Die Vorgeschichte ist fast unendlich (siehe Chronique scandaleuse) und auch bereits unzählige Male abgehandelt worden. Wobei in der medialen Berichterstattung 2015 mit der Sachverhaltsdarstellung des damaligen Vergangenheitssprechers der Grünen, Harald Walser, der Beginn gesetzt wurde. In Wirklichkeit haben die inakzeptablen Diffamierungen der mittlerweile eingestellten „Aula“ gegenüber KZ-Überlebenden bereits 2011 begonnen, als der notorisch rechtsaußen-drehende, oft am Neonazismus vorbeischrammende Aula-Stammautor Fred Duswald nicht nur die Befreiten des KZ Mauthausen als „Kriminelle“ und „Landplage“ herabgewürdigt, sondern auch noch Ruth Klüger nach einer Rede im Parlament der Lüge bezichtigt hatte. Die damalige Anzeige durch die Israelitische Kultusgemeinde wurde ebenso niedergelegt wie vier Jahre später jene von Harald Walser. Hätte Duswald 2015 in seiner Schamlosigkeit nicht eine Begründung für die Einstellung der Ermittlungen angefordert – wohl, um diese als Freifahrtschein und Argumentarium in seiner Sache verwenden zu können –, hätte er die nicht auch noch herumgeschickt, dann wäre seine Beleidigungsorgie rechtlich genauso folgenlos geblieben wie sein bräunliches Gebrabbel von 2011.
Bemerkenswert: Nachdem Walser die skandalöse Einstellungsbegründung aus der Feder der Grazer Staatsanwaltschaft publik gemacht hatte, meldete sich ein hochrangiger Jurist bei ihm. Und der widersprach seinem Justizminister Brandstetter und dem Sektionschef Pilnacek, die beide gemeint hatten, im Ergebnis, nämlich der Einstellung habe die Staatsanwaltschaft korrekt gehandelt, nicht jedoch in der Formulierung der Begründung.
Einleitend und vor der Beantwortung der einzelnen Fragen ist es mir wichtig, auch an dieser Stelle zunächst allgemein zu betonen, dass selbstverständlich auch ich Formulierungen der gegenständlichen Einstellungsbegründung zutiefst ablehne und verstehe, dass sie als menschenverachtend empfunden werden. Diese Einstellungsbegründung hätte den Bereich der Staatsanwaltschaft in dieser Form nicht verlassen dürfen. Gleichzeitig ist jedoch festzuhalten, dass – im Gegensatz zur Formulierung der Einstellungsbegründung – die Einstellung an sich aus rein rechtlicher Sicht – wie untenstehend näher ausgeführt – im Ergebnis nachvollziehbar ist. (Beantwortung der parlament. Anfrage von Harald Walser an Justizminister Brandstetter)
Das sah der hochrangige Jurist in einem Gespräch mit Walser deutlich anders: Zentraler Punkt für die rechtliche Beurteilung von Duswalds Artikel sei der Bedeutungsinhalt: Was will der Artikel vermitteln? Somit rückt der – bei der Aula weit rechtsstehende – Leser in den Fokus. Wie fasst er den Artikel und insbesondere die Überschrift („Mauthausen-Befreite als Massenmörder“) auf? Das „Zwischen-den-Zeilen-Lesen“ sei also wesentlicher Bestandteil der juristischen Prüfung. In diesem Fall sei die Beurteilung durch die Grazer Staatsanwältin daher schlicht falsch gewesen.
Und genau das meinte nun auch der OGH am 11. Juni in seiner Beurteilung der Abweisung der nachfolgenden Klage durch das Grazer Landesgericht und dann auch das Grazer Oberlandesgericht. Beide Gerichte hätten es verabsäumt, den Bedeutungsinhalt des Artikels in Bezug auf die Aula-Leserschaft zu prüfen, und dass es nicht, wie es das LG und OLG Graz in seiner Urteilsbegründung ausführte, „mehrere mögliche Deutungsvarianten“ gegeben habe.
Der OGH nannte aber auch noch ein zweites Argument für seinen Spruch, der jenem der Grazer Gerichte widersprach. Das OLG Graz führte in seiner Urteilsbegründung aus:
Ausgehend von den Feststellungen, dass die Erst- bis Zehntantragsteller durch die Veröffentlichung des inkriminierten Artikels für dessen Leser individuell nicht als von den Vorwürfen Betroffene erkennbar waren (…), erachtete das Erstgericht die Antragsteller als nicht aktiv legitimiert und als nicht in ihrer Ehre verletzt (…). Die mangelnde Individualisierbarkeit der Antragsteller leitete das Erstgericht aus der Größe des Kollektivs der aus dem Konzentrationslager Mauthausen befreiten (20.000) Personen ab. (Urteilsbegründung OLG Graz 31.7.2017)
Übersetzt: Es seien so viele aus dem KZ Mauthausen befreit worden, dass die Überlebenden, die geklagt hatten, von den Diffamierungen nicht individuell betroffen seien. Der OGH arguemntierte nun anders: Da es nur mehr wenige Überlebende, die im KZ Mauthausen interniert waren, gäbe, wäre durchaus eine individuelle Betroffenheit feststellbar. Insgesamt stellte der OGH schwerwiegende Begründungsdefizite fest, womit das Gesetz seitens des LG und OLG Graz in mehrfacher Hinsicht verletzt worden sei.
Was nun bleibt: Das Grazer Urteil kann aufgrund der österreichischen Gesetzeslage („Schlechterstellungverbot“ für die Beschuldigten, in dem Fall die „Aula”) nicht revidiert werden, die Klagenden haben keinen Anspruch auf eine Entschädigungszahlung. Nicht einmal die Prozesskosten (die vollumfänglich von den Grünen getragen wurden) werden erstattet. Hier ist nun wieder der Gesetzgeber am Wort, um durch eine Reparatur auch diesen Mangel zu beseitigen. Dann könnte es wirklich heißen: Die Skandalgeschichte hat ein gutes Ende gefunden!
➡️ Die „Aula“ und die Republik Österreich – eine Chronique scandaleuse
➡️ Der Standard: Causa „Landplage”: Eine ganz unkomplizierte Schande