In seinem Vorwort versucht sich schon Innenminister Sobotka an dem „relativ neuen“ Phänomen der „sogenannten ‚Staatsfeindlichen Verbindungen’ ” abzuarbeiten. Warum sind sie für Sobotka sogenannt? Egal. Er hat auch sonst – so wie der Fachbeitrag „Staatsfeindliche Verbindungen: Staatsverweigerer“ (p. 52–55) – keine Erklärung für „das in den letzten Jahren verstärkt auftretende Phänomen der in staatsfeindlichen Verbindungen organisierten Staatsverweigerer“ (p. 53). Sie sind einfach da, aus dem Nichts gekommen und – jedenfalls nach der Zählung des Verfassungsschutzes — zu der beachtlichen Größe von 1.100 Anhängern und weiteren 15.000 „potenziellen Aktivisten“ und weiteren „rund 7.000 Personen, die in anderen einschlägigen system- und rechtskritischen Foren aktiv sind“ (p. 55), angeschwollen.
Da hätten wir natürlich gerne Näheres gewusst: etwa, woran der Verfassungsschutz den Unterschied zwischen Anhängern und potenziellen Aktivisten festmacht? Welches „rechtskritische“ Forum er zu den „Staatsverweigerern“ zählt? Und natürlich hätten wir gerne etwas mehr über die diversen Gruppen und ihre ideologische Verortung erfahren. Da wird der Bericht aber ziemlich schmallippig und spricht nur bei den „Reichsbürgern“ und „Staatenbündlern“, die er beide als Kategorie bzw. Strömung zusammenfasst, von Zugängen in die rechtsextreme Szene.
Das ist etwas dürftig und wird auch der anderen Strömung („Freemen“, „OPPT“, „Terranier” usw.) nicht gerecht, denn in beiden „Strömungen“ (der Begriff eignet sich in diesem Fall wirklich, die Übergänge sind sehr „fließend“) gibt es deutlich antisemitische und revisionistische Ideologiefragmente, vermengt mit Verschwörungsgemurmel und Esoterik. Im „FM Stammtisch Linz“, einer geschlossenen Facebook-Gruppe mit zuletzt 500 Mitgliedern (mittlerweile offline), waren nicht die Fans des Radiosenders FM4 vertreten, sondern die „Freemen“ (FM) vereint mit Anhängern von OPPT, ICCJV, Hardcore-Neonazis und einer verhinderten Präsidentschaftskandidatin aus diesem Eck.
Sobotka, der keine Ahnung von dem „relativ neuen“ Phänomen hat, die dafür aber sehr bestimmt, säuselt in seinem Vorwort davon, dass auch „zum Schutz dieser verirrten Menschen, die sich über kurz oder lang selbst um alles bringen“, gehandelt werden müsse. Der Innenminister als Retter von verirrten Seelen – ganz lieb! Damit ist anscheinend auch klar, dass verirrte Menschen, selbst wenn sie nach ganz rechts abgebogen sind, niemals rechtsextrem sein können, weil sie sich ja verirrt haben.
Den zweiten Fachbeitrag („Neurechte Phänomene…“), der sich im Wesentlichen mit den Identitären beschäftigt („Neuer Wein in alten Schläuchen“), könnte man sogar als informative Zusammenfassung und Dekonstruktion einiger ihrer ideologischen Konstrukte gelten lassen, wenn er sich nicht in einem nicht unwichtigen Punkt vollkommen über die Realitäten hinwegschwurbeln würde. So heißt es im Kapitel über die „Ausbreitung der Identitären in Europa“:
„In einigen Ländern, in denen die Identitären aktuell aktiv sind, ist zudem evident, dass sie aus rechtsextremistischen Milieus, Personenverbindungen, Parteien, freien Kameradschaften, Neonaziszenen und lose vernetzten Internetaktivisten entsprungen sind oder darin ihre Vorläufer haben“ (p. 46).
Ist nicht grundsätzlich falsch, blendet aber den österreichischen Entstehungskontext ebenso aus wie ihre hierzulande immer intensiver werdenden Verbindungen in die FPÖ hinein: in Österreich haben sich die Identitären zunächst fast komplett aus den burschenschaftlichen Milieus und Kadern rekrutiert. Was zum alten Problem des Verfassungsschutzberichtes im Kapitel Rechtsextremismus führt: FPÖ und Burschenschaften dürfen da einfach nicht vorkommen. Solange das so bleibt, ist der Bericht Sobotka-Schönfärberei.
Fortsetzung folgt!