Besonders glaubwürdig ist das plötzliche „Herz“ der FPÖ für Arbeitslose jedoch nicht. Regelmäßig tauchen die bekannten, menschenverachtenden Positionen der FPÖ in neuem Gewand wieder auf: Verschärfungen für Arbeitslose, Leistungskürzungen, Zwangsdienste …
Newspeak auf Anordnung von oben
Angesichts der Krise, die zu Beginn überwiegend männlichen Arbeitern – und damit jener Bevölkerungsgruppe mit den meisten FPÖ-Wählern – die Jobs kostete, hat die FPÖ-Spitze verfügt, dass auf die eigenen WählerInnen nicht zu schimpfen sei. Um die erfolgreiche Hetze mit der Sozialschmarotzer-Debatte fortführen zu können, bot sich da die Mindestsicherung an. Vom Getöse gegen BezieherInnen von Mindestsicherung konnte sich niemand betroffen fühlen, da es diese im Jahr 2009 noch gar nicht gab. Gerade deshalb eignet sich Polemik gegen die Mindestsicherung so unglaublich gut für Hetze.
Projektionsfläche für Sozialhetze
Im Jahr 2009 kannte niemand irgendwen, der oder die Mindestsicherung bezog. Folglich konnten es ja immer nur „die Anderen“ sein, die von der bösen Mindestsicherung profitierten: Je nach Lust und Laune also AusländerInnen, Studierende, Linke, Großfamilien, Singles ohne Kinder, Lebensgemeinschaften …
Adressat der Botschaft ist jede und jeder, böse sind immer alle mit anderen Lebensentwürfen. Bei so viel emotionaler Treffsicherheit ist es auch schon egal, ob die Botschaft sachlich richtig ist. Die rechtsextremistische Internetplattform „unzensuriert“ etwa bemühte sich redlichst, die Vorgaben des Führerhauptquartiers zu befolgen: „Besonders umstritten ist die Tatsache, dass viele Haushalte mit Kindern trotz Erwerbstätigkeit schlechter gestellt sind als Haushalte in der Mindestsicherung.“
Das ist zwar ein Unsinn, da jede Familie mit Einkommen unter dem Richtsatz Anspruch auf Mindestsicherung hat und somit zumindest auf ganz genau dasselbe – zu niedrige – Einkommen kommen muss wie eine andere, gleich große Familie, aber das ist egal. Die Botschaft wurde abgesetzt und der/die durchschnittliche FPÖ-WählerIn versteht sie: „Dies ist das Ende unseres schönen Landes! Die Migrantengruppen kosten Österreich und Deutschland Billionen und schwächen unser Sozialsystem. Die Schäden bezahlen wir! Merke: Migranten kommen zu hunderttausenden nach Österreich und kassieren pro Familie ohne zu arbeiten bis zu € 3.000,00 im Monat“, schreibt ein Poster zum Beitrag, in dem Staatsbürgerschaft oder Herkunft der BezieherInnen von Mindestsicherung mit keinem Wort angesprochen wird.
Der/Die durchschnittliche FPÖ-WählerIn – Faksimile
Uneinheitliche Kommunikation
Zugegeben: Die Vorgaben aus dem Führerhauptquartier sind bisweilen nicht leicht umzusetzen und wollen auch erst einmal verstanden werden. Im Jahr 2009 echauffierte sich der damalige FPÖ-Klubobmann, der Vorarlberger Amann, wegen einer von den Grünen geforderten, angeblich „nicht finanzierbaren Erhöhung des Arbeitslosengeldes“ (Quelle: http://www.vfreiheitliche.at/2009/05/05/fpoe-will-menschen-in-beschaeftigung-halten-nicht-arbeitslosigkeit-verwalten), als die Bundes-FPÖ bereits einen (von den Grünen abgekupferten) „Antrag auf Anhebung der Nettoersatzrate in der Arbeitslosenversicherung und gerechtere Anrechnung des Partnereinkommens bei der Notstandshilfe“ im Nationalrat liegen hatte.
Aber nicht nur Herr Amann, auch zahlreiche andere FPÖ-FunktionärInnen haben den Zug der FPÖ-Zeit verpasst. Dieter Egger, der mit antisemitischen Ausfällen im Jahr 2009 Amanns Nachfolger als Klubobmann wurde, wusste im Juli 2010 noch nicht, dass das Herziehen auf arbeitslose Menschen nicht mehr up-to-date ist in der FPÖ. In einer Landtagsrede sprach er von einer „Belohnung für das Liegen in der sozialen Hängematte“:
In der Praxis heißt das, ab und zu auf das Arbeitsamt gehen und sich bei offenen Stellen zu melden. Das klingt schlimmer, als es ist. Ein halbwegs Cleverer wird es schaffen, durch passiven Widerstand jeden möglichen Arbeitgeber sofort davon zu überzeugen, dass man ihn besser nicht anstellt. Die Mindestsicherung wird für viele attraktiver sein als eine Lehre, bei der man jeden Morgen früh aufstehen muss und obendrein weniger verdient.“ (Landtagrede von Dieter Egger)
Auch Egger erzählt Unsinn (weil Österreich das rigideste Arbeitslosen-Bestrafungssystem Westeuropas hat), zeigt damit aber auch auf, dass er die Hetze gegen MindestsicherungsbezieherInnen nicht von jener gegen arbeitslose Menschen trennen kann.
