Von der in Teil I dieses Beitrags besprochen „Distanzierung“ ist ein Aspekt noch unbesprochen geblieben: „Zur-Zeit“-Redakteur Tomaschitz versteigt sich zu der Behauptung, dass der Text von Rohonczy „in keinster Weise der Blattlinie“ entspreche (man beachte den Superlativ!). Wir haben bereits aufgezeigt, dass die Behauptungen, der Text sei versehentlich reingerutscht und/oder der Text sei lediglich „Brutal-Satire“ gewesen, höflich formuliert, nur wenig glaubhaft sind. Aber wie steht es um die zur Sprache gebrachte „Blattlinie“? Oder präziser: Wie ist „Zur Zeit“ abseits vereinzelter medialer Schlaglichter und offensichtlich faschistoider Grenzüberschreitungen zu bewerten? Wir haben uns zu diesem Zweck die letzten drei Ausgaben (alle von November 2018) besonders genau angesehen, um zu einer aktualisierten Einschätzung zu kommen, inwieweit „Zur Zeit“ als rechtsextrem einzustufen ist. Mit Blick auf die analytischen Bestimmungsmerkmale des Rechtsextremismus einige Beispiele aus den Ausgaben 45, 46 und 47/2018.
Autoritäre Rebellion und Antiliberalismus
In Nr. 47 schreibt Redakteur Bernhard Tomaschitz den Artikel zum „Thema der Woche“ mit dem Titel „Das neue Europa im Vormarsch“ (S. 30–37). Darin bezieht er sich durchgehend positiv auf Orbán (den er mehrfach zitiert) und Salvini, beide als Vertreter des „neuen Europa“; er lobt explizit Orbáns „illiberale Demokratie“ als „Gegenentwurf zur westlichen Demokratie“ und wendet sich gegen die „ständige Dämonisierung Russlands durch westliche Medien“.
Sündenbockmentalität & Verschwörungstheorien
Im selben Artikel nennt Tomaschitz auch den Verschwörungstheorien verbreitenden Ökonomen Peter König. Auf diesen bezugnehmend behauptet er, dass die EU ein „Konstrukt [sei], das unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg von den USA ausgedacht wurde“. Behauptet wird eine gezielte Schwächung Europas durch eine „außereuropäische Macht“, die im Artikel mal konkret als USA benannt wird, mal als Globalisierung und mal als „Neue Weltordnung“. Von der westlichen Demokratie behauptet Tomaschitz, dass in ihr „weniger das Volk bestimmt, sondern vielmehr die selbsternannte ‚Zivilgesellschaft’ und diverse NGOs, die von fragwürdigen Hintermännern gesteuert werden“. Hier klingt bereits der (fließende) Übergang von Verschwörungstheorie zu (codiertem) Antisemitismus an – siehe weiter unten.
Auch in Nr. 46 bleibt Tomaschitz dem verschwörungstheoretischen Geraune treu: Diesmal geht es um den UNO-Migrationspakt (wiederum „Thema der Woche“, S. 28–36), und an einer Stelle schreibt er diesbezüglich von „Bestrebungen von Verfechtern der Neuen Weltordnung, Europa mit Menschen aus dem Orient oder aus Afrika zu fluten“. Ein anderer Autor spricht in Zusammenhang mit dem UNO-Migrationspakt in einer kurzen Replik (S. 36) von den „Pläne[n] einer Schattenregierung“.
In Nr. 47 (S. 17) platziert außerdem ein lediglich mit A.S. abgekürzter Autor die paranoide Wahnvorstellung, dass es „terrorähnliche Maßnahmen der stillen Repression“ gegen Vertreter des nationalen Lagers gebe. Als Beispiel genannt wird etwa die Kündigung des Privatkontos von Identitären-Chef Martin Sellner.
Codierter Antisemitismus
„Zur Zeit“ hat, wie zahlreiche andere rechtsextreme Medien und Akteure auch, den jüdischen Milliardär George Soros als personifizierte Zielscheibe für antisemitische Ressentiments gewählt. Die durchgehende Diffamierung von Soros entspricht gleichzeitig einem anderen Bestimmungsmerkmal des Rechtsextremismus: nämlich der Personalisierung und Moralisierung des Politischen.
In Nr. 47 wird unmittelbar nach dem Editorial in einem anonymen Kurzbeitrag gegen die geplante Ansiedelung der Soros-Uni in Wien gepoltert: Es handle sich um eine „globalistische Kaderschmiede“, Österreich werde zum „Befehlsempfänger der Hochfinanz“.
Und in Nr. 45, wieder unmittelbar nach dem Editorial, wird unter dem Titel „Soros ‚investiert’ wieder“ die Behauptung kolportiert, George Soros fördere „Massenmigration“ und gleichzeitig nahegelegt, dass sich die Agenda von Soros mit jener vom UNO-Migrationspakt decke. Dieser sei ein Beispiel dafür, wie „die Wünsche globalistischer Oligarchen in die Agenden von Schattenregierungen wachsen.“ Der kurze, anonyme Text schließt damit, dass es ihnen (also Soros und den Drahtziehern des UN-Pakts) nicht um temporären Schutz gehe, „sondern um die Zucht wurzelloser Individuen“.
