Wels: Hitlerei in der Haft
Die Haftstrafe, die der Angeklagte am Ende der Verhandlung ausfasste, fiel überraschend hart aus. War es die ziemlich ungestüme Art, wie der Angeklagte vor Gericht auftrat, den Richter und die Zeugen unterbrach oder gar seine türkische Staatsbürgerschaft? Baris C. (32), der sich am 19.5. vor dem Landesgericht Wels wegen NS-Wiederbetätigung verantworten musste, hat auch noch ein anderes Handicap: seine derzeitige Adresse, die Justizanstalt Wels.
C. ist seit 23.10.2019 inhaftiert, zunächst in Stein, dann in Wels. Die Haftgründe sind schwere Körperverletzung, Suchtmittel- und Einbruchsdelikte. Wegen NS-Wiederbetätigung ist er bisher nicht aufgefallen oder gar straffällig geworden. Einige seiner Mithäftlinge, die als Zeugen in der Verhandlung aussagten, vermuteten bei ihm aber eine rechte Gesinnung. Einer will ihn auch mit dem Wolfsgruß der „Grauen Wölfe“ gesehen haben, ein anderer hat ihn jaulen gehört. Der Angeklagte bestritt das und will sich aus Spaß als „grauer Wolf“ ausgegeben haben.
Am 22. Jänner dieses Jahres hatte Baris C. in der Justizanstalt Wels auf einer Karikatur, die an einer Tür befestigt war, ein Hakenkreuz und den Spruch „Geil Gitler“ angebracht, so die Anklage. Außerdem habe er an diesem Tag den Hitlergruß gezeigt und dazu „Heil Hitler“ gebrüllt. Sein Pech war, dass das nicht nur einige Mithäftlinge gehört und gesehen haben, sondern auch die Überwachungskameras. Bei der Durchsuchung seiner Zelle wurde auch noch eine Tabakdose sichergestellt, die vom Angeklagten mit Hakenkreuz und SS-Runen bemalt worden war.
Während die Mithäftlinge im Wesentlichen die Vorwürfe der Anklage bestätigten und darüber hinaus nicht unbedingt sympathische charakterliche Eigenschaften des Angeklagten (z.B. Gewaltdrohungen) beschrieben, fiel der in der Verhandlung dadurch auf, dass er dem vorsitzenden Richter mehrmals ins Wort fiel und bei einzelnen Zeugenaussagen ziemlich unverhohlen seinem Ärger Ausdruck verlieh.
In der Sache gab sich Baris C. allerdings geständig – alles andere wäre angesichts der Videos aus den Überwachungskameras und der Zeugenaussagen ziemlich verwegen gewesen. Ein Nazi wollte er nicht sein („Es gibt keine Rassen, wir bluten alle gleich“), er habe nur ein sehr großes Interesse für Geschichte. Was er gemacht habe, sei aus „Übertreibung“ entstanden. Mehrmals zeigt sich, dass sein Selbstbild stark differiert von der Wahrnehmung seiner Mitinhaftierten. Einer sagte sogar aus, dass er andere Mitinhaftierte tyrannisiert und geschlagen habe, was Baris C. heftig bestritt.
Die Geschworenen verurteilten B. mehrheitlich. Die Haftstrafe, die über ihn deshalb verhängt wurde, ist heftig: zweieinhalb Jahre! Baris C. war über das Urteil so aufgebracht, dass er die Bedenkzeit nicht in Anspruch nahm, sondern sofort die Rechtsmittel Nichtigkeit und Berufung anmeldete.
Wien: Hitlerei im Bus
Beim Grad der Alkoholisierung des Angeklagten zur Tatzeit unterscheiden sich Verteidiger („nicht ganz nüchtern“) und Angeklagter („stark betrunken“) doch erheblich. Der einzige Zeuge konnte überhaupt keine Alkoholisierung erkennen, wohl aber den Hitlergruß beim Aussteigen aus dem Bus. Der Zeuge ist Busfahrer und hat schon einiges erlebt. Der Angeklagte ist arbeitslos, pflegt seine Ex-Frau, die an COPD im Endstadium leidet, und bringt eine offene Haftstrafe auf Bewährung (neun Monate bedingt) wegen Beleidigung und versuchter Körperverletzung mit.
Die Vorstrafe hat Andreas B. (59) ausgefasst, weil er den Busfahrer, der jetzt als Zeuge einvernommen wurde, mit einem Faustschlag ins Gesicht niederstrecken und ihn außerdem „heim“ schicken wollte: „Euch braucht keiner da.“ Der Zeuge Dragan Z. ist Serbe, arbeitet schon sehr lange als Busfahrer in Wien und muss sich oft beschimpfen lassen. Als sich der Angeklagte während der Zeugenbefragung erhebt, um sich bei ihm zu entschuldigen, ist Dragan skeptisch und betont mehrmals, er solle so etwas nie wieder machen. Viele kämen einfach nur pöbelnd, schimpfend oder spuckend in den Bus.
