Hanau (BRD): Rechtsextreme und rassistische Mordserie

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Neun Men­schen mit Migra­ti­ons­hin­ter­grund ermor­de­te der Atten­tä­ter T. R. am 19. Febru­ar in Hanau aus ras­sis­ti­schen-rechts­extre­men Moti­ven, dann rich­te­te er sei­ne Mut­ter hin und zuletzt sich selbst. Deutsch­land ist wie­der ein­mal betrof­fen und ver­spricht, jetzt aber wirk­lich und end­lich den Kampf gegen Rechts­extre­mis­mus und Ras­sis­mus auf­zu­neh­men. Öster­reich hat kei­nen Grund sich zu ent­span­nen. Franz Fuchs und Johann Neu­mül­ler – schon vergessen?

Struk­tu­ren und Zie­le der kurz zuvor aus­ge­ho­be­nen rechts­extre­men Ter­ror­grup­pe S., die vor­wie­gend im süd­deut­schen Raum ope­rier­te, sind noch nicht wirk­lich offen­ge­legt, da mor­det T. R. in Hanau, nach­dem er ein lang­at­mi­ges ras­sis­ti­sches Pam­phlet und ein Video ver­öf­fent­licht hat. Weni­ge Stun­den zuvor am glei­chen Tag, am 19. Febru­ar 2020, ver­öf­fent­licht die „Hes­sen­schau“ die Nach­richt, dass gegen einen wei­te­ren Poli­zis­ten aus Hes­sen auch mit einer Haus­durch­su­chung ermit­telt wird, weil er im Ver­dacht steht, Mit­glied von „NSU 2.0“ zu sein, einer Grup­pe, in der meh­re­re Poli­zis­ten aus Frankfurt/Main aktiv waren und gegen die seit mehr als einem Jahr ermit­telt wird.

In sei­nem Plä­doy­er als Opfer­an­walt im NSU-Pro­zess, das als Buch erschie­nen ist („Empö­rung reicht nicht!“) beschreibt Meh­met Dai­ma­gü­ler das bla­ma­ble Ver­sa­gen staat­li­cher Struk­tu­ren bei der Auf­klä­rung der NSU-Mor­de, die Mit­schuld des Ver­fas­sungs­schut­zes (zuvor­derst des hes­si­schen!), die ras­sis­ti­schen Vor­ur­tei­le bei der Poli­zei und den ein­ge­schränk­te Auf­klä­rungs­wil­len der Generalbundesanwaltschaft.

Zumin­dest bei letz­te­rer Behör­de hat sich etwas geän­dert. Die Gene­ral­bun­des­an­walt­schaft hat sofort die Ermitt­lun­gen an sich gezo­gen und in ihrer ers­ten Stel­lung­nah­me auch kei­nen Zwei­fel dar­an gelas­sen, dass es „gra­vie­ren­de Indi­zi­en für einen ras­sis­ti­schen Hin­ter­grund der Tat“ gibt.

Es ist ein grau­en­haf­tes, ein wider­li­ches Pam­phlet, das der Rechts­extre­mist und Ras­sist T. R. hin­ter­las­sen hat. In sehr nüch­ter­ner Spra­che zählt er wie ein Buch­hal­ter die „Völ­ker“, eigent­lich Län­der auf, die ver­nich­tet wer­den müs­sen, weil sie „in jeg­li­cher Hin­sicht destruk­tiv“ sei­en, wäh­rend sein eige­nes Volk „die Mensch­heit als Gan­zes empor­ge­ho­ben“ habe. Das schreibt einer, der sich an ande­rer Stel­le sei­nes Pam­phle­tes sehr wohl der Shoa bewusst ist, sie impli­zit in die ras­sis­ti­sche Wür­di­gung sei­nes Vol­kes miteinbezieht.

