Identitär & freiheitlich
Der Geschworenenprozess verlief routiniert, schließlich gäbe es im Jahr rund 50 ähnliche Verhandlungen in Graz, so die beisitzende Richterin. Ungewöhnlich war die klare Benennung der einschlägigen Vernetzungen in die rechtsextreme Szene des jungen Angeklagten. Martin L. war nicht nur bei den „Identitären“, ihrer Nachfolgeorganisation „DO5“ und im Umkreis der identitären „Kulturfestung“ im oststeirischen Eichkögl aktiv, sondern war auch Mitglied beim „Ring Freiheitlicher Jugend“.
Zum Verhängnis wurden Martin L. drei Nachrichten auf WhatsApp: ein Jugendfoto seines Vaters sowie ein von ihm zurecht geschnittenes Bild einer Dating-Plattform zeigen jeweils einen Hitlergruß. Das zweite Bild kommentierte er mit „mach mir den Adolf“. Komplizierter wurde es beim Bild eines T‑Shirts, auf dem ein Lorbeerkranz sowie „XIV“ zu sehen waren. Mit diesen Motiven und mit dem mittlerweile verbotenen „Identitären“-Symbol wollte L. einen T‑Shirt-Handel aufziehen. Über eine allfällige Massenproduktion kommunizierte er mit den beiden steirischen identitären Kadern Harald W. und Erik F.. Aus der Geschäftsidee wurde nichts – wohl auch ein Grund, warum L. mit seinen 22 Jahren gerade einmal eine Woche berufstätig war.
Herumeierei
Doch warum sorgt die römische „14“ für eine Anklage nach dem Verbotsgesetz? Weil es sich um den Code für die sogenannten „14 Words“ handelt, einem Glaubenssatz von Neonazis, den der Angeklagte laut Staatsanwaltschaft bewusst ausgewählt hatte. Gerade weil er die Nachricht dem bereits dafür verurteilten Manuel S. schickte und Kontakte zu Führungspersonen der rechtsextremen Szene unterhielt, schienen seine Ausführungen, wonach sich die Zahl auf den 14. Grazer Gemeindebezirk (Eggenberg), ausgesucht hätte als unglaubwürdig. Generell antwortete Martin L. wie so viele vor ihm mit Beschwichtigungen, was den beisitzenden Richter zu dem Kommentar veranlasste: „Wenn sie dann hier sitzen, ist es immer eine Herumkriecherei, eine Herumeierei wie ein Wurm im Sand. Es war spontan, es war nicht so gemeint, war künstlerischer Ausdruck und so weite, und so fort.“ (Quelle: Prozessprotokoll)
Generell bekannte sich der Angeklagte schuldig, flüchtete sich jedoch in Erklärungsversuche, wonach er nur durch den Schulfreund und sein junges Alter „reingeruscht“ sei. Er sei damals empfänglich für diese „Themen“ gewesen, habe ohnehin nur Flugzettel verteilt und habe seit den Ermittlungen damit abgeschlossen sowie alle Kontakte abgebrochen. Bei konkreten Nachfragen kam er mehrfach ins Stocken oder schwieg, weshalb ihm eine Reihe von Fotos und weiteren Chatnachrichten aus dem Ermittlungsakt vorgehalten wurden, um deutlich zu machen, wie aktiv er wirklich war.
Zuerst war ein Foto des Angeklagten zu sehen, für das er gemeinsam mit Manuel S. und dem Chef der „Identitären“, Martin Sellner, posierte, gefolgt von einer Aufnahme vom „Doku Service Steiermark“, das Martin L. mit einer steirischen Fahne bei einem Infostand der „DO5“ zeigt.

Identitärer Insta-Admin
Für die „DO5 Steiermark“ hatte der Angeklagte sogar den Instagram-Account betreut, wie er vor Gericht zugab. Für mehr Diskussion sorgte ein Aktionsfoto, auf dem zwei vermummte Männer in der Dunkelheit vor der Grazer ÖVP-Zentrale mit Fahne, einem Schild und mit der Aufschrift „fällt das Lambda, fällt die Demokratie“ posierten. Denn so spontan und unbedarft wie der Angeklagte die Aktion, an der er sich damals beteiligte, darstellte, wäre sie laut den Berufsrichter*innen nicht gewesen. Er sei nicht nur mitgelaufen und überhaupt sei es „schon ein Zufall, dass von allen Seiten irgendwie ihnen die rechtsradikalen Sachen zufliegen, oder?“, so die Vorsitzende nach einer weiteren Diskussion über die Inhalte der identitären Spieleentwickler „Kvltgames“, an deren Stil sich der Angeklagte orientieren wollte. Das von „Kvltgames“ produzierte und in Deutschland indizierte Computerspiel „Heimat Defender“ qualifizierte die Staatsanwältin klar als rechtsextrem, homophob und antisemitisch.
Im Zuge der Hausdurchsuchung bei L. wurden eine Vielzahl von Stickern, aber auch Zeitschriften wie etwa „Info-Direkt“ aufgefunden – das, obwohl Martin L. spätestens seit den Ermittlungen gegen seinem ehemaligen Schuldfreund Manuel S. vorgewarnt gewesen sein muss, so die Staatsanwältin.
Sein Facebook-Profil zeigt weitere Betätigungsfelder: L. nahm unter anderem 2020 bei einem rechtsextremen Aufmarsch am Kahlenberg teil, besuchte Veranstaltungen der „Kulturfestung“ und inszenierte sich 2021 mit anderen rechtsextremen Aktivisten als vermeintlicher Grenzschützer.
Ustaša-Fan
Für Verwirrung auf Seiten der Richterin sorgte der Umstand, dass sich der aus Kroatien stammende Angeklagte neben seinen Aktivitäten innerhalb der österreichischen rechtsextremen Szene ebenfalls als Fan der faschistischen Ustaša gezeigt hat. So fand man unter anderem ein Foto des Angeklagten in Uniform vor einer kroatischen Fahne, außerdem soll er über einen Online-Shop Fanartikel der Ustaša, deren Symbole in Österreich verboten sind, angeboten haben.
Die Geschworenen entschieden einstimmig für einen Schuldspruch, womit erneut ein (ehemaliges) Mitglied der „Identitären“ und des freiheitlichen Nachwuchses verurteilt wurde. Die Strafhöhe über 120 Tagessätze à fünf Euro und elf Monate bedingt auf drei Jahre plus verpflichtender Bewährungshilfe ist bereits rechtskräftig.
➡️ Prozess gegen Manuel S.: Ein konservativ rechter identitärer Neonazi?