Die „Vandalia hat bestanden“ jubelt Ernst Brandl, Altherrenobmann des Corps Vandalia Graz in einem Bericht zum 130. Stiftungsfest, das Ende Mai/Anfang Juni in Graz stattgefunden hatte. Brandl schließt sein Resümee: „Das 130. Stiftungsfest hat unseren Bund in seiner Gesamtheit, und auch die einzelnen Corpsbrüder gefordert und geprüft. (…) Wir haben alle bestanden!“ Möglicherweise sind nicht alle Vandalen mit Brandls Einschätzung einverstanden. Gesichert ist: Damals, am 6. Juni, wusste Brandl noch nicht, dass sieben Wochen später ein Brief aus Berlin eintrudeln würde, der Brandls Selbstbelobigung arg infrage gestellt haben dürfte – besser: müsste.
Am 23. Juli richtete Carl-Philipp Brenning, Vorsitzender des Verbandes Alter Berliner Normannen, ein Schreiben nach Graz. „Lieber Brandl“, beginnt Brenning seinen Brief zunächst freundlich, „zunächst hoffe ich, dass es Dir gut geht und wir uns bald wiedersehen zu einem schönen Ereignis bei Euch in Graz oder bei uns in Berlin! Leider muss ich mich aber heute vornehmlich aufgrund wenig erfreulicher Begebenheiten an Dich wenden.“ Brenning kommt dann schnell zur Sache, einem Vorfall, der sich im Rahmen des Stiftungsfestes zugetragen haben soll. Dort hatten auch zwei Berliner Normannen mitgefeiert; einer, G., musste dem Brief zufolge mit der bitteren Erfahrung den Nachhauseweg antreten, dass er im Corps Vandalia Graz nicht erwünscht ist.
„Erschütternd“ und „fassungslos“
Beide [die zwei Berliner Normannen; Anmk. SdR] haben am Samstag an dem Ausklang in einem Heurigen teilgenommen. Nachdem dort das Programm vorbei war, sind die beiden mit Herrn W. Vandaliae Graz, (…) und zwei weiteren Personen mit dem Taxi auf das Corpshaus unserer lieben Vandalia Graz gefahren. Als es um das Bezahlen des Taxis ging, hat CB G. Herrn W. angeboten, das Taxi zu bezahlen. Daraufhin erwiderte dieser, CB G. solle sich sein „dreckiges Judengeld in seinen Arsch stecken“. Den Anwesenden war bekannt, dass CB G. aus Nordmazedonien kommt und nicht die deutsche Staatsbürgerschaft besitzt. Darüber hatte man sich noch beim Ausklang und im Taxi ausgetauscht. Auf dem Corpshaus angekommen, ist CB G. von Herrn W. als „Judenschwein“ bezeichnet worden. Ferner wurde von den Herren W. Vandaliae Graz, (…)und dem Senior M. in G.s Anwesenheit das Lied „L’amour toujours“ von Gigi D’Agostino abgespielt und umformuliert („Deutschland den Deutschen, Ausländer raus“) gesungen. Dazu wurden bewusst grenzwertige und anzügliche Sprüche über CB G.s Herkunft gemacht. Explizit zu benennen ist hier Herr M.. CB G. berichtet, dass die Vandalen das Lied gesungen haben, um ihm klarzumachen, dass er aufgrund seiner Herkunft nicht auf dem Haus unserer lieben Vandalia Graz willkommen sei. (Abkürzung der Namen durch SdR)
Dieses Verhalten unserem Corpsbruder gegenüber ist erschütternd und macht uns alle fassungslos, insbesondere von einem Alten Herrn, aber auch von dem Senior eines Corps. Es ist nicht nur einem befreundeten Corpsstudenten unwürdig, sondern widerspricht allen Regeln der Gastfreundschaft. Für uns Normannen ist die Würde des Menschen unantastbar. Ich bitte Dich um Aufklärung und Veranlassung entsprechender Schritte. Gerne können wir uns hierzu auch noch telefonisch austauschen.
Der Arzt und der Bodybuilder
W., Alter Herr der Vandalia Graz, ist zum Stiftungsfest aus Nordrhein-Westfalen angereist. Dort ist er Arzt mit einer Praxis, die auf der Website als „Akademische Lehrpraxis der Westfälischen Wilhelms Universität“ beworben wird. Bei den während des Stiftungsfestes ausgetragenen Mensuren war W. „Paukarzt“.
