Die „Hate Crime”-Täter*innen
Bei der Pressekonferenz der steirischen Polizei am Vormittag des 21.3. wurde noch von 15 Festnahmen, die im Zuge von Razzien in sieben Bundesländern erfolgt sind, gesprochen. Am selben Abend waren es bereits 16 Festnahmen. Die ZiB2 (21.3.25) berichtete von sechs Polizeieinsätzen in Oberösterreich, fünf in Niederösterreich, vier in Salzburg, je drei in Tirol und Wien, zwei in der Steiermark, von wo die Ermittlungen ausgingen, und einem im Burgenland.
Am 22.3. wurde bereits von 18 Festnahmen berichtet, die „Salzburger Nachrichten“ (27.3.25) schreiben inzwischen von 22 Beschuldigten, die Polizei gab am 28.3. bekannt, dass 20 Festnahmen und 28 Hausdurchsuchungen erfolgt seien.
Es seien „Suchtmittel und verbotene Waffen (Schlagringe und vier Messer), Mobiltelefone und Datenträger, rechtsextremes Propagandamaterial – an drei Örtlichkeiten wurden mehrere NS-Aufkleber und ein Wandteppich mit einem Hakenkreuz“ gefunden bzw. beschlagnahmt worden, vermeldete das Innenministerium noch am 21.3.25.
Über 13 der mutmaßlichen Täter*innen (Alter von 14 bis 26, darunter drei Frauen) wurde letztes Wochenende die U‑Haft verhängt. Sie kommen mehrheitlich aus Österreich und je einmal aus der Slowakei, aus Kroatien, Rumänien und Deutschland. Die Ermittlungen gingen von mehreren in der Südsteiermark ab Mai 2024 begangenen Verbrechen aus, bei denen die lokale Polizei Gemeinsamkeiten entdeckt hatte.
Der aus Deutschland stammende Täter ist nach den „Salzburger Nachrichten“ bereits vorbestraft und lebt im Pinzgau. Er soll maßgeblich an jener Tat beteiligt gewesen sein, nach der auch wegen versuchten Mordes ermittelt wird.
[A]m 31. Oktober, wurde dann ein weiterer Mann, ein Pongauer offenbar vom selben Lockvogel ebenfalls nach Lend gelockt. Dieser Mann wurde extrem brutal misshandelt. Einer der maskierten Täter drosch ihm mit einem Baseballschläger gegen das Knie, während ein anderer ihm mit einem Elektrorasierer die Kopfhaare rasierte; von weiteren Tritten und Schlägen ins Gesicht blutüberströmt soll ihm schließlich der mutmaßliche Haupttäter, ein im Pinzgau lebender Deutscher, mit seinen Springerstiefeln mit massiver Wucht gegen den Kopf getreten haben. (…) Als mutmaßlicher Haupttäter gilt der im Pinzgau lebende Deutsche — bei dem in Deutschland vorbestraften Mann waren einige Monate nach den Übergriffen in Lend zahlreiche Nazi-Devotionalien und auch der offenbar tatgegenständliche Baseballschläger gefunden worden. (sn.at, 27.3.25)
Zwei der Beschuldigten, Administratoren von Social Media-Channels, seien auch auf der identitären Demonstration am 20. Juli 2024 anwesend gewesen. Ein deutlicher Bezug zur rechtsextremen bzw. militanten Neonazi-Szene ist mittlerweile evident, was nicht bedeutet, dass sich alle Täter*innen aktiv in der Szene beteiligt haben. Dass sich die vorgeworfenen Straftaten auch auf Verbrechen nach dem Verbotsgesetz ausweiten werden, erscheint nach bisherigen Recherchen als geradezu unumgänglich.
Gegen drei der mutmaßlichen Täter, die im südsteirischen Unterpremstätten einen 44-Jährigen überfallen haben, sei bereits Anklage erhoben und vor etwa drei Wochen in Graz verhandelt worden.
