Osttirol und seine Neonazis I

Ost­tirol ist etwas Beson­deres. Damit meinen wir nicht seine land­schaftlichen Schön­heit­en oder irgendwelche pos­i­tiv­en oder neg­a­tiv­en Eigen­heit­en sein­er Bewohner­In­nen, son­dern den Umstand, dass sich –auch bed­ingt durch die Topogra­phie – über Jahre hin­weg das Wirken sein­er lokalen Nazis rel­a­tiv genau und abge­gren­zt nachvol­lziehen lässt.

Die beson­dere Topogra­phie Ost­tirols, die Abgeschieden­heit sein­er Täler, hat die Region zu einem beliebten Ver­anstal­tung­sort für ver­schwiegene Nazi-Konz­erte in den ver­gan­genen Jahren gemacht. Exeku­tive und auch Jus­tiz sind, wie ver­schiedene Ereignisse in der Chronik zeigen, offen­sichtlich über­fordert und/oder unwillig gewe­sen, die Gewal­tat­tack­en der Neon­azis einzudäm­men. Möglicher­weise hat man Ost­tirol zu sehr allein­ge­lassen, hat nicht hingeschaut, wo man hätte genau hin­schauen müssen. Das ist nicht nur die Ver­ant­wor­tung von Exeku­tive und Jus­tiz, son­dern auch von Poli­tik und z.B. Schulbehörden.

Ost­tirol hat keine großen Anteile an Migran­tInnen. Ras­sis­tis­che Ressen­ti­ments sind aber, wie uns immer wieder mit­geteilt wurde, weitver­bre­it­et: in der Freizeit, auch an Schulen. Bran­dan­schläge, ras­sis­tis­che Attack­en, Mob­bing an Schulen: Das ist die Folge von Wegschauen und Ver­harm­losen. Ost­tirol ist in dieser Hin­sicht nichts Beson­deres, son­dern nur eine beson­dere Möglichkeit, das anhand ein­er Chronolo­gie nachzuverfolgen.

Das Schlüsseljahr

2001 war ein Schlüs­sel­jahr für die Ost­tirol­er-Naziszene. Im Mai gab es in Lienz zwei Bran­dan­schläge mit selb­st­ge­bastel­ten Molo­tow-Cock­tails. Zunächst wurde ein Haus mit 20 Bewohner­In­nen aus Ex-Jugoslaw­ien in Brand geset­zt, dann ein Chi­na-Restau­rant. Am Kosak­en­fried­hof in der Peggetz (Lienz) wur­den schon im August 2000 Gräber geschän­det, in der Innen­stadt von Lienz wur­den Pas­san­ten attack­iert, schw­er ver­let­zt, Hak­enkreuze geschmiert und „Heil Hitler“ gegrölt.

Der Tirol­er Sicher­heits­di­rek­tor gibt im Juni, nach­dem zwei Jugendliche als Verdächtige für die Bran­dan­schläge aus­ge­forscht wer­den kon­nten, fol­gen­den Befund ab: „Wir dür­fen natür­lich nicht drama­tisieren. Aber es ist nun ein­mal ein Fak­tum, dass auch in Tirol ver­mehrt recht­sex­treme Umtriebe zu verze­ich­nen sind.“ (Tirol­er Tageszeitung, 20.6.2001)

Im Dezem­ber 2001 fol­gt dann einen Prozess: Die zwei Brüder Bernd und Andreas A. aus Lienz sind angeklagt wegen schw­er­er Sachbeschädi­gung, mehrfach­er schw­er­er Kör­per­ver­let­zung, schw­er­er Nöti­gung und wegen NS-Wieder­betä­ti­gung. Ein beachtlich­es Reper­toire an Straftat­en! Der Staat­san­walt beze­ich­net den älteren der Brüder als den Kopf der Lien­z­er Neon­azi-Szene. Bernd A. wird wegen des Ver­brechens der Wieder­betä­ti­gung, wegen schw­er­er Kör­per­ver­let­zung und Nöti­gung in zwei Fällen zu 19 Monat­en und ein­er Geld­strafe (ca.3.000 Euro) bed­ingt verurteilt. Bernd A. gibt sich reuig, bestre­it­et, jemals „Heil Hitler“ gerufen zu haben. Ihn inter­essiere mehr Rudolf Heß: „Damals dachte ich, dass der Nation­al­sozial­is­mus etwas Gutes ist. Doch jet­zt habe ich mich geän­dert.“ (Kuri­er, 5.12.2001)

