Im März 2009 ging die klar neonazistisch ausgerichtete Website alpen-donau.info online. Die Betreiber konnten zwei Jahre lang ungehindert ihren braunen Müll verbreiten. Das Argument der Exekutive war: Der Server, auf dem die Website lag, befand sich in den USA. Etwa zur selben Zeit wie Alpen-Donau ging in Deutschland ein Neonazi-Webradio („Widerstand-Radio”) online, das ebenfalls von einem US-amerikanischen Server aus betrieben wurde. Von der Aufnahme der Ermittlungen bis zu den Verurteilungen der Betreiber hat es nur eineinhalb Jahre gebraucht.
Karl Öllinger hat am Tag nach Küssels Verhaftung einen Kommentar geschrieben, darüber, wie in Österreich geschlafen und verzögert wurde, was schief gelaufen ist, und darüber, wie zuerst sogar Gegner von alpen-donau kriminalisiert wurden.
Alpen-Donau-Nazis: Von allzu langen Ermittlungen – Karl Öllinger am 12.4.2011
Gottfried Küssel und eine weitere Person wurden gestern Abend auf Anordnung der Staatsanwaltschaft im Zusammenhang mit Alpen-Donau festgenommen, sechs Hausdurchsuchungen wurden in Wien und der Steiermark durchgeführt. Das ist gut so. Wenn allerdings die Staatsanwaltschaft in einer Pressemitteilung darüber jammert, dass die Ermittlungen behindert wurden „durch öffentlichkeitswirksame Diskussion von Verdachtslagen“, dann hat sie offensichtlich noch immer einiges nicht begriffen.
Ab März 2009 waren die Website alpen-donau.info und das geheime Forum der Nazis (alinfodo.com) online. Zwei lange Jahre, in denen es rund 200 Anzeigen und Sachverhaltsdarstellungen gegen die Betreiber gegeben hat.
Und was ist passiert? Kriminalisiert wurden zunächst einmal Gegner von alpen-donau. Vier Monate nach Eröffnung der Nazi-Homepage wurden nach einer Anzeige der FPÖ blitzartig Ermittlungen durch die Polizei gegen den Kriminalbeamten Uwe Sailer und mich aufgenommen. Ebenso blitzartig hat sich das Parlament entschlossen, einen Untersuchungsausschuss einzurichten, der die Vorwürfe der FPÖ gegen Sailer und mich untersuchen sollte. Die strafrechtlichen Ermittlungen gegen Sailer und mich wurden vor kurzem eingestellt, der Untersuchungsausschuss brachte einige für die FPÖ unangenehme Ergebnisse. Sailer wurde 2009 vom Dienst suspendiert und mit einem Disziplinarverfahren bedacht.
Die Neonazis um alpen-donau haben in diesen langen zwei Jahren nicht nur allgemeine Hetze und Wiederbetätigung betrieben, sondern etliche Personen auch konkret bedroht: „Wir werden herausfinden wo du wohnst, und dann [wird] es dir leid tun was du getan hast.” Einem jungen Familienvater, der engagiert einen Blog gegen alpen-donau betrieb, wurde das Bild seiner Tochter mit einer Drohung geschickt. Einem anderen ein Stück Strick. Dutzende Personen wurden auf der Homepage von alpen-donau mit Foto und Adresse vorgeführt, bei etlichen zu einem Hausbesuch ermuntert.
Zwei Jahre lang erklärte der Verfassungsschutz gebetsmühlenartig, dass der Server von alpen-donau in den USA liege und man daher keinen Zugang zu den Daten der Betreiber habe. Im Sommer 2010 brachte ich gemeinsam mit meinen grünen KollegInnen eine umfangreiche parlamentarische Anfrage zu alpen-donau ein. Wir sind beunruhigt, weil wir wissen, dass der Vater eines von uns im Dunstkreis von alpen-donau georteten Rechtsextremen beim Bundesamt für Verfassungsschutz tätig ist. Wir nennen den Namen des Sohnes gemeinsam mit den von anderen Verdächtigen in der Anfrage – ein Fingerzeig an die Behörden! Gottfried Küssel rangiert in unserer Anfrage allerdings an erster Stelle. Und was passiert? Im Herbst wird der betroffene Beamte klammheimlich von der Observationsabteilung des BVT abgezogen und versetzt.
Kurz darauf, Ende Oktober 2010, nach eineinhalb Jahren (!) Nazi-Propaganda, finden dann erstmals Hausdurchsuchungen statt: 18, hieß es damals – und nicht 13, wie die Staatsanwaltschaft heute schreibt. Aber wir wollen nicht kleinlich sein! Was wir aber nicht so schnell vergessen: dass bei Gottfried Küssel eine Hausdurchsuchung einen Tag vor den anderen stattfand und der Öffentlichkeit nachher erklärt wurde, die Küssel-Razzia habe unabhängig von den anderen stattgefunden und Küssel werde nicht wegen alpen-donau verdächtigt. Guten Morgen, Exekutive! Wer trägt denn für diese wunderbar koordinierte Aktion Verantwortung?
Zur gleichen Zeit wie die Hausdurchsuchungen bei alpen-donau finden in der BRD ebenfalls 18 Hausdurchsuchungen gegen die Betreiber des Nazi-Internet-Radios „Widerstand-Radio“ (WR) statt. Die Betreiber wurden festgenommen und am 11.4.2011, also zum Zeitpunkt der neuerlichen alpen-donau-Razzia, verurteilt. Die Übereinstimmungen sind ebenso frappierend wie die Unterschiede. Ein Jahr haben die Behörden in der BRD gegen das Nazi-Radio, das ebenfalls über einen US-Server (möglicherweise über den gleichen wie alpen-donau) lief, ermittelt, dann haben sie gehandelt: Die Täter sind bereits verurteilt. Dauer vom Beginn der Ermittlungen bis zum Urteil: eineinhalb Jahre.
