Im April 24 veröffentlichte „Stoppt die Rechten“ eine ausführliche Recherche zu dem steirischen Polizisten Franz M. („Ein Polizist als besessener Holocaustleugner?“) und übermittelte an die Staatsanwaltschaft Graz eine Sachverhaltsdarstellung mit zwischen 2015 und 2023 sechs von Franz M. zum Teil mehrfach geteilten Postings (einen Link zu einem holocaustleugnenden Video hatte M. innerhalb von drei Jahren insgesamt 30-mal gepostet), die aus Sicht von „Stoppt die Rechten“ den Verdacht der NS-Wiederbetätigung nach § 3g und § 3h Verbotsgesetz begründeten.
Zur Anklage kamen lediglich zwei Postings aus den Jahren 2015 und 2016 sowie fünf zwischen 2020 und 2023 an eine Reihe von Adressaten verschickte Nachrichten, die bei M. sichergestellt wurden. Auf dem beschlagnahmten Handy haben sich zahlreiche weitere braune und verhetzende Bilder befunden, die im Prozess zum Teil gezeigt, aber nicht angeklagt waren.
Keine Überraschung: Der Polizist verhält sich wie andere Angeklagte
In einem unterschied sich Franz M. (62) trotz seines über Jahrzehnte ausgeübten Berufs als Polizist nicht von vielen anderen Angeklagten: Die Erklärungsversuche für seine Postings und Nachrichten wirkten hanebüchen. Dort, wo es ihm passend schien, ließ sein Gedächtnis aus, bei einem vor fast zehn Jahren alten Posting, das er nur „irrtümlich“ geteilt haben will, wusste er aber exakt, welche anderen Websites er dabei gerade offen hatte. Die Details des Verbotsgesetzes kenne er nicht und dass es möglich ist, Facebook-Postings zu löschen, habe er erst „irgendwann einmal erfahren“. Auch auf seinem Handy habe er die braunen Nachrichten, die er erhalten hat, nie gelöscht, teilweise nicht einmal angesehen. Es ist festzuhalten: Ein Polizist, der verpflichtet wäre, potentiell strafbare Inhalte anzuzeigen, verbreitet solche selbst, behält andere auf seinem Handy, um dann vor Gericht völlige Ignoranz zu demonstrieren.
Überraschung 1: 3g statt 3h VerbotsG
Überraschend war bereits die Anklage selbst – einerseits, was von den in der Sachverhaltsdarstellung gelisteten Postings vors Gericht kam und was nicht und andererseits, dass jene zwei Postings, die es in die Anklageschrift geschafft hatten und eindeutig unter Holocaustleugnung zu subsumieren sind – auch in der Anklage ist von „den Holocaust verharmlosende bzw. leugnende (…) Beiträge“ zu lesen – nicht nach dem dafür vorgesehenen Gesetzesparagrafen „§ 3h VerbotsG“, sondern nach „3g VerbotsG“ angeklagt wurden. Während bei „3g“ der bedingte Vorsatz der Wiederbetätigung nachgewiesen werden muss, ist dies bei „3h“ nicht erforderlich.
Im Journal für Strafrecht (August 2022) heißt es im Abstract:
Im Gegensatz zu § 3g VerbotsG setzt § 3h VerbotsG nicht den auf Betätigung im nationalsozialistischen Sinn gerichteten Tätervorsatz voraus. Den Tatbestand des § 3h VerbotsG verwirklicht somit, wer ohne auf nationalsozialistische Betätigung zielenden Vorsatz qualifiziert öffentlich den nationalsozialistischen Völkermord oder andere nationalsozialistische Verbrechen gegen die Menschlichkeit leugnet, gröblich verharmlost, gutheißt oder zu rechtfertigen sucht.
Die Hürde für eine Verurteilung nach § 3h VerbotsG ist also niedriger als nach § 3g. Stellt sich die Frage: Warum hat die Staatsanwaltschaft die den Holocaust leugnenden Postings nicht nach § 3h angeklagt?


Überraschung 2: Unwidersprochene Aussagen des Angeklagten
2015 teilte Franz M. ein Posting, das zu einem Artikel verlinkte, in dem in perfider Weise behauptet wird, Tote der Rheinwiesenlager seien in Konzentrationslager transportiert und zu jüdischen Opfern umettiketiert worden. Für diese Behauptung erhielt eine Salzburgerin 2022 einen Schuldspruch samt unbedingter Haft.

