Wochenrückblick KW 3/23 (Teil 1): Prozesse

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Bemer­kens­wert vie­le Pro­zes­se nach dem Ver­bots­ge­setz wer­den der­zeit an Öster­reichs Lan­des­ge­rich­ten abge­han­delt. Letz­te Woche ging es um Hit­ler­grü­ße­rei, eine braun deko­rier­te Haft­zel­le, um einen Onkel und sei­nen Nef­fen und einen Vater und sei­nen Sohn und um Grup­pen­chats. In einem Pro­zess ging’s the­ma­tisch auch um die der­zei­ti­ge Cau­sa Pri­ma in Öster­reichs Kul­tur­be­trieb: um Datei­en, auf denen sexua­li­sier­te Gewalt gegen Kin­der dar­ge­stellt wird. Aber da war nicht nur das!

Nach­ge­reicht KW 51/23: Inns­bruck: 2.000 Dar­stel­lun­gen sexua­li­sier­ter Gewalt gegen Kin­der, Dro­hun­gen, Wiederbetätigung
Baden-Wie­ner Neustadt/NÖ: „Lecker Eiernockerl“
Wien: Hit­ler­gruß oder Victory-Zeichen?
Wien: 88 und eine Mär­chen­stun­de im Gerichtssaal
Wim­pas­sing-Trat­ten­bach-Wie­ner Neustadt/NÖ: Wie der Onkel, so der Neffe
Loos­dorf-St. Pöl­ten: Brau­nes im Deut­schen Kaiserreich
Wien: Deko­rier­te Zel­le in der JA Simmering
Salz­burg: Brau­ner „Humor“

Nach­ge­reicht KW 51/23: Inns­bruck: 2.000 Dar­stel­lun­gen sexua­li­sier­ter Gewalt gegen Kin­der, Dro­hun­gen, Wiederbetätigung

Im Blitz­tem­po wur­de am 20. Dezem­ber ein Ver­fah­ren gegen einen 26-Jäh­ri­gen aus dem Bezirk Imst am Inns­bru­cker Lan­des­ge­richt abge­han­delt. Ange­klagt wur­de der Tiro­ler u.a. wegen des Ver­ge­hens der gefähr­li­chen Dro­hung, der por­no­gra­phi­schen Dar­stel­lung Min­der­jäh­ri­ger und nach dem Ver­bots­ge­setz, weil er Nazi-Nach­rich­ten ver­schickt haben soll. Das Ver­fah­ren wegen Wie­der­be­tä­ti­gung wur­de aus­ge­schie­den und wird in einem geson­der­ten Pro­zess stattfinden.

Prozessankündigung Verhandlungskalender LG Innsbruck

Pro­zess­an­kün­di­gung Ver­hand­lungs­ka­len­der LG Innsbruck

Der bis­lang unbe­schol­te­ne Ange­klag­te hat­te vier Per­so­nen aus sei­nem Umfeld mehr­fach gedroht, sie umzu­brin­gen. Auf sei­nem Mobil­te­le­fon wur­den 2.000 Datei­en mit Dar­stel­lun­gen sexua­li­sier­ter Gewalt gegen Kin­der gefun­den, die er damit erklär­te, dass ihn Bots auf Snap­chat nicht in Ruhe gelas­sen und ihn auf­ge­for­dert hät­ten, die Datei­en run­ter­zu­la­den. Er sei „genö­tigt“ worden.

Der Ange­klag­te bekann­te sich schul­dig und erhielt eine beding­te Frei­heits­stra­fe von sechs Mona­ten und eine unbe­ding­te Geld­stra­fe von 2.000 Euro. War­um die Stra­fe ange­sichts der doch schwer­wie­gen­den­den Delik­te der­ma­ßen mild aus­ge­fal­len ist, bleibt offen. Der Pro­zess zu den Delik­ten nach dem Ver­bots­ge­setz soll im Febru­ar stattfinden.

Dan­ke an unse­re Prozessbeobachter*innen!

Baden-Wie­ner Neustadt/NÖ: „Lecker Eiernockerl“

Einen Frei­spruch gab’s am 10.1.23 für einen 50-jäh­ri­gen Bade­ner, der am 20. April 2022 auf Face­book ein Foto der berühm­ten Eier­no­ckerl mit grü­nem Salat ange­prie­sen hat­te: „Lecker, Eier­no­ckerl mit grü­nem Salat“.

