Den Wiener Identitären-Ideologen Martin Semlitsch (mit Aliasnamen „Lichtmesz“) (1) umtreibt das Thema Ökologie. Gleich mehrere Texte von ihm, die im Blog von Götz Kubitscheks Magazin „Sezession“ erschienen sind (2), geben Einblicke darin, wie „neurechte“ Umdeutungen und Projektionen funktionieren – und wie schnell dabei aus einem ironischen Hitler-Bezug ein ernster werden kann.
Öko-„Neurechts“
Ziel der sogenannten „Neuen Rechten“ ist die Modernisierung von völkischer Ideologie. Man ist darauf bedacht, dem verstaubten, anti-intellektuellen und nicht gerade kulturaffinen Klischeebild der extremen Rechten entgegenzuarbeiten und die „heißen Eisen“ der Zeit aufzugreifen. Letzteres ist wesentlicher Bestandteil einer Mimikry-Strategie, der es um eine nachhaltige Verankerung rechtsextremer Chiffren und Ideologeme im medialen Mainstream geht (3). Vor diesem Hintergrund stellt der Aufgriff des Themenkomplexes Klimawandel/Ökologie/Umweltschutz für die rechten Kulturkämpfer (4) zwar eine Chance, aber auch ein Problem dar. Einerseits will man dem Fossil-Fetisch rechtspopulistischer Agitator*innen nicht widersprechen, andererseits will man gemäß der eigenen Blut-und-Boden-Ideologie – und dem Anspruch einer Kapitalismuskritik von rechts – auf einen in „Heimatschutz“ umgedeuteten Umweltschutz bestehen. Letzteres stellt die Aktivisten zudem seit dem Jahr 2020 vor das Problem, dass sie sich mit rechtsesoterischen Maßnahmengegner*innen zwar auf einer Seite wähnen – was ideologisch weitgehend auch gut passt –, aber dennoch Distanz wahren müssen gegenüber der vollständigen Eskalation in Obskurantismus, wie sie häufig in diesem Milieu anzutreffen ist.
Dennoch: Es liegt Potenzial für die Szene in dem Thema. Erst letztes Jahr hat eine Studie (hier besprochen von der taz) festgestellt, dass es an deutschen Unis innerhalb von Studiengängen zu Umwelt- und Naturschutz durchaus eine Anfälligkeit für rechtsextremes Gedankengut gibt. Die „neurechte“ Szene hat das erkannt; dafür steht etwa die Gründung des Magazins „Die Kehre“, das sich ausschließlich mit der Thematik befasst. Herausgeber Jonas Schick ist wie Semlitsch Teil des engen Umfeldes von Götz Kubitschek und schreibt ebenso für die „Sezession“.
Hohn und Hitler
Bereits im Juni 2022 hat Semlitsch im Blog der „Sezession“ eine vierteilige Artikelserie zum Thema „Ökoterrorismus“ veröffentlicht. Im ersten Teil spottet er über die Klimaaktivistin Luisa Neubauer, die er etwa als „verwöhnter, reicher Teenager, der im Körper einer Erwachsenen gefangen ist“ oder auch als „kleines Mädchen mit großer Klappe“ beschimpft. Das (sexistisch untermalte) Verächtlichmachen hat den Zweck, die Aktivistin als unbedeutend zu erklären. Neubauer und auch Greta Thunberg seien „reine Medienphänomene“, die ihre Bekanntheit „gezieltem Astroturfing verdanken“ würden. Eine Aussage, die spannenderweise Semlitschs eigenes Milieu präzise charakterisiert – schließlich bezeichnet der Begriff „Astroturfing“ ein Phänomen, dass die gesamte „Neue Rechte“ dieser Tage recht gut fasst: Eine Marketingstrategie, die darauf aufbaut, sich als „Graswurzelbewegung“ darzustellen, obwohl hier lediglich eine kleine Gruppe ein ganz spezifisches Interesse verfolgt.
Semlitsch behauptet, nicht nur die Klimaschützer*innen, sondern die „Linksextremen überhaupt, egal welcher Glaubensrichtung, [haben] eine systemaffirmierende Funktion“; insofern hätten linke Aktivist*innen auch „Narrenfreiheit“, während rechte „wie Terroristen oder Massenmörder in spe behandelt“ würden. Diese wohlbekannte Selbststilisierung zum Opfer ist ein Steckenpferd jeder Ausprägung der gegenwärtigen extremen Rechten: Jene die vom „großen Austausch“ schwadronieren sehen sich sofort als Verfolgte, sobald skandalisiert wird, dass jemand unter dem Banner ihrer Slogans tatsächlich Menschen abschlachtet. Semlitsch beherrscht dieses Geschäft einer aggressiven Larmoyanz seit vielen Jahren.