Der von M. verlinkte Artikel beginnt mit einem Foto, das Uniformierte neben einem auf einen Lastwagen gestapelten Leichen zeigt, mit dem Untertitel „Falsches Auschwitz-Foto mit ‚amerikanischen‘ Soldaten und deutschen Leichen auf einem Lastwagenanhänger“. Später im Artikel ist dasselbe Foto nochmals zu sehen, diesmal mit dem Titel „Falsches Auschwitz-Foto mit ‚amerikanischen‘ Soldaten und deutschen Leichen auf einem Lastwagenanhänger. Auschwitz wurde von der Roten Armee befreit“
Tatsächlich falsch ist die Untertitelung: Die Aufnahme stammt aus dem KZ Buchenwald, das von der US-Armee im April 1945 befreit worden war. Sie zeigt im KZ aufgefundene Leichen von Häftlingen.

Franz M. verstieg sich im Prozess, bei dem das Foto gezeigt wurde, aber zur Behauptung, es seien „deutsche Leichen“ zu sehen. Auch später während der Verhandlung betonte M. immer wieder, er wolle auch an die „deutschen Opfer“ erinnern – so, als ob es sich bei jüdischen Opfern um keine Deutschen gehandelt habe.
Dass M. im Gerichtssaal den Holocaust nochmals umdeuten konnte, indem er die Nazi-Propagandalüge über KZ-Ermordete als vermeintliche Opfer der amerikanischen Befreier vor Gericht auftischte („für mich sind das deutsche Leichen“), ohne dabei einen vehementen Widerspruch mit dem Hinweis auf die Strafbarkeit einer solchen Behauptung zu ernten, macht fassungslos. Mehr noch: Auch der Richter selbst unterschied zwischen Deutschen und Juden: „Das ärgert sie schon, dass die deutschen Opfer nicht so viel Anerkennung bekommen wie die jüdischen?“, fragte er Franz M. im Laufe des Prozesses.
Überraschung 3: nur zwei Hauptfragen bei sieben Fakten
Geschworenenverhandlungen können sich mühsam in die Länge ziehen, vor allem dann, wenn über viele Anklagepunkte zu entscheiden ist. Wer Verbotsgesetzprozesse öfter beobachtet, weiß, dass über angeklagte Postings oder Nachrichten in der Regel einzeln entschieden wird, was sich in der Anzahl der Hauptfragen, die an die Geschworenen gestellt werden, niederschlägt. Die Fragen müssen dabei doppelt verlesen werden: vor der Beratung der Geschworenen und bei der Urteilsverkündung. Allein die Verlesung kann sich im Fall von vielen Fragen über Stunden ziehen. Erst im letzten Jahr musste ein Schwurgericht in Korneuburg zweimal tagen, weil über 196 Fakten (vor allem Chatnachrichten) zu entscheiden war, was die Verlesung zu einem stundenlangen, für einen einzelnen Tag nicht zumutbaren Marathon gemacht hatte.
Wenn in einer einzigen Frage auf schuldig entschieden wird, endet der Prozess auch mit einem Schuldspruch. Das Grazer Gericht hatte allerdings einen anderen Weg gewählt und die zwei Postings in einer einzigen Frage und die fünf Nachrichten in einer zweiten Frage zusammengefasst. Warum?
Überraschung 4: ein Skandalurteil und keine Rechtsmittel
Nach etwa eineinhalb Stunden Beratung wurde das Urteil verkündet: In der Frage zu den zwei Postings entschieden die Geschworenen mit sechs zu zwei, in der Frage zu den Chatnachrichten mit sieben zu eins für unschuldig. M. erhielt also einen glatten Freispruch. Der Richter*innensenat verzichtete auf das prinzipielle Recht, das Urteil auszusetzen („Ist der Schwurgerichtshof einstimmig der Ansicht, daß sich die Geschworenen bei ihrem Ausspruch in der Hauptsache geirrt haben, so beschließt er – ohne einen darauf abzielenden Antrag zuzulassen –, daß die Entscheidung ausgesetzt und die Sache dem Obersten Gerichtshofe vorgelegt werde.“§ 334 StPO), auch die Staatsanwaltschaft legte keine Rechtsmittel (Nichtigkeitsbeschwerde) ein.
