Während noch völlig offen ist, ob sich Parteien von CDU bis BSW (Bündnis Sarah Wagenknecht) in den beiden Bundesländern zu einer Koalition zusammenfinden können, aber derweilen noch alle eine Koalition mit der AfD ausschließen, sind einige Kommentator*innen schon eifrig bemüht, der AfD den rechtsextremen Dreck wegzupolieren. Selbst im „Standard“ (7.9.24) wird in einer Debatte Für & Wider, ob Rechtsextreme in eine Regierung geholt werden sollen, geschichtsvergessen gefordert: „Holt die Rechten in die Regierung und entzaubert sie. In Koalition mit einer Partei der Mitte können die Rechten nicht viel anstellen. (…) Die Verfassung lässt sich nicht so leicht aushebeln.“
Falls das auch im Hinblick auf die Nationalratswahlen in Österreich geschrieben worden sein sollte, stimmt es gerade hierzulande nicht. Sehr rechte und rechtsextreme Parteien haben aus Niederlagen und Rückschlägen der Vergangenheit gelernt und ihre Strategien zur autoritären Machtübernahme angepasst: Entmachtung bzw. Gefügigmachung der Höchstgerichte, der öffentlich-rechtlichen Medien (und auch der anderen über Inserate, Förderungen), Angriffe auf und Einschränkungen für zivilgesellschaftliche Organisationen – da ist einiges möglich, auch mit Unterstützung konservativer Parteien.
Thüringen: Kein Direktmandat für Höcke
Nachdem Björn Höcke bei der letzten Landtagswahl 2019 an seinem Anspruch, in seinem Heimat- Wahlkreis Eichsfeld ein Direktmandat zu erreichen, mit nur 21,4 % der Erststimmen krachend gescheitert war, musste diesmal ein weit entfernter, aber aussichtsreicherer Wahlkreis her. In Greiz II hatte die AfD bei der EU-Wahl im Juni schon 35 % erreicht. Höcke, der am 1. Juli zum zweiten Mal wegen Verwendung einer NS-Parole (nicht rechtskräftig) verurteilt worden war, schaffte auch diesmal das Direktmandat nicht, sondern unterlag mit 38,9 % gegen den CDU-Kandidaten (43 %).
Mit den 32,8 % hat die Thüringer AfD im ehemaligen Nazi-Mustergau einen Stimmengewinn von 9,4 % erzielen und damit das gesamte rechtsextreme Potenzial deutlich besser ausschöpfen können als die gleichermaßen vom Verfassungsschutz als gesichert rechtsextrem eingeschätzte AfD in Sachsen.
Sowohl die Werteunion (0,6 %) und das Bündnis Deutschland (0,5 %), die beide dem sehr rechten bis rechtsextremen Spektrum zuzuordnen sind, blieben erfolglos und weit hinter ihren selbstgesteckten Erwartungen zurück. Die Werteunion plakatierte ihren bundesweit bekannten Spitzenmann, den früheren Verfassungsschutzchef Hans-Georg Maaßen, der mittlerweile vom Verfassungsschutz als rechtsextrem eingeschätzt wird, obwohl er gar in Thüringen gar nicht kandidiert hatte.
Sachsen: Viele Rechtsextreme …
Der Wahlerfolg für die AfD fiel mit einem Zuwachs von 3,1 % deutlich bescheidener aus als in Thüringen und führte in rechtsextremen Kreisen bereits zu Unmut über den Spitzenkandidaten Jörg Urban, dem eine zu kompromissbesetzte Haltung gegenüber den „Systemparteien“ vorgeworfen wird, obwohl Urban wie Höcke ein Mann des (formal aufgelösten) rechtsextremen „Flügel“ ist.
Faktum ist, dass in Sachsen deutlich mehr Gruppierungen, die dem sehr rechten bis rechtsextremen Spektrum zuzurechnen sind, neben der AfD kandidierten und deren Stimmanteile der AfD für Platz 1 in Sachsen fehlten. Die Freien Wähler, die zwar weder in Thüringen (1,3 %) noch in Sachsen (2,3 %) eindeutig dem rechtsextremen Lager zuzurechnen sind, könnten aber in Sachsen, wo sie über Direktstimmen ein Landtagsmandat erreichten, der AfD zur knapp verfehlten Sperrminorität im Landtag verhelfen.
