Für die DSN war zumindest in den Tagen der Razzia im Juli die Angelegenheit „Bundesstaat Preußen“ noch ziemlich klar: Bei der Gruppe handle es sich um 41 Staatsverweigerer in fünf Bundesländern, deren Ziel es sei,
die öffentliche Verwaltung durch grundlose Eingaben in ihrer Funktionalität zu stören und Verfahren zu verschleppen. Aktuell sind vermehrt Aktivitäten wie das Hissen von Fahnen oder die Nutzung von Fahrzeugen mit dem Adler des „Bundesstaates Preußen” als „Hoheitssymbol” zu beobachten. Es gibt zudem Hinweise auf eine Verbindung zur Reichsbürgerszene in Deutschland. (bmi.gv.at, 26.7.23)
Bei der Razzia, die schwerpunktmäßig in Kärnten stattfand, wurden neben Fantasiedokumenten und Fahnen des imaginären Bundesstaates Preußen auch Waffen und Munition sichergestellt.
Informationen im Netz über den fiktiven Bundesstaat und seine Niederlassung in Österreich sind spärlich. Wer recherchiert, ist zunächst einmal auf die Website der bundesstaatlichen Preußen angewiesen. Dort findet man den Hinweis, dass Österreich „wie alle deutschstämmigen Völker“ als „Gliedstaat“ zum Bundesstaat Preußen gehöre. In leichtem Widerspruch dazu erfährt man an anderer Stelle, dass „Deutsch-Österreich“ unter der Verwaltung von Preußen „bis zum Volksentscheid“ stehen würde. Das „Neuschwabenland“ in der Antarktis gehört übrigens auch dazu.
Die Bundesrepublik Deutschland sei demnach ein Handelskonstrukt, als Staat eine Täuschung, eine „Scheinsimmulation“ (sic!), ein „Pleiteunternehmen“ und – das erinnert an Putin – ein „nationalsozialistisches System“, dessen Unterstützer*innen heftig gedroht wird: „Jeder der das nationalsozialistische System der Bundesrepublik gestützt hat wird über den Entzug seines Vermögens zur Entschädigung der deutschen Völker herangezogen. Alle die das nationalsozialistische System Bundesrepublik gedeckt haben, werden sich vor einem Militär-Tribunal verantworten.“

Was zunächst nur skurril bis verrückt wirkt, erhält seine politische Kennung durch andere Passagen: „Jeder, der keine Abstammung deutscher Vorfahren besitzt, verläßt sofort das Gebiet des Bundesstaats Preußen.“ Noch deutlicher wird es dann im Kapitel „Begradigen wir die verlogene Geschichte“: „Die Juden haben den II. Weltkrieg erklärt und nicht das Deutsche Reich. (…) Es waren die weltweit vernetzten Juden, die die damaligen Weltmächte in den Vernichtungskrieg gegen Deutschland trieben.“
Auch offene unverschämte Holocaust-Leugnung ist zu finden:
Es hat keine Tötungen von Juden in Gaskammern gegeben. Die Geschichte von der Judenausrottung durch das Dritte Reich ist eine Lüge. Ein in alle Lebensbereiche sich hineinfressender Relativismus und eine zivilreligiös mit Auschwitz aufgeladene Kollektivschuld inklusive dem Gebot permanenter Buße unser ohnehin zu Furcht, Angst und gelegentlich Panik neigendes Hühnervolk, das Volk der Nazis, das als negativ auserwählte Volk seine einzige Bestimmung im Verschwinden aus der realen Geschichte findet und sich entsprechend zu fügen weiß. Diese Lüge gehört aufgelöst.
Holocaustleugnung (Screenshot Website Bundesstaat Preußen)
Hinweise auf die eindeutig rechtsextremen, antisemitischen und revisionistischen Positionen des „Bundesstaats Preußen“ fehlen in der Darstellung der österreichischen Staatsschützer von der DSN völlig. Vermutlich ebenfalls in den Ermittlungen gegen die heimischen Preußen, denn als sich am 30.10. der Mühlviertler Ignaz W.-P. vor Gericht wegen seiner mutmaßlichen Mitgliedschaft im „Bundesstaat Preußen“ und des damit einhergehenden Verdachts der Teilnahme an einer staatsfeindlichen Bewegung (§ 247a StGB) verantworten musste, kamen diese Positionen ebenso wenig zur Sprache wie die in Ziffer (3) definierten staatsfeindlichen Ziele.