Bild eines Weißkopfseeadlers auf der Website des Hanauer Attentäters

Bild eines Weiß­kopf­see­ad­lers auf der Web­site des Hanau­er Attentäters

In dem Pam­phlet fin­den sich auch die ver­schwö­rungs­theo­re­ti­schen Ele­men­te, die in dem Umvol­kungs- und Aus­tausch­ge­sül­ze von alten und neu­en Rechts­extre­men immer dabei sind: „Gewis­se Per­so­nen aus mei­nem eige­nen Land“ hät­ten dazu bei­getra­gen, dass nun „Volks­grup­pen, Ras­sen oder Kul­tu­ren“ im Land sind, die ver­nich­tet wer­den müs­sen, weil sie eben „in jeg­li­cher Hin­sicht destruk­tiv“ seien.

Sehr deut­lich auch die frau­en­feind­li­chen Bezü­ge, die schon in der Erin­ne­rung (!) an sei­ne eige­ne Geburt durch­schim­mern und schließ­lich in der Ermor­dung sei­ner 72-jäh­ri­gen Mut­ter (der Vater darf über­le­ben) enden. Seit sei­ner Geburt fühlt sich T. R. ver­folgt, von einem unbe­kann­ten gehei­men Dienst, den er nach eige­nen Anga­ben auch drei­mal, näm­lich 2002, 2004 und 2019 bei der Poli­zei ange­zeigt hat. Ist da nie­man­dem irgend­et­was auf­ge­fal­len? Die Behör­den erteil­ten ihm 2013 eine Waf­fen­be­sitz­kar­te, über­prüf­ten zuletzt vor einem Jahr angeb­lich sei­ne „cha­rak­ter­li­che Eig­nung“ zum Füh­ren von Waffen.

Linksliste auf der Website des Hanauer Attentäters mit dem Titel: "Etwas sehr Großes wird vor der Menschheit verborgen gehalten!"

Links­lis­te auf der Web­site des Hanau­er Atten­tä­ters mit dem Titel: „Etwas sehr Gro­ßes wird vor der Mensch­heit ver­bor­gen gehalten!”

R. hat­te – das soll nicht ver­schwie­gen wer­den – offen­sicht­lich wahn­haf­te Ideen, eine patho­lo­gi­sche Stö­rung, die er in sei­ne rechts­extre­me, ras­sis­ti­sche und ver­schwö­rungs­theo­re­ti­sche Welt ein­bet­tet, hin­ter ihr ver­steckt. Rechts­extre­me wie Alex­an­der Gau­land und Jörg Meu­then von der AfD haben sich sofort auf die patho­lo­gi­sche Stö­rung gestürzt, den Rechts­extre­mis­mus und die Ver­schwö­rungs­theo­rien, die sie mit ihm tei­len, eben­so unter den Tisch fal­len las­sen wie sei­nen ras­sis­ti­schen Ver­nich­tungs­wil­len. Ähn­lich gela­ger­te Inter­pre­ta­tio­nen geis­tern auch zuhauf beim öster­rei­chi­schen rech­ten Publi­kum herum.

R. steht mit vie­len Merk­ma­len sei­ner Bio­gra­phie in einer mitt­ler­wei­le schon sehr lan­gen Tra­di­ti­on von schein­bar „ein­sa­men Wöl­fen“ und rech­tem Ter­ror (Brei­vik, Christ­church, Hal­le), die von Franz Fuchs und des­sen Baju­wa­ri­scher Befrei­ungs­ar­mee bis hin zu Johann Neu­mül­ler, dem Brei­vik von Traun auch ihre öster­rei­chi­schen Aus­prä­gun­gen hat. Der ras­sis­ti­sche Ver­nich­tungs­wil­le von Neu­mül­ler wur­de nur durch sei­ne nicht funk­tio­nie­ren­de Waf­fe gestoppt.

Der Breivik aus Traun: "Die Geschichte eine Terroristen, über den niemand spricht" (Falter 49/2011)

Der Brei­vik aus Traun: „Die Geschich­te eine Ter­ro­ris­ten, über den nie­mand spricht” (Fal­ter 49/2011)

„Empö­rung reicht nicht“, hat Dai­ma­gü­ler sein Plä­doy­er zum NSU-Pro­zess über­ti­telt und im Nach­satz dann „Unser Staat hat ver­sagt. Jetzt sind wir dran“. Stimmt!