„Der Bade­ner konn­te aller­dings glaub­haft ver­si­chern, dass er mit dem natio­nal­so­zia­lis­ti­schen Gedan­ken­gut nichts zu tun hat und ein­fach nur „regel­mä­ßig Mahl­zei­ten“ pos­tet. Der Ange­klag­te: ‚Ich wuss­te nicht, dass das Hit­lers Lieb­lings­spei­se ist und wann er Geburts­tag hat, weiß ich auch erst jetzt.‘“ (noen.at, 18.1.23) Der Eier­no­ckerl-Fan will bis zu sei­nem Ver­fah­ren auch nichts über das Ver­bots­ge­setz gewusst haben. Mahlzeit!

Wien: Hit­ler­gruß oder Victory-Zeichen?

Nur ein Vic­to­ry-Zei­chen in Rich­tung Anti­fa will der 48-jäh­ri­ge beschäf­ti­gungs­lo­se Chris­ti­an K. im Zuge einer Coro­na-Demo am 16. Jän­ner 2021 gemacht haben. Zu sei­nem Pech wur­de er dabei von einer Foto­gra­fin abge­bil­det, die die Ges­te – aus ihrer Sicht ein Hit­ler­gruß – noch wäh­rend der Demo zur Anzei­ge brach­te. Dadurch erhielt K. auch einen Haus­be­such von der Poli­zei, die bei ihm auf ins­ge­samt acht Daten­trä­gern Dar­stel­lun­gen von Haken­kreu­zen, SS-Runen, Reichs­ad­lern, Reichs­kriegs­fah­nen, Adolf Hit­ler sowie Audio­da­tei­en, in denen gegen Mus­li­me und dun­kel­häu­ti­ge Men­schen gehetzt wur­de, sicher­ge­stellt hatten.

Wäh­rend des Pro­zes­ses wur­de lang­wie­rig auch mit­tels Vor­zei­gen der Hand­be­we­gung abge­han­delt, wie K.s Ges­te aus­ge­se­hen habe und zu inter­pre­tie­ren sei. Über die Her­kunft der Datei­en aus sei­nen diver­sen Gerät­schaf­ten gab sich der Ange­klag­te voll­kom­men unwis­send: Er wür­de auch ger­ne wis­sen, woher die stammen.

Am Ende setz­te es einen Schuld­spruch, 14 Mona­te bedingt und die Anord­nung für eine Bewäh­rungs­hil­fe. Das Urteil ist bereits rechtskräftig.

Wir dan­ken prozess.report für die Prozessbeobachtung!

Wien: 88 und eine Mär­chen­stun­de im Gerichtssaal

War­um zwei sechs Jah­re alten Fotos, die in einem Pub anläss­lich der Über­tra­gung eines Fuß­ball­spiels zwi­schen Cel­tic Glas­gow und den Glas­gow Ran­gers ent­stan­den sind und den Ange­klag­ten (36 Jah­re) samt sei­nem Vater mit Hit­ler­gruß zei­gen, erst jetzt ver­han­delt wur­den, geht aus dem Pro­zess­be­richt des „Stan­dard“ (16.1.23) nicht her­vor. Der Vater wur­de nicht ange­klagt, „da bei ihm kein sub­jek­ti­ver Tat­vor­satz nach­weis­bar gewe­sen sei“ (derstandard.at) – dar­über zeig­te sich selbst der vor­sit­zen­de Rich­ter Ste­fan Apos­tol ver­wun­dert. Der Ver­tei­di­ger woll­te das auch für den Sohn gel­tend machen, hat­te jedoch zu recht­fer­ti­gen, war­um beim Sohn auch ein­schlä­gi­ge Datei­en im Zuge einer Haus­durch­su­chung gefun­den wur­den. Die sei­en ihm via Whats­App über­mit­telt wor­den, argu­men­tier­te der Anwalt.

