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Prozess: Unschuldig unter Neonazis?

Am 19.1. stand eine Buch­au­to­rin in Linz vor Gericht. Die Ankla­ge: Wie­der­be­tä­ti­gung und Ver­stoß gegen das Waf­fen­ge­setz. Ein Buch hat­te sie geschrie­ben, weil sie die Unschuld eines zu lang­jäh­ri­ger Haft im Maß­nah­men­voll­zug Ver­ur­teil­ten bewei­sen woll­te. Das Pro­blem damals: Der Ver­ur­teil­te war ein wegen eines bru­ta­len Mor­des ver­ur­teil­ter Neo­na­zi. Ihr Pro­blem jetzt: Sie ist die Lebens­ge­fähr­tin eines […]

25. Jan 2024
Prozess gegen G. LG Linz 19.1.24 (© SdR)
Prozess gegen G. LG Linz 19.1.24 (© SdR)

Ehe 1 mit Blood & Honour-Neonazi

Nico­le G. (42) hat mit ihren Män­nern ziem­lich Pech. Der Ex-Mann ist der wegen eines äußerst bru­ta­len Mor­des an einer woh­nungs­lo­sen Per­son ver­ur­teil­te, aus dem Blood & Honour-Milieu stam­men­de Neo­na­zi Jür­gen K.. Den hat­te sie erst ken­nen­ge­lernt, als er bereits inhaf­tiert war. Im August 2016 folg­te die Hoch­zeit. 2019 erschien ihr Buch über den angeb­li­chen Jus­tiz­irr­tum, der K. getrof­fen hät­te. Der Antrag auf Wie­der­auf­nah­me des Ver­fah­rens ist gescheitert.

Weiter zum Objekt 21

Mitt­ler­wei­le ist ihr Lebens­ge­fähr­te (den sie bald hei­ra­ten will) aber ein ande­rer, näm­lich Manu­el S. ali­as „Spee­dy“ – ein Kapo von „Objekt 21“ (O 21), der ver­bre­che­ri­schen Neo­na­zi-Trup­pe aus Des­sel­brunn (OÖ). Der ist im Vor­jahr wie­der ein­mal auf­ge­schla­gen, weil er maß­geb­lich in die O 21-Ban­di­dos-Affä­re ver­wi­ckelt ist. Erst vor weni­gen Tagen hat das Ober­lan­des­ge­richt Linz sei­ne Ver­ur­tei­lung nach dem Sucht­mit­tel­ge­setz aus dem Vor­jahr auf zwei Jah­re unbe­dingt erhöht. Wei­te­re Ermitt­lun­gen lau­fen noch, die nächs­te Ankla­ge gegen Manu­el S. wegen Ver­stö­ßen gegen das Ver­bots­ge­setz ist bereits ein­ge­bracht. Es ist also davon aus­zu­ge­hen, dass Nico­le G. ihren poten­zi­el­len zukünf­ti­gen Mann noch eine Wei­le nicht in Frei­heit sehen wird. Aber damit hat sie ja schon Erfah­rung und könn­te die Zeit auch nut­zen, um ein wei­te­res Buch zu schreiben.

Anschei­nend hat sie jedoch ande­re Plä­ne. Nach Jah­ren der Arbeits­lo­sig­keit absol­vier­te G. einen Lehr­gang zum Pier­cen und Täto­wie­ren. Die Pra­xis fehlt weit­ge­hend, weil sie ohne das Auto des ein­sit­zen­den Lebens­ge­fähr­ten nicht zur Kund­schaft kommt.

„Krafti“ mit Auschwitz-T-Shirt, Hakenkreuz und Hitlerportrait

Abhil­fe kam von einem wei­te­ren Neo­na­zi, dem „Krafti“ aka Tino K.. „Krafti“ ist für uns ein alter Bekann­ter aus den Zei­ten von O 21. Damals soll­te er des­sen „Escort-Ser­vice“ auf­bau­en. Hat nicht wirk­lich geklappt, aber „Krafti“ blieb Öster­reich treu, obwohl er eigent­lich auf einem Bau­ern­hof in Gör­schen (Sach­sen-Anhalt) zuhau­se ist. Mit den deut­schen Behör­den hat Tino K. anschei­nend mehr Sche­re­rei­en als mit den öster­rei­chi­schen. Jeden­falls lebt „Krafti“ viel in Öster­reich, auch in Hör­sching. Das ist nicht weit weg von Nico­les Woh­nung. Aus Übungs­grün­den ver­such­te sich Nico­le an ihm. Mit einem Hit­ler­kopf, den er als Tat­too am Kör­per trägt, hat sie begonnen.