Andreas B. kennt er, weil der jede Woche so zwei‑, dreimal in seinem Bus mitfahre, dabei auch manchmal alkoholisiert aufgefallen sei. Beim Aussteigen aus dem Bus habe er am Tattag zweimal „Heil Hitler“ gerufen. Ob er dabei auch den Hitlergruß mit der Hand ausgeführt hat, ist nicht ganz klar: Er habe jedenfalls die Finger bzw. die Hand gehoben.
In ihrem Schlussplädoyer hält die Staatsanwältin fest, dass dem Angeklagten NS-Parolen „nicht wesensfremd“ seien, er eine rechtsextreme Gesinnung habe und zur Tatzeit zwar alkoholisiert, aber dennoch Herr seiner Sinne gewesen sei. „Nicht intelligent“ sei die Hitlerei des Angeklagten gewesen, meinte der Verteidiger in seinem Schlussplädoyer. B. versuche aber, sein Leben, das nicht sehr rosig sei, und die Alkoholisierung in den Griff zu bekommen. Als der gefragt wird, ob er ein Schlusswort sprechen wolle, verneint er und weint.
Die Beratung der Geschworenen ist kurz: Einstimmig wird die Schuld bejaht. B. erhält eine Zusatzstrafe von drei Monaten, bedingt auf drei Jahre und Bewährungshilfe. Das Urteil ist bereits rechtskräftig.
Wien: Hitlerei auf TikTok
Der Tatort: Tiktok. Die Tat: ein Live-Stream, in dem der Hitlergruß gezeigt und „Heil Hitler“ gerufen wurde. Die Täterin: N.K., 50 Jahre alt, aus Tschetschenien. K. hat zwei erwachsene Söhne und eine Tochter, für die sie noch Sorgepflichten hat. Eine einschlägige Vorstrafe wegen Verhetzung hat sie auch. Am 22. Mai musste sie sich wegen NS-Wiederbetätigung nach § 3g vor dem Wiener Landesgericht verantworten.
Die Vorstrafe hat N.K. erhalten, weil sie wüst gegen Juden und Ukrainer gehetzt und zur Tötung beider aufgerufen hat. Sie hat dafür eine Bewährungsstrafe erhalten, bei der die Frist noch nicht abgelaufen ist. Der Livestream vom 12.11.23 mit der Hitlerei, wegen dem sie sich jetzt verantworten musste, ist von Arbeitskolleg*innen aufgezeichnet und an den Arbeitgeber, eine Reinigungsfirma, geschickt worden, die N.K. daraufhin entlassen hat. Seither ist sie arbeitslos. Eine Dolmetscherin assistiert ihr in der Verhandlung, da ihre Deutschkenntnisse nicht ausreichend sind.
Ihr Verteidiger versucht sich in einer wenig hilfreichen Interpretation des Verbotsgesetzes, meint dass die Frau ja keinen bewaffneten Umsturz auslösen wollte und plädiert für eine Verwaltungsstrafe – in der Höhe von 10.000 Euro, damit die abschreckende Wirkung gewährleistet sei. Wie sollte die Frau, die knapp über 1.000 Euro Arbeitslosengeld erhält, von dem sie auch ihre Tochter mitversorgen muss, das bezahlen können? Nicht immer ist ein Verteidiger ein Vorteil in der Verhandlung.
In der ausführlichen Befragung argumentiert die Angeklagte damit, dass sie alkoholisiert und die Hitlerei ein Scherz gewesen sei. Ihr Livestream habe insgesamt 20 Minuten gedauert, damals aber nur wenige Zuseher*innen gehabt, obwohl ihrem TikTok-Account insgesamt rund 100.000 Follower folgen. Diese große Zahl habe sie erreicht, weil sie üblicherweise tschetschenische Volkstänze zeige. Auch am besagten Tag habe sie zunächst tanzbezogene Clips gezeigt und erst im Abspann die Hitlerei. In der Schule habe sie nur von Hitler als großen Feldherren erfahren: „Auf Rückfragen zum Holocaust, zum Krieg oder zur Geschichte antwortete sie ausweichend.“ (Prozessbeobachtung)
Geplant sei ihre NS-Aktion jedenfalls nicht gewesen – sie habe keine Gedanken zu Hitler. Ihr Bewährungshelfer zeichnete auch ein sehr positives und kooperatives Bild der Angeklagten. Sie habe nach ihrer ersten Verurteilung wegen Verhetzung an einer Führung im Dokumentationsarchiv (DÖW) teilgenommen, möglicherweise wegen ihrer schlechten Deutschkenntnisse aber vieles nicht verstanden.
In ihrem Schlusswort versprach die Frau, nie wieder etwas Schlechtes sagen zu wollen, und bat darum, nicht von ihrer Tochter durch eine unbedingte Haftstrafe getrennt zu werden. Ein in dieser Hinsicht weises Gericht sprach die Frau zwar schuldig im Sinne der Anklage, verhängte zwei Jahre Haft, aber bedingt und mit einer Ausweitung der Probezeit auf fünf Jahre. Die Staatsanwaltschaft gab noch keine Erklärung ab, daher war das Urteil zu Prozessende nicht rechtskräftig.
Danke an prozess.report für die Prozessbeobachtung!