Und zwei Vide­os, in denen der sturz­be­trun­ke­ne Ange­klag­te Juden­feind­li­ches grölt? „Herr T. hat mir erklärt, dass er Rapid-Fan ist. Und wer die Fuß­ball­ge­schich­te kennt, weiß, dass Aus­tria Wien in der Zwi­schen­kriegs­zeit als ‚Juden­ver­ein’ bezeich­net wor­den ist. Sie wis­sen aus den Medi­en, wie pri­mi­tiv die­se Fuß­ball­an­hän­ger sind”, lei­tet der Ver­tei­di­ger kühn ab, „die Beschimp­fun­gen haben sich nur gegen Aus­tria-Fans gerich­tet.“ (derstandard.at)

Bei der Erklä­rung um ein beim Ange­klag­ten auf­ge­fun­de­nen Tri­kot mit der Num­mer „88“ setz­te eine gro­ße Mär­chen­stun­de ein.

„Ich habe frü­her Eis­ho­ckey gespielt, und Eric Lin­dros war mein gro­ßes Vor­bild. Und der hat­te die Num­mer 88”, behaup­tet der Ange­klag­te. Der Vor­sit­zen­de beherrscht jedoch die Benut­zung einer Such­ma­schi­ne ein­wand­frei und kann daher die Fra­ge stel­len: „Lin­dros? Wo hat der denn über­all gespielt?” T. zählt meh­re­re Ver­ei­ne auf, dar­un­ter die „Edmon­ton Oilers. Mit denen hat er den Stan­ley Cup gewon­nen.” Apos­tol schaut auf sei­ne Noti­zen. „Nein, für die hat er nie gespielt. Und auch für vie­le der ande­ren Ver­ei­ne, die Sie erwähnt haben, nicht.” Lin­dros gewann den pres­ti­ge­träch­tigs­ten Eis­ho­ckey-Pokal übri­gens über­haupt nie. (derstandard.at)

Nach­dem auch noch Datei­en mit der „88“ gefun­den wur­den, ein Video, auf dem der Ange­klag­te mit aus­ge­steck­tem Arm „Juden­schwei­ne“ gröl­te und wei­te­res ras­sis­ti­sches Mate­ri­al, setz­te es schluss­end­lich einen Schuld­spruch und zwölf Mona­te bedingt.

Wim­pas­sing-Trat­ten­bach-Wie­ner Neustadt/NÖ: Wie der Onkel, so der Neffe

Und wie­der war es ein­mal eine Mischung zwi­schen Alko­hol­kon­sum, Blö­de­lei gar­niert mit angeb­li­cher Unkennt­nis über das Ver­bots­ge­set­zes, die einen Onkel und sei­nen Nef­fen zu den ange­klag­ten Hand­lun­gen gebracht hätten.

„Sieg Heil“- und „Heil Hitler“-Rufe in der Öffent­lich­keit, Bil­der vom Füh­rer und eine Fah­ne mit Haken­kreuz in der Woh­nung, Wehr­machts­kap­pen beim Fei­ern und auf Fotos und juden­feind­li­che Sager vor Freun­den – zwei Män­ner aus dem Bezirk [Neun­kir­chen] – Onkel und Nef­fe — stan­den jetzt wegen Wie­der­be­tä­ti­gung vor Gericht. (noen.at, 17.1.23)

Der Onkel recht­fer­tig­te sei­ne Taten als unter Alko­hol­ein­fluss ent­stan­de­ne „Blöd­heit“ und dass ihm das Haken­kreuz gefal­le, der Nef­fe argu­men­tier­te, er habe Kon­tak­te in die rech­te Sze­ne geknüpft, nach­dem er von Aus­län­dern über­fal­len wor­den sei. Er kon­su­mie­re seit der Haus­durch­su­chung weni­ger Alko­hol und tref­fe sich nun auch mit ande­ren Personen.

„Der Jün­ge­re wur­de zu 20 Mona­ten beding­ter Haft ver­ur­teilt, sein Onkel zu 18 Mona­ten. Für bei­de erging die Wei­sung zur Bewäh­rungs­hil­fe und zur Teil­nah­me am Pro­gramm „Dia­log statt Hass“. Bei­de Urtei­le sind nicht rechts­kräf­tig.“ (17.1.22, noen.at)

Loos­dorf-St. Pöl­ten: Brau­nes im Deut­schen Kaiserreich

Ursprüng­lich sei die Whats­App-Grup­pe ein Zusam­men­schluss von Online-Gamern gewe­sen, die plötz­lich zu „Deut­sches Kai­ser­reich“ umbe­nannt und mit Nazi-Inhal­ten bestückt wor­den sei, erzähl­te der 20-jäh­ri­ge Loos­dor­fer bei sei­nem Pro­zess im Lan­des­ge­richt St. Pöl­ten. Mehr als zwei Jah­re sind in der Grup­pe, die zum Schluss 50 Mit­glie­der zähl­te, die ein­schlä­gi­gen Nach­rich­ten gelaufen.

