Es begann mit einer Nachricht aus Berlin
Die ersten Berichte von „Stoppt die Rechten“ und dem „Standard“ im Sommer 2024 sorgten für öffentliche Aufmerksamkeit, aber noch viel mehr für Unruhen innerhalb der zwei Corps. Ein kurzer Rückblick:
Am 23. Juli 2024 schickte Carl-Philipp Brenning, Vorsitzender des Altherrenverbands des Corps Normannia Berlin, einen Brief nach Graz. Adressiert war er an Ernst Brandl, den Altherrenvorsitzenden der Vandalia Graz. Der Ton war zunächst freundlich, doch schnell wurde es ernst: „Leider muss ich mich aber heute vornehmlich aufgrund wenig erfreulicher Begebenheiten an Dich wenden“, schrieb Brenning. Es ging um schwerwiegende Vorwürfe. Ein Berliner Corpsbruder, CB [Corpsbruder] G., sei als Gast beim 130. Stiftungsfest der Vandalia Anfang Juni 2024 rassistisch und antisemitisch beleidigt worden. Die von Brenning geschilderten Details sind in der Tat verstörend.
CB G. solle sich sein „dreckiges Judengeld in seinen Arsch stecken“, sei zum Berliner Normannen gesagt worden, als dieser angeboten hatte, die Kosten für eine Taxifahrt zu übernehmen, berichtet Brenning. Auf dem Corpshaus angekommen sei G. vom Vandalen W., einem deutschen Arzt, als „Judenschwein“ beschimpft worden. Im Corpshaus hätten Mitglieder der Grazer Vandalen dann das Lied „L’amour toujour“ in der bekannten rassistischen Form angestimmt. Das Ganze sei begleitet worden von „grenzwertigen und anzüglichen Sprüchen über CB G.s Herkunft“.
Das Corps Vandalia Graz
Die Vandalia Graz ist eine sogenannte „schwarze Verbindung“ – eine elitäre, schlagende Studentenverbindung mit stark rückwärtsgewandtem Traditionsverständnis. Politisch auffällig ist das Corps vor allem durch ihre personelle Nähe zur FPÖ. Mitglieder sind u.a. Wolfgang Zanger, FPÖ-Abgeordneter im Nationalrat, Georg Mayer, FPÖ-Abgeordneter im Europäischen Parlament, Manfred Haimbuchner, FPÖ-Landesvize in Oberösterreich und der Ex-EU-Abgeordnete Andreas Mölzer mit seinem Sohn Wendelin, FPÖ-Nationalratsabgeordneter.
Auch der wegen der antisemitischen Äußerungen beschuldigte Alte Herr, W., praktizierender Arzt in Nordrhein-Westfalen, gehört zu den aktiven Mitgliedern. Er ist bekennendes Mitglied der AfD. Nach Bekanntwerden der Vorwürfe legte W. seine Mitgliedschaft bei der Vandalia nieder – vorerst.
Vandalia Graz und Normannia Berlin waren über Jahre hinweg befreundet. Beide sind Mitglied im Dachverband der deutschen Corps – dem Kösener Senioren-Convents-Verband (KSCV). Innerhalb des Verbindungswesens gelten die Kösener als konservative Elite – mit besonderem Hang zu stilisierter Ritterlichkeit, überhöhtem Ehrbegriff und ausgeprägter Traditionspflege.
Rechtsanwälte und Schweigen
Die Reaktion aus Graz? Verteidigung und Gegenangriff. Der Grazer Anwalt Bernhard Lehofer schrieb im Auftrag der Vandalia an „Stoppt die Rechten“: „Meine Mandantschaft bestreitet entschieden, dass derartige Vorfälle stattgefunden haben.“ Er kündigt an, sich gegen „unrichtige Behauptungen mit den gebotenen juristischen Mitteln zur Wehr zu setzen“. Auch der beschuldigte Arzt ließ sämtliche Vorwürfe über eine Anwaltskanzlei zurückweisen.
Von Normannia Berlin kam offiziell: nichts. Doch wie sich inzwischen aus internen Schreiben, die „Stoppt die Rechten“ und dem „Standard” zugespielt wurden, folgern lässt, blieb es bei diesem Schweigen nur nach außen.
Der Bruch – mit Klinge
Das Fass zum Überlaufen gebracht hat wohl, dass die Vandalen im Dezember 2024 den des Antisemitismus beschuldigten W. wieder aufnahmen. Für das Corps Normannia Berlin war das nicht hinnehmbar. Statt auf eine juristische Klärung zu setzen, griffen die Normannen zu einem Mittel aus der eigenen verschrobenen Welt: Man erklärte den Bruch mit den bisher befreundeten Grazer Vandalen; als Konsequenz wurde eine sogenannte Bruch-„Pro Patria Suite“ (PPS) ausgerufen.