Den aktuellen FPÖ-Schlingerkurs auch noch nicht verstanden hat der steirische FPÖ-Abgeordnete Mayer, der sich nicht verkneifen konnte, in einer Aussendung auf arbeitslose Menschen hinzuschlagen:
Zudem ist der finanzielle Unterschied zwischen einem aus wirklich getätigter Arbeit verdientem Gehalt und der durch Nichtstun staatlich zugeschobenen Mindestsicherung viel zu gering. Das ist ein System der sozialen Hängematte und kein soziales Auffangnetz. Das Leistungsprinzip wird dadurch völlig untergraben. Die Menschen werden sich zu Recht fragen, warum sie überhaupt noch arbeiten gehen sollen, wo sie doch fürs Nichtstun bereits 800 Euro kassieren.
„Strategisch gut“ bedeutet nicht weniger Menschenverachtung. FPÖ fordert Zwangsarbeit für Arbeitslose
Das Fadenkreuz von arbeitslosen Menschen weg auf die MindestsicherungsbezieherInnen zu richten, war strategisch gut gewählt. Eine Änderung der Politik ist damit aber nicht erfolgt: 83% aller Leistungen der Arbeitslosenversicherung liegen unter der von der Statistik Austria erhobenen Armutsgefährdungsschwelle. Kein Wunder also, dass knapp 90% aller BezieherInnen von Mindestsicherung diese als Aufschlag auf das Arbeitslosengeld oder die Notstandshilfe beziehen. Wer BezieherInnen von Mindestsicherung prügelt, prügelt in Wahrheit also wieder arbeitslose Menschen unter einem anderen Titel.
Die Kernbotschaften der FPÖ haben sich nicht geändert: Schon im Jänner 2009 verlangte FPÖ-Propagandachef Kickl im Nationalrat „einen Sozialdienst zum Wohle der Allgemeinheit“ für SozialhilfebezieherInnen. Was darunter vorzustellen sei, führte ein Jahr später ein Entschließungsantrag aus, mit dem ein „gemeinnütziges Arbeitsmodell für Langzeit-Mindestsicherungsbezieher“ verlangt wurde: Die Betroffenen sollten bei „Überschwemmungen“ zum Arbeitsdienst verpflichtet werden. Ziel: „Das diskutierte Modell soll unter anderem eine Kürzung der Mindestsicherung bis zur Streichung dieser Leistung umfassen, wenn der Langzeit-Mindestsicherungsbezieher eine gemeinnützige Tätigkeit verweigert.“
Umfassende Studien betreffend Zwangsdienste und „gemeinnützige Arbeit“ für Arbeitslose in aller Welt zeigen deutlich, dass derartige Projekte
- die Chance der Betroffenen, einen Job zu finden, verringern
- die Menschen in der Sozialhilfe/Mindestsicherung festhalten
- die Lebenschancen von Kindern in Familien mit Sozialhilfe verschlechtern
- die Zahl schlecht bezahlter „Normalarbeitsplätze“ zu Gunsten noch schlechter bezahlter „gemeinnütziger Beschäftigungsplätze“ verringert.
Wer „gemeinnützige Beschäftigung“ für Arbeitslose und MindestsicherungsbezieherInnen fordert, verlangt also nicht Unterstützung für diese, sondern deren Bestrafung, Ausgrenzung und soziale Stigmatisierung.
Fazit: Schon Wittgenstein stellte fest, dass es nicht reicht, ein Wort zu ändern. Es muss schon der Rahmen, in den ein Inhalt gesetzt wird, verändert werden, damit sich der Inhalt ändert. Also: Alter FPÖ-Essig in neuen Schläuchen!
Serie „Politik gegen die Menschen”
- Teil I: Politik gegen die Menschen I: FPÖ will Zehntausenden die Krankenversicherung streichen
- Teil II: FPÖ für Kinderarbeit und sexuelle Belästigung – oder einfach nur völlig inkompetent?
- Teil III: Die FPÖ im Kampf gegen den Sozialstaat: „Gastarbeiter“ prügeln und alle treffen
- Teil IV: FPÖ für Lohn- und Sozialdumping
- Teil V: ArbeitnehmerInnschutz im Visier der FPÖ
- Teil VI: Alter Essig in neuen Schläuchen: FPÖ-Hetze gegen arbeitslose Menschen
- Teil VII: Studierende sollen für FPÖ-Rassismus bestraft werden
- Teil VIII: FPÖ-Volkssport: rassistische Hassmails als Basis politischer Arbeit
- Teil IX: Freiheitliche fordern: Mit der Freiheit muss Schluss gemacht werden!
- Teil X: FPÖ: Soziale Heimatpartei der armen ImmobilienmaklerInnen
- Teil XI: FPÖ gegen MieterInnen