Dem Bündnis Deutschland (0,3 %) verschaffte auch ein 2023 von der AfD übergetretener Landtagsabgeordneter keinen Vorteil. Es blieb ebenso erfolglos wie die Werteunion (0,3%). Eine Kandidatur schaffte die Bürgerrechtsbewegung Solidarität (BüSo), eine Nachfolgepartei der rechtsextremen und antisemitischen Europäischen Arbeiter-Parte, ebenso wie das Bündnis C – Christen für Deutschland, eine rechte christlich fundamentalistische Minipartei. BüSo erhielt 0,1 % der Stimmen und das Bündnis C mit 0,2 % annähernd gleich viele Stimmen wie dieBasis, die Partei der Corona-„Querdenker“ (0,2 %).
Die Wahlfälschungen und die unfreiwillig komischen „Freien Sachsen“
Gemessen an den Ergebnissen für diese Miniparteien sind 2,2 % der Stimmen für die „Freien Sachsen“, eine nicht nur rechtsextreme, sondern auch deutlich von Neonazis geprägte Partei, neben den 30,6 % für die AfD durchaus beachtlich und führten zu einem veritablen Streit, in dem den „Freien Sachsen“ vorgeworfen wurde, durch ihre Kandidatur den Wahlsieg der AfD verhindert zu haben.
Die stark aktivistische Partei hat seit ihrer Gründung 2021 ziemlich alle Krisenereignisse für militante Mobilisierungen (z.B. auch bei den Bauernprotesten) genutzt und auf kommunaler Ebene auch Mandate erringen können.
Bei der Landtagswahl am 1. September ist die Partei vorwiegend aufgefallen, weil bei der Stimmauszählung mehr als einhundert Stimmzettel aus der Briefwahl manipuliert und mit einem Kreuz für die „Freien Sachsen“ versehen worden sind. Die Manipulation der Stimmzettel sei ziemlich professionell und sehr systematisch durch Überklebungen ausgeführt worden sein: „Die Aufkleber müssen demnach genau in dem Grünton der Stimmzettel angefertigt worden sein, in einer Größe, die genau den Kreis ausfüllt, in dem die eigentlichen Kreuze gesetzt waren, gleichzeitig sehr dünn, aber blickdicht.“ (Sächsische Zeitung, 6.9.24)
85 manipulierte Stimmzettel wurden in Dresden-Langebrück abgegeben und haben dort den Stimmanteil der „Freien Sachsen“ deutlich nach oben getrieben. Das könnte gleichermaßen bei der Kommunalwahl im Juni passiert sein, stellten aufmerksame Beobachter*innen nach den Enthüllungen über die Wahlfälschungen fest. Auch damals gab es in Dresden-Langebrück weit über den sonstigen Wahlergebnissen liegende Stimmanteile für die „Freien Sachsen“.
Mittlerweile hat die sächsische Generalstaatsanwaltschaft die Ermittlungen an sich gezogen. Es wird vermutet, dass weitere Wahlfälschungen, die bislang alle zugunsten der „Freien Sachsen“ stattfanden, auch in anderen Landesteilen noch auftauchen könnten.
Die „Freien Sachsen“, die die Wahlfälschungen zunächst noch zynisch kommentiert haben („Wer dahinter steckt? Völlig unbekannt. Vielleicht stimmt die Meldung nicht, vielleicht ist es eine linke Sabotage-Aktion, vielleicht ein völlig verunglückter Unterstützungsversuch.“), sind mittlerweile auf ihre alte Linie umgeschwenkt, die Briefwahl generell abschaffen zu wollen: „Die jüngsten Ereignisse in Dresden zeigen: Die Briefwahl ist und bleibt ein Unsicherheitsfaktor, über den Wahlen manipuliert werden können.“ Das klingt angesichts der Vorgänge am 1. September schon unfreiwillig komisch!
Update 13.9.24: Offenbar wurden Stimmzettel nicht nur bei der Landtags‑, sondern auch bei der Kommunalwahl im Juni gefälscht. Die Sonderkommission Rechtsextremismus habe bei einer Hausdurchsuchung Beweismaterial sichergestellt.
Nach Informationen von MDR Investigativ ist der Verdächtige im Juni in den Ortschaftsrat von Langebrück gewählt worden. Die „Freien Sachsen” erreichten dort in einigen Wahlbezirken auffallend hohe Ergebnisse bei den Stadtrats- und Ortschaftsratswahlen im Vergleich zu anderen Dresdner Wahlbezirken. Ein Kandidat der „Freien Sachsen” kam damit in den Ortschaftsrat von Langebrück. (tagessschau.de, 13.9.24)
Nach der Durchsuchung beim Langebrücker Ortschaftsrat Michael Schleinitz wegen des Verdachts der Wahlfälschungen zur Kommunalwahl und zur Landtagswahl in #Sachsen ist es sehr ruhig auf den Kanälen der rechtsextremen Freien Sachsen geworden. ♀️
— Anja H. ⚖️ (@AnjaHennersdorf) September 13, 2024