Vorneweg: Der Mediziner Breitner spielte im Nationalsozialismus eine „unrühmliche“ Rolle – und das ist angesichts dessen, was neuere zeithistorische Forschungen an der Universität Innsbruck ergeben haben, ohnehin vornehm ausgedrückt.
Breitners Biographie ist mit allerlei freundlich klingenden Karrierepunkten ausgestattet, worauf im burschenschaftlichen Inserat referenziert wird; dass er als Student der Medizin dem Corps Vandalia beigetreten ist, mag für die Grazer Verbindung einen Pluspunkt darstellen, ein besonderes Verdienst ist dahinter allerdings nicht festzustellen. Weil Breitner vor 70 Jahren, am 6. Mai 1951, Kandidat bei der Bundespräsidentschaftswahl gewesen sei, schalteten die Vandalen am 7. Mai ihre Annonce. Logisch? Oder sollte die Breitner-Huldigung gar auf den 8. Mai, den Tag der Befreiung vom Nazi-Regime, verweisen, der Tag, an dem rechte Korporierte traditionell in Schwermut und Trauer versinken?
Breitner, Jahrgang 1884, war Teilnehmer des Ersten Weltkriegs, geriet in Kriegsgefangenschaft und nahm von dort den Titel „Engel von Sibirien“ mit. Den hatte er sich wohl selbst gegeben:
Der wohl von ihm selbst wesentlich propagierte Beiname „Engel von Sibirien“ bezieht sich auf diese Tätigkeit. Auch die zugrungeliegende Betonung, Breitner habe das Kriegsgefangenenlager erst verlassen, als auch der letzte österreichische Soldat in die Heimat zurückkehren konnte, stellt bei genauer Betrachtung eine Übertreibung dar: Wenngleich es Freilassungen im Sinn eines Kriegsgefangenenaustauschs gab, so erschien Breitner auf keiner bekannten Liste – was die Aussage, er habe die Rückkehr verweigert, gestützt hätte. Das bedeutet, er hatte keine Möglichkeit gehabt, eher nach Österreich zurückzukehren, auch wenn er es gewollt hätte. (uibk.ac.at)
Aus dem Krieg retour, kletterte der deutschnational gesinnte Breitner relativ schnell die akademische Karriereleiter in die Höhe. 1932 erhielt er schließlich eine Professur an der medizinischen Fakultät in Innsbruck. Breitner wurde spätestens 1939 Mitglied der NSDAP (eine frühere Mitgliedschaft ab 1932 ist umstritten) und leugnete diese dann in einem Entnazifizierungsverfahren mit der Behauptung, nicht er hätte die Mitgliedserklärung ausgefüllt, sondern sein Assistent, und seine Haushälterin hätte die Mitgliedsbeiträge bezahlt – beides ohne sein Wissen. Breitner kam damit durch: Er wurde „schließlich 1946 aus der Liste der Nationalsozialisten gestrichen“ (uibk.ac.at).
Breitner wurde „nach der Implementierung des Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses (…) ab März 1940 zur Durchführung von Zwangssterilisationen und ‚freiwilligen Entmannungen’ von männlichen Zivilpersonen sowie ab Mai 1940 auch von Strafgefangenen der Justizverwaltung ‚ermächtigt‘.“ (uibk.ac.at) Dass er von den Zwangssterilisationen von Homosexuellen und Behinderten gewusst hat, scheint klar zu sein, wahrscheinlich ist, dass er auch selbst Zwangssterilisationen durchgeführt hat. Nebenbei war Breitner auch als „beratender Chriurg“ für die Wehrmacht tätig.
Das hat seiner Karriere nach 1945 nicht geschadet – im Gegenteil: 1950 wurde Breitner Präsident des Roten Kreuzes, 1951 von der Partei der „Ehemaligen“, dem Verband der Unabhängigen (VdU), zum Bundespräsidentschaftskandidaten gekürt (er belegte mit 15% Platz drei) und schließlich 1952/53 zum Rektor der Universität Innsbruck gewählt. 1966, zehn Jahre nach Breitners Tod, beschloss die Stadt Innsbruck, eine Straße nach ihm zu benennen. Die wurde im letzten Jahr, nachdem seine Beteiligung im Nationalsozialismus bekannt geworden war, mit einer Zusatztafel versehen. Im Oktober 2020 beschloss der Innsbrucker Senat, das städtische Ehrengrab für Breitner aufzulassen.
Nun, nachdem die Stadt Innsbruck ihre Lehren gezogen und gehandelt hatte, veröffentlicht die Tiroler Tageszeitung, die über die Diskussionen zu Breitner berichtet hatte, das geschichtsklitternde Inserat der Grazer Vandalen, in dem die sich beschweren dürfen, dass „seine [Breitners] Universität und die Stadt Innsbruck auf Distanz zu ihm“ gehen. „Wir bewahren ihm ein ehrendes Angedenken“, versichern die Vandalen daher. Daran hätte aber auch ohne Anzeige kaum jemand gezweifelt!
P.S.: Mitglied des Corps Vandalia Graz sind der FPÖ-Nationalratsabgeordnete Wolfgang Zanger, der blaue EU-Abgeordnete Georg Mayer und der Ex-EU-Abgeordnete Andreas Mölzer. Der Chefhistoriker der Blauen, Lothar Höbelt, ist Herausgeber einer Festschrift für Breitner, die 1994 vom Freiheitlichen Bildungswerk verlegt wurde. Dass wir dort über Breitners Rolle im Nationalsozialismus nichts lesen können, ist nicht überraschend.
Warum veröffentlicht die #Tiroler Tageszeitung heute eine Jubel-Annonce der Vandalia Graz zu Ehren des Deutschnationalisten und Nazis Burghard Breitner, der in der NS-Zeit in #Innsbruck mutmaßlich an Zwangssterilisierungen von Homosexuellen und Behinderten beteiligt war? pic.twitter.com/27SF7Lj8PE
— Markus Wilhelm (@dietiwag) May 7, 2021