„Ich hatt einen Kameraden“ ertönt es am Vormittag des 13. April 2023 in der Stadtpfarrkirche St. Egid in Klagenfurt/Celovec. Die etwa 30, größtenteils betagten Teilnehmer*innen haben sich vor einer Gedenktafel des sogenannten Gebirsgjägerregiments 139 der NS-Wehrmacht versammelt und salutieren. Auf der Tafel selbst prangt über dem Wappen des Regiments ein NS-Reichsadler. Zwischen seinen Klauen müsste eigentlich ein Hakenkreuz abgebildet sein, stattdessen bleibt die Stelle ein blinder, weißer Fleck. Eingeweihte wissen, was hier angedeutet werden soll.
Für Außenstehende mag die Szenerie kaum durchschaubar sein, doch Peter Stockner, Obmann der „Kameradschaft ehemaliger Angehöriger des Gebirgsjägerregiments 139“ und Autor der rechtsextremen Zeitschriften „Die Aula“ und „Zur Zeit“, klärt in seiner Ansprache auf. Der 9. April sei der „Traditionstag“ des 139er-Regiments, da es an diesem Tag im Jahr 1940 in der norwegischen Stadt Narvik „landete“ (die historisch korrektere Bezeichnung wäre „besetzte“). Normalerweise käme an dieser Stelle ein historischer Rückblick auf die Geschichte des 139er-Regiments, wie es im Jahr 2022 beispielsweise in Form eines Referates über den NS-Wehrmachtsoffizier Alois Windisch gehalten wurde (1). Doch da die Feier heuer wetterbedingt verspätet anfängt, verzichtet Stockner auf weitere historische Ausführungen und gibt die Namen einiger Kameraden bekannt, die seit der letzten „Narvik-Feier“ verstorben sind.
Gleich der erste Name hat es in sich: Herbert Bellschan von Mildenburg, der der „Narvik-Feier“ und ihren Proponent*innen „immer sehr zugetan war“, so Stockner. Bei Mildenburg handelte es sich um einen Freiwilligen der Waffen-SS, der als Vertreter der „Erlebnisgeneration“ auch im hohen Alter noch in der rechtsextremen Kreisen aktiv war. (vgl. derstandard.at, 14.6.19) Einem breiteren Publikum wurde er einerseits als Redner des berüchtigten Klagenfurter „Ulrichsbergtreffens“ von Waffen-SS Veteranen und Neonazis bekannt, sowie auch posthum. Zu seinem Begräbnis am Soldatenfriedhof des im Klagenfurter Stadtteil Annabichl im November 2022 versammelte sich nämlich eine Vielzahl rechtsextremer Organisationen und Einzelpersonen, darunter auch die mehrfach nach dem Verbotsgesetz verurteilte Führungsfigur des österreichischen Neonazismus, Gottfried Küssel, wie das „Presseservice Wien“ bildlich dokumentierte. Dass wegen dieser Trauerfeier mittlerweile nach dem Verbotsgesetz ermittelt wird, erwähnt Peter Stockner in seiner Ansprache nicht. Sehr wohl aber, dass sie „sehr würdig war mit den Fahnen“.
Doch einen Moment: Narvik, Norwegen, Wehrmacht, ein verstorbener SS-ler und Neonazis? Um ein Verständnis davon zu bekommen, was da in Kärnten/Koroška am 9. April überhaupt vor sich ging, ist ein wenig historisches Vorwissen nötig.
Der Narvik-Mythos in Kärnten
Es ist nicht bloß eine kleine Gruppe betagter Rechtsextremist*innen und Wehrmachtsnostalgiker*innen, die hinter der „Narvik-Feier“ steht. Bei genauerem Hinsehen zeigt sich ein weit verzweigtes, bis weit ins letzte Jahrhundert reichendes Netzwerk verschiedenster Akteur*innen, die entweder organisatorisch oder aber als ideologische Unterstützer*innen sowohl in hohen Stellen der Kärntner Landespolitik als auch im Bundesheer zu finden sind.
Die nationalsozialistische Heldensage, die der Historiker Peter Pirker als „Narvik-Mythos“ bezeichnet (2), datiert in ihren Ursprüngen auf das Jahr 1938, das Jahr des Anschlusses. Oberst Alois Windisch, mittlerweile im Dienst von Hitlers NS-Wehrmacht, erhielt die Aufgabe, in Klagenfurt/Celovec das Gebirgsjägerregiment 139 (GJR 139) zu gründen. Mit diesem beteiligte er sich 1939 am Überfall auf Polen, 1940 folgte dann der Einfall in Norwegen, für den Windisch im Juni 1940 von Hitler mit dem Ritterkreuz ausgezeichnet wurde. Windisch war bereits während des NS zentrale Figur der Erzählung der ostmärkischen Helden des Kampfes um Narvik, der propagandatechnisch zwei Zwecke erfüllte: Einerseits die Integration österreichischer Soldaten in den NS, andererseits wurde damit aber auch ein ideologischer Bezug zum deutschnationalen Mythos des sogenannten „Kärntner Abwehrkampfs“ geschaffen. Dabei handelt es sich um eine Reihe größtenteils verlorengegangener militärischer Scharmützel gegen die 1918 in Südkärnten/južna Koroška einmarschierte jugoslawische Armee. Was historisch gesehen einer von vielen Grenzkonflikten war, die europaweit nach dem Zusammenbruch der Prä-Weltkriegsordnung auftraten, wurde in Kärnten insbesondere in der Zeit des Nationalsozialismus zu einem antislawisch aufgeladenen Volkstumskampf für die Grenzen des hitlerschen tausendjährigen Reiches umgelogen.
