Wochenschau KW 3/22 (Teil 1)

In St. Pöl­ten stand im Dezem­ber ein 20-Jähriger vor Gericht, der zusam­men mit anderen den Auf­bau ein­er nation­al­sozial­is­tis­chen Armee geplant hat­te. Man müsse zur Selb­stjus­tiz schre­it­en, war in sein­er Chat­gruppe zu lesen. Eben­falls um eine Ter­ror­gruppe geht es im Ver­fahren gegen den Neon­azi Peter Binder – bess­er, es wurde erwartet, dass es darum geht. Doch in der Anklageschrift kommt die „Miliz der Anständi­gen“, die laut Binder geplant war, nicht mehr vor.

Völkermarkt/K: Wieder-Wieder­betätiger vor dem OGH
Brau­nau-Ried/OÖ: Verurteilung wegen eines Vollrausches
St. Pölten/Ö/D: Grün­dung ein­er nation­al­sozial­is­tis­chen „Bürg­er­armee“
Wien/NÖ: Want­ed: „Miliz der Anständigen“

Völkermarkt/K: Wieder-Wieder­betätiger vor dem OGH

Er hat­te bere­its die dritte Verurteilung wegen Wieder­betä­ti­gung kassiert, mit Beweisen, die als ziem­lich ein­deutig zu beze­ich­nen sind: eine „Woh­nung voller NS–Devotionalien – vom SS-Bierdeck­el über NS-Krim­skrams in Tup­per­dosen bis zur Hitler-Bib­lio­thek, auch sein Kör­p­er war voller Huldigun­gen an das Dritte Reich – mit der in diesen Kreisen typ­is­chen ‚Schwarze Sonne‘ sowie Sym­bol­en für ‚Lebens­born‘“ (Kro­nen Zeitung, 20.1.22, S. 33) Was den 41-jähri­gen Völk­er­mark­ter nun dazu getrieben hat, den Ober­sten Gericht­shof anzu­rufen, scheint daher etwas rät­sel­haft. Der bestätigte jeden­falls weit­ere drei Jahre Haft.

Brau­nau-Ried/OÖ: Verurteilung wegen eines Vollrausches

Ein seit 20 Jahren in Öster­re­ich leben­der 29-jähriger Tschetsch­ene scheint das Konzept der Inte­gra­tion in Brau­nau sehr ein­schlägig aus­gelebt zu haben. Als die Polizei im August 2021 wegen Lärm­beläs­ti­gung in ein Lokal nahe dem Hitler-Geburtshaus kam, wurde sie vom Angeklagten stilecht mit Hit­ler­gruß und „Heil Hitler“, „Sieg Heil“, „mein Adolf“ emp­fan­gen. Es sei im Voll­rausch gewe­sen, gab der mehrfach Vorbe­strafte an, er könne sich daher daran nicht erin­nern. Obwohl der amt­shan­del­nde Polizist vergessen hat­te, einen Alko­holtest zu machen, kamen die Geschwore­nen ein­stim­mig übere­in, den Mann nicht wegen Wieder­betä­ti­gung zu verurteilen, son­dern 

wegen der Bege­hung ein­er mit Strafe bedro­ht­en Hand­lung im Zus­tand voller Berauschung. Er wird also nicht wegen der Straftat an sich verurteilt, son­dern deswe­gen, weil er sich schuld­haft in einen Rauschzu­s­tand ver­set­zt hat. Eine volle Berauschung liegt laut Strafge­set­zbuch dann vor, wenn das Bewusst­sein des Täters von der Außen­welt hochgr­a­dig getrübt ist. Das Gericht verurteilt den Angeklagten zu zehn Monat­en unbe­d­ingter Haft. Wed­er die Staat­san­wältin noch der Angeklagte geben eine Erk­lärung ab, das Urteil ist daher nicht recht­skräftig. (nachrichten.at 22.1.22)

Am sel­ben Tag kassierte der 29-Jährige in einem weit­eren Ver­fahren wegen Kör­per­ver­let­zung, gefährlich­er Dro­hung und Sachbeschädi­gung sechs Monate unbe­d­ingt (nicht rechtskräftig).

St. Pölten/Ö/D: Grün­dung ein­er nation­al­sozial­is­tis­chen „Bürg­er­armee“

Es ist bemerkenswert, wie beiläu­fig und spät die Öffentlichkeit davon erfährt, dass offen­bar eine öster­re­ichisch-deutsche Gruppe in einem Chat geplant hat­te, zur Selb­stjus­tiz zu schre­it­en. Wir müssen „eine eigene Bürg­er­wehr grün­den die langsam aber stetig zu ein­er unab­hängi­gen Armee wird. Die nur dem nation­al­sozial­is­tis­chen Geset­zen fol­gen“ (meinbezirk.at, 23.1.22; Fehler im Orig­i­nal), zitiert die Polizei aus ein­er Sprachnachricht.

Auf der Spur eines 20-jähri­gen St. Pöl­teners, der in diversen Chat­grup­pen braune Dateien aus­ge­tauscht und dann eine eigene Gruppe gegrün­det hat­te, sei die Polizei vor einem Jahr gekom­men. 

