Bevor uns einmal mehr neunmalkluge Beschwichtiger aufzuklären versuchen: Auch wir wissen, dass nicht alles, was im FPÖ-Wahlprogramm steht, rechtsextrem ist. Das unschuldige Wort „und“ kommt zum Beispiel 945-mal vor, der deutlich rechtsextrem punzierte Begriff „Volkskanzler“, mit dem Kickl seit Monaten durch das Land zieht, hingegen nur ein einziges Mal. Was sagt uns das? Dass das Programm nicht rechtsextrem ist? Oder eher, dass Kickl und die Seinen nicht unbedingt alles, was ihnen wichtig ist, ins Wahlprogramm aufgenommen haben, stattdessen aber einige Belanglosigkeiten.
Die „Homogenität” im FPÖ-Wahlprogramm
Einiges versteckt die FPÖ auch oder maskieren es neu: „Homogenität des Volkes“ klingt zunächst einmal unverdächtiger als „Volksgemeinschaft“, „Überfremdung“ oder einige noch deutlicher rechtsextreme Begriffe. Es ist aber nichts anderes als ein Rückgriff auf das Denken von Carl Schmitt, Kronjurist der Nazis: „Zur Demokratie gehört also notwendig erstens Homogenität und zweitens – nötigenfalls – die Ausscheidung oder Vernichtung des Heterogenen.“ (Die geistesgeschichtliche Lage des heutigen Parlamentarismus)
Geht man davon aus, dass sich Personen zu einem Staatswesen zusammenfinden, die Ähnlichkeiten aufweisen, so gilt vice versa, dass das Staatswesen leidet, wenn diese Bedingung aufhört zu bestehen. Vor diesem Hintergrund muss man erkennen, dass die gesellschaftliche Basis des Staates nicht gespalten wird, sondern vielmehr erodiert. Wir können nicht mehr entscheiden, mit wem wir zusammenleben wollen, weil die relevanten politischen Kompetenzen an die internationale Ebene abgetreten wurden. Wir können auch nur sehr schwer uneingeladene Fremde loswerden, weil supranationale Gerichte ihre schützende Hand über sie halten. Unter der daraus resultierenden, von den Österreichern aber zu keinem Zeitpunkt gewünschten „Multikulti“-Gesellschaft leidet die Homogenität. (S. 45)
Im FPÖ-Wahlprogramm wird etwas zurückhaltender formuliert als bei Schmitt, aber die Kernaussage ist dieselbe: Das Heterogene, das Fremde, die Fremden, bedrohen die Homogenität des Volkes, legen unsere Höchstgerichte lahm (S. 54) und „überfüllen“ das Land (S. 77): „Die Folgen sind nicht nur für unser Sozialsystem dramatisch, sondern auch für die Umwelt.“ Die FPÖ ist sich sicher: Unter „der zu keinem Zeitpunkt gewünschten ‚Multi-Kulti‘-Gesellschaft leidet die Homogenität“ (S. 45).
Die FPÖ weiß in ihrem Wahlprogramm, wie dieser Trend ohne Schaden für die Österreicher*innen umgekehrt werden könne. Das Zauberwort ist „Remigration“, worunter die FPÖ eine „identitätsbezogene Migrationspolitik“ verstanden wissen will:
Konkret sieht Remigration die Rückführung aller illegal Eingereisten auf Grundlage gesetzlicher Bestimmungen, die Sicherung der Grenzen, eine Reform des Asyl‑, Ausländer- und Staatsbürgerschaftsrechts sowie die Schaffung und Förderung von Programmen zur freiwilligen Rückkehr vor. (S. 51)
Um das zu unterstreichen, betonen die Blauen: „‚Minus-Zuwanderung ist das Gebot der Stunde.“ (S. 54) Sie will aber auch noch andere Mittel nutzen – über einige von ihnen wird im Wahlprogramm geschrieben, andere werden versteckt. „[H]ier ansässige Fremde, die nicht in unser Sozialsystem einzahlen, haben keinen Anspruch auf gesundheitliche Vollversorgung, sondern nur auf eine Elementarversorgung und die Betreuung von Schwangeren.“ (S. 84)
Streichung von Sozialleistungen
Die FPÖ lässt sich aber auch etwas einfallen, damit die „Fremden“ nicht in ein Sozialsystem erst gar nicht einzahlen können: Asylwerber*innen sollen weiterhin keinen Zugang zum Arbeitsmarkt erhalten. Damit können sie keine Sozialversicherungsbeiträge leisten, sondern sind davon abhängig – eine Steilvorlage für FPÖ-Hetze gegen die „soziale Hängematte“. Obwohl die FPÖ weiß, dass die Forderung verfassungs- und EU-rechtswidrig ist, will sie die Auszahlung von Sozialleistungen an die österreichische Staatsbürgerschaft koppeln (S. 42), den Zugang zur Staatsbürgerschaft radikal verschärfen (kein Rechtsanspruch) und für Asylberechtigte überhaupt ausschließen. Asylberechtigte würden nach den Vorstellungen der FPÖ nicht mehr Sozialhilfe bzw. Mindestsicherung erhalten, sondern nur mehr „Kernleistungen der Sozialhilfe“, „die das Niveau der Grundversorgung nicht übersteigen“ (S. 42).
Was ist mit der großen Gruppe der Drittstaatsangehörigen, die hier leben und arbeiten? Merkwürdigerweise schweigt sich das Wahlprogramm dazu aus, aber Kickl hat im ORF-Sommergespräch (19.8.24) auch diese Frage deutlich beantwortet:
Wenn es nach uns Freiheitlichen geht, dann haben wir bei Drittstaatsangehörigen einen Aufenthaltstitel, der gekoppelt ist mit der Beschäftigung und wenn die Beschäftigung nicht mehr da ist, das ist ja der Zweck des Aufenthalts, dann verliert man auch das Aufenthaltsrecht, hat wieder nach Hause zu gehen und es gibt keinen Zugang zum Sozialsystem. Versicherungsleistungen, ja, aber Sozialleistungen nein.
Wobei der letzte Satz inhaltlich falsch ist: Weil es für Drittstaatsangehörige in blauen Vorstellungen keine Arbeitslosenzeit in Österreich geben würde, zahlen sie bzw. ihre Arbeitgeber auch keine Arbeitslosenversicherungsbeträge, wären also am Arbeitsmarkt deutlich billiger bzw. „günstiger“ als Österreicher*nnen – so liebt die FPÖ die österreichischen Arbeitnehmer*nnen!
Mit all diesen Maßnahmen – durch Ausscheidung des Heterogenen“ – soll das „österreichische Staatsvolk“ seine Homogenität wieder erhalten. Und sollte es mit der „Ausscheidung des Heterogenen“ zu lange dauern, will die FPÖ mit „Fremden-Schnellgerichtshöfen“ (S. 54) und „Notgesetzgebung“ (S. 47) gegensteuern.
➡️ FPÖ-Wahlprogramm (II): Canceln, Rollatoren & Freiheit für Hass und Hetze
➡️ FPÖ-Wahlprogramm (III): Multiple Verfassungsbrüche?
➡️ Das FPÖ-Wahlprogramm (IV) und der Klimaschutz: Land unter!
Literatur
Zu Carl Schmitt und seiner völkischen Homogenität
➡️ gegneranalyse.de 12.2018: Carl Schmitt und der Mythos der Homogenität
Zum rechtsextremen und völkischen Konstrukt der Homogenität des Volkes
➡️ belltower.news, 9.4.08: Homogene Volksgemeinschaft