Der glühende Nationalsozialist, Kärntner „Abwehrkämpfer“ und Norwegen-Kämpfer Hans Steinacher fasste die zu einem Gutteil von deutschnationalen Burschenschaftern und späteren Nationalsozialisten getragenen Kärntner Grenzscharmützel als „Sieg in Deutscher Nacht“ zusammen und war somit maßgeblich für die Integration in eine nationalsozialistische Heldenerzählung verantwortlich (3). In der Tradition eben dieser Erzählung sah der Hitlerstaat nun auch das Kärntner GRJ 139 und damit auch dessen Beteiligung im Überfall auf Narvik. Oder etwas vereinfachender gesagt: Der Kärntner „Abwehrkampf“ wurde in eine Linie mit dem Vernichtungskrieg Nazideutschlands gestellt.
Wer denkt, dass diese NS-Heldensage mit der Befreiung Kärntens/Koroške durch die britische Armee und jugoslawische sowie kärntner-slowenische Partisan*innen ein Ende fand, irrt. Grundsätzlich waren die österreichischen Kommandeure der Gebirgstruppen der Wehrmacht (und somit auch der 139er) dafür bekannt, dass sie „auch nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges die Traditionen der Deutschen Wehrmacht pflegten und hochhielten“ (4). Je nach Quellenlage 1953 oder 1954 wurde in Klagenfurt/Celovec die „Kameradschaft der ehemaligen Gebirgsjäger“ gegründet.
Eine zentrale Rolle spielte dabei der damalige Klagenfurter Vizebürgermeister Blasius Scheucher (ÖVP), der nicht nur selbst Gebirsjäger war, sondern auch als einer der Väter der Ulrichsbergfeier angesehen werden kann. 1960 veranstaltete der GJR 139-Offizier und spätere Waffen-SS-Kommandant Anton Holzinger in seiner neuen Rolle als ÖBH-Offizier (Kommandant der 7. Gebirgsbrigade) gemeinsam mit der „Kameradschaft ehemaliger Angehöriger des Gebirgsjägerregiments 139“ eine der ersten Narvik-Gedenkfeiern in Klagenfurt/Celovec. In Holzingers bei der Feier vorgetragenen Rede findet sich freilich keine kritische Aufarbeitung des antisemitisch motivierten Vernichtungsfeldzugs, stattdessen sprach er von einem der „kühnsten Unternehmen der Kriegsgeschichte“. In eine ähnliche Kerbe schlägt auch die Beteiligung Holzingers und anderer hochrangiger Kärntner ÖBH-Offiziere mit Narvik-Vergangenheit am Ulrichsbergtreffen. (5)
Der Narvik-Mythos wurde aber nicht nur auf öffentlichen Gedenkfeiern hochgetragen, die aus einem Sammelsurium von weit rechts angesiedelten „Traditionsvereinen“ wie dem „Kärntner Abwehrkämpferbund“ (KAB) oder den deutschen Angriffskrieg glorifizierenden Kameradschaften veranstaltet wurden. Auch innerhalb des ÖBH gab es Bestrebungen, den Narvik-Mythos zur tragenden Säule der Traditionspflege zu machen. Das wohl bekannteste Zeugnis dafür ist die nach dem Gründer des GRJ 139 benannte Windisch-Kaserne in Klagenfurt/Celovec. Nachdem Kritik am Kasernennamen laut wurde, auch weil das GRJ 139 an Kriegsverbrechen beteiligt war, wird die Kaserne dieses Jahr in „Georg Goess-Kaserne“ umbenannt.
Doch zurück zum 13. April dieses Jahres, also zur Narvik-Feier. Diese wurde von einer Untergruppierung des Kärntner Landesverbandes des Österreichischen Kameradschaftsbundes (ÖKB) organisiert. Im zweiten Teil dieses Beitrages berichten wir einerseits, wie sehr der Kärntner ÖKB mit dem organisierten Rechtsextremismus verstrickt ist und andererseits auch, wie sich diese Verstrickung in der Teilnahme von Rechtsextremist*innen an der Feier äußerte. Es bleibt spannend.
➡️ Teil 2: Die Narvik-Feier 2023 – Grüße und Teilnahme von ganz rechts
Fußnoten
1 Der Kärntner Kamerad: Periodische Funktionärszeitung des ÖKB LV Kärnten, Ausgabe 1–2022, S. 6f.
2 Pirker, Peter: Ein Fall „besonderer Traditionspflege“: Die Windisch-Kaserne, der Narvik-Mythos und das österreichische Bundesheer”, Institut für Zeitgeschichte Innsbruck, 2021.
3 ebda. 25–27
4 ebda. 10