In Österreich gibt es nach zwei Jahren, vielen Drohungen und noch mehr Hetze durch alpen-donau die ersten zwei Festnahmen. Und was erklärt uns die Staatsanwaltschaft? „Aus kriminaltaktischen Gründen konnte es daher gerade nicht im Interesse der Ermittlungsbehörden liegen, eine wie von der Öffentlichkeit immer wieder geforderte Sperre der Seite zu verfügen.“ [Hervorhebungen SdR] Die Staatsanwaltschaft Wien sagt uns damit durch die Blume, sie hätte gerne alpen-donau noch ein wenig länger online gesehen. Wie viele Jahre braucht es, bis die Ermittlungsbehörden in Österreich genügend Erkenntnisse über die Betreiber einer Nazi-Seite haben? Drei Jahre, vier Jahre? Und wie erklärt das die Staatsanwaltschaft den Bedrohten? Verhaltet Euch ruhig – in einem Jahr sind wir so weit!?
Was die Staatsanwaltschaft (und nicht nur sie!) offensichtlich nicht wahrhaben will: Erst der öffentliche Druck, die immer deutlicher werdenden Forderungen nach Ermittlungsergebnissen und – ja! — auch die Arbeit von „Stoppt die Rechten“ (und vielen anderen) haben dazu geführt, dass etwas weitergeht – hoffentlich!
Karl Öllinger heute, zehn Jahre danach (aus Datum, 4.2021):
Mein Datum : 11. April 2011
Der grüne Ex-Nationalratsabgeordnete Karl Öllinger über die Verhaftung des Neonazis Gottfried Küssel.
Dieser Tag war einer der Höhepunkte meiner Bemühungen gegen Neonazismus und Rechtsextremismus. Durch meine Arbeit bei den Alternativen GewerkschafterInnen kam ich mit Zeitzeugen des Holocausts in Kontakt und wurde so gegenüber Antisemitismus sehr sensibel. Ich war schon als Parlamentarier immer die Ansprechperson, wenn es um Rechtsextremismus ging. So kam auch damals, 2009, jemand aus meinem Klub zu mir und zeigte mir die Seite Alpen-Donau.info. Alpen-Donau war eine klar neonazistische Seite mit zugangsbeschränktem Forum nur für registrierte Nutzer.
Aber schon auf der öffentlichen Website waren Aufrufe zu kriminellen Handlungen, Drohungen und Gewalttaten gegenüber Linken oder antisemitische Postings zu lesen. Abschiedsfloskeln wie › Heil Hitler ‹ waren keine Seltenheit.
Meine Mitarbeiter und ich beobachteten die Seite, um herauszufinden, wer dahinter stand. Uns berichtete auch eine Person aus dem internen Forum. Sie ließ uns Screenshots von den Unterhaltungen zukommen, und wir haben sie analysiert. Durch ein bestimmtes Ritual konnten wir einige Identitäten erkennen: Jedes neue Mitglied des internen Forums verfasste als erstes einen Vorstellungspost.
In diesem wurde zwar nicht explizit die Identität preisgegeben, aber oft doch bestimmte persönliche Informationen, die wir im Verlauf der Recherchen zuordnen konnten. Durch den Insider im Forum und unsere Schlussfolgerungen kamen wir dann nach und nach auf Verbindungen zur FPÖ und Gottfried Küssel. Das war sehr viel Aufwand und Netzwerkarbeit zwischen mir, meinen Mitarbeitern, Institutionen wie dem Dokumentationsarchiv und manchen Journalisten.
2010 nahm der Verfassungsschutz Ermittlungen gegen Alpen-Donau auf. Als Küssel am 11. April 2011 endlich verhaftet wurde, war das eine Befreiung für mich. Ich habe gejubelt. Es war ein Zeichen, dass Neonazismus und Antisemitismus in so einem Ausmaß in Österreich nicht toleriert wird. Doch es war leider wie mit den Köpfen der Hydra: Man schlägt einen ab, und es wachsen gleich wieder drei nach. Küssel ist nach sieben Jahren Haft heute in den ersten Reihen der Coronaleugner-Demonstrationen zu sehen, in der ›Querfront‹. Er nutzt die Öffentlichkeit, um sich in den Medien immer wieder in Erinnerung zu rufen.
Erstaunlich ist auch, wie wenig es manche Menschen stört, dass sie da an der Seite von Neonazis demonstrieren. Sogar politische Funktionäre gehen mit. So etwas geht nur in Österreich.
„Alles richtig gemacht“, würde es heute wohl heißen, wenn wir das Credo des damaligen Generaldirektors für öffentliche Sicherheit, Herbert Anderl, sarkastisch einordnen müssten. Dass das Abschalten der Website (und des Forums) zwei Jahre gedauert hat: Ging nicht anders! Verbindungen aus der FPÖ und aus der Exekutive zu Alpen-Donau: Gab’s keine. Neonazismus in Österreich?: Kein Problem!
Armin Wolf interviewt am 12.4.2011 den Generaldirektor für öffentliche Sicherheit Herbert Anderl zur Verhaftung von Gottfried Küssel