Interview mit Heribert Schiedel: Verwischte Grenzen

Stoppt die Recht­en führte ein Inter­view mit dem Ras­sis­mus- und Anti­semitismus­forsch­er Herib­ert Schiedel*:

Frage: Das Jahr ist fast zu Ende. Was waren bzw. sind für Dich als Experten in punk­to Recht­sex­trem­is­mus die wichtig­sten Entwick­lun­gen in diesem Bereich?

Grund­sät­zlich set­zten sich die Entwick­lun­gen der ver­gan­genen Jahre fort. Diese lassen sich für die beständig wach­sende Neon­aziszene unter den Schlag­wörtern Pro­fes­sion­al­isierung und Radikalisierung zusam­men­fassen. Let­ztere lässt sich auch an der Zunahme recht­sex­trem­istisch motiviert­er Straf- und hier vor allem Gewalt­de­lik­te able­sen. Die Pro­fes­sion­al­isierung kön­nen wir am Ver­hal­ten von Neon­azis auf der Straße und an ihrer Pro­pa­gan­daar­beit bemerken. Ins­beson­dere im Inter­net haben sie in viel­er­lei Hin­sicht weit­er aufgeholt.
All­ge­mein lässt sich kon­sta­tieren, dass die Gren­ze zwis­chen Neon­azis­mus und parteiför­migem Recht­sex­trem­is­mus weit­er ver­schwom­men ist. In Tirol jedoch musste die FPÖ die Not­bremse ziehen: Nach­dem die Parteispitze monate­lang alle Hin­weise von mir und anderen auf neon­azis­tis­che Infil­tra­tion des Ringes Frei­heitlich­er Jugend (RFJ) als Hirnge­spin­ste abge­tan hat, wur­den im Früh­jahr die Jungfrei­heitlichen kurz­er­hand raus­ge­wor­fen und Anzeigen nach dem Ver­bots­ge­setz einge­bracht – vom FPÖ-Lan­desparteiob­mann, wohlgemerkt!
Aber zurück zur Haupt­ten­denz der Gren­zver­wis­chung: Diese gilt nicht nur für die Inhalte, z.B. die Forderung nach Abschaf­fung des Ver­bots­ge­set­zes, son­dern auch für die Per­so­n­en. Alleine, was im Wiener Blut­wahlkampf an amts­bekan­nten Neon­azis, darunter ein führen­der Kad­er der Unter­grund­struk­tur Blood & Hon­our, in den FPÖ-Wahlkampftross gespült wurde, spricht Bände und hat im Aus­maß sog­ar mich überrascht.
Dass die FPÖ trotz Neon­azi-Wahlhelfer und viel­er ander­er Skan­dale – wie z.B. die bild­hafte Auf­forderung, „dem Mustafa“ eine „aufzubren­nen“ – der­art zule­gen kon­nte, ver­weist schließlich auf mit­tler­weile einen lei­der erre­icht­en Grad der Nor­mal­isierung von Recht­sex­trem­is­mus. Für diese Nor­mal­isierung sind vor allem Nicht-Recht­sex­treme – unsere eige­nen Gewöh­nun­gen eingeschlossen – und die Medi­en ver­ant­wortlich zu machen. Ich spreche nicht nur vom Boule­vard, son­dern auch von Qual­itätsme­di­en, in welchen heute wie selb­stver­ständlich z.B. von „Islamisierung“ die Rede ist.

Frage: Vor weni­gen Wochen hat es etliche Haus­durch­suchun­gen in der Causa Alpen-Donau gegeben. Sei­ther ist wieder Ruhe eingekehrt. Wie beurteilst du die Aktio­nen der Exekutive?

Für eine genaue Beurteilung der Aktio­nen weiß ich lei­der viel zu wenig darüber. Prob­lema­tisch ist sich­er der späte Zeit­punkt. Bere­its vor Monat­en wur­den die mut­maßlichen Drahtzieher aus der Neon­aziszene in Medi­en und von euch genan­nt. Zudem scheinen sich die Haus­durch­suchun­gen mehrheitlich nur gegen Mit­glieder im angeschlosse­nen Forum gerichtet zu haben. Dieses ist nun mehr oder weniger tot, die Site macht aber weit­er wie zuvor – nur noch aggres­siv­er. Ich frage mich schon länger, warum es in dieser Sache noch zu keinen Ver­haf­tun­gen gekom­men ist, wo doch zumin­d­est zwei Neon­azis, die Alpen-Donau mit Bildern und Tex­ten ver­sor­gen, namentlich bekan­nt sind.

