaltigkeit der Zivilreligion der politischen Korrektheit, nämlich ‚Freiheit, Demokratie, Menschenwürde’.“
Dem lässt sich nur zustimmen: Jene völkisch-nationale Identität, auf die Mölzer und Co abzielen, verträgt sich nicht mit Freiheit, Demokratie und Menschenwürde. Bei dieser Gelegenheit sei nochmals darauf hingewiesen, dass Mölzers Postille staatliche Presseförderung erhält.
Fazit
Obwohl Mölzers Positionspapier inhaltlich begrüßenswert ist und tatsächlich von völkischen Positionen abweicht, konstruiert „Zur Zeit“ gleichzeitig aggressiv-wehleidig vorgetragene Verschwörungstheorien bezüglich der Liederbuch-Affäre und bedient zudem weiterhin eine völkisch-rassistische Ideologie, die jener der Identitären um nichts nachsteht, sondern deren völkischen Kult um Identität vielmehr übernimmt (Stichwort: „Bevölkerungsaustausch“).
So lange man sich lediglich von Begriffen (wie „Volksgemeinschaft“) distanziert, aber inhaltlich voll und ganz bei der rechtsextremen Sache bleibt, sind auch solche Positionspapiere kaum ernstzunehmen. Vielmehr tun sich durch die Abgrenzungs- und Umdeutungsversuche von Mölzer schwindelerregende Widersprüche auf, wenn man genauer hinhört. Und nein, diese Widersprüche entspringen keiner tiefgründigen Dialektik, es handelt sich lediglich um plumpes „Mölzern“
1 Der rechts-konservative Moderator Michael Fleischhacker hat abgesehen von Karl Öllinger nur rechte und konservative DiskutantInnen zu der Diskussion über das braune Liederbuch eingeladen. Das unsägliche Ergebnis: immer wieder wird über angebliche linke Gewalt und die „linke Sprachpolizei“ fabuliert; ein rechter Philosoph, der sich für einen Liberalen hält, plädiert für die Abschaffung des Verbotsgesetzes; ein rechter Journalist und Betreiber der Desinformations-Plattform „Tichys Einblick“ behauptet, dass die Grünen in Deutschland ganz offen eine Diktatur anstreben. Über so etwas wird in Österreich anno 2019 diskutiert, wenn ein Parlamentarier sich nicht von seinem Neonazi-Liederbuch distanzieren will.