Osttirol und seine Neonazis II – Kameradschaft Osttirol

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Die Selbst­mor­de beflü­geln die Ost­ti­ro­ler Nazis – von Trau­er­pha­se kei­ne Spur. Im Febru­ar 2002 wird jeden­falls schon flei­ßig an einer Akti­on in Lienz zu Hit­lers Geburts­tag gebas­telt. Im Gäs­te­buch der „Kame­rad­schaft Ger­ma­nia“ des Robert Fal­ler schreibt „Jack“ (Manu­el S.) aus Lienz zwei Mona­te nach den Selbst­mor­den: „Die Sze­ne ist in Lienz ein­fach viel zu lasch geworden.“ 

„Jack” will den 20.4. in Lienz zu einem rich­ti­gen Event aus­bau­en („Kon­zert­be­su­che von rech­ten Bands…Grillfeten, Demos“). Auch „daniel88“ aus Lienz pos­tet flei­ßig mit und bedankt sich unter­wür­fig bei Fal­ler: „robert!! gei­le begrü­ßungs­sei­te! kom­pli­ment!! das ist halt unser web­mas­ter!“ Doch der Web­mas­ter und die Ost­ti­ro­ler Jungna­zis haben ver­ges­sen, ihre Pos­tings über Tref­fen und Ter­mi­ne geheim zu hal­ten. Am 9. März 2002 fragt die „Klei­ne Zei­tung”: „Droht in Lienz ein Nazi-Aufmarsch?“

Die Poli­zei beschwich­tigt – sieht nur mehr einen „har­ten Kern von zwei Nazi-Sym­pa­thi­san­ten“. Und wie immer, wenn man nicht wirk­lich etwas weiß, heißt es: „Es wird ermit­telt.“ Mit der Orga­ni­sa­ti­on einer gro­ßen Hit­ler-Fei­er sind die Jungna­zis jeden­falls so kurz­fris­tig über­for­dert (Fal­ler hat außer­dem eige­ne Plä­ne), sie dis­po­nie­ren um und pla­nen für 27. April 2002 einen Gedenk­marsch von 300 Neo­na­zis, die ihre Teil­nah­me schon zuge­sagt hät­ten, just zu jenem Wald­stück, wo die bei­den Jungna­zis den Frei­tod gewählt haben. Auch der Gedenk­marsch ver­liert sich im Nir­va­na – die Ost­ti­ro­ler sind Nazi-Skins, die sich aufs Sau­fen, Schla­gen und Grö­len ver­ste­hen, nicht aber aufs Orga­ni­sie­ren. Und der begna­de­te Web­mas­ter Robert Fal­ler mit sei­ner Kame­rad­schaft Ger­ma­nia ist da auch kei­ne gro­ße Hilfe.

Die Schlägerpartie

Im Dezem­ber 2002 ste­hen drei Ost­ti­ro­ler wie­der vor einem Inns­bru­cker Geschwo­re­nen­ge­richt. Einen ken­nen wir schon: Bernd A.. Mit ihm ange­klagt sind noch Manu­el S, der schon eine unbe­ding­te Geld­stra­fe aus­stän­dig hat, und Chris­ti­an G.. Es geht um Wie­der­be­tä­ti­gung und schwe­re Kör­per­ver­let­zung. Wie bereits berich­tet, wird Bernd A. vom Vor­wurf der Kör­per­ver­let­zung dies­mal frei­ge­spro­chen. Die Ankla­ge hat­te ihm vor­ge­wor­fen, einen Jugend­li­chen dazu gezwun­gen zu haben, vor ihm auf den Knien zu rut­schen, um ihn dann mit Schlä­gen und Fuß­trit­ten zu ver­let­zen (Kurier, 17.12.2002). Die bei­den Haupt­an­ge­klag­ten machen aus ihrer Gesin­nung auch vor den Geschwo­re­nen kein Geheim­nis: „White Power, das ist unse­re wei­ße Ras­se, die ein­zig wah­re Ras­se, alle ande­ren sind min­der­wer­tig.” Bernd A. erklärt dem Gericht: „Ich bin dage­gen, dass Aus­län­der bei uns woh­nen und arbeiten…Ich bin gegen frem­de Ras­sen.” Die SS leh­nen bei­de nicht ab, nur zum Umbrin­gen hät­ten sie eine ande­re Hal­tung. Das Urteil, Schuld­sprü­che gegen Bernd A. und Manu­el S. bleibt in mehr­fa­cher Hin­sicht unverständlich:

  • Bernd A. erhält zu sei­ner beding­ten Stra­fe vom Vor­jahr kei­ne Zusatz­stra­fe trotz Schuldurteil
  • Manu­el S. erhält sechs Mona­te bedingt
  • Bernd A. und Manu­el S. wer­den zu einem Zeit­ge­schich­te-Kurs an der Inns­bru­cker Uni­ver­si­tät ver­don­nert – in die­sem Fall wohl völ­lig daneben
  • Chris­ti­an G. stellt sich als Mit­läu­fer dar und wird freigesprochen

Das Gericht, die Geschwo­re­nen und die Exe­ku­ti­ve haben anschei­nend auch nicht mit­be­kom­men, dass Bernd A. zehn Tage vor sei­nem Pro­zess, am 6.12.2002, gemein­sam mit wei­te­ren Nazi-Skins in Inns­bruck einen Afri­ka­ner bru­tal nie­der­ge­schla­gen hat – dazu ver­han­delt wird erst im Mai 2004.

In Osttirol geht es nach dem Urteil rund

  • Zu Weih­nach­ten 2002 wer­den die Fas­sa­de des Lien­zer Ober­stu­fen­re­al­gym­na­si­ums, die alte Stadt­mau­er und das Kino Cine X mit NS-Paro­len beschmiert. Als Täter wur­den zwei 13-Jäh­ri­ge und ein 14-Jäh­ri­ger gestellt. Mit von der Par­tie war auch ein 18-jäh­ri­ger Jungna­zi, der im Pro­zess vom Dezem­ber als Zeu­ge vor Gericht aus­ge­sagt hat­te (auch er wird uns spä­ter noch begegnen).
  • Am Abend des 26.12.2002 wur­den 2 Autos vor dem Haus, in dem ein Zeu­ge der Ankla­ge gera­de sei­ne Mut­ter besuch­te und der ursprüng­li­che Pflicht­ver­tei­di­ger der Ange­klag­ten wohn­te, demoliert.
  • Am Neu­jahrs­tag 2003 wur­den zwei afri­ka­ni­sche Asyl­wer­ber, die am Bahn­hof Lienz auf ihren Zug war­te­ten, von Bernd A. und sei­nem Kum­pa­nen Manu­el S. mit dem Spruch „Ihr Aus­län­der-Schwei­ne! Was wollt ihr bei uns?” ange­pö­belt und bru­tal nie­der­ge­schla­gen. Die Poli­zei ver­häng­te eine Nach­rich­ten­sper­re (Klei­ne Zei­tung, 2.1.2003), Bernd A. wan­der­te in U‑Haft.

Im Febru­ar 2003 fin­det in Inns­bruck eine Ver­hand­lung vor einem Jugend­rich­ter statt – wegen der Kör­per­ver­let­zung vom 1. Jän­ner. Glatz­kopf Bernd A., mit der Täto­wie­rung „White Power“ im Nacken, gibt zu, mit sei­nen Sprin­ger­stie­feln (mit Stahl­kap­pen) zuge­tre­ten zu haben. Bernd A. erhält ein Jahr unbe­dingt, die bedingt nach­ge­se­he­ne Stra­fe vom Vor­jahr wird wider­ru­fen – ins­ge­samt also zwei Jah­re und sie­ben Mona­te. Bei Manu­el S. wer­den die sechs Mona­te bedingt in eine unbe­ding­te Haft­stra­fe umge­wan­delt. (Tiro­ler Tages­zei­tung, 12.2.2003)

Von Braunau nach Linz statt Lienz

Im März 2003 mel­den sich die Ost­ti­ro­ler Neo­na­zis, die es nach Zäh­lung der Exe­ku­ti­ve eigent­lich gar nicht mehr gibt (weil in Haft), bei der „Klei­nen Zei­tung“ (14.3.2003) zu Wort: „Von einer Zer­schla­gung der Lien­zer Neo­na­zi-Sze­ne kann kei­ne Rede sein“, erklärt ein 16-Jäh­ri­ger. Aller­dings haben die Nazi-Skins klei­ne Ori­en­tie­rungs­pro­ble­me: Die Aus­län­der­po­li­tik Hai­ders gefällt ihnen nicht, eher die der ÖVP.