Frage: Teilst Du unseren Ein­druck, dass die Jus­tiz im Unter­schied zu früheren Jahren jet­zt mehr Anstren­gun­gen untern­immt, Wieder­betätiger vor Gericht zu bringen?

Ja, es gibt momen­tan zumin­d­est wieder mehr Ver­fahren, auch die Zahl der Verurteilun­gen ist jüngst deut­lich gestiegen. Aber ich bin mir nicht sich­er, ob das allein auf ver­mehrte Anstren­gun­gen der Jus­tiz zurück zu führen oder nicht bloß Aus­druck des ras­an­ten Wach­s­tums der Neon­aziszene und ihrer Radikalisierung ist.

Frage: Trotz der Bemühun­gen der Jus­tiz – wir haben auch den Ein­druck, dass es – die Arbeit des DÖW ausgenom­men – wenig Anstren­gun­gen gibt, den stärk­er gewor­de­nen recht­sex­tremen, neon­azis­tis­chen und ras­sis­tis­chen Ten­den­zen etwas ent­ge­gen­zuset­zen: im Bere­ich der Aufk­lärung, der Präven­tion, aber auch bei der Nach­be­treu­ung für Aussteiger. Wo siehst Du da die größten Defizite?

Euer Ein­druck trifft sich mit meinem. Begin­nen wir beim let­zten Aspekt: Das Fehlen eines ser­iösen AussteigerIn­nen­pro­gramms ist sich­er ein großes Erschw­er­nis, auch für die Präven­tion­sar­beit. Denn Jugendliche, auch rechts ori­en­tiere, glauben einem fast Gle­ichal­tri­gen, der zudem von eige­nen Erfahrun­gen spricht, mehr als mir oder gar den Lehren­den. Seit Jahren suche ich Unter­stützung und Part­ner­In­nen für ein der­ar­tiges Pro­gramm, es fehlt aber über­all an Mit­teln und vor allem am poli­tis­chen Willen. Diese Tat­sache wird immer mehr Men­schen, die sich gegen den Recht­sruck auf den ver­schiede­nen Ebe­nen engagieren, jeden Tag aufs Neue schmerzhaft bewusst gemacht. Von staatlich­er oder poli­tis­ch­er Seite erfährt dieses Engage­ment immer weniger Unter­stützung. Ganz im Gegen­teil, oft sehen sich AntifaschistIn­nen auch noch Schika­nen und Repres­sio­nen ausgesetzt.
Grund­sät­zlich muss ich lei­der sagen, dass das kri­tis­che Inter­esse an Recht­sex­trem­is­mus in all seinen Facetten weit­er abgenom­men hat, was seine Bekämp­fung erschwert.

Frage: Stoppt die Recht­en gibt’s jet­zt ein halbes Jahr – wie würdest Du unsere Arbeit beurteilen. Wo müssen wir bess­er wer­den? Was haben wir falsch gemacht?

Ich kann nur grat­ulieren! Eure tolle Arbeit, an der ich nichts zu kri­tisieren habe, ist ein wichtiger Beitrag für die demokratis­che Kul­tur dieses Lan­des. Die Doku­men­ta­tion recht­sex­trem­istis­ch­er Gewalt­tat­en und Vor­fälle ist ein uner­set­zlich­er Beitrag gegen das typ­is­che Ver­leug­nen. Eure Arbeit macht es nun schw­er­er, so zu tun, als hätte Öster­re­ich kein Prob­lem mit Recht­sex­trem­is­mus. Trau­rig und gle­ichzeit­ig beze­ich­nend ist nur, dass es so eine Site wie die eure braucht. In Deutsch­land kann die Wis­senschaft auf polizeiamtliche Doku­mente zum Recht­sex­trem­is­mus zurück­greifen. Hierzu­lande ist dies angesichts der Qual­ität der Ver­fas­sungss­chutzberichte nicht möglich. Für diesen Unter­schied möchte ich aber weniger die einzel­nen Beamten als die Poli­tik ver­ant­wortlich machen.


* Herib­ert Schiedel, Ras­sis­mus- und Anti­semitismus­forsch­er, Berichter­stat­ter für das Stephen Roth Insti­tute for the Study of Con­tem­po­rary Anti­semitism and Racism der Uni­ver­sität Tel Aviv, zahlre­iche Vorträge und Veröf­fentlichun­gen, zulet­zt im Herb­st 2007: „Der rechte Rand. Extrem­istis­che Gesin­nun­gen in unser­er Gesellschaft“ (Edi­tion Steinbauer)