In Teil 1 unserer Analyse einer „neurechten“ Bezugnahme auf das Thema Ökologie haben wir am Beispiel der Artikelserie „Ökoterrorismus“ von Martin Semlitsch „Lichtmesz“ aufgezeigt, wie sehr dessen Spott gegen Umwelt- und Klimaschutz mit Vorwürfen arbeitet, die eigentlich seine eigene Ideologie charakterisieren. Aber Semlitsch bleibt nicht bei solchen Projektionen stehen – in Teil 2 zeigen wir, wie er vom ironischen Hitler-Bezug zu einem ernstgemeinten kommt.
Semlitsch leugnet den Klimawandel zwar (bzw. will er sich in dieser Frage nicht sicher sein), aber er schwadroniert freimütig darüber, was passieren müsste, würde der Klimawandel echt sein (1). Mit diesem Gedankenspiel verlässt er die sichere Position, die er durch die in Teil 1 beschriebene projektive Abgrenzung eingenommen hat. Dabei wird die Argumentation unvorsichtiger – und er gibt einen ungeschönten Einblick darin, was Neofaschisten wie er anstreben, würden sie die Klimakatastrophe nicht leugnen:
Wenn man ernsthaft glaubt, daß der menschengemachte Klimawandel real ist, daß er buchstäblich das Überleben der ganzen Menschheit bedroht und nur durch die totale Abschaffung von fossiler Energie aufhaltbar ist, dann kann dies logischerweise nur durch massive autoritäre Gewaltanwendung auf globaler Basis geschehen.
Wenig überraschend: Es sind Gewaltfantasien und autoritäre Wahnvorstellungen, die Semlitsch sofort heimsuchen, wenn er spekulierend in Erwägung zieht, was ernstzunehmende Akteur*innen längst wissen, nämlich dass der Klimawandel real ist.
Faszination „intellektuelle ‚Outlaws‘“
Semlitsch zeigt sich dann im vierten Teil seiner „Ökoterrorismus“-Serie – ohne jede Ironie – fasziniert von Leuten, die aus der Umweltkatastrophe einen Auftrag zum Massenmord ableiten. Er stellt klar: Im Gegensatz zum „trügerische[n] Wunschbild sowohl der Klima-Kapitalisten als auch der Klima-Sozialisten“, würden die wahren Konsequenzen der Umweltkatastrophe „nur intellektuelle ‚Outlaws‘ zu Ende zu denken“. Zwei von diesen Öko-„Outlaws“ haben es Semlitsch besonders angetan: Pentti Linkola und Ted Kaczynski. Der eine träumte von Massenmord, der andere war tatsächlich ein Mörder. Um diese beiden geht es nicht nur im letzten Teil der Artikelserie, sondern auch in langen Nachrufen, die Semlitsch für beide verfasst hat.
Der erst vergangenen Juni verstorbenen Kaczynski, besser bekannt als „Unabomber“, war ein misanthropischer Zivilisations-Verächter, der mit Briefbomben drei Menschen ermordet hat und von 1996 bis zu seinem Tod in Haft saß. Das Manifest des Terroristen hat für ein gewisses Aufsehen gesorgt, denn Kaczynski hatte es geschafft, eine Veröffentlichung zu erpressen: Als noch völlig unklar war, wer hinter den Attentaten steckt, hat Kaczynski einer Zeitung angetragen, er würde damit aufhören, so sein Text mit dem Titel „Die industrielle Gesellschaft und ihre Zukunft“ veröffentlich würde. Und eben das ist auch geschehen. Aber die Aktion führte allerdings zu seiner Enttarnung und Verhaftung. Eine erfolgreiche Netflix-Serie von 2017 zeugt davon, dass Kaczynski auch zum popkulturellen Faszinosum wurde.
Semlitschs Nachruf versucht die Zivilisationskritik des Unabombers in die Gegenwart zu hieven, wenn er darüber raunt, dass alle – „Menschen aller Altersstufen, aller sozialen Klassen, aller Rassen und Ethnien“ – ständig aufs Smartphone starren. Der kulturpessimistische Elfmeter wird hier von lapidar eingestreutem, aber völlig offenen Rassismus flankiert: Der Andeutung, dass es „Menschenrassen“ gebe, die sich offenbar auch noch von „Ethnien“ unterscheiden ließen (2). Semlitsch lobt, dass der Unabomber „scharf und kompromißlos anti-woke“ gewesen sei und er besteht darauf, dass „die Gesellschaftskritik Kaczynskis – zumindest in wesentlichen Teilen – ernstzunehmen“ sei.
Für ebenso ernstzunehmend hält er auch den Öko-Fanatiker Pentti Linkola, für den er bereits 2020 den Nachruf verfassen musste. Linkola war ein finnischer Umweltschützer, Autor und Selbstversorger, der eine rabiat antidemokratische Ideologie vertrat und sich selbst ein asketisches Leben aufbürdete. Semlitsch ist fasziniert von dieser Härte und Konsequenz; im „Ökoterror“-Artikel ätzt er, dass Malm, Thunberg und Neugebauer „nicht wirklich so aus[sehen], als würden sie viel Lebenszeit in der freien Natur verbringen“, während Linkola „sein Leben lang in, mit und von der Natur“ lebte und daher „um ihre erhabene Schönheit wie um ihre Härte und Brutalität“ wusste.