Den Behörden aufgefallen war Ignaz W.-P. schon vor der Juli-Razzia. Er ist mit einem KFZ-Kennzeichen vom Bundesstaat Preußen erwischt worden. Seine Anzeige und die Beschlagnahmung der Fantasie-Kennzeichen lösten eine Kaskade an Eingaben und Beschwerden durch sogenannte Generalbevollmächtigte aus, die zunächst in ein Verfahren vor dem Bezirksgericht Freistadt mündeten, das eingestellt wurde.
Am 30. 10. stand W.-P. vor dem Landesgericht Linz. Ja, er stand wirklich während der gesamten Verhandlung, die er seinerseits gleich nach Beginn für beendet erklärte: „Ich bin der wahre Mensch Ignaz und die einzige reale Person hier. Ich erkläre die Verhandlung für geschlossen.“* Angaben zu seiner Person verweigerte W.-P. ebenso wie Aussagen zu fast allen Fragen, die ihm vom Richter gestellt wurden. Wer aus den Fragen des Richters auf die Ermittlungsergebnisse schlussfolgert, muss auf sehr dürftige Erkenntnisse der Ermittler*innen rückschließen: Dem Angeklagten wurden Namen der selbsternannten „Generalbevollmächtigten“, die in seinem Namen die Eingaben machten, vorgehalten. Unter ihnen fand sich der fiktive „Reichsverweser“, Ulrich, der Erste. Ob er ihn kenne? Keine Antwort. Ebenfalls nicht zu den anderen, ziemlich sicher fiktiven Personen.
Auch auf die Frage zu Dagmar Tietsch: keine Antwort. Die ist jedoch eine reale Person. Seit vielen Jahren im rechtsextremen reichsbürgerlichen Geschäft tätig, überlebte bzw. stürzte sie bereits einige Kapos. 2015 ernannte Tietsch, damals als „Reichsrichterin“ und „Reichskanzlerin“ des Deutschen Reiches unterwegs, die aufstrebende Nachwuchskraft Monika Unger, spätere Präsidentin des Staatenbundes Österreich, zur „Rechtssachverständigen des (…) Deutschen Reiches für das Reichsland Österreich“, ernannt. Auf der Website von Bundesstaat Preußen wird sie neben der Kunstfigur „Ulrich, der I.“ als einzige namentlich und verantwortlich für den Bundesstaat genannt.
Fragen oder nähere Erläuterungen zum Bundesstaat Preußen, dessen staatsfeindlichen, rechtsextremen und antisemitischen Positionen fehlten im Verfahren. Der Angeklagte erklärte sich zum Abschluss als unschuldig und unwissend, aber völlig auf seine Generalbevollmächtigten vertrauend. Das Urteil des Einzelrichters überraschte: Freispruch, weil zum Tatzeitpunkt – im Jahr 2022 – der Bundesstaat Preußen zu wenige Mitglieder, nämlich nur 20 bis 25, gehabt habe. Es fragt sich nicht nur, woher der Richter das so genau weiß, sondern auch, warum es dann überhaupt zu einer Anklage gekommen ist. Ob die Staatsanwaltschaft gegen dieses Urteil, das auch die Ermittlungen der Staatsschützer blamiert, Berufung eingelegt hat, ist uns nicht bekannt.
„Unter ‚vielen Menschen‘ wird nämlich eine so große Zahl von Menschen verstanden, dass diese unüberschaubar ist und einer Menschenmenge gleichkommt, wobei als Richtwert teilweise mindestens 20 (Leukauf/Steininger Komm3 § 169 RN 27), teilweise 30 Personen (Foregger/Fabrizy StGB7 § 169 Rz 11), sohin jedenfalls eine zehn Opfer übersteigende Zahl angenommen wird (siehe auch Kienapfel BT III § 169 RN 53 ff).“
Bei der Razzia gegen den Bundesstaat Preußen in Österreich wurde von der DSN die Zahl von 41 Personen genannt, gegen die ermittelt würde. In der Verhandlung selbst wurde von einer Zahl zwischen 20 bis 25 Gruppenmitgleidern gesprochen. Diese Zahl verwendete der Richter in seiner Urteilsbegründung, um die Gruppe rund um den Bundesstaat Preußen als zu klein für eine Strafbarkeit zu beurteilen.
Die rechtsextreme antisemitische Position des „Bundesstaat Preußen“, seine Beziehung zu den Mitgliedern in Österreich, darunter zu Ignaz W.-P. spielten im Verfahren keine Rolle, offensichtlich auch nicht in den Ermittlungen. Und das ist eigentlich ein Skandal!

Danke an prozess.report für die Prozessbeobachtung!
* Alle Zitate sind dem Prozessprotokoll entnommen.