Schon in seinem einleitenden Statement versucht der Verteidiger von Thomas H., Werner Tomanek, Alter Herr der Burschenschaft Olympia, den Geschworenen zu verdeutlichen, über wen und was sie da zu urteilen haben. Thomas H. sei früher einmal ein wirklich schwerer Nazi („Hardcore“) gewesen, auf Du und Du mit den Größen der Szene in Deutschland und Österreich, sei wegen seines Einsatzes als Söldner in Kroatien für staatenlos erklärt worden, habe sich danach „konsolidiert“. Er sei zwar „nicht ideologisch konvertiert“, werde aber jetzt wegen absoluter Lappalien angeklagt, die überhaupt nicht zu vergleichen seien mit dem, was er früher aufgeführt habe und wofür er aber straffrei geblieben sei.
Skinhead, Söldner und „Gauleiter”
Thomas H. war – vor seinem Einsatz in Kroatien Anfang der 1990er-Jahre als Söldner – deutscher Staatsbürger. Er war Chef von rechtsextremen Skinheads, der sich durch seinen körperlichen Einsatz in der Neonazi-Szene nach oben prügelte – bis zum Gauleiter Ostwestfalen-Lippe in Michael Kühnens Nazitruppe „Gesinnungsgemeinschaft der Neuen Front“ (GdNF), die sich strikt am 25-Punkte-Programm der NSDAP orientierte. Dort lernte Thomas H. auch die österreichischen Neonazis um Gottfried Küssel und Hansjörg Schimanek junior kennen.
Fast schon absurd ist, dass über diese Lebensperiode von Thomas H. weitaus mehr bekannt ist als über die Jahre, die er seither in Österreich lebt. 1995 sei er nach Österreich gezogen, so seine Aussage vor Gericht. Der Staatsschützer, der zu ihm als Zeuge befragt wurde, erzählt, dass Thomas H. in der VAPO (Volkstreue Außerparlamentarische Opposition) aktiv gewesen sei und auch in der Wehrsportgruppe des Hansjörg Schimanek junior. Das geht sich mit seinen Angaben allerdings nicht aus, denn die VAPO, die österreichischer (‚Ostmark‘.) Ableger der GdNF war, war Mitte der 90er-Jahre infolge Zerschlagung durch staatliche Repression schon tot, Schimanek junior und Küssel hinter Gittern. Gesichert ist, dass Thomas H. auch schon vor 1995 in Wien lebte – zeitweise. So wie Gottfried Küssel und andere Ösi-Nazis ihr Domizil damals zeitweise in Berlin in der Weitlingstraße 122 aufgeschlagen hatten.
Es war eine ziemlich bewegte Zeit in der Nazi-Szene, die Thomas H. damals durchlebte. Gauleiter in Ostwestfalen-Lippe, Wohnen in Berlin und Wien, Söldner in Kroatien und dazwischen immer wieder Prügeleien und „Kampfeinsätze“ vor Ort wie in Rostock-Lichtenhagen im August 1992, wo H. wie so viele andere herbeigekarrte Neonazis an tagelangen pogromartigen rassistischen Ausschreitungen gegen ehemalige vietnamesische (DDR-) Vertragsarbeiter beteiligt war bzw. gesichtet wurde.
Gut dokumentiert sind diese Jahre, die Person Thomas H. und seine Aktivitäten in dem Buch von Michael Schmidt: „Heute gehört uns die Straße …“, das 1993 bei Econ erschienen ist. Darin beschreibt Schmidt auch, dass Thomas H. eine Schüsselrolle bei dem Plan hatte, eine neonazistische Söldnertruppe auf Seiten des Irak 1990 in den Golfkrieg zu schicken. Später, Anfang 1992, ging H. als Söldner für einige Wochen oder Monate nach Kroatien, wo er im Großraum Osijek für die „Erhaltung der weißen Rasse gegen das Serbentum“ gekämpft haben will. Schmidt, der für sein Buch viele Gespräche mit H. geführt hat: „Stolz brüstet er sich mit einer militärischen Auszeichnung, die er ‚für sechszehn erschossene Serben‘ erhält.“ Ob das stimmt? Angeberei? In einem „Spiegel“-Beitrag über die Nazi-Söldner in Kroatien („und morgen schon tot“) aus dem Jahr 1992 wird Thomas H. damit erwähnt, dass er einige (serbische) Tschetnik-Stellungen mit ausgehoben haben will, die meiste Zeit aber in Kellern saß.
H. vor Gericht
Im Prozess kamen diese Wochen, die Söldner-Aktivitäten des Angeklagten nur am Rande vor, als Geraune seines Verteidigers, der damit nur unterstreichen wollte, dass das, was die Anklage Thomas H. vorwirft, „Unfug“ ist, eine Lappalie zu dem, was H. früher getrieben hatte und wofür er anscheinend nie verurteilt wurde. Das für ihn in Deutschland und Österreich abgefragte Strafregister weist jedenfalls keine Vorstrafen aus: ein blütenweißer Brauner.