In Braunau/Inn, wohin sie offen­sicht­lich einen Aus­flug gemacht hat­ten, waren sie bei der Rück­fahrt in den fal­schen Zug gestie­gen – nach Linz statt nach Lienz: „Ein sol­cher Lap­sus wird uns nicht mehr pas­sie­ren.“ Für den Som­mer pla­nen sie jeden­falls wie­der was: einen „Rudolf Heß-Gedächt­nis­tag“. Auch von die­sem Event der Ost­ti­ro­ler Neo­na­zis ist spä­ter nichts mehr zu hören, die Ost­ti­ro­ler neh­men statt­des­sen am „Heß“-Aufmarsch in Wun­sie­del (BRD) teil.

Das Matreier „Schlachthaus“

In der Umge­bung von Matrei wird 2003 eine Grup­pe tätig, die eine Hüt­te mit NS-Sym­bo­len aus­stat­tet und als „Schlacht­haus“ benennt. Auf Fes­ten wer­den Nazi­lie­der gesun­gen, an der Haupt­schu­le in Matrei wer­den angeb­lich Schü­le­rIn­nen und selbst Lehr­per­so­nen bedroht. Im Okto­ber 2003 führt die Exe­ku­ti­ve ins­ge­samt 14 Haus­durch­su­chun­gen in Matrei und Vir­gen durch.

Eben­falls im Okto­ber 2003 fin­det in Inns­bruck ein Pro­zess gegen 4 Lien­zer statt wegen Ein­bruchs, Dieb­stahl, Nöti­gung und Kör­per­ver­let­zung. Die „Klei­ne Zei­tung“ (15.10.2003) berich­te­te so:

Sel­ten wur­de man Zeu­ge einer der­art lan­gen Ankla­ge­schrift, wie ges­tern am Lan­des­ge­richt Inns­bruck. (…) Dem Erst­an­ge­klag­ten wur­den sagen­haf­te 34 Delik­te zur Last gelegt. Im Zeit­raum eines ein­zi­gen Jah­res hat der arbeits­lo­se jun­ge Mann so ziem­lich alles geklaut, was man nur steh­len kann: Han­dys, Klei­dung, CDs, Ziga­ret­ten, Haschisch und Lebens­mit­tel aus Lien­zer und Ober­kärnt­ner Supermärkten.

Auch den Tris­tacher Mai­baum hat­te er umge­sägt: „Weil ich die Tris­tacher nicht mag“, erklär­te der Hauptangeklagte.

Neben dem humo­ris­ti­schen Aspekt sind für uns sei­ne wei­te­ren Delik­te inter­es­sant: Beschmie­ren des BORG-Gebäu­des und der Stadt­mau­er. Der Ange­klag­te ist der Zeu­ge und Jungna­zi vom Dezem­ber 2002. Wegen NS-Wie­der­be­tä­ti­gung ist der Jungna­zi, der sich kom­plett auf die klein­kri­mi­nel­le Schie­ne umge­stellt hat, aller­dings nicht ange­klagt. Im Gegen­teil: Sein Ver­fah­ren wird aus­ge­glie­dert, weil wich­ti­ge Zeu­gen nicht erschie­nen waren und über ein Gut­ach­ten abge­klärt wer­den soll­te, ob er auf­grund sei­ner Alko­hol­sucht über­haupt schuld­fä­hig war.

In Fol­ge der Matrei­er Haus­durch­su­chun­gen wer­den zunächst sie­ben Jugend­li­che ange­zeigt (Neue Kärnt­ner Tages­zei­tung, 17.10.2003), im Dezem­ber wächst die Zahl auf 30 Anzei­gen wegen Wie­der­be­tä­ti­gung: „Was zuerst als harm­lo­ser Zeit­ver­treib von fünf Jugend­li­chen abge­tan wur­de, hat doch grö­ße­re Aus­ma­ße als ange­nom­men.“ (Neue Kärnt­ner Tages­zei­tung, 23.12.2003)

Unter den Ange­zeig­ten befin­den sich jetzt auch „etli­che Erwach­se­ne“, nach­dem zunächst nur von Jugend­li­chen die Rede war. Auch von einer zur auto­ma­ti­schen Waf­fe umge­bau­ten ein­schüs­si­gen Lang­waf­fe, die bei den Haus­durch­su­chun­gen gefun­den wur­de, ist jetzt die Rede.

