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Osttirol und seine Neonazis I

Ost­ti­rol ist etwas Beson­de­res. Damit mei­nen wir nicht sei­ne land­schaft­li­chen Schön­hei­ten oder irgend­wel­che posi­ti­ven oder nega­ti­ven Eigen­hei­ten sei­ner Bewoh­ne­rIn­nen, son­dern den Umstand, dass sich –auch bedingt durch die Topo­gra­phie – über Jah­re hin­weg das Wir­ken sei­ner loka­len Nazis rela­tiv genau und abge­grenzt nach­voll­zie­hen lässt. Die beson­de­re Topo­gra­phie Ost­ti­rols, die Abge­schie­den­heit sei­ner Täler, hat die Regi­on zu […]

21. Feb 2011

Die beson­de­re Topo­gra­phie Ost­ti­rols, die Abge­schie­den­heit sei­ner Täler, hat die Regi­on zu einem belieb­ten Ver­an­stal­tungs­ort für ver­schwie­ge­ne Nazi-Kon­zer­te in den ver­gan­ge­nen Jah­ren gemacht. Exe­ku­ti­ve und auch Jus­tiz sind, wie ver­schie­de­ne Ereig­nis­se in der Chro­nik zei­gen, offen­sicht­lich über­for­dert und/oder unwil­lig gewe­sen, die Gewalt­at­ta­cken der Neo­na­zis ein­zu­däm­men. Mög­li­cher­wei­se hat man Ost­ti­rol zu sehr allein­ge­las­sen, hat nicht hin­ge­schaut, wo man hät­te genau hin­schau­en müs­sen. Das ist nicht nur die Ver­ant­wor­tung von Exe­ku­ti­ve und Jus­tiz, son­dern auch von Poli­tik und z.B. Schulbehörden.

Ost­ti­rol hat kei­ne gro­ßen Antei­le an Migran­tIn­nen. Ras­sis­ti­sche Res­sen­ti­ments sind aber, wie uns immer wie­der mit­ge­teilt wur­de, weit­ver­brei­tet: in der Frei­zeit, auch an Schu­len. Brand­an­schlä­ge, ras­sis­ti­sche Atta­cken, Mob­bing an Schu­len: Das ist die Fol­ge von Weg­schau­en und Ver­harm­lo­sen. Ost­ti­rol ist in die­ser Hin­sicht nichts Beson­de­res, son­dern nur eine beson­de­re Mög­lich­keit, das anhand einer Chro­no­lo­gie nachzuverfolgen.

Das Schlüsseljahr

2001 war ein Schlüs­sel­jahr für die Ost­ti­ro­ler-Nazi­sze­ne. Im Mai gab es in Lienz zwei Brand­an­schlä­ge mit selbst­ge­bas­tel­ten Molo­tow-Cock­tails. Zunächst wur­de ein Haus mit 20 Bewoh­ne­rIn­nen aus Ex-Jugo­sla­wi­en in Brand gesetzt, dann ein Chi­na-Restau­rant. Am Kosa­ken­fried­hof in der Peg­getz (Lienz) wur­den schon im August 2000 Grä­ber geschän­det, in der Innen­stadt von Lienz wur­den Pas­san­ten atta­ckiert, schwer ver­letzt, Haken­kreu­ze geschmiert und „Heil Hit­ler“ gegrölt.

Der Tiro­ler Sicher­heits­di­rek­tor gibt im Juni, nach­dem zwei Jugend­li­che als Ver­däch­ti­ge für die Brand­an­schlä­ge aus­ge­forscht wer­den konn­ten, fol­gen­den Befund ab: „Wir dür­fen natür­lich nicht dra­ma­ti­sie­ren. Aber es ist nun ein­mal ein Fak­tum, dass auch in Tirol ver­mehrt rechts­extre­me Umtrie­be zu ver­zeich­nen sind.“ (Tiro­ler Tages­zei­tung, 20.6.2001)

Im Dezem­ber 2001 folgt dann einen Pro­zess: Die zwei Brü­der Bernd und Andre­as A. aus Lienz sind ange­klagt wegen schwe­rer Sach­be­schä­di­gung, mehr­fa­cher schwe­rer Kör­per­ver­let­zung, schwe­rer Nöti­gung und wegen NS-Wie­der­be­tä­ti­gung. Ein beacht­li­ches Reper­toire an Straf­ta­ten! Der Staats­an­walt bezeich­net den älte­ren der Brü­der als den Kopf der Lien­zer Neo­na­zi-Sze­ne. Bernd A. wird wegen des Ver­bre­chens der Wie­der­be­tä­ti­gung, wegen schwe­rer Kör­per­ver­let­zung und Nöti­gung in zwei Fäl­len zu 19 Mona­ten und einer Geld­stra­fe (ca.3.000 Euro) bedingt ver­ur­teilt. Bernd A. gibt sich reu­ig, bestrei­tet, jemals „Heil Hit­ler“ geru­fen zu haben. Ihn inter­es­sie­re mehr Rudolf Heß: „Damals dach­te ich, dass der Natio­nal­so­zia­lis­mus etwas Gutes ist. Doch jetzt habe ich mich geän­dert.“ (Kurier, 5.12.2001)

