Diese mittlerweile europaweite Bewegung nahm ihren Ausgang in Frankreich, wo nach dem Verbot der neonazistischen Unité radicale sich 2002 eine Jeunesses identitaires gründete. Aus dieser ging ein Jahr später der Bloc identitaire unter dem ehemaligen Front National-Kader Fabrice Robert hervor. Im Oktober 2012 trat die mittlerweile zur Génération identitaire umbenannte Gruppierung mit der Besetzung der noch in Bau befindlichen Moschee in Portiers in eine größere Öffentlichkeit. Als Symbol übernahmen die Identitären das Lambda-Zeichen, von dem manche seit dem bluttriefenden Fantasyfilm „300“ glauben, dass es die Schilde der heldenhaften Spartaner zierte – laut der rechtsextremen Zeitschrift Zuerst! ein „Hinweis auf eine kämpferische Grundhaltung“ der Identitären. Für diese spricht auch eine (zuerst französische) „Kriegserklärung“ an das liberaldemokratische System und die behauptete Hegemonie der Linken, welche damals im Internet veröffentlicht wurde. Im November 2012 nahmen rund 500 Rechtsextreme und Neofaschisten aus fast ganz Europa am identitären Konvent in Orange teil, darunter Mario Borghezio (Lega Nord), der ein Jahr zuvor mit seiner Zustimmung zu den „Ideen“ des rechtsextremen Massenmörders Anders B. Breivik für einen Skandal gesorgt hatte. Tatsächlich treffen sich die Identitären mit Breivik in der wahnhaften Vorstellung oder fixen Idee einer systematischen feindlichen Übernahme Europas durch den Islam, welche sie als letzte Generation noch aufhalten könnten.
“mit einer 10 Euro Bauhausaxt den Schädel einschlagen”
Auch in Österreich stand maßgeblich der Repressionsdruck am Anfang der Identitären, die sich nach der Zerschlagung der neonazistischen (virtuellen) Alpen-Donau-Gruppe um Gottfried Küssel etablierten. Die Herkunft mancher IBÖ-Kader aus dem organisierten Neonazismus wird dabei gar nicht geleugnet, sondern vielmehr als „Irrweg“ abgetan. Daneben kommen die Identitären aus deutsch-völkischen Studentenverbindungen, was ihren ausgeprägt männerbündischen Charakter zu erklären hilft. Angesichts ihrer korporierten Herkunft überrascht zunächst die positive Bezugnahme der Identitären bzw. ihrer intellektuellen Vorfeldtruppe Der Funke auf den italienischen Neofaschismus (Casa Pound), gehört doch die Anerkennung der angeblichen Unrechtsgrenze am Brenner zu den Sakrilegien dieses Milieus. Aber zur Überwindung dieses alten (revanchistischen und partikularistischen) Nationalismus zugunsten eines europäischen Befreiungsnationalismus (gegen die USA und die behauptete islamische Bedrohung) sind die Identitären ja angetreten.
Zunächst arbeitete man arbeitsteilig: Einerseits etablierte sich im Frühjahr 2012 um den Olympia-Burschenschafter Alexander Markovics eine Wiener Identitäre Richtung als intellektueller Zirkel oder Debattierklub, der einen Brückenschlag zum Rechtskonservativismus (Wiener Akademikerbund, Junge Europäische Studenteninitiative, K.Ö.L. Josephina) versuchte. Andererseits begannen im Spätsommer 2012 erlebnisorientierte und maskierte Rechtsextreme nach dem Vorbild ausländischer Neonazis mit ihren „Hardbass“-Aktionen Veranstaltungen von antirassistischen und antifaschistischen Gruppen zu stören. Im Februar 2013 vereinten sich diese beiden Fraktionen zur IBÖ und besetzten gemeinsam die Votivkirche in Wien, um die damals gerade dort stattfindenden Proteste von Flüchtlingen ins Lächerliche zu ziehen.