Spannender aber noch an diesem Beispiel ist, dass er hier Einblicke in einen weiteren zentralen Aspekt rechtsextremer Ideologie gewährt: Die Unfähigkeit oder den Unwillen, gesellschaftliche Verhältnisse außerhalb martialischer Freund-Feind-Schemata zu begreifen. Denn Semlitsch projiziert eben dieses Schema einer ultimativen Feindbildbestimmung auf die Motivation seiner Gegner*innen. Und dabei spart er auch nicht mit NS-relativierenden Superlativen, etwa wenn er einen „öffentlichen Diskurswandel“ hinsichtlich der Legitimation von Gewalt diagnostiziert und schreibt: „Was gegen den ‚neuen Hitler‘ Putin recht ist, sollte gegen den ultimativen ‚Nazi‘ Klimawandel, der die ganze Menschheit holocausten will, billig sein, n’est-ce pas [„nicht wahr“, Übers. SdR]?“ (Lichtmesz 2022) Ganz ähnlich tönt es im zweiten Teil seiner Artikelserie, wenn Semlitsch mit Bezug auf den marxistischen Soziologen Andreas Malm zuspitzt, was er für den linken Zugang zur ökologischen Katastrophe hält: „Es handelt sich dabei also um einen ultimativen, absoluten Feind, um einen strukturellen Mega-Giga-Über-Hitler, und gegen ihn zu kämpfen, bedeutet, sich in den Dienst einer ultimativen, absoluten Moral zu stellen.“
Was Semlitsch spöttisch zum Vorwurf erhebt, gibt freimütige Einblicke in die Funktionsweise seiner eigenen Ideologie. Komplexitätsreduktion entlang eines martialischen Freund-Feind-Schemas ist schließlich der rhetorische Pulsschlag der extremen Rechten. Denn man befindet sich ja im apokalyptischen Abwehrkampf gegen den gezielt betriebenen „Bevölkerungsaustausch“. Das völkische Versprechen eines heilen homogenen Schrebergartens kann ohne solche (innere und äußere) Feindbestimmung nicht auskommen; insofern zählt auch die Moralisierung des Politischen zu den Kernelementen extrem rechter Ideologie: Nicht gesellschaftliche Verhältnisse und Praktiken sind das Problem, sondern Personen und Personengruppen vereiteln jene heile Welt, die sich ansonsten ja ganz naturwüchsig einstellen müsste im „ethnokulturell“ homogenen Biotop.
Kurz: Apokalyptik (Stichwort: „Untergang des Abendlandes“ und „Bevölkerungsaustausch“) sowie personalisierende und moralisierende Freund-Feind-Schemata zählen zu den Kernelementen der rechtsextremen Ideologie. Und Semlitsch projiziert diese Komplexitätsreduktion seines Milieus auf einen als „links“ markierten Umwelt- bzw. Klimaschutz.
Die Projektionsleistung entlastet; das uneingestandene Eigene wird im Anderen erkannt und dort kritisiert bzw. verächtlich gemacht. Und der Klimaschutz eignet sich freilich hervorragend als Projektionsfläche für die rechtsextreme Lustangst am Untergang.
➡️ Faszination „Ökoterrorismus“ (II): Vernichtungsfantasien
Fußnoten
1 Lichtmesz ist Autor bei der „neurechten“ Zeitschrift „Sezession“ und dem „Antaios“-Verlag, beide betrieben von Szene-Größe Götz Kubitschek in Schnellroda (Sachsen-Anhalt). Er hat sich in seinem Milieu u.a. anderem einen Namen damit gemacht, dass er ein Buch mit dem Titel „Revolte gegen den Großen Austausch“ (2016) von dem französischen Rechtsextremisten Renaud Camus ins Deutsche übersetzt hat. Damit lieferte er der Szene jenen Text, von dem die rassistische Verschwörungschiffre vom „Bevölkerungsaustausch“ stammt, die zum Hauptslogan der „Identitären“ wurde.
2 Zitierte Quellen: Lichtmesz, Martin (2022): „Ökoterrorismus“ (vierteilige Artikelserie), erschienen im Blog der „Sezession“, zuletzt eingesehen: 07.08.2023
3 Die zu dieser Strategie gehörenden Simulation von Größe haben wir unlängst anhand eines Verlagstreffens in Wien besprochen: Rechtsextremes „Vienna Calling“ (21.4.23)
4 Da es sich bei den entsprechenden Akteuren beinahe ausschließlich um Männer handelt, verwenden wir auch nur die männliche Form