Die „Kellernazis“ gehören der FPÖ!

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Oskar Deutsch, der Prä­si­dent der Israe­li­ti­schen Kul­tus­ge­mein­de, hat vor und nach der Land­tags­wahl in Nie­der­ös­ter­reich vor einer Koali­ti­on mit der FPÖ gewarnt, weil dort „Kel­ler­na­zis“ sit­zen. Auch Vize­kanz­ler Wer­ner Kog­ler warn­te in einem Inter­view mit der „Kro­ne“ vor den „Kel­ler­na­zis“ in der FPÖ. Udo Land­bau­er, einer der so Ange­spro­che­nen, kün­dig­te dar­auf­hin eine Anzei­gen- und Klags­flut gegen Kog­ler an. Davor wol­len wir Land­bau­er war­nen. In ver­schie­de­nen Mel­dun­gen wird Hans-Hen­ning Schar­sach als Schöp­fer des Begriffs „Kel­ler­na­zis“ genannt. Wir wider­spre­chen ungern, aber die „Kel­ler­na­zis“ gehö­ren zur FPÖ!

FPÖ-Land­bau­er ist mitt­ler­wei­le Lan­des­haupt­frau­stell­ver­tre­ter in Nie­der­ös­ter­reich. Die Wür­de und Bedeu­tung die­ses Amtes, die er sich kaum erar­bei­ten wird, schützt er jeden­falls vor, wenn er dem „Kurier“ (30.3.23) erklärt:

Gott sei Dank habe ich grund­sätz­lich wich­ti­ge­re Din­ge zu tun, als mich um die in der Wein­lau­ne getä­tig­ten Aus­sa­gen eines im Schei­tern befind­li­chen Vize­kanz­lers zu küm­mern. (…) Aber der Herr Kog­ler wird sich ohne­hin vor Gericht ver­ant­wor­ten müs­sen. Was ich so mit­be­kom­me, ist die ent­spre­chen­de Anzei­gen- und Klags­flut bereits unter­wegs.

Das ist bedau­er­lich! Schließ­lich gäbe es gewich­ti­ge Grün­de, schnell noch eine Sper­re ein­zu­rich­ten, bevor die Klags­flut los­bre­chen kann. Udo Land­bau­er ist noch jung – Geburts­jahr­gang 1986. In die­sem Jahr wur­de Nor­bert Ste­ger als FPÖ-Par­tei­ob­mann abge­wählt bzw. durch Jörg Hai­der gestürzt. Den Sturz Ste­gers beglei­te­te Man­fred Deix mit einem Car­toon („Der Alb­traum des Dr. Ste­ger“), der im ers­ten Bild Nor­bert Ste­ger vor vie­len Par­tei­freun­den mit der Paro­le zeigt „Nazis raus aus der FPÖ“, wor­auf das zwei­te Bild einen ein­sa­men und ent­setz­ten Ste­ger zeigt.

Vier Jah­re nach sei­ner Abwahl, näm­lich im Jahr 1990, nahm Nor­bert Ste­ger in der Zeit­schrift „Bas­ta“ den Begriff „Kel­ler­na­zis“ erst­mals in den Mund und ord­ne­te ihn 20 Pro­zent der Basis­funk­tio­nä­re in der FPÖ zu. Vie­le Jah­re spä­ter brach­te die „Salz­bur­ger Nach­rich­ten“ sei­ne Erin­ne­rung, wie er zu die­ser Ein­schät­zung gekom­men ist. In den 1970er-Jah­ren habe ihm der dama­li­ge Wie­ner FPÖ-Obmann Tas­si­lo Broe­sig­ke gera­ten, für eine Par­tei­kar­rie­re in die Bezir­ke (gemeint waren die 23 Wie­ner Bezirks­grup­pen der FPÖ) zu gehen:

