Innsbruck/Bozen: Abhitlern in der Tiefgarage
Industrieviertel/NÖ: Neonazistin ohne Prozess abgeschoben
Pfaffing/OÖ: Wiederbetätigung oder Intrige?
Salzburg: Antisemitischer Akt und die Stille danach
Innsbruck/Bozen: Abhitlern in der Tiefgarage
Satte fünfeinhalb Jahre hat es gedauert, bis Luca C. (43) aus Bozen die Chance erhalten hat, einem Innsbrucker Geschworenengericht am 4.4.23 seine Version der Ereignisse vom 8.9.2017 zu schildern, für die er sich wegen des Verdachts auf NS-Wiederbetätigung als Angeklagter zu verantworten hatte. Vorgeworfen wurde ihm, damals in der Garage des Tivoli-Stadions nach einem Hockey-Match eine Hitler-Rede abgespielt zu haben – laut, hörbar für andere, von denen manche gehupt, andere geklatscht haben sollen. Einer aber hat den Vorfall angezeigt.
Warum hat es so lange bis zur Verhandlung gedauert? Der Zeuge konnte sich zwar das Kennzeichen des Autos von Luca C. merken, aus dem heraus die Hitler-Rede abgespielt wurde, aber bis die italienischen Behörden den KFZ-Halter ermittelt und ihn als den Verdächtigten identifiziert hatten, dauerte es … Das ermöglichte es dem Angeklagten andererseits in der Verhandlung, so ziemlich alles, was damals in der Garage passiert ist, in den Nebel des Vergessens zu hüllen. Wer damals mit ihm noch im Auto saß? „Weiß er nicht, hat er per Anhalter mitgenommen.“ Ob es Applaus oder Hupen gegeben hat, weiß er auch nicht. Immerhin kann er sich erinnern, dass er Freunde in der rechtsextremen Szene hat, darunter sogar einen Gemeinderat. Vermutlich meint er damit einen der Faschisten von Casa Pound, die bis 2020 im Bozener Gemeinderat vertreten waren. Er selbst sei nicht mehr rechtsextrem aktiv. Interessante Begründung: „Nein, das kann er nicht mit seinem Beruf vereinbaren. Er hat für Bayer gearbeitet, und da werde eine ‚gewisse Ethik‘ verlangt.“
Die Carabinieri der Provinz Lazio haben den österreichischen Ermittlern andere Wahrnehmungen über die „gewisse Ethik“ des Luca übermittelt: „die ganze Bandbreite Wiederbetätigungsdelikte, Rassismus, ethnischer Hass (entspricht in etwa der Verhetzung) …“ Und dann wäre da noch seine Beteiligung an einer Fascho-Skinhead-Gruppe, die – ausgehend von Bologna – zwischen 2002 und 2007 halb Oberitalien terrorisiert hat: Gewalt gegen Schwule, Juden, Linke und Migranten, Schlägereien im Stadion mit Gegnern der Ultras, neofaschistische Gesänge und Parolen, illegaler Waffenbesitz, Hakenkreuze und anderer Nazi- Kram. Die Zeiten, in denen Neonazis und Neofaschisten bzw. ihre Ideologien sich feindlich gegenüberstanden, sind eindeutig vorbei. Ob Luca C. damals verurteilt wurde, geht aus den verfügbaren Medienberichten nicht hervor – er wurde jedenfalls 2007 verhaftet, 2010 vor Gericht gestellt und in erster Instanz auch verurteilt.
Die „gewisse Ethik“, zu der sich Luca verpflichtet sieht, macht es ihm in der Vernehmung vor Gericht unmöglich, klar zu benennen, was von Hitler er da in der Garage abgespielt hat. Der Zeuge, der damals die Anzeige getätigt hatte, konnte sich deutlicher erinnern: Es war eine „beängstigende Stimmung in der Tiefgarage“, die Hitler-Rede, die da abgespielt wurde, war „lang und durchgehend“. Für die Staatsanwältin in ihrem Schlussplädoyer war das so eindeutig und überzeugend wie die einschlägige Biografie des Angeklagten. Der Verteidigung fiel dann noch ein, dass der Angeklagte die Hitler-Rede vermutlich wegen sprachlicher Probleme gar nicht verstanden habe und auch nicht „Sieg Heil“ dazu gerufen habe. Half nichts. Der Wahrspruch der Geschworenen lautete auf schuldig. Die Strafe blieb sehr milde. Zehn Monate bedingt und 5.100 Euro Geldstrafe. Noch nicht rechtskräftig.
