Grundsätzlich setzten sich die Entwicklungen der vergangenen Jahre fort. Diese lassen sich für die beständig wachsende Neonaziszene unter den Schlagwörtern Professionalisierung und Radikalisierung zusammenfassen. Letztere lässt sich auch an der Zunahme rechtsextremistisch motivierter Straf- und hier vor allem Gewaltdelikte ablesen. Die Professionalisierung können wir am Verhalten von Neonazis auf der Straße und an ihrer Propagandaarbeit bemerken. Insbesondere im Internet haben sie in vielerlei Hinsicht weiter aufgeholt.
Allgemein lässt sich konstatieren, dass die Grenze zwischen Neonazismus und parteiförmigem Rechtsextremismus weiter verschwommen ist. In Tirol jedoch musste die FPÖ die Notbremse ziehen: Nachdem die Parteispitze monatelang alle Hinweise von mir und anderen auf neonazistische Infiltration des Ringes Freiheitlicher Jugend (RFJ) als Hirngespinste abgetan hat, wurden im Frühjahr die Jungfreiheitlichen kurzerhand rausgeworfen und Anzeigen nach dem Verbotsgesetz eingebracht – vom FPÖ-Landesparteiobmann, wohlgemerkt!
Aber zurück zur Haupttendenz der Grenzverwischung: Diese gilt nicht nur für die Inhalte, z.B. die Forderung nach Abschaffung des Verbotsgesetzes, sondern auch für die Personen. Alleine, was im Wiener Blutwahlkampf an amtsbekannten Neonazis, darunter ein führender Kader der Untergrundstruktur Blood & Honour, in den FPÖ-Wahlkampftross gespült wurde, spricht Bände und hat im Ausmaß sogar mich überrascht.
Dass die FPÖ trotz Neonazi-Wahlhelfer und vieler anderer Skandale – wie z.B. die bildhafte Aufforderung, „dem Mustafa“ eine „aufzubrennen“ – derart zulegen konnte, verweist schließlich auf mittlerweile einen leider erreichten Grad der Normalisierung von Rechtsextremismus. Für diese Normalisierung sind vor allem Nicht-Rechtsextreme – unsere eigenen Gewöhnungen eingeschlossen – und die Medien verantwortlich zu machen. Ich spreche nicht nur vom Boulevard, sondern auch von Qualitätsmedien, in welchen heute wie selbstverständlich z.B. von „Islamisierung“ die Rede ist.
Frage: Vor wenigen Wochen hat es etliche Hausdurchsuchungen in der Causa Alpen-Donau gegeben. Seither ist wieder Ruhe eingekehrt. Wie beurteilst du die Aktionen der Exekutive?
Für eine genaue Beurteilung der Aktionen weiß ich leider viel zu wenig darüber. Problematisch ist sicher der späte Zeitpunkt. Bereits vor Monaten wurden die mutmaßlichen Drahtzieher aus der Neonaziszene in Medien und von euch genannt. Zudem scheinen sich die Hausdurchsuchungen mehrheitlich nur gegen Mitglieder im angeschlossenen Forum gerichtet zu haben. Dieses ist nun mehr oder weniger tot, die Site macht aber weiter wie zuvor – nur noch aggressiver. Ich frage mich schon länger, warum es in dieser Sache noch zu keinen Verhaftungen gekommen ist, wo doch zumindest zwei Neonazis, die Alpen-Donau mit Bildern und Texten versorgen, namentlich bekannt sind.
Frage: Teilst Du unseren Eindruck, dass die Justiz im Unterschied zu früheren Jahren jetzt mehr Anstrengungen unternimmt, Wiederbetätiger vor Gericht zu bringen?
Ja, es gibt momentan zumindest wieder mehr Verfahren, auch die Zahl der Verurteilungen ist jüngst deutlich gestiegen. Aber ich bin mir nicht sicher, ob das allein auf vermehrte Anstrengungen der Justiz zurück zu führen oder nicht bloß Ausdruck des rasanten Wachstums der Neonaziszene und ihrer Radikalisierung ist.
Frage: Trotz der Bemühungen der Justiz – wir haben auch den Eindruck, dass es – die Arbeit des DÖW ausgenommen – wenig Anstrengungen gibt, den stärker gewordenen rechtsextremen, neonazistischen und rassistischen Tendenzen etwas entgegenzusetzen: im Bereich der Aufklärung, der Prävention, aber auch bei der Nachbetreuung für Aussteiger. Wo siehst Du da die größten Defizite?
Euer Eindruck trifft sich mit meinem. Beginnen wir beim letzten Aspekt: Das Fehlen eines seriösen AussteigerInnenprogramms ist sicher ein großes Erschwernis, auch für die Präventionsarbeit. Denn Jugendliche, auch rechts orientiere, glauben einem fast Gleichaltrigen, der zudem von eigenen Erfahrungen spricht, mehr als mir oder gar den Lehrenden. Seit Jahren suche ich Unterstützung und PartnerInnen für ein derartiges Programm, es fehlt aber überall an Mitteln und vor allem am politischen Willen. Diese Tatsache wird immer mehr Menschen, die sich gegen den Rechtsruck auf den verschiedenen Ebenen engagieren, jeden Tag aufs Neue schmerzhaft bewusst gemacht. Von staatlicher oder politischer Seite erfährt dieses Engagement immer weniger Unterstützung. Ganz im Gegenteil, oft sehen sich AntifaschistInnen auch noch Schikanen und Repressionen ausgesetzt.
Grundsätzlich muss ich leider sagen, dass das kritische Interesse an Rechtsextremismus in all seinen Facetten weiter abgenommen hat, was seine Bekämpfung erschwert.
Frage: Stoppt die Rechten gibt’s jetzt ein halbes Jahr – wie würdest Du unsere Arbeit beurteilen. Wo müssen wir besser werden? Was haben wir falsch gemacht?
Ich kann nur gratulieren! Eure tolle Arbeit, an der ich nichts zu kritisieren habe, ist ein wichtiger Beitrag für die demokratische Kultur dieses Landes. Die Dokumentation rechtsextremistischer Gewalttaten und Vorfälle ist ein unersetzlicher Beitrag gegen das typische Verleugnen. Eure Arbeit macht es nun schwerer, so zu tun, als hätte Österreich kein Problem mit Rechtsextremismus. Traurig und gleichzeitig bezeichnend ist nur, dass es so eine Site wie die eure braucht. In Deutschland kann die Wissenschaft auf polizeiamtliche Dokumente zum Rechtsextremismus zurückgreifen. Hierzulande ist dies angesichts der Qualität der Verfassungsschutzberichte nicht möglich. Für diesen Unterschied möchte ich aber weniger die einzelnen Beamten als die Politik verantwortlich machen.
* Heribert Schiedel, Rassismus- und Antisemitismusforscher, Berichterstatter für das Stephen Roth Institute for the Study of Contemporary Antisemitism and Racism der Universität Tel Aviv, zahlreiche Vorträge und Veröffentlichungen, zuletzt im Herbst 2007: „Der rechte Rand. Extremistische Gesinnungen in unserer Gesellschaft“ (Edition Steinbauer)