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Rassismus in „Zur Zeit“ – Rhodesien, „Zersetzung“ und „Globalismus“ 

Andre­as Möl­zers Wochen­blatt „Zur Zeit“ ver­öf­fent­licht in einer aktu­el­len Aus­ga­be einen Arti­kel, der den kurz­le­bi­gen Apart­heid-Staat Rho­de­si­en nicht nur gut­heißt, son­dern als Bei­spiel für einen Kon­ser­va­tis­mus ver­klärt, der sich gegen die „Neue Welt­ord­nung“ gestellt habe. Ein Text gegen Ent­ko­lo­nia­li­sie­rung und für wei­ßes Über­le­gen­heits­den­ken. Damit lässt „Zur Zeit“ ein­mal mehr die demo­kra­ti­schen Hül­len fal­len und zeigt […]

6. Jun 2019

 Rho­de­si­en unter Ian Smith 

Rho­de­si­en war ein kurz­le­bi­ges, ras­sis­ti­sches Regime im Gebiet des heu­ti­gen Sim­bab­we. Ent­ge­gen der all­ge­mei­nen Ten­denz zur Ent­ko­lo­nia­li­sie­rung in Afri­ka, erklär­te sich die „Repu­blik Rho­de­si­en“ 1965 unter einer wei­ßen Min­der­heits­re­gie­rung für unab­hän­gig und betrieb fort­an eine Poli­tik ähn­lich dem süd­afri­ka­ni­schen Apart­heid-Regime. Fol­ge­rich­tig wur­de der Staat inter­na­tio­nal bei­na­he aus­nahms­los boy­kot­tiert und ledig­lich von Süd­afri­ka und Por­tu­gal aner­kannt und unter­stützt. Trotz weit­ge­hen­der Iso­la­ti­on und inter­na­tio­na­ler Sank­tio­nen schaff­te es Pre­mier­mi­nis­ter Ian Smith gan­ze 14 Jah­re mit sei­ner wei­ßen Min­der­heits­re­gie­rung im Amt zu blei­ben. Smith war vom Beginn sei­ner poli­ti­schen Kar­rie­re bis zu sei­nem Tod 2007 ein vehe­men­ter Ver­tre­ter eines „White Supremacy”-Rassismus und ein Ver­tei­di­ger wei­ßer Herr­schaft in Afri­ka. Das Regime sei­ner Par­tei, der „Rho­de­si­an Front“, führ­te nicht nur zu ras­sis­ti­scher Repres­si­on, son­dern auch zu einem sie­ben Jah­re andau­ern­den Gue­ril­la-Krieg, der etwa 30 000 Men­schen das Leben kos­te­te (die Mehr­heit von ihnen schwarz). 

Für das Apartheid-Rhodesien

Unter dem viel­sa­gen­den Titel „Zer­set­zung von innen“ erklärt Andrew Moffat in einem drei­sei­ti­gen „Zur Zeit“-Artikel von Mai 2019 (1), was „der Wes­ten“ von dem his­to­ri­schen Fall Rho­de­si­en ler­nen kön­ne. Der Text ist ein außer­or­dent­li­ches Bei­spiel für die Ver­bin­dung von Ver­schwö­rungs­pa­ra­noia, Ras­sis­mus und einer rechts­extre­men Umdeu­tung der Geschich­te, die den his­to­risch unzwei­fel­haf­ten Staats­ras­sis­mus von Rho­de­si­en zu einem heh­ren Kon­ser­va­tis­mus ver­klärt, der sich der „Neu­en Welt­ord­nung“ ent­ge­gen­ge­setzt habe. Es lohnt ein genaue­rer Blick.

"Zur Zeit" Nr. 18, Mai 2019, S. 38-40, Moffat Rhodesien
„Zur Zeit” Nr. 18, Mai 2019, S. 38–40, Moffat Rhodesien

Moffat beginnt mit der Behaup­tung, dass gegen­wär­tig „ein beispiellose[r] Angriff auf die west­li­che Zivi­li­sa­ti­on“ statt­fin­de, der die „Ver­nich­tung der Natio­nal­staa­ten“ zum Ziel habe. Wer ist der Angrei­fer? Dies­be­züg­lich rei­chen dem Autor Anspie­lun­gen, die – wie so oft – an ein anti­se­mi­ti­sches Welt­bild anschließ­bar sind; die Rede ist von „teils sub­ver­siv im Ver­bor­ge­nen und lang­fris­tig agie­ren­den Kräfte[n]“, von „endlose[n] Täu­schun­gen“, und von den „Stra­te­gien der Glo­ba­lis­ten“. Genaue­re Bestim­mun­gen blei­ben aus. 