Die Rohrbombe von Dölsach

2004 fin­det Ende Mai der Pro­zess zu der schwe­ren Kör­per­ver­let­zung und NS-Wie­der­be­tä­ti­gung vom 6.12.2002 statt. Ange­klagt ist wie­der ein­mal Bernd A., mit ihm Manu­el S. und ein Inns­bru­cker, der in Lienz in einem Lokal mit dem Hit­ler­gruß auf­ge­tre­ten war. Bernd A. war auch ange­klagt wegen einer Kör­per­ver­let­zung an einem Ost­ti­ro­ler, der sei­ner Toch­ter den Kon­takt mit A. ver­bo­ten hat­te und des­we­gen ver­prü­gelt wur­de. Die Urtei­le: zwei­ein­halb Jah­re für Bernd A., ein Jahr unbe­dingt samt Wider­ruf von zehn Mona­ten bei Manu­el S. und beding­te zehn­ein­halb Mona­te für den Inns­bru­cker Neo­na­zi. (Kro­ne, 29.5.2004)

Ein Arbei­ter fin­det eine Rohr­bom­be auf der Müll­de­po­nie beim Döl­sa­cher Bahn­hof und gibt sie Tage spä­ter beim Gen­dar­me­rie­pos­ten ab. Der Arbei­ter, der den Fund nicht rich­tig ein­schätz­te, hat­te enor­mes Glück: „Die Bom­be war scharf. Der Arbei­ter war in Lebens­ge­fahr. Bis zu einer Ent­fer­nung von fünf Metern hät­ten die Metall­split­ter ver­hee­ren­de Wir­kung haben kön­nen“, so die Beam­ten des Bun­des­kri­mi­nal­am­tes zur Tiro­ler Tages­zei­tung (16.6.2004). Die Poli­zei nimmt an, dass die Bom­be kei­nen ter­ro­ris­ti­schen Hin­ter­grund hat­te, son­dern von einem pri­va­ten Bast­ler, der über gute Kennt­nis­se ver­füg­te, gebaut wor­den ist. Die Ermitt­lun­gen ver­lau­fen ohne greif­ba­re Ergeb­nis­se. Ein unpo­li­ti­scher Rohr­bom­ben­bast­ler? Wohl kaum!

Im Okto­ber 2004 ein wei­te­rer Pro­zess, der wie­der mit Bernd A. zu tun hat. Bern­hard T, der wegen meh­re­rer Gewalt­de­lik­te im Inns­bru­cker Zie­gel­stadl eine Haft­stra­fe absitzt, hat an Bernd A. , der in der Gra­zer Kar­lau sitzt, geschrie­ben: „Heil Kame­rad! Der Scheiß Staat woll­te Krieg, also bekommt er ihn auch. Als ers­tes rech­ne ich mit den Lien­zer Bul­len ab, danach mit dem Rest. Kei­ne Schon­zeit mehr für die dre­cki­gen Aus­län­der­rat­ten. Ab jetzt wird nur noch zuge­schla­gen.“ Der Brief endet mit „Sieg Heil“. Der in Lienz leben­de und in Inns­bruck inhaf­tier­te Salz­bur­ger wird zu 14 Mona­ten Haft, davon zehn bedingt, verurteilt.

Im März 2005 fin­det der Pro­zess zu der Matrei­er „Schlachthaus“-Gruppe statt. Die 30 Anzei­gen sind zu drei Ankla­gen geschrumpft. Die Ange­klag­ten (24, 20, 20) bekann­ten sich für nicht schul­dig. Der 24-jäh­ri­ge Ste­fan, der sei­ne Waf­fe umge­baut hat­te, wird von der Ankla­ge als Rädels­füh­rer ein­ge­stuft. Seit dem Jahr 2000 sei es in Matrei­er Loka­len zu regel­rech­ten NS-Tref­fen gekom­men, Ste­fan habe sich als Samm­ler von NS-Sym­bo­len (Haken­kreu­ze, SS-Uni­for­men, Dol­che und Schuss­waf­fen) betä­tigt, der eine 20-Jäh­ri­ge habe Nazi-CDs („Land­ser“) ver­brei­tet, der drit­te habe den Hit­ler­gruß öffent­lich prak­ti­ziert. Die Ankla­ge wirkt ins­ge­samt rela­tiv zahm, wenn man bedenkt, wel­che Vor­wür­fe ursprüng­lich im Raum stan­den bzw. wie vie­le Per­so­nen ange­zeigt wur­den. Die drei Ange­klag­ten wer­den für schul­dig befun­den und ver­ur­teilt: Ste­fan zu einem Jahr bedingt, der eine 20-Jäh­ri­ge zu sechs Mona­ten bedingt (plus 320 Euro Geld­stra­fe), der drit­te wird ohne Straf­aus­spruch verurteilt.

➡️ Ost­ti­rol und sei­ne Neo­na­zis (I)
➡️ Ost­ti­rol und sei­ne Neo­na­zis III – “Lau­ter Arschlöcher”