Alle Zitate von der Innsbrucker Prozessbeobachtung, bei der wir uns sehr bedanken!
Industrieviertel/NÖ: Neonazistin ohne Prozess abgeschoben
Ein merkwürdiger Vorgang: Die Polizei forscht eine Deutsche aus, die seit dem Sommer des Vorjahres im Industrieviertel lebte, „mehrere nationalsozialistische Chatgruppen auf verschiedenen Onlineplattformen erstellt und betrieben“ und als Sahnehäubchen drauf „rechtsextremistisch inspirierte Anschlagsgedanken“ geäußert haben soll. Verhaftet wurde die Deutsche am 31. Jänner: „Gleichzeitig wurden dem Ministerium zufolge Durchsuchungen an zwei Örtlichkeiten durchgeführt, bei denen diverse Datenträger, eine Pistole inklusive Munition und Kleidungsstücke mit NS-Bezug sichergestellt wurden“, heißt es in der Presseaussendung des Innenministeriums.
Am 15. März wird die Verdächtige aus der Untersuchungshaft entlassen, mit einem Aufenthaltsverbot für Österreich bedacht und „nach Deutschland abgeschoben. Die Ermittlungen sind aktuell noch nicht abgeschlossen“. Die Öffentlichkeit wird davon am 2. April 2023 durch die schon erwähnte Presseaussendung informiert. Finden das nur wir merkwürdig?
Pfaffing/OÖ: Wiederbetätigung oder Intrige?
Was sich da auf WhatsApp wirklich abgespielt hat, wird vermutlich ein Gericht klären müssen. Es gibt jedenfalls eine Anzeige gegen Johann Konrad, die schon im Vorjahr erstattet wurde. Johann Konrad ist ein großer Milchbauer und Rinderzüchter, der im ÖVP-Bauernbund tätig war und gleichzeitig in der Agrargemeinschaft für Österreich (AGÖ), die dem Bauernbund Konkurrenz macht. Der Bauernbund hat jedenfalls im Vorjahr in einer großen WhatsApp-Gruppe ein von Johann Konrad gezeichnetes antisemitisches Posting entdeckt, Konrad daraufhin angezeigt und aus dem Bauernbund ausgeschlossen. Die Staatsanwaltschaft ermittelt, Konrad bestreitet und erklärt, die antisemitischen Äußerungen (gegen Ukraines Präsident Selenskyi) seien auf sein Handy gespielt worden. (Quelle: Bayerisches Landwirtschaftliches Wochenblatt, 5.12.22)
Noch laufen die Ermittlungen dazu, da berichten die „OÖN“ (5.4.23) über einen neuen Vorfall. Am 17.3. soll Konrad – wieder auf WhatsApp- „Bild und Text mit nationalsozialistischem Bezug gepostet haben”. Das anonym angezeigte Posting löste daher den Verdacht der NS-Wiederbetätigung aus und bei Konrad ein neuerliches Dementi: „Das ist ein Fake, ich würde so etwas nie machen.”
Update 19.5.23: Die Ermittlungen wegen des Verdachts auf Wiederbetätigung wurden eingestellt, berichten die „OÖN“ (19.5.23).
Salzburg: Antisemitischer Akt und die Stille danach
Schon der Vorfall selbst ist ungeheuerlich: „Auf die Wohnungstür einer jüdischen Familie in der Salzburger Altstadt wurde ein Hakenkreuz gezeichnet und darüber „Juden” geschrieben“, berichten die Salzburger Nachrichten am 4. April 23. Elie Rosen, Präsident der Israelitischen Kultusgemeinde in Salzburg, verurteilt den antisemitischen Akt, der Salzburger Verfassungsschutz ermittelt.
Und? Sonst nichts. Keine politischen Reaktionen, keine Verurteilungen durch Repräsentant*innen von Parteien oder anderen Organisationen. Ach ja, Salzburg ist im Wahlkampf! Den könnte eine Verurteilung des antisemitischen Akts vielleicht stören …