Keine Frage: Die FPÖ hat früher als jede andere Partei die Wirkungsmächtigkeit von sozialen Medien erkannt. Vor mehr als zehn Jahren, im April 2009, wurde Straches Facebook-Seite eingerichtet. Die Partei hat damit von Anfang an auf personalisierte Seiten gesetzt und erst 2012 mit „FPÖ-TV“ eine Parteiseite eingerichtet, die dann 2016 in „FPÖ“ umgetauft wurde. Das Wachstum der Seite ist mäßig, in dem von uns systematisch beobachteten Zeitraum von Ende August 2018 bis heute ist sie von 113.200 auf 125.300 Fans angewachsen. Aber, um die Dimensionen mit anderen Parteien in Bezug zu setzen, sie weist damit immer noch mehr Fans auf als jede andere Partei in Österreich. (1)
Freilich, verglichen mit Straches FB-Seite, ist sie unbedeutend, die aktuell (7.6.19) 799.840 Fans (2), aber was entscheidender ist, nur 778.808 AbonnentInnen, also Personen, die Straches Beiträge tatsächlich in ihrer Chronik sehen wollen, vorweisen kann.
Vorangegangen ist dem eine intensive Werbekampagne seitens der FPÖ, die im Impressum als Medieninhaber angeführt ist. Hier geht es schon lange nicht nur mehr darum, Reichweite zu erzielen, sondern auch im Ranking gegenüber dem politischen Gegner vorne zu liegen. So schreibt das „profil“ 2016: „FPÖ-Chef Strache hält aktuell bei 450.000 Facebook-Fans, gefolgt von ÖVP-Außenminister Sebastian Kurz mit 360.000 und SPÖ-Bundeskanzler Christian Kern mit knapp über 100.000 Fans. Neben dem direkten Draht zu den Wählern sind Facebook-Likes Ausdruck von Stärke. Im Boulevard treten Like-Rankings längst in Konkurrenz zu klassischen Meinungsumfragen.“ (profil.at, 22.11.16) In einem irrt das „profil“: Nicht nur Boulevardmedien vergleichen regelmäßig die Zahlen der einzelnen FB-Accounts, das tun inzwischen de facto alle Medien.
Um diese Zahlen in die Höhe zu treiben, hatte die FPÖ spätestens 2016 damit begonnen, für Straches Seite nicht nur in Österreich Werbung zu schalten, sondern auch in Deutschland und in diesem Jahr auch in Italien.
„Doch die Zusammensetzung von Straches Fans weist Merkwürdigkeiten auf. Im Zuge von Recherchen für unseren Rechtsextremismusbericht im Frühjahr diesen Jahres fiel uns bereits auf, dass Strache mit nur 80% an Fans, die in Österreich lokalisiert werden, einen deutlich niedrigeren Anteil aufwies als andere PolitikerInnen in Österreich. Im Oktober folgte jedoch das große Staunen: Innerhalb relativ kurzer Zeit sank Straches österreichischer Fananteil auf nunmehr unter 69% – mit weiter fallender Tendenz –, währenddessen deutsche Fans ihre Liebe zum FPÖ-Chef entdeckt haben dürften, denn sie vermehrten sich rasant. Innerhalb der letzten sieben Wochen verzeichnete Strache einen Zuwachs von knapp 11.500 an österreichischen Fans – im selben Zeitraum rekrutierte er aus Deutschland fast die dreifache Menge (33.371) und darf nun (Stand 13.12.2016) auf fast 118.000 verweisen.“ (haraldwalser.at, 18.12.16)
Der systematische Beutezug in Deutschland ging weiter: Im Juni 2018 hatte Strache bei rund 775.600 Fans nur 451.600 aus Österreich, aber bereits 265.700 aus Deutschland. Der Rest kam aus anderen Ländern. Das heißt, dass der Anteil an österreichischen Fan-Accounts unter 60% lag – ein Wert, der sich seither nicht wesentlich verändert haben dürfte, zumal die Seite innerhalb eines Jahres nur um magere 25.000 Fans zugelegt hat. (3)
Der (vorläufige) Rückzug von Strache aus der Politik stellt die FPÖ vor ein Problem: Wie umgehen mit Strache FB-Seite? Facebook erlaubt unter gewissen Umständen Zusammenlegungen und Umbenennungen von Seiten, jedoch nur dann, wenn das Ziel der Seite – erkennbar durch den neuen Namen – in etwa dasselbe bleibt. Dass eine simple Zusammenlegung mit der und Überführung von Straches Fans auf die Parteiseite möglich ist, ist eher unwahrscheinlich.
Die Fokussierung auf Straches Facebook-Account könnte für die FPÖ jetzt zum Bumerang werden, denn der ist jetzt wohl Geschichte. 800.000 Fans weg … (Es sei denn, sie kriegen bei FB eine Umwandlung in einen Parteiaccount durch.)
— stopptdierechten.at (@stopptrechte) 18. Mai 2019
„Österreich“ vermeldete nun, Strache habe seine Seite übernommen: „Strache hat Facebook-Seite mit 800.000 ‚Fans’ unter Kontrolle (…) Er sei nun ‚alleine’ für die Inhalte verantwortlich, heißt es aus FP-Kreisen.” (oe24.at, 5.6.19) Bei genauerem Hinsehen ist es unwahrscheinlich, dass das so stimmt: Straches FB-Seite wird – wie schon zuvor auch – von insgesamt neun Accounts verwaltet. Eine Facebook-Seite hat kein eigenes Passwort, sondern kann ausschließlich von InhaberInnen von Facebook-Profilen verwaltet werden. Unter Kontrolle hätte Strache seine FB-Seite nur dann bringen können, wenn er den bisherigen Partei-Admins die Rechte auf seiner Seite entzogen hätte. Facebook zeigt nur an, wie viele Accounts eine Seite verwalten, nicht aber welche. Ob Strache nun statt der alten Admins neue eingesetzt hat, wissen wir nicht.
Der Aufwand, eine derartig große Seite mit Tausenden von Kommentaren so zu moderieren, dass eventuell strafrechtlich relevante Inhalte ausgeblendet bzw. gelöscht werden, ist enorm groß und von einer einzelnen Person kaum zu schaffen. Es ist nicht anzunehmen, dass Strache das nun selbst erledigt. Juristisch gesehen, steht so viel fest: Sollte es wegen problematischer Postings und/oder Kommentaren zu Klagen kommen, ist die FPÖ als Medieninhaber dran. Nicht geklärt ist, wer nun im Zweifelsfall Anspruch auf die Seite hat. Hier gibt es nicht eindeutige Einschätzungen.
Egal, wie die Angelegenheit ausgeht: Medial sollte endlich damit Schluss gemacht werden, Zahlen wie Fans und Interaktionen unnötig und undifferenziert hochzuspielen und daraus permanent zwischen den politischen AkteurInnen Konkurrenz zu erzeugen, die schlussendlich hauptsächlich darin mündet, dem US-Konzern noch mehr Werbegeld in den Rachen zu werfen.
1 SPÖ: 118.252, Neos: 85.903, Grüne: 71.101, ÖVP (Volkspartei) 62.333, Jetzt: 13.437 (Stand 7.6.19)
2 In ihrer Spitzenzeit, knapp vor dem Ibiza-Video, hatte Straches FB-Seite knapp über 801.000 Fans.
3 Bis Juni 2018 war es möglich, die Fans von Facebook-Seiten nach Länderzugehörigkeiten einzusehen. Danach hat Facebook diese Analysemöglichkeit eingestellt.