Ebenso in Nr. 45 (S. 19–21) geht wiederum Redakteur Tomaschitz der „Frage“ nach, ob nicht George Soros hinter der sogenannten „Migrantenkarawane“ steckt. Der Artikel trägt den Titel „‚Soros-Express’ unterwegs“ mit dem Untertitel: „Spuren führen in den Dunstkreis des Spekulanten Georg Soros“. Tomaschitz verweist in seiner hanebüchenen Argumentation natürlich nicht auf seriöse Quellen, sondern ausschließlich auf rechte Fake-News-Akteure, wie etwa die verschwörungstheoretische Website „WorldNetDaily“ oder das Rechtsaußen-Internetmagazin „American Thinker“.
Auffällig ist auch die regelmäßige Erwähnung von bekannten antisemitischen Projektionsflächen, obwohl dazu inhaltlich gar kein plausibler Zusammenhang besteht. So erwähnt etwa Tomaschitz zwei mal (Nr. 47, S. 35/Nr. 46, S. 59) wenn es um Macron geht, dieser sei ein „ehemaliger Rothschild-Banker“. Ähnliches gilt auch für die ständige Bezugnahme auf George Soros: Etwa wenn Tomaschitz (Nr. 47, S. 35) über den Vorsitzenden der liberalen Fraktion des EU-Parlaments Guy Verhofstadt schreibt und nebenbei erwähnt, dieser sei ein „glühender Verehrer des Spekulanten George Soros“. Solche Codes („Rothschild“/„Soros“) funktionieren, weil sie sich bereits im antisemitischen Weltbild derartig etabliert haben, dass weitere Ausführungen zu ihnen nicht nötig sind; was auch den angenehmen Effekt haben dürfte, dass man sich nicht weiter angreifbar machen muss, sondern ohne heikle Erläuterungen einfach nur den Namen hinschreiben kann.
(Kultureller) Rassismus
Unter dem Titel „Vergessene Brüder“ wird in einem kurzen, anonymen Beitrag der Nr. 47 eine Youtube-Dokumentation der Alt-Right-Aktivistin Laura Southern gelobt. In dem Film geht es um angeblichen Rassismus gegen Weiße in Südafrika. Die kurze Rezension versteigt sich zu der Lüge, Weiße würden einer „systematischen Vernichtung durch brutale Morde“ zum Opfer fallen, es handle sich um einen „verschwiegene[n] Völkermord“.
Ebenso in Nr. 47 (S. 10) versteigt sich der FPÖ-Lokalpolitiker Fritz Simhandl zur Behauptung, dass „Ausländer und Asylberechtigte“ die „Verursacher der hohen Arbeitslosigkeit“ seien.
Insgesamt zieht sich das Geschimpfe auf die angebliche „Massenimmigration“ durch alle Ausgaben. Dabei fehlt es auch an den bekannten Naturkatastrophen-Metaphern nicht, wie etwa der „Mirgantenwelle“. Insbesondere in Nr. 46, in der es u.a. um den UNO-Migrationspakt geht, wird ein auffällig diffamierendes Vokabular verwendet, die Rede ist von: „Asylindustrie“, „Asyllobby“, „Antidiskiminierungswahn“, etc..
Antifeminismus & Volksgemeinschaftsideologie
In einem besonders bizarren Zitat verdichten sich gleich mehrere Momente rechtsextremer Gesinnung, sodass die Zuordnung unter eine der Überschriften tatsächlich schwierig ist – ein gewisser Max Ortner wird mit folgendem Satz zitiert: „20 000 jährlich nicht abgetriebene Kinder hätten den ‚Facharbeitermangel’ (Österreichs) besser behoben als hunderttausend aus dem Ausland eingedrungene ‚Wissenschaftler, Ärzte, Ingenieure usw.’“
Hier verbinden sich die „klassische“ Anti-Ausländer-Hetze, ein besonders geschmackloser Antifeminismus (Abtreibung wird als schädlich für die Nation bewertet) und die Bedienung der Volksgemeinschaftsideologie. Letzteres insofern, als die abgetriebenen Föten offenbar lediglich qua ihrer „autochthonen“ Abstammung besser befähigte Facharbeiter wären.
Bizarr ist, dass ein inhaltlich beinahe identisches Zitat bereits in der heurigen Ausgabe 40 abgedruckt war, diesmal von einem Armin Fitzka, über den wir bereits 2016 berichtet haben. Die inhaltliche Verbindung von Anti-Ausländer-Hetze/Antifeminismus/Volksgemeinschaft ist der „Zur-Zeit“-Redaktion also offensichtlich ein Anliegen. Dass der eine von 20.000 jährlichen Schwangerschaftabbrüchen spricht (was seit 1974 die Zahl 900.000 ergeben würde), der andere, nämlich Fitzka, gleich von 2,2 Millionen seit 1974, zeigt die Willkürlichkeit der Argumentationsgrundlagen: Was zur intendierten Botschaft passt, wird gedruckt.
