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Interview mit Heribert Schiedel: Verwischte Grenzen

Stoppt die Rech­ten führ­te ein Inter­view mit dem Ras­­sis­­mus- und Anti­se­mi­tis­mus­for­scher Heri­bert Schie­del*: Fra­ge: Das Jahr ist fast zu Ende. Was waren bzw. sind für Dich als Exper­ten in punk­to Rechts­extre­mis­mus die wich­tigs­ten Ent­wick­lun­gen in die­sem Bereich? Grund­sätz­lich setz­ten sich die Ent­wick­lun­gen der ver­gan­ge­nen Jah­re fort. Die­se las­sen sich für die bestän­dig wach­sen­de Neo­na­zi­sze­ne unter […]

16. Dez 2010

Grund­sätz­lich setz­ten sich die Ent­wick­lun­gen der ver­gan­ge­nen Jah­re fort. Die­se las­sen sich für die bestän­dig wach­sen­de Neo­na­zi­sze­ne unter den Schlag­wör­tern Pro­fes­sio­na­li­sie­rung und Radi­ka­li­sie­rung zusam­men­fas­sen. Letz­te­re lässt sich auch an der Zunah­me rechts­extre­mis­tisch moti­vier­ter Straf- und hier vor allem Gewalt­de­lik­te able­sen. Die Pro­fes­sio­na­li­sie­rung kön­nen wir am Ver­hal­ten von Neo­na­zis auf der Stra­ße und an ihrer Pro­pa­gan­da­ar­beit bemer­ken. Ins­be­son­de­re im Inter­net haben sie in vie­ler­lei Hin­sicht wei­ter aufgeholt.
All­ge­mein lässt sich kon­sta­tie­ren, dass die Gren­ze zwi­schen Neo­na­zis­mus und par­tei­för­mi­gem Rechts­extre­mis­mus wei­ter ver­schwom­men ist. In Tirol jedoch muss­te die FPÖ die Not­brem­se zie­hen: Nach­dem die Par­tei­spit­ze mona­te­lang alle Hin­wei­se von mir und ande­ren auf neo­na­zis­ti­sche Infil­tra­ti­on des Rin­ges Frei­heit­li­cher Jugend (RFJ) als Hirn­ge­spins­te abge­tan hat, wur­den im Früh­jahr die Jung­frei­heit­li­chen kur­zer­hand raus­ge­wor­fen und Anzei­gen nach dem Ver­bots­ge­setz ein­ge­bracht – vom FPÖ-Lan­des­par­tei­ob­mann, wohlgemerkt!
Aber zurück zur Haupt­ten­denz der Grenz­ver­wi­schung: Die­se gilt nicht nur für die Inhal­te, z.B. die For­de­rung nach Abschaf­fung des Ver­bots­ge­set­zes, son­dern auch für die Per­so­nen. Allei­ne, was im Wie­ner Blut­wahl­kampf an amts­be­kann­ten Neo­na­zis, dar­un­ter ein füh­ren­der Kader der Unter­grund­struk­tur Blood & Honour, in den FPÖ-Wahl­kampf­tross gespült wur­de, spricht Bän­de und hat im Aus­maß sogar mich überrascht.
Dass die FPÖ trotz Neo­na­zi-Wahl­hel­fer und vie­ler ande­rer Skan­da­le – wie z.B. die bild­haf­te Auf­for­de­rung, „dem Mus­ta­fa“ eine „auf­zu­bren­nen“ – der­art zule­gen konn­te, ver­weist schließ­lich auf mitt­ler­wei­le einen lei­der erreich­ten Grad der Nor­ma­li­sie­rung von Rechts­extre­mis­mus. Für die­se Nor­ma­li­sie­rung sind vor allem Nicht-Rechts­extre­me – unse­re eige­nen Gewöh­nun­gen ein­ge­schlos­sen – und die Medi­en ver­ant­wort­lich zu machen. Ich spre­che nicht nur vom Bou­le­vard, son­dern auch von Qua­li­täts­me­di­en, in wel­chen heu­te wie selbst­ver­ständ­lich z.B. von „Isla­mi­sie­rung“ die Rede ist.

Fra­ge: Vor weni­gen Wochen hat es etli­che Haus­durch­su­chun­gen in der Cau­sa Alpen-Donau gege­ben. Seit­her ist wie­der Ruhe ein­ge­kehrt. Wie beur­teilst du die Aktio­nen der Exekutive?

Für eine genaue Beur­tei­lung der Aktio­nen weiß ich lei­der viel zu wenig dar­über. Pro­ble­ma­tisch ist sicher der spä­te Zeit­punkt. Bereits vor Mona­ten wur­den die mut­maß­li­chen Draht­zie­her aus der Neo­na­zi­sze­ne in Medi­en und von euch genannt. Zudem schei­nen sich die Haus­durch­su­chun­gen mehr­heit­lich nur gegen Mit­glie­der im ange­schlos­se­nen Forum gerich­tet zu haben. Die­ses ist nun mehr oder weni­ger tot, die Site macht aber wei­ter wie zuvor – nur noch aggres­si­ver. Ich fra­ge mich schon län­ger, war­um es in die­ser Sache noch zu kei­nen Ver­haf­tun­gen gekom­men ist, wo doch zumin­dest zwei Neo­na­zis, die Alpen-Donau mit Bil­dern und Tex­ten ver­sor­gen, nament­lich bekannt sind.