Der „Standard“ (13.3.25) befragte zu dem Urteil Bernhard Weidinger und Robert Eiter:
Dabei seien die geteilten Beiträge „offenkundig rechtswidrig”, sagt Robert Eiter, Vorstandsmitglied im Mauthausen-Komitee. Und auch Bernhard Weidinger vom Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes (DÖW) findet die Entscheidung der Geschworenen „schwer nachvollziehbar”, wie er zum STANDARD sagt. Auch er sieht, „soweit uns bekannt, einen klaren Verstoß gegen das Verbotsgesetz”. (…) „Das ist eine Einladung, den Holocaust zu leugnen”, sagt er [Robert Eiter]. Neonazis und NS-Propagandisten erhielten so die Botschaft, dass sie straffrei davonkommen könnten. Es handle sich um den haarsträubendsten Freispruch der letzten Jahre. Und es rüttele „an den Grundfesten des Staatsvertrags, ist eine Verhöhnung des antifaschistischen Auftrags der Republik”.
Überraschung 5: Die Staatsanwaltschaft erwägt eine neuerliche Anklage
Eine Woche nach dem Freispruch meldete sich die Grazer Staatsanwaltschaft nochmals zu Wort. Sie habe keine Möglichkeit gesehen, gegen das Urteil ein Rechtsmittel einzulegen.
Allerdings, so der Sprecher, liegen der Staatsanwaltschaft zahlreiche Beweise vor, die in dem Fall nicht vor Gericht besprochen wurden. Aufgrund des Ausmaßes der Postings war deren Strafverfolgung vorläufig eingestellt worden – die StA Graz war davon ausgegangen, dass die vor Gericht diskutierten Postings für eine Verurteilung ausreichend gewesen wären. Daher prüfe sie derzeit, ob es möglich ist, ein neues Verfahren aufzunehmen. (derstandard.at, 17.3.25)
Übersetzt: Die Staatsanwaltschaft hat potentiell strafbare Postings nicht angeklagt, weil sie spekulierte, dass eine von ihr getroffene Auswahl für eine Verurteilung reichen hätte müssen. Das macht sprachlos!
P.S.: In Franz M.s Facebook-Chronik ist noch immer jenes Posting mit dem Titel „Deutsche Leichen wurden als jüdische Leichen ausgegeben“ und der Verlinkung zu übelster Holocaustleugnung öffentlich abrufbar.
Postings:
1. Facebook-Posting am 18. Dezember 2015, Link zu einem auf der Website „www.hist-chron.com“ abrufbaren Beitrag mit dem Titel „Rheinwiesenlager 1945 (Teil 3): Deutsche Leichen wurden als jüdische Leichen ausgegeben“,
2. Facebook-Posting am 1. April 2016, Link zu einem auf der Website „waechterdesnordens.wordpress.com“ abrufbaren Beitrag mit dem Titel „Adolf Hitler hat keine Juden vergasen lassen, aber Juden haben Nichtjuden massenhaft vergast!“ und der Textvorschau „Doch die Massenvergasungen, die sie selbst erfunden und durchgeführt hatten, log die Holocaust-Industrie nach dem Krieg ganz einfach Adolf Hitler in die Schuhe! […]“;
via Telegram übermittelte Nachrichten:
1. am 2. März 2020 ein Bild zeigend Adolf Hitler mit zum Hitlergruß erhobener Hand und dem Text „Auf Grund von Corona – Anstatt Hände schütteln … Wird wieder normal Gegrüßt!“ an Edgar B,
2. am 22. Mai 2022 ein Video, auf dem mehrere ausländische uniformierte Soldaten mit tätowierten Symbolen wie dem Hakenkreuz oder dem Truppenkennzeichen der SS-Division „Totenkopf“ zu sehen sind, an Harald W,
3. am 21. August 2023 ein Bild zeigend Erwin Rommel, der mit einem Fernglas Ausschau hält, und dem Text „Fakten 2023: Heute sind mehr Afrikaner in Deutschland als Rommel jemals gesehen hat:“ an die zwanzig namentlich bekannte Telefonkontakte sowie an insgesamt 15 weitere Telefonkontakte,
4. am 18. November 2023 ein Bild zeigend links Wolodymyr Selenskyj und rechts Adolf Hitler in ähnlicher Pose mit dem Text „Der rechts … hatte wenigstens einen Anzug an… …und hat nicht gebettelt!“ an 23 namentlich bekannte Telefonkontakte,
5. am 23. März 2024 ein Bild zeigend Adolf Hitler, der mit lächelndem Gesichtsausdruck die Zeitung liest, mit dem Text „Wenn du eine Zeitung aus der Zukunft in die Hand bekommst und in 2023 vermeldet wird: „Deutsche Panzer rollen wieder auf russischem Boden“ an neun namentlich bekannte Telefonkontakte.
Wir danken prozess.report und „VON UNTEN – Das Nachrichtenmagazin auf Radio Helsinki“ für die Prozessbeobachtung!