Osttirol und seine Neonazis III – “Lauter Arschlöcher”

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Anfang August 2005 steht ein ande­rer alter Bekann­ter aus der Ost­ti­ro­ler Sze­ne vor einem Inns­bru­cker Geschwo­re­nen­ge­richt. Er hat­te am 30. Juli 2004 am hell­lich­ten Tag auf dem Haupt­platz von Lienz sein Tat­too, ein fünf mal fünf Zen­ti­me­ter gro­ßes Haken­kreuz auf sei­nem Unter­arm, zur Schau gestellt. Auch sei­ner Freun­din soll er ein Haken­kreuz und eine SS-Rune auf die Hüf­te täto­wiert haben: „Dös war i nit, dös hat sie sich sel­ber gemacht.“ Über sei­ne Kon­tak­te zur Neo­na­zi-Sze­ne sagt er: „Dös sein lau­ter Arschlöcher.”

Der Ver­such, sich so her­aus­zu­re­den, ver­fängt nicht ganz bei den Geschwo­re­nen. Der wegen schwe­rer Kör­per­ver­let­zung Vor­be­straf­te wird wegen NS-Wie­der­be­tä­ti­gung zu acht Mona­ten Haft unbe­dingt ver­ur­teilt. Ein wei­te­res Ver­fah­ren wegen Wider­stan­des gegen die Staats­ge­walt erwar­tet ihn auch noch, weil er die gegen ihn ermit­teln­den Beam­ten mit der Spren­gung des Gen­dar­me­rie­pos­tens Lienz bedroht haben soll (Tiro­ler Tages­zei­tung, 2.8.2005).

Im Jän­ner 2006 sind es Prä­senz­die­ner in der Lien­zer Kaser­ne, die wegen „Heil Hitler“-Rufen vor Gericht gestellt wer­den. Die drei Prä­senz­die­ner sind kei­ne Ost­ti­ro­ler, son­dern kom­men aus Inns­bruck, Kitz­bü­hel und Zell am Zil­ler. In der Kaser­ne haben sie mehr­fach vor ande­ren den ein­schlä­gi­gen Gruß getä­tigt, Haken­kreu­ze, SS-Runen und ras­sis­ti­sche Paro­len „Scheiß Neger! NSDAB!“ [sic!] geschmiert. Ob es Bezie­hun­gen zu den loka­len Neo­na­zis gege­ben hat, wird im Pro­zess nicht klar. Für die Ange­klag­ten war es eine Blö­de­lei („Das war nur Gau­di“). Das sahen die Geschwo­re­nen auch so: Freispruch!

Medi­en und Exe­ku­ti­ve sehen die Ost­ti­ro­ler-Neo­na­zi-Sze­ne am Ende. Es scheint, als ob sie Recht behal­ten wür­den mit ihrer Pro­gno­se. Die wich­tigs­ten ihrer Prot­ago­nis­ten befin­den sich tat­säch­lich zu die­ser Zeit hin­ter Git­tern, in den Medi­en fin­den sich kei­ne Berich­te über Vor­fäl­le. Nur ein­mal, im März 2007, nach ras­sis­ti­schen und natio­nal­so­zia­lis­ti­schen Paro­len gegen eine deut­sche Schü­ler­grup­pe in Ost­ti­ro , gibt es Berich­te. Doch die Sicher­heits­di­rek­ti­on Inns­bruck winkt ab: Es sei eine Süd­ti­ro­ler Nazi-Grup­pe gewe­sen, die für die Vor­fäl­le in Sil­li­an ver­ant­wort­lich sei – die Poli­zei in Süd­ti­rol ermittle.

