Kein Bundesland ist aktuell von der Hochwasserkatastrophe so sehr betroffen wie das schwarz-blau regierte Niederösterreich. Was die FPÖ dort zu bieten hat, sind parteimäßig aufgehübschte Dankesparolen an die Einsatzkräfte, garniert mit dem in diesem Zusammenhang besonders wahnwitzigen Slogan „Niederösterreich zuerst“. Zuvor hatten sich Blaue in erster Linie über die Klimakleber erregt, gegen Windkraftanlagen („Windradwahnsinn“) polemisiert und eine Erhöhung des Tempolimits auf Autobahnen gefordert. Neue Straßenbauprojekte werden vorangetrieben, anstatt den besonders in Niederösterreich grassierenden Bodenfraß zu beschränken.
Als die Klimaschutzministerin Leonore Gewesseler in der EU dem Renaturierungsgesetz, das die Hochwassergefahr in Zukunft reduzieren soll, zugestimmt hatte, schäumte nicht nur die ÖVP. Die FPÖ ortete „einen Anschlag auf die Existenz unserer Landwirte“ (parlament.gv.at, 27.6.24) und stellte im Nationalrat – erfolglos – einen Misstrauensantrag gegen Gewessler. 130 Wissenschafter*innen hielten dagegen in einer Studie fest, dass „[d]ie massive Zerstörung wertvoller Böden (…) eine Bedrohung der Ernährungssicherheit in Österreich“ (APA via nachrichten.at, 30.4.24) ist.
Klimaschutz mit Feindmarkierungen
Von Maßnahmen gegen die Bodenversiegelung ist im FPÖ-Wahlprogramm selbstredend nichts zu finden – bis auf eine an Zynismus kaum zu überbietende, rassistisch eingefärbte Formulierung über Zuwanderung: „Die berechtigte Klage über die massive Bodenversiegelung ist zugleich eine Klage über immer mehr Menschen im Land, die mehr Wohnraum, breitere Straßen und zusätzliche Gebäude für Einrichtungen aller Art – vom Spital bis zum Kindergarten – benötigen.“ (S. 77)
Die Ausländer sind es also nach FPÖ-Narrativ, die sogar an der seit Jahrzehnten hausgemachten Bodenversiegelung Schuld tragen! Damit folgt die FPÖ einem von Rechtsextremen und Neonazis postulierten biologistisch-rassistischen Konzept von Umweltschutz als Volks- und Heimatschutz, das angesichts der globalen Katastrophe freilich ohne jegliche Lösungsansätze bleibt – schlimmer noch: die Handlungsverantwortung externalisiert, um nach Innen die Lüge auftischen zu können, dass alles so bleiben kann, wie es ist.
Was viele nicht wissen: va In den 1960ern wurde den österreichischen Flüssen so viel Platz genommen, dass man von einem „10. Bundesland“ sprach. Deshalb gibt es keine Aulandschaften mehr, die Wasser aufnehmen und langsam abrinnen lassen. Sondern Betonkanäle, die übergehen.
— Corinna Milborn (@corinnamilborn) September 15, 2024
Der Vorstellung eines klar abgegrenzten Gut-Böse-Schemas folgend, ist wenig überraschend, dass die erste Äußerung zu „Klima“ im FPÖ-Wahlprogramm den „Klimaklebern“ gewidmet ist, für die die blauen Strategen „strengere Strafen“ fordern: „Es muss endlich Schluss damit sein, dass uns eine kleine verblendete Gruppe von ‚Klimaklebern‘ weitgehend ungestraft tyrannisieren darf.“ (S. 18)
Umweltschutz als „Eigenverantwortung”, Schäden sozialisieren
Am massivsten und zugleich absurdesten polemisiert die FPÖ im Kapitel „Natur- und Umweltschutz“ gegen Klimaschutzmaßnahmen, indem sie einerseits den Umweltschutz in die „Eigenverantwortung“ übertragen und nicht benannte „neue Technologien im Sinne der Nachhaltigkeit“ (S. 41) einsetzen will. „Umweltschutz“ sei „mehr als Klimahysterie“: „Schutz unseres Trinkwassers vor beabsichtigten Zentralisierungsmaßnahmen durch die EU, aber auch vor Arzneimittelrückständen, Maßnahmen gegen das Bienen- und Insektensterben sowie der Schutz unserer Almwirtschaft vor dem Wolf.“ (S. 41)
Welche Zentralisierungsmaßnahmen der EU das Trinkwasser gefährden sollen, schreibt die FPÖ allerdings nicht. Natürlich verrät sie auch nicht, dass just die neoliberale Ökonomin Barbara Kolm, die für das blaue Wirtschaftsprogramm mitverantwortlich zeichnet und auf einem aussichtsreichen Platz für die Nationalratswahl kandidiert, 2017 in einer TV-Diskussion noch von einer Privatisierung des Trinkwassers fantasiert hatte.