Betei­ligt an der Ver­brei­tung sol­cher Inhal­te hat­te sich der Ange­klag­te nur an zwei Tagen. Am 15. und 16. März schick­te der jun­ge Mann, wie vie­le ande­re Teil­neh­mer, ins­ge­samt elf Pos­tings in die Whats­app-Grup­pe. Beim 15. März han­delt es sich um das Jubi­lä­um Hit­lers Rede am Hel­den­platz zur Macht­über­nah­me in Öster­reich. (noen.at, 17.1.22)

Unter den Memes, die der Most­viert­ler ver­schickt hat­te, waren laut „Kro­nen Zei­tung“ (18.1.23, S. 16) etli­che Haken­kreu­ze, Fotos von KZ-Häft­lin­gen und ein Por­trät von Hein­rich Himmler.

Der gestän­di­ge und reu­mü­ti­ge Ange­klag­te gab an, damals mit gro­ßen psy­chi­schen Pro­ble­men gekämpft zu haben. Die bereits rechts­kräf­ti­ge Stra­fe fiel nach dem ein­stim­mi­gen Schuld­spruch mild aus: sechs Mona­te bedingt, dazu eine ver­pflich­ten­de Bewäh­rungs­hil­fe und psy­cho­the­ra­peu­ti­sche Behandlung.

Wien: Deko­rier­te Zel­le in der JA Simmering

Bereits vier Vor­stra­fen hat der 20 jäh­ri­ge Ange­klag­te, der aus der Jus­tiz­an­stalt Sim­me­ring, wo er seit einem Jahr eine Stra­fe absitzt, am Lan­des­ge­richt Wien vor­ge­führt wur­de, auf sei­nem Kon­to. Vor­ge­wor­fen wird ihm dies­mal, dass er eine Zel­le in der Jus­tiz­an­stalt braun aus­ge­stal­tet haben soll. So zier­ten etwa SS-Runen, ein Eiser­nes Kreuz, die „88“, ein Haken­kreuz den Haft­raum und Gegenstände.

Da der Ange­klag­te angab, die „Dekos“ wür­den nicht von ihm, son­dern von einem ande­ren Häft­ling stam­men, wur­de der Pro­zess ver­tagt, um wei­te­re Zeu­gen zu laden. Die Ver­tei­di­gung bean­trag­te zusätz­lich ein gra­pho­lo­gi­sches Gut­ach­ten zur SS-Rune.

Wir dan­ken prozess.report für die Prozessbeobachtung!

Salz­burg: Brau­ner „Humor“

Die „Salz­bur­ger Nach­rich­ten“ (18.1.23, S. 4) berich­ten über einen Pro­zess am Lan­des­ge­richt Salzburg:

Ein gelern­ter Bank­kauf­mann muss­te am Diens­tag wegen Ver­bre­chen nach dem Ver­bots­ge­setz vor einem Geschwo­re­nen­ge­richt Platz neh­men. Staats­an­walt Chris­toph Wan­ca­ta las­te­te dem gelern­ten Bank­kauf­mann an, er habe ins­ge­samt 54 Whats­App-Nach­rich­ten ver­schickt, in denen die Per­son Adolf Hit­ler ver­herr­licht bzw. der Natio­nal­so­zia­lis­mus mit sei­nen Zie­len posi­tiv dar­ge­stellt wor­den sei. Mit dem Ver­sen­den der pro­pa­gan­dis­ti­schen Pos­tings habe der Ange­klag­te bei den Emp­fän­gern den Ein­druck erweckt, er sei eine Hit­ler und der NS-Zeit gegen­über auf­ge­schlos­se­ne Per­son. Der 52-Jäh­ri­ge bekann­te sich nicht schul­dig. Sein Ver­tei­di­ger sag­te, für sei­nen Man­dan­ten sei­en die Pos­tings „schwar­zer Humor“ gewe­sen. Die Geschwo­re­nen erkann­ten den Ange­klag­ten für schul­dig. Urteil: 18 Mona­te beding­te Haft, rechtskräftig.