Linkola trat in seinen Texten sowie in Interviews völlig offen für Massenmord ein und bekannte sich als Fan von so ziemlich jeder antiegalitären und antiliberalen Ideologie, die es gibt. Er empfahl „unverhohlen die Ausrottung des Großteils der Menschheit“, wie Semlitsch in seinem Nachruf richtig schreibt, und er sah im Nationalsozialismus „eine großartige Philosophie”. Semlitsch zitiert diesen menschenfeindlichen Sermon auch ausführlich; am schlimmsten ist eine Stelle aus dem Text „Menschenflut“ (1990), in der Linkola darüber salbadert, dass ja niemand die Todesopfer von Stalin oder auch „Hitlers sechs Millionen Juden“ vermissen würde. Dennoch hält Semlitsch fest, er habe die „Lektüre Linkolas über weite Strecken als bewegend und zuweilen erschreckend einleuchtend“ empfunden – seine „Analysen und Diagnosen“ seien „oft schwer von der Hand zu weisen, auch wenn die von ihm vorgeschlagene ‚Therapie‘ grauenhaft, wahnsinnig und undurchführbar erscheint“ (man beachte die unentschiedene Formulierung: „erscheint“!).
Fazit
So schließt sich der Kreis: Jener, der eine vermeintlich linke Apokalyptik verspottet, ist dazu in der Lage beim selben Thema darüber zu spekulieren, ob im Angesicht von Erderwärmung und „Überbevölkerung“ nicht „eine präventive drastische Reduktion der Bevölkerung (und nicht bloß des Bevölkerungswachstums) ein durchaus logischer Schritt“ wäre, wie es im Nachruf für Linkola tönt.
Dass Semlitsch so offen einer Rationalisierung seiner Genozid-Fantasien frönen kann, liegt freilich an der oben besprochenen projektiven Abgrenzung: Er spricht ja aus einer Position der Distanz über Figuren wie Linkola, die er bloß als die besseren, weil ehrlicheren und härteren Umweltschützer*innen beschreiben will. Soweit das kolportierte Selbstbild. Ein genauer Blick zeigt aber, wie mit dem Bezug auf Linkola und Kaczynski auch wieder eine inhaltliche Annäherung an die eigene Ideologie stattfindet. Denn mit ihnen holt Semlitsch das Thema „Überbevölkerung“ prominent hinzu – und damit implizit auch jenes Furchtbild von hereinströmenden, nicht-weißen Menschenmassen, das Semlitsch mit seinem Wahn vom „Bevölkerungsaustausch“ ständig bedient und das freilich die Blaupause für die „neurechte“ Umdeutung von Umweltschutz und „Heimatschutz“ bildet.
Kurz: Der „neurechte“ Schwurbler schafft es, vom Spott über die Klimakatastrophe als „Mega-Giga-Über-Hitler“ zur gar nicht spöttischen Würdigung einer ihm selbst inhaltlich nahen Position zu kommen, die nicht nur vor paranoider Apokalyptik strotzt, sondern als deren Gegenmittel tatsächlich Hitler empfiehlt. Eine schwindelerregende Leistung. Würde er etwas plumper formulieren, wäre er wohl ein Fall fürs Verbotsgesetz.
➡️ Teil 1: Faszination „Ökoterrorismus“ (I): Spott & rechtsextreme Projektionen
Fußnoten
1 Zitierte Quellen:
Lichtmesz, Martin (2020): „In memoriam Pentti Linkola (1932 – 2020)“, erschienen im Blog der „Sezession“, zuletzt eingesehen: 7.8.23
Ebd. (2022): „Ökoterrorismus“ (vierteilige Artikelserie), erschienen im Blog der „Sezession“, zuletzt eingesehen: 07.08.2023
Ebd. (2023): „Zum Tod des UNA-Bombers Ted Kaczynski (1942–2023)“, erschienen im Blog der „Sezession“, zuletzt eingesehen: 07.08.2023
2 Das allerdings ist Lichtmesz’ Spezialität; zu seinen Publikationen bei „Antaios“ zählt schließlich ein Bändchen mit dem Titel „Ethnopluralismus“, wobei es sich um eine „neurechts“ schöngefärbte Vokabel für das altbekannte völkische Reinheits- und Homogenitätsphantasma handelt. Kurz: Um plumpen Rassismus, wie etwa dieses Zitat aufzeigt:
Der Weiße wird zum Universal-Sündenbock schwarzen Versagens gemacht. Eine realistische, faktenorientierte Betrachtung wird hingegen aufzuzeigen versuchen, daß die Ursachen der sozialen Minder- und Fehlleistungen der schwarzen Bevölkerung in ihrem eigenen Verhalten und ihren eigenen ethnokulturellen und biologischen Dispositionen zu suchen sind – also daß hier horribile dictu eine reale Ungleichheit vorliegt, die sich nicht therapeutisch, sozi-ökonomisch und sozialtechnisch behandeln läßt. (Lichtmesz 2020, 167)