Es war uner­träg­lich, was dort an Funk­tio­nä­ren geses­sen ist. Da saß ein stell­ver­tre­ten­der Bezirks­ob­mann, ein gewis­ser Harald Sch., im lan­gen Leder­man­tel, mit Son­nen­bril­le, flan­kiert von zwei Schä­fer­hun­den. Da waren vie­le Sym­bo­le, die nicht mei­ne waren. Es war klar, dass das nicht die libe­ra­le Jugend­grup­pe Euro­pas war. (…) Die saßen in lau­ter Kel­lern. Die Par­tei­lo­ka­le waren alle im Sou­ter­rain. Ich habe damals den Aus­druck „Kel­ler­na­zi­par­tei” geprägt. (SN, 11.3.10)

Wegen sei­ner Äuße­rung über die 20 Pro­zent Kel­ler­na­zis in „Bas­ta“ emp­fahl der Bun­des­par­tei­vor­stand der FPÖ 1990 den Aus­schluss wegen par­tei­schä­di­gen­den Ver­hal­tens. Nach­dem die­se Emp­feh­lung zwi­schen den Gre­mi­en her­um­ge­reicht wur­de, erklär­te sich dann zwar das Wie­ner Lan­des­schieds­ge­richt für zustän­dig, stell­te das Ver­fah­ren aber bald ein­mal ruhend. Eine wei­te­re, vor allem öffent­li­che Erör­te­rung inklu­si­ve all­fäl­li­ger Wahr­heits­be­wei­se erspar­te man sich damit.

1993 voll­zog dann Ste­ger selbst den Bruch mit sei­ner Par­tei und trat ziem­lich geräusch­los aus. Es war dann Heinz-Chris­ti­an Stra­che, der Ste­ger 2006 wie­der in die Par­tei bat und prompt dafür von die­sem mit dem Prä­di­kat „unta­de­li­ger Demo­krat“ und „begab­ter Par­tei­ob­mann“ (Fal­ter Nr. 45/2008) geadelt wur­de. Die Wie­der­auf­nah­me war natür­lich eine Retour­kut­sche an Jörg Hai­der, der 2005 die FPÖ ver­las­sen und das BZÖ gegrün­det hat­te. Als Nor­bert Ste­ger dann auch noch durch die Stra­che-FPÖ und Kurz-ÖVP zum Vor­sit­zen­den des ORF-Stif­tungs­ra­tes gewählt wur­de, war der Zeit­punkt gekom­men, wo Ste­ger kei­ne Kel­ler­na­zis mehr in der FPÖ sehen konn­te: „Es gibt kei­ne Kel­ler­na­zis mehr in der FPÖ. Ich ken­ne kei­nen Frei­heit­li­chen, der gut­heißt, was in Wie­ner Neu­stadt pas­siert ist.” (Kurier, 4.2.2018) Gemeint war damit die Wie­ner Neu­städ­ter-Lie­der­buch­af­fä­re in der pen­na­len Bur­schen­saft Ger­ma­nia, deren stell­ver­tre­ten­der Vor­sit­zen­der zeit­wei­se jener Udo war, der jetzt neu­er­lich Stell­ver­tre­ter ist, aber damals nicht das eine Lie­der­buch, son­dern nur das ande­re gekannt haben will.

Die „Kel­ler­na­zis“ hat also der frü­he­re Bun­des­par­tei­ob­mann der FPÖ in die poli­ti­sche Debat­te ein­ge­führt. Sei­ne Par­tei hat sich zunächst zwar fürch­ter­lich empört über die­se Aus­sa­ge, dann aber auf die Aus­ein­an­der­set­zung dar­über ver­zich­tet. Natür­lich ist der Begriff selbst kei­ner, der in der Wis­sen­schaft ver­wen­det und defi­niert wird, son­dern einer der poli­ti­schen Debat­te und Polemik.

