Ein alter Hardcore-Nazi vor Gericht

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Vor dem Ver­hand­lungs­saal war­te­te ein sicht­lich ver­är­ger­ter Ange­klag­ter auf den Ein­lass. Sei­ne knap­pen Wort­mel­dun­gen wäh­rend der Ver­hand­lung gaben dann Auf­schluss über den Ärger: Die Ankla­ge wegen NS-Wie­der­be­tä­ti­gung bzw. den Pro­zess am 19. Jän­ner betrach­te­te er als straf­recht­li­chen Irr­tum. In sei­ner Ver­gan­gen­heit war er näm­lich eine bedeu­ten­de Figur der Neo­na­zi-Sze­ne und trotz­dem nie ver­ur­teilt wor­den. Und jetzt soll­te er wegen eini­ger Chats und Nazi-Kram ver­ur­teilt wer­den? Mehr als ein Prozessbericht.

Schon in sei­nem ein­lei­ten­den State­ment ver­sucht der Ver­tei­di­ger von Tho­mas H., Wer­ner Toma­nek, Alter Herr der Bur­schen­schaft Olym­pia, den Geschwo­re­nen zu ver­deut­li­chen, über wen und was sie da zu urtei­len haben. Tho­mas H. sei frü­her ein­mal ein wirk­lich schwe­rer Nazi („Hard­core“) gewe­sen, auf Du und Du mit den Grö­ßen der Sze­ne in Deutsch­land und Öster­reich, sei wegen sei­nes Ein­sat­zes als Söld­ner in Kroa­ti­en für staa­ten­los erklärt wor­den, habe sich danach „kon­so­li­diert“. Er sei zwar „nicht ideo­lo­gisch kon­ver­tiert“, wer­de aber jetzt wegen abso­lu­ter Lap­pa­li­en ange­klagt, die über­haupt nicht zu ver­glei­chen sei­en mit dem, was er frü­her auf­ge­führt habe und wofür er aber straf­frei geblie­ben sei.

Thomas H. (im Hintergrund) mit seinem Verteidiger Tomanek (© Presseservice Wien)

Tho­mas H. (im Hin­ter­grund) mit sei­nem Ver­tei­di­ger Toma­nek (© Pres­se­ser­vice Wien)

Tho­mas H. war – vor sei­nem Ein­satz in Kroa­ti­en Anfang der 1990er-Jah­re als Söld­ner – deut­scher Staats­bür­ger. Er war Chef von rechts­extre­men Skin­heads, der sich durch sei­nen kör­per­li­chen Ein­satz in der Neo­na­zi-Sze­ne nach oben prü­gel­te – bis zum Gau­lei­ter Ost­west­fa­len-Lip­pe in Micha­el Küh­nens Nazi­trup­pe „Gesin­nungs­ge­mein­schaft der Neu­en Front“ (GdNF), die sich strikt am 25-Punk­te-Pro­gramm der NSDAP ori­en­tier­te. Dort lern­te Tho­mas H. auch die öster­rei­chi­schen Neo­na­zis um Gott­fried Küs­sel und Hans­jörg Schi­ma­nek juni­or kennen.

Thomas H. mit Michael Kühnen, Christian Worch, Thomas Brehl und Walther Matthaei beim Kühnengruß

Tho­mas H. mit Micha­el Küh­nen, Chris­ti­an Worch, Tho­mas Brehl und Walt­her Mat­thaei beim Küh­nen­gruß (von links nach rechts)

Fast schon absurd ist, dass über die­se Lebens­pe­ri­ode von Tho­mas H. weit­aus mehr bekannt ist als über die Jah­re, die er seit­her in Öster­reich lebt. 1995 sei er nach Öster­reich gezo­gen, so sei­ne Aus­sa­ge vor Gericht. Der Staats­schüt­zer, der zu ihm als Zeu­ge befragt wur­de, erzählt, dass Tho­mas H. in der VAPO (Volks­treue Außer­par­la­men­ta­ri­sche Oppo­si­ti­on) aktiv gewe­sen sei und auch in der Wehr­sport­grup­pe des Hans­jörg Schi­ma­nek juni­or. Das geht sich mit sei­nen Anga­ben aller­dings nicht aus, denn die VAPO, die öster­rei­chi­scher (‚Ost­mark‘.) Able­ger der GdNF war, war Mit­te der 90er-Jah­re infol­ge Zer­schla­gung durch staat­li­che Repres­si­on schon tot, Schi­ma­nek juni­or und Küs­sel hin­ter Git­tern. Gesi­chert ist, dass Tho­mas H. auch schon vor 1995 in Wien leb­te – zeit­wei­se. So wie Gott­fried Küs­sel und ande­re Ösi-Nazis ihr Domi­zil damals zeit­wei­se in Ber­lin in der Weit­ling­s­tra­ße 122 auf­ge­schla­gen hatten.