Der „Klimapolitik“ wird auch die Mitschuld an der Inflation gegeben, denn die bringe „nur zusätzliche Belastungen“ (S. 32) und heize die Energiepreise an. Dafür postuliert die FPÖ das Ende der ohnehin sehr moderat angesetzten CO2-Steuer, um damit auch den Klimabonus abschaffen zu können, womit sie die durch den CO2-Ausstoß verursachten Kosten für Umwelt- und Klimaschäden weg von den Verursachern hin zur Allgemeinheit sozialisiert. (S. 73)
Den „Green Deal“ der EU, der mit dem Europäischen Klimagesetz verbindliche Klimaziele vorgibt, nennt die FPÖ martialisch „wohlstandszersetzend“ – sie will daher eine „Befreiung“: „Es braucht effiziente und wirtschaftliche Lösungen, um den Wohlstand der österreichischen Bevölkerung nicht zu gefährden.“ (S. 41) Die sieht die FPÖ ganz in neoliberaler Handschrift gehalten in „Marktwirtschaft statt Öko-Planwirtschaft“. Kurzum: Die FPÖ individualisiert den Umwelt- und damit auch den Klimaschutz, während sie aber ebenfalls fordert, dass der Staat einen Rechtsanspruch „auf Hilfe und Schadenersatz“ (S. 75) im Falle von Naturkatastrophen gewährleistet. Es passt daher ins Bild, dass die FPÖ – von Parteichef Kickl abwärts – nun bei den durch den Klimawandel beeinflussten Überflutungen „die große Kraft der Gemeinschaft“ (FB 15.9.24) beschwört.
Von der EU festgesetzte Kompensationszahlungen, im FPÖ-Jargon „Klimastrafen“ genannt, die bekanntermaßen nur bei Nichteinhaltung der gemeinsamen Klimaziele zu leisten wären, will die ansonsten betont wissenschaftsfeindliche FPÖ in die österreichische Forschung investieren. „Es muss wieder möglich sein, durch ein Vorantreiben von Wissenschaft und Technik zum Gemeinwohl beitragen zu können, anstatt in einem repressiven Klima des unerträglichen Kostendrucks und der Bevormundung zu leben.“ (S. 38)
„Land unter” statt Klimaschutz
Anvisierte Klimaschutzmaßnahmen im Bereich der Energiepolitik würgt die FPÖ pauschal und ohne jegliche Beweisführung als „utopisch“ ab und erklärt gleichzeitig, die würden „unseren über Jahrzehnte erarbeiteten Wohlstand massiv gefährden“ (S. 38). Das soll die FPÖ nun angesichts der Hochwasserkatastrophe in Österreich und anderen Ländern insbesondere jenen erklären, die durch die Fluten alles verloren haben. Das blaue Wahlprogramm umgesetzt würde in jeder Hinsicht eines bedeuten: Land unter statt „5 gute Jahre”!
Von hinten sieht es übrigens so aus https://t.co/bukpvhdJU2 pic.twitter.com/I4ZOJjX1ie
— Colette Schmidt (@ColetteMSchmidt) September 15, 2024
➡️ FPÖ-Wahlprogramm (I): Homogen durch Ausscheidung des Heterogenen
➡️ FPÖ-Wahlprogramm (II): Canceln, Rollatoren & Freiheit für Hass und Hetze
➡️ FPÖ-Wahlprogramm (III): Multiple Verfassungsbrüche?