Fra­ge: Teilst Du unse­ren Ein­druck, dass die Jus­tiz im Unter­schied zu frü­he­ren Jah­ren jetzt mehr Anstren­gun­gen unter­nimmt, Wie­der­be­tä­ti­ger vor Gericht zu bringen?

Ja, es gibt momen­tan zumin­dest wie­der mehr Ver­fah­ren, auch die Zahl der Ver­ur­tei­lun­gen ist jüngst deut­lich gestie­gen. Aber ich bin mir nicht sicher, ob das allein auf ver­mehr­te Anstren­gun­gen der Jus­tiz zurück zu füh­ren oder nicht bloß Aus­druck des rasan­ten Wachs­tums der Neo­na­zi­sze­ne und ihrer Radi­ka­li­sie­rung ist.

Fra­ge: Trotz der Bemü­hun­gen der Jus­tiz – wir haben auch den Ein­druck, dass es – die Arbeit des DÖW aus­ge­nom­men – wenig Anstren­gun­gen gibt, den stär­ker gewor­de­nen rechts­extre­men, neo­na­zis­ti­schen und ras­sis­ti­schen Ten­den­zen etwas ent­ge­gen­zu­set­zen: im Bereich der Auf­klä­rung, der Prä­ven­ti­on, aber auch bei der Nach­be­treu­ung für Aus­stei­ger. Wo siehst Du da die größ­ten Defizite?

Euer Ein­druck trifft sich mit mei­nem. Begin­nen wir beim letz­ten Aspekt: Das Feh­len eines seriö­sen Aus­stei­ge­rIn­nen­pro­gramms ist sicher ein gro­ßes Erschwer­nis, auch für die Prä­ven­ti­ons­ar­beit. Denn Jugend­li­che, auch rechts ori­en­tie­re, glau­ben einem fast Gleich­alt­ri­gen, der zudem von eige­nen Erfah­run­gen spricht, mehr als mir oder gar den Leh­ren­den. Seit Jah­ren suche ich Unter­stüt­zung und Part­ne­rIn­nen für ein der­ar­ti­ges Pro­gramm, es fehlt aber über­all an Mit­teln und vor allem am poli­ti­schen Wil­len. Die­se Tat­sa­che wird immer mehr Men­schen, die sich gegen den Rechts­ruck auf den ver­schie­de­nen Ebe­nen enga­gie­ren, jeden Tag aufs Neue schmerz­haft bewusst gemacht. Von staat­li­cher oder poli­ti­scher Sei­te erfährt die­ses Enga­ge­ment immer weni­ger Unter­stüt­zung. Ganz im Gegen­teil, oft sehen sich Anti­fa­schis­tIn­nen auch noch Schi­ka­nen und Repres­sio­nen ausgesetzt.
Grund­sätz­lich muss ich lei­der sagen, dass das kri­ti­sche Inter­es­se an Rechts­extre­mis­mus in all sei­nen Facet­ten wei­ter abge­nom­men hat, was sei­ne Bekämp­fung erschwert.

Fra­ge: Stoppt die Rech­ten gibt’s jetzt ein hal­bes Jahr – wie wür­dest Du unse­re Arbeit beur­tei­len. Wo müs­sen wir bes­ser wer­den? Was haben wir falsch gemacht?

Ich kann nur gra­tu­lie­ren! Eure tol­le Arbeit, an der ich nichts zu kri­ti­sie­ren habe, ist ein wich­ti­ger Bei­trag für die demo­kra­ti­sche Kul­tur die­ses Lan­des. Die Doku­men­ta­ti­on rechts­extre­mis­ti­scher Gewalt­ta­ten und Vor­fäl­le ist ein uner­setz­li­cher Bei­trag gegen das typi­sche Ver­leug­nen. Eure Arbeit macht es nun schwe­rer, so zu tun, als hät­te Öster­reich kein Pro­blem mit Rechts­extre­mis­mus. Trau­rig und gleich­zei­tig bezeich­nend ist nur, dass es so eine Site wie die eure braucht. In Deutsch­land kann die Wis­sen­schaft auf poli­zei­amt­li­che Doku­men­te zum Rechts­extre­mis­mus zurück­grei­fen. Hier­zu­lan­de ist dies ange­sichts der Qua­li­tät der Ver­fas­sungs­schutz­be­rich­te nicht mög­lich. Für die­sen Unter­schied möch­te ich aber weni­ger die ein­zel­nen Beam­ten als die Poli­tik ver­ant­wort­lich machen.


* Heri­bert Schie­del, Ras­sis­mus- und Anti­se­mi­tis­mus­for­scher, Bericht­erstat­ter für das Ste­phen Roth Insti­tu­te for the Stu­dy of Con­tem­po­ra­ry Anti­se­mi­tism and Racism der Uni­ver­si­tät Tel Aviv, zahl­rei­che Vor­trä­ge und Ver­öf­fent­li­chun­gen, zuletzt im Herbst 2007: „Der rech­te Rand. Extre­mis­ti­sche Gesin­nun­gen in unse­rer Gesell­schaft“ (Edi­ti­on Steinbauer)