Antiegalitarismus: Hass auf Gewerkschaften
In Nr. 47 (S. 27–29) vergleicht ein Autor gewerkschaftliche Druckmittel bei Lohnverhandlungen mit Gewaltdelikten: „Wenn eine der in Verhandlung stehenden Parteien die andere mit Drohungen für den Fall der Nichterfüllung ihrer Forderungen überzieht oder diese sogar umsetzt, wird das im Normalfall als gefährliche Drohung, Nötigung, Erpressung oder Sachbeschädigung seine strafrechtliche Würdigung erfahren.“ Für die Gewerkschaft gelten hingegen „Ausnahmeregeln“. Der Artikel schließt mit der chauvinistischen Behauptung, Gewerkschaften seien für die Verhandlungen von Löhnen „überflüssig“. In den zugehörigen Fotos von beliebigen Demonstrationen (jede konkrete Angabe fehlt) werden die abgebildeten Demonstrierenden in der Untertitelung einmal als „arbeitsscheu“ bezeichnet und einmal in die Nähe von „Linksextremisten“ gerückt.
Nationalisierendes Geschichtsverständnis und Revisionismus
Im Editorial der Nr. 46 kritisiert Herausgeber Andreas Mölzer im Bezug auf den Staatsakt vom 12. November in der Wiener Staatsoper (zum 100-jährigen Jubiläum der Republik) das „offizielle Geschichtsverständnis“. Er schreibt: „So wichtig und richtig es war, Holocaust-Überlebende […] einzuladen, so stellt sich dennoch die Frage, warum nicht aller Opfer gedacht wird.“ So auch der „etwa 260 000 Österreicher, die als Soldaten der Wehrmacht gefallen sind“.
Im selben Fahrwasser kritisiert Mitherausgeber Walter Seledec am Beispiel des Soldaten Walter Nowotny, der „der erfolgreichste Österreicher als Jagdflieger in der Wehrmacht“ gewesen sei, wie mit dem Gedenken an Wehrmachtsoldaten umgegangen wird. Dabei bezeichnet er es als „neues bösartiges Phänomen“, dass man damit beginne „viele Uniformträger der ehemaligen Deutschen Wehrmacht (die natürlich Österreicher waren) als Faschisten, Kriegsverbrecher und Vaterlandsverräter zu brandmarken.“ Das Skandalöse daran ist, dass es zumindest latent impliziert, nicht viele Wehrmachtssoldaten seien Faschisten und Kriegsverbrecher gewesen.
In Nr. 45 empört sich Josef Pasteiner über „skandalöse linke Spielchen des ORF“, weil dieser in seinen Dokumentationen zur österreichischen Geschichte die Errungenschaften der „Repräsentanten des freiheitlichen Lagers“ nicht ausreichend würdigt. Der Autor ist Landesobmann des Freiheitlichen Niederösterreichischen Lehrervereins. Um gegen den ORF noch etwas draufzusetzen, lässt man unter dem Titel „Dramolett – Aus dem Volk” Bauarbeiter in ihrer Arbeitspause über den ORF, bei dem „aufgeräumt“ gehöre, sinnieren. Ins Visier der Aufräumphantasien geraten neben Armin Wolf auch die Moderatorinnen der bei Bauarbeitern sicherlich hochbeliebten Sendungen „Pressestunde“ und „Hohes Haus“ Patricia Pawlicki und von „Im Zentrum” Claudia Reiterer.
Damit sind lediglich einige Beispiele benannt, die im Sinne der in Österreich anerkannten Definition von Rechtsextremismus relevant sind. Nichts davon ist so schlimm wie die in Teil I besprochenen Entgleisungen, aber alles davon ist anschlussfähig an eben diese. Zur Erinnerung: Alles oben zitierte stammt aus lediglich drei Ausgaben!
Die offensichtliche Nähe zur FPÖ
Auch das Naheverhältnis zur FPÖ wird in diesen drei Ausgaben evident, nicht nur aufgrund der beiden Inserate des FPÖ-Verteidigungsministeriums (siehe Teil 1), sondern weil mehrere hohe FPÖ-Funktionäre – stets im Rahmen des „Thema der Woche“ – interviewt werden. In Nr. 46 gibt es ein Interview mit Vizekanzler Strache (S. 31–32), sowie eines mit dem über seinen Antisemitismus gestrauchelten ehemaligen Nationalratsabgeordneten Johannes Hübner (S. 28). In Nr. 47 ist ein Interview mit FPÖ-EU-Delegationsleiter Harald Vilimsky (S. 33–34) abgedruckt, in dem er meint Orbán hätte „als einer der Retter Europas zu gelten“.
Das inhaltliche, personelle und propagandistische Naheverhältnis von „Zur Zeit“ zur Regierungspartei FPÖ ist und bleibt skandalös. Dies umso mehr vor dem Hintergrund, dass die faschistoiden Entgleisungen sich nicht prinzipiell von der Blattlinie unterscheiden, sondern höchstens ein gradueller inhaltlicher Unterschied ausgemacht werden kann.