Die Staatsanwaltschaft Graz bestätigte, dass am Grazer Straflandesgericht vor zwei Wochen bereits ein Prozess gegen drei Beschuldigte, die mit dem gleichen Modus auf Homosexuelle losgegangen sein sollen, begonnen hat. Es wurde aber unter anderem wegen der laufenden Ermittlungen unter Ausschluss der Öffentlichkeit verhandelt. „Zwischen den drei Angeklagten und den Hausdurchsuchungen gibt es einen Zusammenhang”, sagte Sprecher Christian Kroschl. Die Verhandlung blieb vorerst ohne Urteil und wurde vertagt. (derstandard.at, 21.3.25)
Die „Hate Crime”-Opfer
Mindestens 17 Opfer sind bisher bekannt, es wird jedoch davon ausgegangen, dass die tatsächliche Zahl größer ist. Während die „Kronen Zeitung“ (21.3.25) mit dem irreführenden Titel „Razzien: Polizei geht gegen ‚Pädophilen-Jäger‘ vor“ hinausging und auch von „Selbstjustiz“ schrieb (der Titel wurde nach heftiger Kritik sehr viel später auf „Dating-Jäger“ geändert) und entsprechende Reaktionen in den „sozialen Medien“ hervorrief, stellte sich sehr schnell heraus, dass keinem einzigen der bisher ausfindig gemachten Opfer irgendeine strafbare Form der „Pädophilie“ vorgeworfen werden kann. Die „Salzburger Nachrichten” (27.3.25): „Staatsanwalt Kroschl: ‚Von den bisher bekannten Opfern war niemand pädophil — und auch nur ein geschätztes Drittel der Opfer ist nachweislich homosexuell.“
Feststeht: Die späteren Opfer wurden über Dating-Plattformen an abgelegene Orte gelockt, wo sie dann überfallen wurden. „Stoppt die Rechten“ vorliegende Screenshots zeigen eine Verabredung gegen einen jungen Burschen aus Tirol. Eine Person stellte im August 24 seine Daten (Name, Wohnort, Telefonnummer und Anschuldigung der Pädophilie) in eine lokale „Pedo Hunter“-Telegram-Gruppe mit elf Mitgliedern, ein anderer antwortete: „Oke ‚Besuchstermin‘ moch wir uns aus.“
Reaktionen aus der Politik und ein Aktionsplan „Hate Crime”
Während Vertreter*innen von SPÖ, Neos und Grünen sofort reagierten, der ÖVP-Innenminister von einer „überaus brutale[n] und menschenverachtende[n] Tätergruppe“ sprach, gegen die weiter „mit Hochdruck“(bmi.gv.at, 21.3.25) ermittelt würde, kam von der FPÖ keine (uns bekannte) Reaktion. Die oberösterreichischen Grünen verlangten die Einberufung des Landessicherheitsrats. Im Nationalrat wurde mit Stimmen von ÖVP, SPÖ, Neos und Grünen die Erstellung eines Nationalen Aktionsplans „Hate Crime“ beschlossen. „ÖVP, SPÖ, NEOS und Grüne ersuchten die Bundesregierung, einen Plan mit Maßnahmen zu erarbeiten, um vorurteilsmotivierte Verbrechen zu stoppen und vorzubeugen.“ (ots.at, 27.3.25) Die FPÖ-Abgeordnete Dagmar Belakowitsch fand es entgegen aller bisherigen Erkenntnisse „schockierend, dass auch in diesem Fall sofort ausgeschlossen werde, dass die Opfer pädophil gewesen sein könnten“.
Update 30.3.25: Die zwei am 28.3. Verhafteten wurden wieder auf freien Fuß gesetzt. Es bestehe laut Grazer Staatsanwaltschaft „keine Flucht- oder Verabredungsgefahr” (puls24.at, 30.3.25).
Update 7.4.25: Die Staatsanwaltschaft Graz gab die Verlängerung der Untersuchungshaft für die am 21. März festgenommenen 13 Beschuldigten bekannt. (Quelle: puls24.at, 7.4.25)
➡️ Defend Austria, Division Wien und die „Hate Crimes“ – eine Einordnung
➡️ derstandard.at (28.3.25): Wie sich eine Gruppe brutaler Neonazis in Österreich ausbreiten konnte