Sein Bru­der Andre­as A. wird vom Vor­wurf der Wie­der­be­tä­ti­gung frei­ge­spro­chen und wegen Kör­per­ver­let­zung zu vier Mona­ten bedingt ver­ur­teilt. Bei­de erhal­ten die Wei­sung, sich von rechts­extre­men Krei­sen zukünf­tig fern­zu­hal­ten. Die Brand­an­schlä­ge wer­den bei die­sem Pro­zess noch nicht verhandelt.

Die Selbstmorde

Am 27. Dezem­ber 2001 fin­det eine Jog­ge­rin in einem Wald bei Tris­t­ach zwei Lei­chen, die an dün­nen Stri­cken an einem Ast hän­gen. Dani­el G. und Andre­as A. haben sich in die selbst­ge­bas­tel­ten Schlin­gen fal­len las­sen, wie der Gerichts­me­di­zi­ner fest­stellt. Auf ihre Glatz­köp­fe haben sie sich Haken­kreu­ze gemalt, in der Woh­nung von Dani­el G. wer­den spä­ter mit Lack­stift gemal­te Ankün­di­gun­gen des Selbst­mor­des („Wal­hal­la, wir kom­men!“) gefun­den. (SN, 29.12.2001, News, 10.1.2002) Die bei­den, so die SN, hät­ten sich dem­nächst wegen der Brand­an­schlä­ge vom Mai vor Gericht ver­ant­wor­ten müssen.

Freun­de der bei­den berich­ten, dass Dani­el G. und Andre­as A. bereits im Som­mer 2001 des öfte­ren davon gespro­chen hät­ten, dass auf die­ser Welt für sie und ihre „Ideen“ kein Platz wäre und sie sich nach der ande­ren Welt sehn­ten, in die ihre Vor­bil­der schon vor lan­gem geflüch­tet sei­en. (News,10.1.2002).

Der tra­gi­sche Selbst­mord der bei­den ver­wirr­ten Jungna­zis wird von der Sze­ne noch lan­ge für neu­er­li­che Moti­va­ti­on aus­ge­beu­tet. 2010 wird ein Flug­blatt per Post in Ost­ti­rol in Umlauf gebracht, in dem zu Spen­den auf das Kon­to des Dr. Horst Lud­wig (AfP) anläss­lich eines Neo­na­zi-Pro­zes­ses auf­ge­ru­fen und der bei­den „jun­gen patrio­ti­schen Bur­schen“, die „von der öster­rei­chi­schen Inqui­si­ti­ons­jus­tiz in den Tod getrie­ben wur­den”, gedacht wird. Die bei­den wer­den zu Hel­den hoch­sti­li­siert, „die es gewagt hat­ten, sich gegen die schlei­chen­de Über­frem­dung in Tirol zur Wehr zu set­zen“.

Flugblatt AfP-aktiv: "zwei Osttiroler Burschen"
Flug­blatt AfP-aktiv: „zwei Ost­ti­ro­ler Bur­schen” (2010)

Inqui­si­ti­ons­jus­tiz? Andre­as A. war vom Vor­wurf der Wie­der­be­tä­ti­gung frei­ge­spro­chen wor­den. Zur Wehr gesetzt? Andre­as A. wur­de wegen schwe­rer Kör­per­ver­let­zung an Men­schen, die er grund­los atta­ckiert hat­te, ver­ur­teilt und hat ver­mut­lich zwei Brand­an­schlä­ge (die­se gemein­sam mit Dani­el G.) aus­ge­führt. Schlei­chen­de Über­frem­dung? Ost­ti­rol hat einen der nied­rigs­ten Pro­zent­sät­ze an Bewoh­ne­rIn­nen mit migran­ti­schem Hintergrund.

➡️ Ost­ti­rol und sei­ne Neo­na­zis II – Kame­rad­schaft Osttirol
➡️ Ost­ti­rol und sei­ne Neo­na­zis III – “Lau­ter Arschlöcher”