Für die­se gegen­wär­ti­ge Gefahr sei aus­ge­rech­net das his­to­ri­sche Rho­de­si­en ein „Schlüs­sel zum Ver­ständ­nis“, denn es bie­te „ein per­fek­tes Bei­spiel für Volks­be­trug und Sub­ver­si­on“. Moffat meint mit „Volks­be­trug“ aller­dings nicht die Tat­sa­che, dass die schwar­ze Mehr­heits­be­völ­ke­rung fak­tisch von der poli­ti­schen Mit­be­stim­mung in Rho­de­si­en aus­ge­schlos­sen war, son­dern viel­mehr die Auf­lö­sung die­ses ras­sis­ti­schen Regimes, das er als letz­te Bas­ti­on einer hei­len Welt beschreibt: „His­to­ri­ker sahen Rho­de­si­en damals zunächst als die ‚letz­te Bas­ti­on’ des Chris­ten­tums und der west­li­chen Wer­te gegen den Angriff ver­bor­ge­ner Kräf­te aus New York und Mos­kau.

"Zur Zeit" Nr. 18, Mai 2019, S. 38-40, Moffat Rhodesien; "verborgene Kräfte aus New York und Moskau"
„Zur Zeit” Nr. 18, Mai 2019, S. 38–40, Moffat Rho­de­si­en; „ver­bor­ge­ne Kräf­te aus New York und Moskau”

Unter­malt mit ver­schwö­rungs­theo­re­ti­schem Gerau­ne bricht Moffat also ganz offen eine Lan­ze für den rho­de­si­schen Staats­ras­sis­mus. Die­se Ent­wick­lung sei von „kon­ser­va­ti­ven Kräf­ten [in Euro­pa] eupho­risch begrüßt“ wor­den, denn es sei abseh­bar gewe­sen, „dass die Ver­su­che der Bri­ten, auch Rho­de­si­en in eine eth­ni­sche Mehr­heits­herr­schaft unter dem Deck­man­tel der Ent­ko­lo­nia­li­sie­rung zu ver­wan­deln wie in allen ande­ren afri­ka­ni­schen Län­dern zu einer Kata­stro­phe füh­ren wür­den“. 

Damit spricht sich der Autor nicht nur offen für wei­ße Herr­schaft in Rho­de­si­en aus (gegen eine „eth­ni­sche Mehr­heits­ge­sell­schaft“), son­dern wen­det sich impli­zit gleich gegen die gesam­te Ent­ko­lo­nia­li­sie­rung Afri­kas. Eine der­art unge­schön­te Par­tei­nah­me für kolo­nia­len Ras­sis­mus liest man die­ser Tage nicht oft.

Gegen „Appeasement“  

Und so geht es auch wei­ter. Rho­de­si­en sei schon in den 1970er Jah­ren „von inter­na­tio­na­len Sank­tio­nen schi­ka­niert“ wor­den, obwohl es gleich hin­ter dem Apart­heid-Süd­afri­ka das „am meis­ten indus­tria­li­sier­te und wirt­schaft­lich erfolg­reichs­te Land des schwar­zen Kon­ti­nents“ gewe­sen sei. 

"Zur Zeit" Nr. 18, Mai 2019, S. 38-40, Moffat Rhodesien; "von internationalen Sanktionen schikaniert"
„Zur Zeit” Nr. 18, Mai 2019, S. 38–40, Moffat Rho­de­si­en; „von inter­na­tio­na­len Sank­tio­nen schikaniert”

Moffat bestimmt als das eigent­li­che Pro­blem die kon­ser­va­ti­ve „Anfäl­lig­keit für Appease­ment-Poli­tik“, die er in Staats­chef Ian Smith ver­kör­pert sieht: „Smit­hs Stra­te­gie war ein Orwell’scher Dop­pel­sprech, den wir heu­te vor allem bei kon­ser­va­ti­ven Par­tei­en immer wie­der beob­ach­ten kön­nen: Rechts blin­ken, links abbie­gen.“

Dem Begrün­der und Regie­rungs­chef eines fak­ti­schen Apart­heid-Staa­tes in den 1960ern (!) vor­zu­wer­fen, er sei eigent­lich links und nicht „kon­ser­va­tiv“, grenzt an Wahn­sinn. Die rechts von Smith agie­ren­den Hard­li­ner der White Supre­ma­cy im Rho­de­si­schen Staat zeich­net der Autor fol­ge­rich­tig posi­tiv bzw. sti­li­siert sie als Bewah­rer der guten Ordnung.