Sprachnachricht: "wir müssen Selbstjustiz ausüben und eine eigene Bürgerwehr gründen" "Du hast zwar das sieg Heil am ende Vergessen aber sonst nicht schlecht" (LVT)

Sprach­nachricht: „wir müssen Selb­stjus­tiz ausüben und eine eigene Bürg­er­wehr grün­den” „Du hast zwar das sieg Heil am ende Vergessen aber son­st nicht schlecht” (LVT)

Chatnachricht: "Kameraden wenn ihr Leute kennt die national sind und aus Österreich kommn bitte schickt mir die Nummer (...) Und ein kräftiges SIEG HEIL" (LVT)

Chat­nachricht: „Kam­er­aden wenn ihr Leute ken­nt die nation­al sind und aus Öster­re­ich kommn bitte schickt mir die Num­mer (…) Und ein kräftiges SIEG HEIL” (LVT)

Bei ein­er Haus­durch­suchung im Sep­tem­ber 2021 wur­den NS-Devo­tion­alien, etwa eine Fahne mit SS-Runen über dem Bett des Mannes, sichergestellt wor­den. Es sei auch der Ver­such unter­nom­men wor­den, ille­gal Schuss­waf­fen zu besorgen.

Der 20-jährige Beschuldigte wurde im Herb­st 2021 von Beamten des Lan­desamtes für Ver­fas­sungss­chutz und Ter­ror­is­mus­bekämp­fung NÖ festgenom­men, über Auf­trag der Staat­san­waltschaft Wels in die Jus­ti­zanstalt Wels ein­geliefert und let­ztlich in die Jus­ti­zanstalt St. Pöl­ten über­stellt. Der 20-Jährige wurde am 22. Dezem­ber 2021 am Lan­des­gericht St. Pöl­ten wegen Ver­brechens nach dem Ver­bots­ge­setz von einem Schwurg­ericht zu 2 Jahren Haft (16 Monate davon bed­ingt) verurteilt. (meinbezirk.at)

Weit­ere Beschuldigte aus Öster­re­ich und Deutsch­land seien aus­ge­forscht worden

Wien/NÖ: Want­ed: „Miliz der Anständigen“

Es ist ein Mys­teri­um: Als im Dezem­ber 2020 der dama­lige Innen­min­is­ter Karl Neham­mer über die riesi­gen Waf­fen­funde bei Peter Binder und in dessen Umfeld informierte, war davon die Rede, Binder hätte aus­ge­sagt, ein Teil der Waf­fen sei für deutsche Neon­azis bes­timmt gewe­sen, die damit eine paramil­itärische Miliz auf­bauen hät­ten wollen. Anfang Juli 2021 nach weit­eren Razz­ien und Waf­fen­fun­den wird Binder zitiert, wonach er vorge­habt habe, eine „Miliz der Anständi­gen” grün­den zu wollen, um „das Sys­tem zu kippen”.

Groß war daher das Erstaunen, dass in der nun­mehr fer­ti­gen Anklageschrift der Staat­san­waltschaft Wien nur mehr von Ver­stößen gegen das Sucht­mit­tel und Waf­fenge­setz di Rede ist. Wie später zu erfahren war, wur­den die Übertre­tun­gen nach dem Ver­bots­ge­setz an die Staat­san­waltschaft Wiener Neustadt aus­ge­lagert, die Miliz war verschwunden.

Offen­bar schafften es die Ermit­tler aber nicht, Verbindun­gen zwis­chen Binder und anderen Recht­sex­tremen oder mil­i­tan­ten Grup­pierun­gen herzustellen. Dieser Aspekt fehlt in der Anklage kom­plett. Binders Recht­san­walt Rudolf May­er sieht sich daher in sein­er Vertei­di­gungslin­ie bestätigt: Sein Man­dant sei ein „Waf­fen­narr”; zum Sucht­gift sei er nur durch „ange­set­zte Ver­trauensper­so­n­en der Polizei” gekom­men, die sich selb­st Vorteile ver­schaf­fen woll­ten. (derstandard.at, 10.1.22)

„Wir haben kein Ver­fahren eröffnet“, sagte die Sprecherin der Wiener Staat­san­waltschaft, Nina Bussek. (…) Es habe let­ztlich keine Anhalt­spunk­te für die Exis­tenz ein­er „Miliz der Anständi­gen“ gegeben.
Nach der Aushe­bung der Waf­fen­lager gab es laut Innen­min­is­teri­um Ermit­tlun­gen bezüglich zusam­men­hän­gen­der Struk­turen und des möglichen Aus­tauschs der Verdächti­gen. „In weit­er­er Folge wur­den die Ermit­tlun­gen zu Straftat­en allerd­ings auf­grund der Beweis­lage gegen einzelne Per­so­n­en und nicht gegen Grup­pierun­gen geführt“, hieß es aus dem Min­is­teri­um. (orf.at, 21.1.22)

Ist die „Miliz der Anständi­gen“ also eine reine Erfind­ung, gab es keine Pläne für deren Auf­bau? Waren die Ton­nen an aufge­fun­de­nen Waf­fen nur für den Haus­ge­brauch? Es darf daran gezweifelt werden.

Schon in der vor­let­zten Woche sorgte die Mit­teilung über die Ein­stel­lung der Ermit­tlun­gen gegen einige Corona-Leugner*innen für Erstaunen, obwohl nach Razz­ien im Mai 2021 Karl Neham­mer von ein­er ter­rorähn­lichen Grup­pierung gesprochen hatte.