Eine PPS ist eine Fechtfolge zwischen mehreren Mitgliedern zweier Studentenverbindungen, die zur Beilegung schwerer Ehrenstreitigkeiten dienen soll. Sie unterscheidet sich von der regulären Mensur vor allem durch die Anzahl der Beteiligten und die verschärften Bedingungen, bleibt aber offiziell an die gleichen Sicherheitsstandards gebunden. Erst im letzten Jahr hatte eine PPS zwischen zwei Burschenschaften, die zu schweren Verletzungen der Duellanten führte, in Deutschland für Aufsehen und Ermittlungen gesorgt.
Ein Riesenstreit und ein Schlägerschiedsgericht
Anfang Mai reiste eine Delegation der Grazer Vandalen nach Berlin, wo die Hinrunde des Duells über die Bühne ging. Die Rückrunde sollte im Haus der Sängerschaft Gothia Graz in Graz stattfinden. Doch nun entzündete sich ein Streit über den Termin.
Während die Normannen auf einen mit einem Vandalen akkordierten Termin am 31. Mai beharrten, will Graz keine derartige Vereinbarung sehen und meldete den Termin unter Hinweis auf medizinische Gründe am 14. Juni an. Die Normannia akzeptierte nicht und ortete einen Verstoß gegen die Regeln.
„In Ihrem Schreiben vom 16.05. stellt der wohllöbliche CC des Corps Normannia Berlin klar, die commentgemäß erfolgte Paratmeldung von unterfertigtem CC nicht akzeptieren zu wollen. Hierin sieht unterfertigter CC einen schweren Verstoß gegen den Grundlseer Paukcomment“, so Vandalia Graz in einem Antwortschreiben vom 21. Mai und berief ein Schlägerschiedsgericht ein. „Dieses wird sich mit folgenden Punkten befassen: Ist die Paratmeldung von unterfertigtem CC commentgemäß erfolgt? Liegt auf einer der beiden bzw. auf beiden Seiten Fehlverhalten vor?“
Legal, illegal oder sch…egal?
Grundsätzlich stellt sich die Frage, ob die Durchführung einer „Pro Patria Suite” in Österreich (wie in Deutschland) überhaupt legal ist. „Eine Körperverletzung oder Gefährdung der körperlichen Sicherheit“ ist auch mit Einwilligung der beteiligten Personen dann rechtswidrig, wenn sie „gegen die guten Sitten verstößt“ (§ 90 StGB). „Ehrenhändel“, also Duelle oder andere rituelle Kämpfe, könnten als sittenwidrig gewertet werden. Das scheint beide Corps jedoch nicht zu beschäftigen, obwohl es dem Schriftverkehr nach bei der Hinrunde auf Seite der Vandalen offenbar zu gröberen Verletzungen gekommen ist.
Unterfertiger CC wird die ärztlichen Untersuchungen der nächsten Woche abwarten, und Ihnen den Termin bald als möglich bekanntgeben. (…) Diesen Worten folgend, bat unterfertigter CC mehrere Ärzte um Einschätzung, wann die Paukanten wieder Pauk- bzw. Mensurfähig sind. Die übereinstimmende Meinung war, dass es aus rein medizinischen Gründen erst vertretbar wäre, zwei Wochen nach dem 31.05. wieder scharfe Gänge mit all seinen Risiken fechten zu können.
Die Normannen interpretierten die „medizinischen Gründe“ als Ausrede: „Des Weiteren sind die von Ihnen genannten medizinischen Gründe als Grundlage der Verlegung des Austragungsdatums nicht nachvollziehbar.“
Grotesk und bezeichnend
Die Entwicklung ist gleichermaßen grotesk wie bezeichnend: Während der Verdacht im Raum steht, dass Gäste antisemitisch und rassistisch beleidigt wurden, streiten die zwei Corps mit pseudojuristischem Ernst darüber, ob der Termin eines – möglicherweise illegalen – Duells ordnungsgemäß angemeldet wurde. Viel entlarvender kann ein Sittenbild aus der Parallelwelt schlagender Verbindungen kaum ausfallen.
➡️ derstandard.at (30.5.25): Von „wohllöblichen” Freunden zu Feinden: Duell zwischen Corpsstudenten aus Graz und Berlin