Sein Brud­er Andreas A. wird vom Vor­wurf der Wieder­betä­ti­gung freige­sprochen und wegen Kör­per­ver­let­zung zu vier Monat­en bed­ingt verurteilt. Bei­de erhal­ten die Weisung, sich von recht­sex­tremen Kreisen zukün­ftig fernzuhal­ten. Die Bran­dan­schläge wer­den bei diesem Prozess noch nicht verhandelt.

Die Selbstmorde

Am 27. Dezem­ber 2001 find­et eine Jog­gerin in einem Wald bei Tris­tach zwei Leichen, die an dün­nen Strick­en an einem Ast hän­gen. Daniel G. und Andreas A. haben sich in die selb­st­ge­bastel­ten Schlin­gen fall­en lassen, wie der Gerichtsmedi­zin­er fest­stellt. Auf ihre Glatzköpfe haben sie sich Hak­enkreuze gemalt, in der Woh­nung von Daniel G. wer­den später mit Lack­s­tift gemalte Ankündi­gun­gen des Selb­st­mordes („Wal­hal­la, wir kom­men!“) gefun­den. (SN, 29.12.2001, News, 10.1.2002) Die bei­den, so die SN, hät­ten sich dem­nächst wegen der Bran­dan­schläge vom Mai vor Gericht ver­ant­worten müssen.

Fre­unde der bei­den bericht­en, dass Daniel G. und Andreas A. bere­its im Som­mer 2001 des öfteren davon gesprochen hät­ten, dass auf dieser Welt für sie und ihre „Ideen“ kein Platz wäre und sie sich nach der anderen Welt sehn­ten, in die ihre Vor­bilder schon vor langem geflüchtet seien. (News,10.1.2002).

Der tragis­che Selb­st­mord der bei­den ver­wirrten Jung­nazis wird von der Szene noch lange für neuer­liche Moti­va­tion aus­ge­beutet. 2010 wird ein Flug­blatt per Post in Ost­tirol in Umlauf gebracht, in dem zu Spenden auf das Kon­to des Dr. Horst Lud­wig (AfP) anlässlich eines Neon­azi-Prozess­es aufgerufen und der bei­den „jun­gen patri­o­tis­chen Burschen“, die „von der öster­re­ichis­chen Inqui­si­tion­sjus­tiz in den Tod getrieben wur­den”, gedacht wird. Die bei­den wer­den zu Helden hochstil­isiert, „die es gewagt hat­ten, sich gegen die schle­ichende Über­frem­dung in Tirol zur Wehr zu set­zen“.


Flug­blatt der AFP-Aktiv

Inqui­si­tion­sjus­tiz? Andreas A. war vom Vor­wurf der Wieder­betä­ti­gung freige­sprochen wor­den. Zur Wehr geset­zt? Andreas A. wurde wegen schw­er­er Kör­per­ver­let­zung an Men­schen, die er grund­los attack­iert hat­te, verurteilt und hat ver­mut­lich zwei Bran­dan­schläge (diese gemein­sam mit Daniel G.) aus­ge­führt. Schle­ichende Über­frem­dung? Ost­tirol hat einen der niedrig­sten Prozentsätze an Bewohner­In­nen mit migrantis­chem Hintergrund.

 

➡️ Ost­tirol und seine Neon­azis II – Kam­er­ad­schaft Osttirol
➡️ Ost­tirol und seine Neon­azis III – “Lauter Arschlöcher”