Mit Fotos von Tino K. hat alles ange­fan­gen. Nico­le G. hat­te Auf­nah­men an ihren Lebens­ge­fähr­ten Manu­el S., (den sie bald ehe­li­chen will) wei­ter­ge­lei­tet. Des­we­gen muss­te sich G. vor Gericht ein­fin­den. Auf meh­re­ren Fotos ist „Krafti“ im Ausch­witz-T-Shirt inklu­si­ve ein­schlä­gi­ger Tat­toos zu bewun­dern: ein Haken­kreuz am rech­ten Ober­schen­kel, sowie ein Hit­ler­por­trät am rech­ten Schien­bein. War­um aus­ge­rech­net sie die Fotos wei­ter­ge­lei­tet hat­te, wur­de in der Ver­hand­lung nicht klar, ist aber für die Beur­tei­lung der Ver­dachts­la­ge ohne­hin unerheblich.

"Krafti" mit Hitler-Tattoo am Bauernhof in Görschen; v.l.n.r. die Neonazis: Manuel B., Martin C., Chris H., Tino K., Manuel S. (Screenshot Facebook)
„Krafti” mit Hit­ler-Tat­too am Bau­ern­hof in Gör­schen; v.l.n.r. die Neo­na­zis: Manu­el B., Mar­tin C., Chris H., Tino K., Manu­el S. (Screen­shot Facebook)

Nicole G. als „Beifang“

Als dann „Spee­dy“ mit den Ban­di­dos und eini­gen sei­ner Neo­na­zi-Kame­ra­den von O 21 im Vor­jahr auf­ge­flo­gen ist, ergab die Sich­tung sei­nes Han­dys und die Haus­durch­su­chung die diver­sen Tat­be­stän­de, die jetzt Nico­le G. zur Last gelegt wur­den. Da wären ein­mal die Nazi-Fotos von „Krafti“ und ande­ren, dann ein „Spee­dy“ Foto mit der „Schwar­zen Son­ne“ als Tat­too und schließ­lich ein Schlag­ring, der den Ver­stoß gegen das Waf­fen­ge­setz begründet.

Die Ver­tei­di­gungs­li­nie war nicht gera­de über­zeu­gend: Die Fotos habe sie blitz­ar­tig wei­ter­ge­lei­tet, mit Nazis habe sie nichts zu tun gehabt, die „Schwar­ze Son­ne“ habe sie nicht als NS-Sym­bol erkannt. Das dazu pas­sen­de Zitat von Nico­le G.: „Wie gesagt, wir reden über sowas nicht, weil uns das nicht irgend­wie inter­es­siert.“ Die Richter*innen waren durch die­se Unschulds­be­teue­run­gen nicht über­zeugt, bohr­ten immer wie­der nach, was die Ange­klag­te etwas ner­vös und unwirsch machte.

Prozess gegen G. LG Linz 19.1.24 (© SdR)
Pro­zess gegen Nico­le G. am Lan­des­ge­richt Linz 19.1.24 (© SdR)

Novelle des Verbotsgesetzes brachte milderes Strafmaß

Nach der Bera­tung der Geschwo­re­nen wur­de klar: Auch die schenk­ten der Ange­klag­ten kei­nen Glau­ben. In allen drei Haupt­fra­gen ent­schie­den sie ein­stim­mig auf Schuld. Das Urteil wur­de nach den geän­der­ten straf­recht­li­chen Bestim­mun­gen des Ver­bots­ge­set­zes auf neun Mona­te beding­ter Haft fest­ge­setzt. Hät­te sie ihren Pro­zess nur weni­ge Wochen frü­her gehabt, wäre das Straf­maß höher aus­ge­fal­len. Ver­tei­di­gung und Staats­an­walt­schaft gaben noch kei­ne Erklä­rung zum Urteil ab, das daher noch nicht rechts­kräf­tig ist.

Dan­ke an prozess.report für die Prozessbeobachtung!