Noch ist das Feld der Bewerber*innen für eine Kandidatur zur Präsidentschaft sehr „fluid“. Von den 27 Bewerber*innen, die wir gezählt haben, sind mittlerweile einige schon wieder aus dem Rennen. Drei haben angeblich „gesundheitliche Gründe“ für ihren Rückzug angeführt (Martin Wabl, Martina Essl und Gustav Jobstmann), bei einem weiteren, Konstantin Haslauer, wurden auf der Website „Bundespräsidentschaftswahl“, die von dem Kandidaten Robert Marschall (EU-Austritt, Abtreibung ist Mord und: „ein Recht auf Abtreibung nach einer Vergewaltigung ist sehr problematisch, wie der Fall in den USA zeigt, wo eine Vergewaltigung nur vorgetäuscht wurde, um das Kind abtreiben zu lassen“) betrieben wird, alle Angaben zur Kandidatur auf dessen Wunsch gelöscht, sodass man einen Rückzug vermuten könnte. Wobei durchaus handfestere Gründe den Ausschlag dafür gegeben haben könnten, dass „die Stimme des Volkes“ (Haslauer über sich) sehr leise geworden ist.
Haslauers Konkurrent Thomas Schaurecker („Wir werden Präsident“), der in einem Facebook-Post zunächst über „schwere, strafrechtlich relevante Vorwürfe gegen Konstantin Haslauer“ mit hoher Schadenssumme und einige Tausend Geschädigte, aber noch keiner Verurteilung sprach, will vermitteln – sicher ganz uneigennützig!
Schaurecker selbst trat noch bis Februar 2021 zusammen mit Merlin E. auf. Damit war aber schlagartig Schluss, als E. verhaftet und später verurteilt wurde. Mit seinem Wahlkampfunterstützer Frank Schreibmüller hat er sich einen Holocaustleugner ins Team geholt; den erlebt er jedoch „als totalen Menschenfreund“, wie er seine Fans via Telegram-Video wissen lässt.
In der Schwurbelecke gibt’s ziemlich ein Gedränge mit Leuten, die für die Bundespräsidentschaft kandidieren. Da ist zB Thomas Schaurecker, Ex-FPÖler, Corona-Demoorganisator, der einmal gemeinschaftlich mit Merlin E. für einen „Friedens“-Verein um Spenden gekeilt hat. 1/4 pic.twitter.com/o9PmXPdwb3
— stopptdierechten.at (@stopptrechte) August 14, 2022
Schaurecker, Haslauer und Johann-Peter Schutte („Liebe Mitglieder der Menschheitsfamilie“) durften Anfang Juli bei den Rechtsextremen und Verschwörungsschwurblern von „Fairdenken“ (Hannes Brejcha) ihre Vorstellungen zur Präsidentschaft präsentieren, was insofern erstaunlich ist, als Schaurecker noch bis vor kurzem in heftigem Clinch mit dieser Gruppe lag. Alle drei sind natürlich Corona-Maßnahmen- und Impfgegner. Unterschiede gibt’s in Nuancen. Schutte will nicht nur sofort die Regierung entlassen, sondern auch alle Landeshauptleute. Außerdem sollen alle (!) in den letzten zweieinhalb Jahren beschlossenen Sanktionen, Verordnungen und Gesetze aufgehoben werden.
Haslauer will den Austritt aus EU und WHO sowie den „Erhalt des klassischen Familienverbundes auf Basis natürlicher Schöpfungsgegebenheiten“, also Vater-Mutter-Kind, mit „Aufwertung des Berufsbildes ‚Mutter und Hausfrau‘ als Mittelpunkt der Familien-Zelle“ und eine Erhöhung der Familienbeihilfe, aber nur „für österreichische Staatsbürger“.
Neben Schutte und den bereits fixen Kandidaten Brunner, Grosz, Rosenkranz und Wallentin würden weitere fünf potenzielle Kandidaten (Pacher, Ottowitz, Hoffmann, Kuchta, Marschall) explizit die autoritäre Karte ziehen wollen und die Bundesregierung ganz (oder teilweise) sofort entlassen, eine Expertenregierung einsetzen und/oder Neuwahlen ausschreiben. Auch die Vorstellung, dass der Bundespräsident allein – und nicht das Parlament – die Regierung kontrollieren sollte, geistert bei einigen herum.
Barbara Rieger, Expertin für „Auratechnik und Aurachirurgie“ ist neben Helga Egger eine von den zwei verbliebenen Frauen im sonst männlichen Feld der Bewerber*nnen. Die Corona-Maske ist für sie eine „Sklavenmaske“ und übrigens hat „Österreich (…) bis heute keinen Friedensvertrag und ist somit noch alliierte Besetzungsmacht“.
Helga Egger würde als Bundespräsidentin ein Handyverbot im Nationalrat bei Sitzungen einführen, ist gegen die Sanktionen und gegen die Abschaffung der Verbrennermotoren und würde „straffällige Flüchtlinge, Migranten usw. sofort ausweisen“. Unter jenen, die für sie Unterstützungserklärung abgegeben haben, will sie eine Vespa verlosen.
Ähnlich tickt Roland Ludomirska. Der bietet zwar überhaupt kein Programm oder schlichte Forderungen auf seiner Käseseite (!), wo er seine Kandidatur verkündet, aber einen 50 %-Rabatt für alle Unterstützer*innen beim nächsten Einkauf in einem seiner überteuerten Käseläden. Das Magazin „Weekend“ bzw. „prozess-report“ berichteten über den Prozess wegen des Verdachts der NS-Wiederbetätigung 2021, von dem er freigesprochen wurde, „Heute“ 2020 unter anderem über Wucherpreise und 2022 über eine arbeitsrechtliche Klage gegen den Käse-Kandidaten.
Mark Hanno Fessl weiß, was aus biblischer Sicht auf uns alle zukommt und was es mit der Zahl des Antichristen auf sich hat. Deshalb empfiehlt er: „Gott an die erste Stelle stellen, im persönlichen Leben und in der Regierung Österreichs!“, auch wenn das schwierig werden dürfte. Aber für ihn beten hilft ja anscheinend!
Nicht alle der hier genannten potenziellen Kandidat*innen vertreten explizit rechtsextreme Positionen und/oder sind in einschlägigen verschwörerischen oder impfgegnerischen Zusammenhängen (wie etwa auch Hubert Thurnhofer „Die Mauern der Corona-Herrschaft werden fallen!“) aufgefallen. Kaum jemand von ihnen wird über die Hürde der Unterstützungserklärungen kommen, und jene, die sie neben Rosenkranz, Wallentin, Grosz und Brunner noch schaffen, werden für eine weitere Aufsplitterung des rechten und rechtsextremen Spektrums sorgen. Allerdings werden ihre schrillen rechten und autoritären Töne die Debatten der nächsten Wochen in einem derartigen Übermaß mitprägen, dass der Diskurs insgesamt noch weiter nach rechts rutschen könnte. Profitieren würde davon über die Bundespräsidentschaftswahl hinaus die FPÖ.