Ehemalige Nazizentrale Berlin-Weitlingstrasse

Ehe­ma­li­ge Nazi­zen­tra­le Berlin-Weitlingstrasse

Es war eine ziem­lich beweg­te Zeit in der Nazi-Sze­ne, die Tho­mas H. damals durch­leb­te. Gau­lei­ter in Ost­west­fa­len-Lip­pe, Woh­nen in Ber­lin und Wien, Söld­ner in Kroa­ti­en und dazwi­schen immer wie­der Prü­ge­lei­en und „Kampf­ein­sät­ze“ vor Ort wie in Ros­tock-Lich­ten­ha­gen im August 1992, wo H. wie so vie­le ande­re her­bei­ge­karr­te Neo­na­zis an tage­lan­gen pogrom­ar­ti­gen ras­sis­ti­schen Aus­schrei­tun­gen gegen ehe­ma­li­ge viet­na­me­si­sche (DDR-) Ver­trags­ar­bei­ter betei­ligt war bzw. gesich­tet wurde.

Gut doku­men­tiert sind die­se Jah­re, die Per­son Tho­mas H. und sei­ne Akti­vi­tä­ten in dem Buch von Micha­el Schmidt: „Heu­te gehört uns die Stra­ße …“, das 1993 bei Econ erschie­nen ist. Dar­in beschreibt Schmidt auch, dass Tho­mas H. eine Schüs­sel­rol­le bei dem Plan hat­te, eine neo­na­zis­ti­sche Söld­ner­trup­pe auf Sei­ten des Irak 1990 in den Golf­krieg zu schi­cken. Spä­ter, Anfang 1992, ging Tho­mas H. als Söld­ner für eini­ge Wochen oder Mona­te nach Kroa­ti­en, wo er im Groß­raum Osi­jek für die „Erhal­tung der wei­ßen Ras­se gegen das Ser­ben­tum“ gekämpft haben will. Schmidt, der für sein Buch vie­le Gesprä­che mit H. geführt hat: „Stolz brüs­tet er sich mit einer mili­tä­ri­schen Aus­zeich­nung, die er ‚für sechs­zehn erschos­se­ne Ser­ben‘ erhält.“ Ob das stimmt? Ange­be­rei? In einem „Spiegel“-Beitrag über die Nazi-Söld­ner in Kroa­ti­en („und mor­gen schon tot“) aus dem Jahr 1992 wird Tho­mas H. damit erwähnt, dass er eini­ge (ser­bi­sche) Tschet­nik- Stel­lun­gen mit aus­ge­ho­ben haben will, die meis­te Zeit aber in Kel­lern saß.

Im Pro­zess kamen die­se Wochen, die Söld­ner-Akti­vi­tä­ten des Ange­klag­ten nur am Ran­de vor, als Gerau­ne sei­nes Ver­tei­di­gers, der damit nur unter­strei­chen woll­te, dass das, was die Ankla­ge Tho­mas H. vor­wirft, „Unfug“ ist, eine Lap­pa­lie zu dem, was H. frü­her getrie­ben hat­te und wofür er anschei­nend nie ver­ur­teilt wur­de. Das für ihn in Deutsch­land und Öster­reich abge­frag­te Straf­re­gis­ter weist jeden­falls kei­ne Vor­stra­fen aus: ein blü­ten­wei­ßer Brauner.

Der als Zeu­ge ein­ver­nom­me­ne Staats­schüt­zer kann nur erklä­ren, wie es zu der Ankla­ge gekom­men ist. In den Chats, die auf Wolf­gang L.s Smart­phone gefun­den wur­den, fan­den sich auch ein­schlä­gi­ge, mit Tho­mas H. aus­ge­tausch­te Nach­rich­ten. Das ver­an­lass­te die Staats­an­walt­schaft Wien unter ande­rem zu einer Haus­durch­su­chung bei Tho­mas H.. Da wur­de zwar aller­lei Nazi­schrott gefun­den, nicht aber die Chat-Nach­rich­ten mit Wolf­gang L. H. hat­te näm­lich sei­ne Chats mit Wolf­gang L. schon gelöscht – da schau her! Aber schon gut, dass sie Wolf­gang L. für die Behör­den noch zur Ver­fü­gung stel­len konn­te. Der Tho­mas H. war also gewis­ser­ma­ßen ein Zufallsfund.