Es über­rascht vor die­sem Hin­ter­grund nicht, dass sich Moffat zur Unter­stüt­zung sei­ner Argu­men­ta­ti­on den ras­sis­ti­schen Anthro­po­lo­gen Robert Gay­re (1907–1996) her­bei­zi­tiert. Die­ser war ein Anhän­ger des NS-Ras­sen­theo­re­ti­kers Hans F. K. Gün­ther, den er auch in sei­ner wis­sen­schaft­li­chen Arbeit rezi­pier­te und mit dem er gemein­sam ein füh­ren­des Mit­glied der neo­na­zis­ti­schen Orga­ni­sa­ti­on „Nor­t­hern League” war. Noch im Jahr 1978 hat Gay­re in dem von ihm mit­ge­grün­de­ten Jour­nal “The Man­kind Quar­ter­ly” die Anwen­dung eines bio­lo­gis­ti­schen Ras­se­be­griffs auf Men­schen­grup­pen vehe­ment ver­tei­digt und den NS-Ras­sis­mus ledig­lich als nicht aus­rei­chend bio­lo­gisch – son­dern mys­tisch und daher unwis­sen­schaft­lich – abqua­li­fi­ziert (2). Moffat stellt Gay­re als „renommierte[n] Anthro­po­lo­gen“ vor und zitiert des­sen Kri­tik an Rho­de­si­ens Füh­rung: Es gebe „eine Mas­se von Leu­ten in füh­ren­den Posi­tio­nen […], die lie­ber in einer kon­ser­va­ti­ven Bla­se leben wol­len, als sich der aggres­si­ven Dyna­mik der Lin­ken zu stel­len“. Wohl­ge­merkt: Es geht hier um Leu­te, die in den 1960ern der Ansicht waren, es sei „links“, gegen „Rassen“-Segregation zu sein. Moffat sieht das im Jahr 2019 offen­bar immer noch so. 

Der Text endet mit einem Auf­ruf zur Kom­pro­miss­lo­sig­keit: „Die Geschich­te Rho­de­si­ens soll­te eine War­nung an all­die­je­ni­gen sein, die noch glau­ben, sie könn­ten der herr­schen­den Klas­se noch mit Kom­pro­mis­sen begeg­nen.“ Hier kommt der gan­ze Wahn­witz noch ein­mal geballt zum Vor­schein. Denn wäh­rend die „herr­schen­de Klas­se“ als „glo­ba­lis­ti­sches“ Schreck­ge­spenst ledig­lich hal­lu­zi­niert wird, gab es in dem gelob­ten Rho­de­si­en tat­säch­lich eine wei­ße herr­schen­de Klas­se, die die Mehr­heit der Bevöl­ke­rung unter­drück­te. Die­se bizar­re Umkeh­rung der Tat­sa­chen lässt ein Merk­mal rechts­extre­mer Ideo­lo­gie­bil­dung deut­lich her­vor­tre­ten: Gesell­schaft­li­cher Fort­schritt und Eman­zi­pa­ti­on wer­den all­ge­mein in ein Nar­ra­tiv ein­ge­passt, in dem stets dunk­le Akteu­re das gute Tra­dier­te (in die­sem Fall die wei­ße Herr­schaft über schwar­ze Men­schen) bewusst zer­stö­ren bzw. „zer­set­zen“. In der deutsch­spra­chi­gen extre­men Rech­ten kommt die­se Erzäh­lung meis­tens als Volks­ge­mein­schafts­ideo­lo­gie daher. „Zur Zeit“ zeigt mit dem Rho­de­si­en-Arti­kel aber ein­drucks­voll, wie sich das­sel­be Sche­ma auf die Ent­ko­lo­nia­li­sie­rung anwen­den lässt. Dadurch wird nicht zuletzt die Belie­big­keit und Selek­ti­vi­tät die­ses Ideo­lo­gems sichtbar.