Der Weg des „Seniors“ M., der nach geläufigen Vorstellungen eher ein Junior ist, zum Stiftungsfest war bedeutend kürzer. Der Vandalen-Nachwuchs lebt in Graz, wenn er nicht gerade auf Heimaturlaub ist. „Bodybuilder“ gibt er auf seiner Insta-Beschreibung für sich an; entsprechend dicht gesät sind Bilder und Videos aus dem Klub, in dem er trainiert. Dort, in dem Fitness- und Kampfsport-Klub, treibt sich auch eine Reihe bekannter Rechtsextremer aus dem Identitären-Umfeld herum, die auf der Klub-Website als Trainer ausgewiesen sind.
Vandalia Graz: FPÖ-Verbindung(en)
Vom im Grazer Stadtzentrum residierenden Corps „Vandalia Graz“ war in den letzten Jahren nicht viel zu hören; zuletzt sind die Grazer 2021 durch ein Inserat in der „Tiroler Tageszeitung“ aufgefallen, in dem des Nazi-Arztes Burghard Breitner gedacht wurde – just, nachdem aufgrund neuerer Forschungen zu Breitners Rolle im Nationalsozialismus die Stadt Innsbruck beschlossen hatte, dessen Ehrengrab aufzulassen. Mehr zu lesen war schon von einzelnen Mitgliedern. Beim Grazer Corps tummeln sich auch hochrangige FPÖ-Funktionäre, darunter der Nationalrat Wolfgang Zanger, der EU-Abgeordnete Georg Mayer und der oberösterreichische Vize-Landeshauptmann Manfred Haimbuchner. Andreas Mölzer, Vorgänger von Mayer im europäischen Parlament, ist ebenso Vandale wie einige seiner Söhne.
Wer erzählt die Un/wahrheit?
„Stoppt die Rechten“ hat die beiden Corps-Obmänner um eine Stellungnahme gebeten. Aus Berlin kam keine Reaktion, im Namen der Grazer Vandalen antwortete der Grazer Rechtsanwalt Bernhard Lehofer:
Meine Mandantschaft bestreitet entschieden, dass derartige Vorfälle stattgefunden haben.
Erforderlichenfalls wird sich meine Mandantschaft gegen derartige unrichtige Behauptungen mit den gebotenen juristischen Mitteln zur Wehr setzen.
Es ist im Übrigen selbstverständlich, dass im Corps Vandalia derartige Äußerungen – wie sie behauptet werden – in keiner Weise akzeptiert würden, ich darf namens meiner Mandantschaft darauf verweisen, dass zu den Mitgliedern des Corps Vandalia Menschen unterschiedlicher Herkunft und Glaubens, auch solche jüdischen Glaubens, gehören, sodass derartige Aussagen von Seiten meiner Mandantschaft nie und nimmer geduldet würden.
Im Klartext: Die Vandalia bestreitet die Richtigkeit der Vorwürfe, die seitens der Berliner Normannen vorgetragen wurden. Fragt sich nun, ob die Berliner Normannen die Füße stillhalten, um das befreundete Corps nicht zu belasten, oder ob die im Brief geschilderten Vorwürfe unwahr sind.
„Stoppt die Rechten“ hat auch den deutschen Arzt W. um eine Stellungnahme gebeten. Für ihn antwortete ebenfalls eine Anwaltskanzlei:
Die in diesem Schreiben von Ihnen zitierten Behauptungen sind ungeheuerlich und werden auf das schärfste zurückgewiesen. Das Corps Vandalia Graz zählt unter seinen Mitgliedern auch solche jüdischen Glaubens, die am fraglichen Abend zugegen waren. Daran ist erkennbar, wie absurd die Anwürfe gegenüber unserem Mandanten sind.
Unser Mandant wird sich gegen jegliche anderslautenden Behauptungen mit den zur Verfügung stehenden juristischen Mitteln zur Wehr setzen. Daher möchten Sie uns doch bitte mitteilen, wie Sie in den Besitz des Schreibens des Herrn Brenning gekommen sind. Der Übermittlung dieser Information sehen wir entgegen bis morgen, den 22.8.2024 um 12:00 Uhr.
Selbstverständlich wird „Stoppt die Rechten“ wie schon in den letzten 14 Jahren seit der Gründung auch in dieser Causa die strikte Einhaltung des Quellenschutzes beachten!
➡️ „Stoppt die Rechten” (22.8.24): Feuer unterm Dach der Corps-Buden – eine erste Bilanz
➡️ Der Standard: Vorwürfe wegen angeblicher antisemitischer Beschimpfung bei Corps-Stiftungsfest in Graz