2009 gibt die Nazi-Sze­ne lei­der wie­der Lebens­zei­chen. Im August wer­den in der Ort­schaft Ainet kam­pie­ren­de Roma (Manou­ch­es) aus Frank­reich in ihren Wohn­wä­gen von Jugend­li­chen atta­ckiert. Gegen Mit­ter­nacht grei­fen die­se die schla­fen­den Manou­ch­es an. Die Poli­zei wie­gelt ab: Vor Ort habe man fünf betrun­ke­ne Jugend­li­che ange­trof­fen, die gleich als Zeu­gen befragt wor­den sei­en. Einer habe zuge­ge­ben „an die Wohn­wa­gen geklopft“ zu haben (Stan­dard, 26.8.2009). Zeu­gen, die sich bei den Medi­en gemel­det haben, berich­ten aber, dass rech­te Paro­len geru­fen wur­den: „Zigeu­ner raus!” und „Euch Gsindl brauch ma da nit!“ Die Manou­ch­es wer­den noch in der Nacht von der Poli­zei vom Stell­platz wegeskor­tiert. Ihre Per­so­na­li­en wur­den nie aufgenommen.

Braune Post

Die Arbeits­ge­mein­schaft für demo­kra­ti­sche Poli­tik (AfP) hält ihre „Poli­ti­sche Aka­de­mie“ zwi­schen 16.–18.10. 2009 in Ost­ti­rol ab – wie sich erst spä­ter her­aus­stellt, im Gemein­de­saal von Döl­sach. Der Tagungs­ort in Ost­ti­rol ist ein untrüg­li­ches Zei­chen dafür, dass die AfP auf die „hei­mat­treu­en“ Kräf­te vor Ort, die loka­le Neo­na­zi-Sze­ne, die aus den Gefäng­nis­sen wie­der zurück­ge­kehrt ist, setzt.


AFP tag­te 2009 im Döl­sa­cher Gemeindesaal!

Anfang 2010 wird im Impres­sum eines Flug­balt­ts „AFP-Aktiv“, das via Post­wurf­ak­ti­on zur Ver­tei­lung gelang­te, Dr. Horst Lud­wig, der angeb­lich kei­ne akti­ve Funk­ti­on bei der AfP mehr aus­übt, als Adres­sat eines Spen­den­kon­tos ange­führt. Die „brau­ne Post“ (Klei­ne Zei­tung, 19.2.2010) sorgt für Empö­rung. Die Müt­ter der bei­den Selbst­mör­der pro­tes­tie­ren gegen den Miss­brauch ihrer Söh­ne für rechts­extre­me Pro­pa­gan­da und kün­di­gen recht­li­che Schrit­te gegen die AfP an. Die Staats­an­walt­schaft ermit­telt. Der Post­wurf ist den Neo­na­zis Manu­el S. und Harald K. gewid­met, die kurz vor ihren Pro­zes­sen ste­hen. Im AfP-Post­wurf wer­den sie als „gewalt­frei in Wort und Schrift im Sin­ne der Mei­nungs-und Infor­ma­ti­ons­frei­heit” bezeichnet.

Auch im Pro­zess im Febru­ar 2010 gibt sich Manu­el S., der wegen der Ver­tei­lung von Nazi-Pro­pa­gan­da ange­klagt ist, völ­lig geläu­tert. Die Geschwo­re­nen fol­gen der rühr­se­li­gen Insze­nie­rung des mehr­fach ver­ur­teil­ten schwe­ren Gewalt­tä­ters und Neo­na­zi und spre­chen ihn vom Vor­wurf der Wie­der­be­tä­ti­gung frei Der Berufs­rich­ter­se­nat trifft die Ent­schei­dung, den Spruch wegen Rechts­irr­tums aus­zu­set­zen: neue Ver­hand­lung! Anfang Mai 2010 die zwei­te Run­de: Die Geschwo­re­nen spre­chen Manu­el S. neu­er­lich frei. Dies­mal ist eine Aus­set­zung ihres Spruchs nicht mehr mög­lich. (Kro­ne, 7.5.2010)

Am 8. Mai 2010 wol­len in München/Fürstenried Neo­na­zis zu einer Kriegs­grab­stät­te mar­schie­ren – an einem Asyl­heim vor­bei. 400 Gegen­de­mons­tran­tIn­nen blo­ckie­ren, alle Nazis wer­den kurz­fris­tig fest­ge­nom­men, es hagelt etli­che Anzei­gen wegen des Hit­ler­gru­ßes (Quel­le: aida-archiv.de). Am Abend darf dann ein nicht genann­ter Ost­ti­ro­ler vor den Nazis vom „Frei­en Netz Süd“ referieren:

Der refe­rie­ren­de Kame­rad aus Ost­ti­rol wur­de selbst schon fünf­mal unter die­sen faden­schei­ni­gen Begrif­fen ver­ur­teilt und am 23. Febru­ar die­ses Jah­res muss­te er sich wie­der vor Gericht ver­ant­wor­ten, da er einen Ord­ner an einen Kame­ra­den wei­ter­gab. Der Inhalt die­ses Ord­ners beschränk­te sich auf Schrif­ten aus öffent­lich frei erhält­li­chen Quel­len. Doch dies war jedoch Grund genug ihn des­halb vor Gericht zu zer­ren. (Frei­es Netz Süd)

Manu­el S., der mehr­fach ver­ur­teil­te Schlä­ger und Neo­na­zi, jam­mert also vor den ver­sam­mel­ten Neo­na­zis vom Frei­en Netz Süd dar­über, dass er als Neo­na­zi vors Gericht „gezerrt“ wurde.

Im Novem­ber 2010 folgt der Pro­zess gegen den zwei­ten Schütz­ling der AfP, Harald K. aus Matrei. Nazi sei er kei­ner, sagt er, doch Fotos zei­gen ihn mit Hit­ler­gruß auf einem Berg­gip­fel. Mit einem Gesin­nungs­freund, der in der Gra­zer Kar­lau ein­sitzt (Bernd A.), pflegt er einen akti­ven Brief­wech­sel, schickt ihm Nazi-Bro­schü­ren, schreibt auf­mun­tern­de Sprü­che vom „Kampf­jahr 2009“ usw. Auch etli­che CDs mit Nazi-Schund wer­den bei ihm gefun­den. Das Urteil, neun Mona­te bedingt und 8.000 Euro Geld­stra­fe unbe­dingt, ist noch nicht rechts­kräf­tig. Dies­mal plä­dier­ten die Geschwo­re­nen ein­stim­mig auf Schuld.

Im Jän­ner 2011, am Wochen­en­de des 22./23., dann die neu­er­li­che Prü­gel­at­ta­cke des Bernd A.: Wie­der ist es ein Mensch mit ande­rer Haut­far­be, wie­der sind es ras­sis­ti­sche Beschimp­fun­gen und schwe­re Ver­let­zun­gen beim Opfer. Was aber ist los mit der Poli­zei? Sie behan­delt die Atta­cke zunächst als Wirts­haus­prü­ge­lei, obwohl beim Namen des Prüg­lers alle Alarm­glo­cken hät­ten läu­ten müs­sen. Dann zeigt sie auch noch das Opfer an.

Die Alarm­glo­cken läu­ten an dem Wochen­en­de auch bei einem ande­ren Vor­fall nicht. Wie uns berich­tet wird, wur­den an dem besag­ten Wochen­en­de in Lienz auch Flug­blät­ter der Initia­ti­ve „Volks­tod“ ver­teilt. Die „Volkstod“-Leute kom­men aus dem Umfeld von AfP und Alpen-Donau. An ande­ren Orten wer­den „Volkstod“-Flugblätter gemein­sam mit sol­chen der AfP gestreut. Alpen-Donau hat erst jüngst ein AfP-Flug­blatt ver­öf­fent­licht: Sie ken­nen sich, sie fin­den sich.

Am 17.2. erfolgt in der Lien­zer Innen­stadt eine neu­er­li­che mas­si­ve Kle­be-Akti­on der „Volkstod“-Nazis. Das LVT Tirol ermittelt …

Was uns aber noch mehr inter­es­siert: Stel­len die Vor­fäl­le der letz­ten Jah­re den Ver­such der Neo­na­zis rund um AfP und Alpen-Donau dar, in Ost­ti­rol Fuß zu fas­sen – mit­hil­fe von alt­be­währ­ten und neu­en Kame­ra­den? Wird die Exe­ku­ti­ve auch dies­mal ihre Feh­ler von frü­her wie­der­ho­len? Und wer­den Poli­tik und Schu­len in Ost­ti­rol das Pro­blem wei­ter ignorieren?

➡️ Ost­ti­rol und sei­ne Neo­na­zis I
➡️ Ost­ti­rol und sei­ne Neo­na­zis II – Kame­rad­schaft Osttirol