Die FPÖ hatte zuvor bekanntgegeben, dass sie im Nationalrat gegen die Ratifikation der „Europäischen Sozialcharta“ stimmen werde. Damit stimmte sie gegen die Verankerung von essentiellen Rechten wie etwa
- das Recht auf gerechte Arbeitsbedingungen (Artikel 2)
- das Recht auf ein gerechtes Arbeitsentgelt (Artikel 4)
- das Recht der Kinder und Jugendlichen auf Schutz (Artikel 7)
- das Recht auf Soziale Sicherheit (Artikel 12)
- das Recht der Kinder und Jugendlichen auf sozialen, gesetzlichen und wirtschaftlichen Schutz (Artikel 17)
- das Recht auf Würde am Arbeitsplatz Artikel 26)
- das Recht auf Schutz gegen Armut und soziale Ausgrenzung Artikel 30) oder
- das Recht auf Wohnung (Artikel 31)
im die Republik Österreich bindenden internationalen Recht.
Diese Ablehnung begründete die FPÖ-Abgeordnete Belakowitsch-Jenewein mit einem „Argument“, dass Zweifel an der Zurechnungsfähigkeit der FPÖ aufkommen lässt: Durch die Zustimmung zu diesem internationalen Übereinkommen drohe die „Auflösung der Republik“.
Im O‑Ton: „Bei einer zweiten Betrachtung ist es dann aber schon so, dass man sieht, dass damit auf eine Entwicklung innerhalb der EU in Richtung Sozialunion abgezielt wird. Es droht also sozusagen eine Auflösung der Republik, eine Entstaatlichung unserer eigenen Republik hin zu einem Zentralstaat Europa/EU. Und das ist etwas, dem wir nicht sehr viel abgewinnen können. … Uns … selbst aufzugeben und noch stärker an diese EU zu binden, ist nicht der richtige Weg. Daher werden wir der Sozialcharta in der vorliegenden Form mit Sicherheit nicht unsere Zustimmung geben.“
Frau Belakowitsch-Jenewein ließ den Rest des hohen Hauses einigermaßen ratlos zurück. Die Europäische Sozialcharta hat nämlich nichts – und zwar ganz genau gar nichts – mit der Europäischen Union zu tun. Sie ist ein internationales Übereinkommen, das durch die Koordination des Europarates zu Stande gekommen ist. Dieser hat aber eben ganz genau gar nichts mit der EU zu tun. Ein kurzer Klick auf Wikipedia hätte da bereits zu Wissensgewinn geführt. Dort lautet der erste Satz des entsprechenden Eintrags nämlich: „Dieser Artikel behandelt den Europarat. Dieser ist nicht zu verwechseln mit dem Europäischen Rat oder dem Rat der Europäischen Union, auch EU-Ministerrat genannt.“ Und spätestens der fünfte Satz ist unmissverständlich: „Der Europarat ist institutionell nicht mit der Europäischen Union verbunden.“
Die Tatsache, dass politischen Funktionsträger, die mit ihren Entscheidungen die Geschicke dieser Republik bestimmen und dafür mehr als € 8000,- im Monat kassieren, derartige Fehler unterlaufen, finden die Grünen „zum Genieren“. Bei der Suche nach der Fehlerursache mögen verschiedene Erklärungsansätze in Betracht zu ziehen sein. So mag es FPÖ-Abgeordnete möglicherweise intellektuell überfordern, auf der Suche nach Wissensgewinn das Internet … oh,… Entschuldigung… das „Weltnetz“ zu durchstöbern oder einen Text sinnerfassend bis zur fünften Zeile zu lesen. Weit eher scheint es jedoch so zu sein, dass der Partei daran gelegen war, die tatsächliche Begründung ihrer Ablehnung nicht öffentlich zu nennen. In ihrem Statement meinte die FPÖ-Abgeordnete Belakowitsch-Jenewein nämlich auch, dass „all das, was da in dieser Sozialcharta drinnen steht und in Österreich noch nicht umgesetzt ist, selbstverständlich auf nationaler Ebene umgesetzt werden sollte und umgesetzt werden muss.“
Besonder glaubhaft ist das aber nicht: FPÖ-Abgeordneter Zanger fühlte sich durch einen Verweis des Grünen-Abgeordneten Öllinger auf das „Recht auf Wohnung“ in Artikel 31 zum Zwischenruf „Das ist doch reinste Sozialträumerei“ genötigt. Und die politische Unterstützung der FPÖ für die vorbehaltslose Anerkennung der nicht vollständig für verbindlich erklärten Artikel 18 und 19 dürfte sich auch in engen Grenzen halten, schützen diese doch „Das Recht auf Ausübung einer Erwerbstätigkeit im Hoheitsgebiet der anderen Vertragsparteien“ sowie „Das Recht der Wanderarbeitnehmer und ihrer Familien auf Schutz und Beistand“.
Der FPÖ nur Inkompetenz und mangelndes politischen Grundlagenwissen vorzuwerfen, dürfte folglich zu kurz greifen. Viel eher gibt es Gründe zur Annahme, dass sie aus Prinzip Grundrechte für alle Menschen ablehnt und sich nur eine – wenn auch abgrundtief peinliche – Ausrede für ihr Stimmverhalten zu recht gelegt hat. Kurz: Die FPÖ will einfach keine universellen Rechte, wie sie in modernen, aufgeklärten, rechtsstaatlichen Demokratien üblich sind.
Womit wir wieder bei Sozialminister Hundstorfer wären: „Ich nehme zur Kenntnis, dass die Freiheitliche Partei kein Problem hat mit Kinderarbeit, ich nehme zur Kenntnis, dass die Freiheitliche Partei kein Problem hat mit sexueller Belästigung am Arbeitsplatz, und ich nehme weiters zur Kenntnis, dass sie kein Problem damit hat, gegen Chancengleichheit aufzutreten. Das tun Sie nämlich damit, dass Sie dieser Charta nicht beitreten. … Was Sie heute hier ablehnen, ist zum Beispiel eine Charta, in der wir uns klar dazu bekennen: Wir wollen gegen Kinderarbeit alles in Bewegung setzen. Verbot der Kinderarbeit! Wenn Sie auch dafür sind, können Sie dieser Charta nur beitreten. – Danke.”
Aus der Serie: FPÖ: Politik gegen Menschen
Teil I: FPÖ will Zehntausenden die Krankenversicherung streichen