"Zur Zeit" Nr. 18, Mai 2019, S. 38-40, Moffat Rhodesien; "Einst ein kliener Mikrokosmos, der sich dem globalistischen Angriff auf die westliche Zivilisation zu widersetzen versuchte"
„Zur Zeit” Nr. 18, Mai 2019, S. 38–40, Moffat Rho­de­si­en; „Einst ein klie­ner Mikro­kos­mos, der sich dem glo­ba­lis­ti­schen Angriff auf die west­li­che Zivi­li­sa­ti­on zu wider­set­zen versuchte”

Zum Autor gibt „Zur Zeit“ ledig­lich die Anga­be: „Andrew Moffat lei­tet einen Invest­ment­fonds im Süden Eng­lands.“ Aller­dings heißt so auch ein Grün­dungs­mit­glied der 2013 ins Leben geru­fe­nen rechts­extre­men Par­tei „Bri­tish Demo­cra­tic Par­ty“. Und die­ser Andrew Moffat hat laut eines Arti­kels der Bri­ti­schen Zei­tung „NewS­ta­tes­man“ von 2013 vor sei­ner Par­tei­kar­rie­re bereits eng mit dem Holo­caust­leug­ner David Irving zusam­men gear­bei­tet (die­se Ver­bin­dung wird auch in einer wis­sen­schaft­li­chen Publi­ka­ti­on zur Außen- und Sicher­heits­po­li­tik der extre­men Rech­ten in Euro­pa erwähnt). Es ist durch­aus nahe­lie­gend, dass es sich hier um die­sel­be Per­son han­delt, die auch den „Zur Zeit“-Artikel geschrie­ben hat. Wir kön­nen es aber nicht gesi­chert bestätigen.

Schluss

„Zur Zeit“ ver­tei­digt hier nicht nur ein ras­sis­ti­sches Regime, son­dern fin­det den Chef die­ses Regimes zu lasch – zu kom­pro­mit­tiert von jenen „ver­bor­ge­nen Kräf­ten“ die Ent­ko­lo­nia­li­sie­rung und das Ende wei­ßer Unter­drü­ckung in Afri­ka fordern.

Wir haben die Ent­glei­sun­gen sowie die rechts­extre­me Nor­ma­li­tät von „Zur Zeit“ in letz­ter Zeit immer wie­der the­ma­ti­siert (3). In unse­rem Bei­trag von letz­ter Woche ging es um das Lob­lied eines regel­mä­ßi­gen „Zur Zeit“-Autors auf den faschis­ti­schen Mas­sen­mör­der Ion Anto­nes­cu. Obwohl der Text zu Rho­de­si­en ein völ­lig ande­res The­ma behan­delt, gibt es doch eine inter­es­san­te Par­al­le­le: Auch dies­mal zeigt sich, dass bei einem hier­zu­lan­de wenig bekann­ten (his­to­ri­schen) The­ma die rechts­extre­me Ideo­lo­gie rela­tiv unver­hoh­len und unge­schminkt zum Aus­druck gebracht wird. Die völ­lig offe­ne Beja­hung von Staats­ras­sis­mus und Kolo­nia­lis­mus wird selbst den meis­ten weit rechts­ste­hen­den Akteu­ren zu weit gehen. Doch nicht so der rechts­extre­men „Zur Zeit“. 

Weiterhin staatlich gefördert

„Zur Zeit“ erhält wei­ter­hin öffent­li­che För­der­mit­tel, die soge­nann­te Ver­triebs­för­de­rung. 2018 war das ein Betrag von 45 000 Euro. Ein 2015 ein­ge­brach­ter Antrag auf Strei­chung der staat­li­chen Pres­se­för­de­rung wur­de mit den Stim­men von SPÖ, ÖVP und FPÖ abge­lehnt. Trotz har­scher Reak­tio­nen auf ein Face­book-Pos­ting von „Zur Zeit“, in dem die Kli­ma­ak­ti­vis­tin Gre­ta Thun­berg aufs Übels­te ver­un­glimpft wur­de, hat bis­lang kei­ne Par­la­ments­par­tei dekla­riert, einen neu­er­li­chen Antrag auf Strei­chung der Pres­se­för­de­rung zu stellen.

Fußnoten

1 „Zur Zeit“, Nr. 18, Mai 2019, S. 38–40
2 The Man­kind Quar­ter­ly, Vol. XVIII, No. 4, April-Juni 1978, S. 293–303; online unter: http://jtl.org/links/gayre.html, zuletzt ein­ge­se­hen: 06.06.2019
3 Im Dezem­ber 2018 zu zwei her­aus­ra­gen­den Ent­glei­sun­gen (Teil 1) und zur rechts­extre­men Nor­ma­li­tät des Blatts (Teil 2) / Im April 2019 zu Möl­zers Ideo­lo­gie der „Umvol­kung“ (Teil 1) und zu den Zusam­men­hän­gen zwi­schen „Zur Zeit“ und den Iden­ti­tä­ren (Teil 2) / Im Mai 2019 über eine mög­li­che Quer­fi­nan­zie­rung aus EU-Geldern