Alle Chats waren aber offen­bar auch bei Tho­mas H. noch nicht gelöscht. Jeden­falls wur­den sol­che mit Cle­mens Otten und Tho­mas Wulff noch gefun­den und auch in die Ankla­ge mit­auf­ge­nom­men. Für unse­re geneig­te Leser*innenschaft müs­sen wir jetzt aller­dings erklä­ren, wer der Herr Wulff und der Herr Otten sind. Bei Tho­mas Wulff, Nick­na­me „Stei­ner“ (nach dem SS-Ober­grup­pen­füh­rer Felix Stei­ner), han­delt es sich um einen aus der deut­schen Neo­na­zi-Ober­li­ga, mitt­ler­wei­le aber eher am abstei­gen­den Ast. H. und Wulff ken­nen sich aus der Zeit, wo sie bei­de Füh­rungs­ka­der der GdNF waren. Aus der neo­na­zis­ti­schen NPD trat Wulff 2016 aus, nach­dem dort ein Aus­schluss­ver­fah­ren gegen ihn betrie­ben wur­de, weil er den NPD-Nazis zu viel Nazi war.

Der ande­re Chat-Part­ner, Cle­mens Otten, war 2002 Anmel­der der neo­na­zis­ti­schen Demo gegen die Wehr­machts­aus­stel­lung in Wien. Zeit­wei­se schmück­te er sich mit dem Titel „Gene­ral­se­kre­tär des RFJ“ (Ring Frei­heit­li­cher Jugend) und zeich­ne­te als sol­cher gemein­sam mit Domi­nik Nepp (jetzt Wie­ner FPÖ-Obmann) eine ras­sis­ti­sche Pres­se­aus­sendung, in der bei­de als „Rich­tungs­ent­schei­dung“ beju­bel­ten, dass der RFJ Wien einer tür­ki­schen Jugend­li­chen die Mit­glied­schaft verwehrte.

Clemens Otten auf Twitter

Cle­mens Otten auf Twitter

Wolf­gang L., Cle­mens Otten und Tho­mas Wulff waren jeden­falls die amt­lich bestä­tig­ten Chat­part­ner von Tho­mas H. im Zeit­raum 2016–2020. Was schreibt man sich denn da so zwi­schen den Kame­ra­den? Tho­mas H. ver­sucht es zunächst mit einer kal­mie­ren­den Ant­wort: „Ich habe nur wei­ter­ge­lei­tet, nicht posi­tiv kom­men­tiert.“ Nun ja, zum Geburts­tag Adorf Hit­lers, am 20.4.2017 schrieb er etwa: „Moin! Alles Gute zum Geburts­tag. Der Kampf geht wei­ter!“. Zu einem Foto des SS-Gene­rals Paul Haus­ser schrieb Tho­mas H.: „Ein Volk, das sol­che Män­ner her­vor­bringt, besteht die här­tes­ten Prü­fun­gen.

Das ist kei­ne neu­tra­le „Wei­ter­lei­tung“! Also ver­such­te es H. noch mit dem Schmäh, das öster­rei­chi­sche Ver­bots­ge­setz in sei­ner Stren­ge nicht wirk­lich erfasst zu haben, dann auch noch damit, dass es sich um sati­ri­sche Kom­men­ta­re gehan­delt habe. Die auf­merk­sa­me Staats­an­wäl­tin räum­te ihm die­se Aus­re­den ab, die Geschwo­re­nen glaub­ten sie ihm auch nicht, urteil­ten sehr dif­fe­ren­ziert über sei­ne Schuld mit dem Ergeb­nis, dass ihm als Stra­fe 18 Mona­te bedingt zuge­mes­sen wur­den. „Neh­men wir“, war die erleich­ter­te Ant­wort aus dem Ver­tei­di­ge­reck. Die Staats­an­walt­schaft hat sich noch nicht erklärt – das Urteil ist daher noch nicht rechtskräftig.

P.S.: Im 1993 erschie­ne­nen Buch „Auf­bruch der Völ­ki­schen“ (Picus-Ver­lag) des lei­der all­zu früh ver­stor­be­nen Jour­na­lis­ten und Rechts­extre­mis­mus-Exper­ten Wolf­gang Purtschel­ler wird Tho­mas H. auch kurz erwähnt, aller­dings mit einem fal­schen Geburts­jahr 1964 statt rich­tig: 1968. In der Fol­ge heißt es über ihn: „‘Bereichs­lei­ter West‘ der GdNF, des öfte­ren in der Ost­mark beim Wehr­sport gesich­tet, ‚Ordnerdienst‘-Gschaftlhuber bei den Wun­sie­del-Demos; 1992 ver­ding­te sich H. [Name von SdR abge­kürzt] als Söld­ner in Kroa­ti­en, er prahl­te in RTL damit, ‚meh­re­re Tschet­nik, Bun­ker aus­ge­räu­chert‘ zu haben.

Pro­zess­be­richt in den Medien:
➡️ NS-Pro­zess um Opas Por­trät und „sati­ri­sche” Nach­rich­ten (Stan­dard)
➡️ Ex-Söld­ner mit brau­ner Ver­gan­gen­heit wegen Haken­kreuz-Eiern vor Gericht (Kurier; Paywall)