1995 hat der anti­fa­schis­ti­sche Publi­zist Hans-Hen­ning Schar­sach in der Zeit­schrift „News“ die dama­li­ge FPÖ-Land­tags­ab­ge­ord­ne­te Bar­ba­ra Rosen­kranz (eben­falls Nie­der­ös­ter­reich) als Kel­ler­na­zi bezeich­net. Schar­sach und „News“ wur­den geklagt und in ers­ter (LG St. Pöl­ten) und auch zwei­ter Instanz (OLG Wien) ver­ur­teilt. Der Euro­päi­sche Gerichts­hof für Men­schen­rech­te hob die Urtei­le aller­dings 2003 auf und sprach den bei­den Beschwer­de­füh­rern Scha­den­er­satz zu.

Spä­tes­tens seit die­sem Zeit­punkt ist der von einem FPÖ-Obmann für Tei­le der FPÖ-Funk­tio­nä­re gepräg­te Begriff der „Kel­ler­na­zis“ in der poli­ti­schen Debat­te fest eta­bliert und wird ger­ne ver­wen­det, um grö­ße­re brau­ne Erup­tio­nen in der FPÖ zu beschrei­ben. Den Ver­such einer ori­gi­nel­len Erwei­te­rung des Begriffs unter­nahm dann 2007 der jüngst ver­stor­be­ne Rechts­extre­mist und „Natio­nal­re­vo­lu­tio­när“ Jür­gen Schwab auf der Neo­na­zi-Platt­form „altermedia.de“, wo er nach einem hef­ti­gen Kon­flikt zwi­schen Gott­fried Küs­sel und FPÖ-Funk­tio­nä­ren schrieb:

ein Par­tei­füh­rer wie Stra­che ist auf bür­ger­li­che Salon­fä­hig­keit, auf gesell­schaft­li­che Repu­ta­ti­on ange­wie­sen. Da Küs­sel über die­se nicht ver­fügt, glaubt Stra­che sich von ihm bil­lig distan­zie­ren zu müs­sen, glaubt der FPÖ-Funk­tio­när Wein­zin­ger Küs­sel einen “Idio­ten” nen­nen zu müssen.
Die Distan­zie­rung ist wohl in den meis­ten Fäl­len nicht ernst gemeint, denn in Ver­bin­dun­gen gibt es vie­le Kel­ler­na­zis, die also nicht wie Küs­sel den mann­haf­ten Mut auf­brin­gen, sich offen zum NS zu beken­nen, dafür dann ins Gefäng­nis gehen, die aber im Kel­ler des Ver­bin­dungs­hau­ses NS-Ona­nie betrei­ben — sozu­sa­gen als Ersatz­hand­lung. Wenn die Leu­te dann über die FPÖ im Par­la­ment lan­den, betrach­ten sie die Bur­schen­schaft als ihr kul­tu­rel­les Vor­feld (”Drit­tes Lager”), das den FPÖ-Anfor­de­run­gen der bür­ger­li­chen Salon­fä­hig­keit und gesell­schaft­li­chen Repu­ta­ti­on zu ent­spre­chen hat. Die Bur­schen­schaft hat sich also an dem Nut­zen des Geld­erwerbs bestimm­ter Mit­glie­der, die FPÖ-Funk­tio­nä­re sind, unter­zu­ord­nen. Die Ehre läuft dann oft­mals — nicht immer und nicht für jedes Mit­glied! — auf Geld hin­aus
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Tja, geball­te Sach­kom­pe­tenz und eine ziem­lich zutref­fen­de Beschrei­bung, der wir nichts ent­ge­gen­set­zen kön­nen und wol­len – außer viel­leicht einen sehr beschei­de­nen räum­li­chen Ein­wand: Mitt­ler­wei­le gehen die Bur­schis nicht mehr in die Kel­ler, um Nazi-Paro­len zu grö­len, und die FPÖ hat ihre Par­tei­lo­ka­le auch schon vom Sou­ter­rain in die Erd­ge­schos­se und höher verlagert.