Der als Zeuge einvernommene Staatsschützer kann nur erklären, wie es zu der Anklage gekommen ist. In den Chats, die auf Wolfgang L.s Smartphone gefunden wurden, fanden sich auch einschlägige, mit Thomas H. ausgetauschte Nachrichten. Das veranlasste die Staatsanwaltschaft Wien unter anderem zu einer Hausdurchsuchung bei Thomas H.. Da wurde zwar allerlei Nazischrott gefunden, nicht aber die Chat-Nachrichten mit Wolfgang L. H. hatte nämlich seine Chats mit Wolfgang L. schon gelöscht – da schau her! Aber schon gut, dass sie Wolfgang L. für die Behörden noch zur Verfügung stellen konnte. Der Thomas H. war also gewissermaßen ein Zufallsfund.
Alle Chats waren aber offenbar auch bei Thomas H. noch nicht gelöscht. Jedenfalls wurden solche mit Clemens Otten und Thomas Wulff noch gefunden und auch in die Anklage mitaufgenommen. Für unsere geneigte Leser*innenschaft müssen wir jetzt allerdings erklären, wer der Herr Wulff und der Herr Otten sind. Bei Thomas Wulff, Nickname „Steiner“ (nach dem SS-Obergruppenführer Felix Steiner), handelt es sich um einen aus der deutschen Neonazi-Oberliga, mittlerweile aber eher am absteigenden Ast. H. und Wulff kennen sich aus der Zeit, wo sie beide Führungskader der GdNF waren. Aus der neonazistischen NPD trat Wulff 2016 aus, nachdem dort ein Ausschlussverfahren gegen ihn betrieben wurde, weil er den NPD-Nazis zu viel Nazi war.
Der andere Chat-Partner, Clemens Otten, war 2002 Anmelder der neonazistischen Demo gegen die Wehrmachtsausstellung in Wien. Zeitweise schmückte er sich mit dem Titel „Generalsekretär des RFJ“ (Ring Freiheitlicher Jugend) und zeichnete als solcher gemeinsam mit Dominik Nepp (jetzt Wiener FPÖ-Obmann) eine rassistische Presseaussendung, in der beide als „Richtungsentscheidung“ bejubelten, dass der RFJ Wien einer türkischen Jugendlichen die Mitgliedschaft verwehrte.
Wolfgang L., Clemens Otten und Thomas Wulff waren jedenfalls die amtlich bestätigten Chatpartner von Thomas H. im Zeitraum 2016–2020. Was schreibt man sich denn da so zwischen den Kameraden? Thomas H. versucht es zunächst mit einer kalmierenden Antwort: „Ich habe nur weitergeleitet, nicht positiv kommentiert.“ Nun ja, zum Geburtstag Adorf Hitlers, am 20.4.2017 schrieb er etwa: „Moin! Alles Gute zum Geburtstag. Der Kampf geht weiter!“. Zu einem Foto des SS-Generals Paul Hausser schrieb Thomas H.: „Ein Volk, das solche Männer hervorbringt, besteht die härtesten Prüfungen.“
Das ist keine neutrale „Weiterleitung“! Also versuchte es H. noch mit dem Schmäh, das österreichische Verbotsgesetz in seiner Strenge nicht wirklich erfasst zu haben, dann auch noch damit, dass es sich um satirische Kommentare gehandelt habe. Die aufmerksame Staatsanwältin räumte ihm diese Ausreden ab, die Geschworenen glaubten sie ihm auch nicht, urteilten sehr differenziert über seine Schuld mit dem Ergebnis, dass ihm als Strafe 18 Monate bedingt zugemessen wurden. „Nehmen wir“, war die erleichterte Antwort aus dem Verteidigereck. Die Staatsanwaltschaft hat sich noch nicht erklärt – das Urteil ist daher noch nicht rechtskräftig.
P.S.: Im 1993 erschienenen Buch „Aufbruch der Völkischen“ (Picus-Verlag) des leider allzu früh verstorbenen Journalisten und Rechtsextremismus-Experten Wolfgang Purtscheller wird Thomas H. auch kurz erwähnt, allerdings mit einem falschen Geburtsjahr 1964 statt richtig: 1968. In der Folge heißt es über ihn: „‘Bereichsleiter West‘ der GdNF, des öfteren in der Ostmark beim Wehrsport gesichtet, ‚Ordnerdienst‘-Gschaftlhuber bei den Wunsiedel-Demos; 1992 verdingte sich H. [Name von SdR abgekürzt] als Söldner in Kroatien, er prahlte in RTL damit, ‚mehrere Tschetnik, Bunker ausgeräuchert‘ zu haben.“
Prozessbericht in den Medien:
➡️ NS-Prozess um Opas Porträt und „satirische” Nachrichten (Standard)
➡️ Ex-Söldner mit brauner Vergangenheit wegen Hakenkreuz-Eiern vor Gericht (Kurier; Paywall)