Martin Sellner und „Der Funke”
Während Rechtsextreme sich seit jeher (mehr oder weniger glaubwürdig) vom (Neo-)Nationalsozialismus distanzieren, wollen die neurechten Identitären auch nicht einmal mehr rechts sein, um sich so weitere Kreise erschließen zu können. Insbesondere auf der Ebene der Symbole und Aktionsformen, die aus der Popkultur und von Linken entwendet wurden, versuchen die Identitären sich als ganz neue und andere Bewegung zu inszenieren. Darüber hinaus versuchen sie, ihren Rassismus hinter positiver klingenden Formulierungen wie der Erhaltung „kultureller Identität“ zu verstecken. Aber schon beim französischen Gründervater Fabrice Robert schimmert hierbei der alte Rassismus durch: „‚100 % Identität, 0 % Rassismus’. Aber mit dem territorialen Imperativ, daß ein Boden einem einzelnen Volk gehört.” Gleiches gilt für den klassischen Rechtsextremismus, wie er sich etwa auch bei den Identitären in der Überordnung des „Volkes“ als „organische Gemeinschaft“ über das an Rechten gleiche Individuum artikuliert. Diese natürliche Abstammungsgemeinschaft wird als „vom Zerfall“ bedroht gesehen: Im Gegensatz zu prowestlichen antiislamischen Gruppen, die sich zur liberalen Parteiendemokratie bekennen, sehen die Identitären die Bedrohung aber weniger unmittelbar von den Muslimen und den Muslimas ausgehen, sondern vielmehr von der kulturellen Herrschaft des alles zersetzenden Liberalismus und Multikulturalismus. Verschärft werde die völkische Not durch die nachnazistische „Umerziehung“, welche für die „Immunschwäche“ Deutschlands und Europas verantwortlich sei: Mit „der Nazikeule“ werde versucht, „jede Kritik am herrschenden liberalistischen Zeitgeist“ mundtot zu machen. Der liberalen, rechtsstaatlichen Parteiendemokratie setzen sie darum eine „identitäre Demokratie“ zur Umsetzung des „gesunde[n] Menschenverstand[es] in Form des wahren Volkswillens“ entgegen. Die politische Willensbildung erfolgt hier nicht länger als individueller Akt (von Gleichen), sondern als kollektiver Akt (von im völkischen Sinne Identischen). Konsequenterweise weisen die antiegalitären Identitären hier mit dem NS-Kronjuristen Carl Schmitt darauf hin, dass ihre „Demokratie“ eine „gewisse Homogenität der Bevölkerung [erfordert], damit sie einen gemeinsamen Willen bilden kann.“ Und bezeichnenderweise schweigt man sich darüber aus, wie dieser angebliche „Volkswille“ konkret in politische Entscheidungen übersetzt werden könne. Bei den Identitären lassen sich darüber hinaus zahlreiche Anhaltspunkte finden, die für eine militante („wehrhafte“) Grundhaltung sprechen. Mit der bereits erwähnten exzessiven Verwendung von Kriegs- und Kampfmetaphern und der Selbstdarstellung als die letzte Generation, die den Untergang des dekadenten Abendlandes aufhalten könne, weisen die Identitären über den klassischen Rechtsextremismus hinaus. So heißt es zustimmend in Zuerst!: „Die jungen ‚Identitären’ zeigen, dass es ihnen ernst ist, sich für kommende Konflikte zu wappnen. Wie auf Videos zu sehen, führen sie Sommerlager durch, auf den Sport getrieben und Selbstverteidigung trainiert wird.“ Tatsächlich zeigen diese Videos die selbsternannten Abendlandretter beim Boxen, mit welchem sie sich für ihren „Kampf gegen [den] inländerfeindlichen Rassismus“ fit machen.
Neben den Kontakten zum organisierten Neofaschismus (vor allem in Ungarn und Italien) und den zahlreichen positiven Bezugnahmen auf die Chefideologen der europäischen Konkurrenzfaschismen ist es vor allem die ausgeprägte Militanz der Identitären, welche ihre Zuordnung zum Neofaschismus zulässig erscheinen lassen. Es überrascht daher nicht, dass der deutsche Verfassungsschutz die Identitären als rechtsextremistisch bezeichnet und dabei vor allem ihre Unvereinbarkeit mit der demokratischen Grundordnung im Auge hat. Befördert wird solch eine Einstufung durch Neonazis, die insbesondere in Deutschland und Osteuropa sich hinter dem identitären Lambda-Symbol zu verstecken versuchen. Oder, in den Worten eines Führungskaders der Jungen Nationaldemokraten: „Ob nun als eigenständige, starke Bewegung im großen vorpolitischen Raum, als Türöffner zu neuen Jugendbereichen oder als Durchlauferhitzer für die sich modernisierenden nationalistischen Gruppen. (…) Die Identitären sind (…) eine Aktionsform die man nutzen kann, wenn JN- oder NPD-Fahnen nicht passend sind.“