Strukturen und Ziele der kurz zuvor ausgehobenen rechtsextremen Terrorgruppe S., die vorwiegend im süddeutschen Raum operierte, sind noch nicht wirklich offengelegt, da mordet T. R. in Hanau, nachdem er ein langatmiges rassistisches Pamphlet und ein Video veröffentlicht hat. Wenige Stunden zuvor am gleichen Tag, am 19. Februar 2020, veröffentlicht die „Hessenschau“ die Nachricht, dass gegen einen weiteren Polizisten aus Hessen auch mit einer Hausdurchsuchung ermittelt wird, weil er im Verdacht steht, Mitglied von „NSU 2.0“ zu sein, einer Gruppe, in der mehrere Polizisten aus Frankfurt/Main aktiv waren und gegen die seit mehr als einem Jahr ermittelt wird.
In seinem Plädoyer als Opferanwalt im NSU-Prozess, das als Buch erschienen ist („Empörung reicht nicht!“) beschreibt Mehmet Daimagüler das blamable Versagen staatlicher Strukturen bei der Aufklärung der NSU-Morde, die Mitschuld des Verfassungsschutzes (zuvorderst des hessischen!), die rassistischen Vorurteile bei der Polizei und den eingeschränkte Aufklärungswillen der Generalbundesanwaltschaft.
Zumindest bei letzterer Behörde hat sich etwas geändert. Die Generalbundesanwaltschaft hat sofort die Ermittlungen an sich gezogen und in ihrer ersten Stellungnahme auch keinen Zweifel daran gelassen, dass es „gravierende Indizien für einen rassistischen Hintergrund der Tat“ gibt.
Es ist ein grauenhaftes, ein widerliches Pamphlet, das der Rechtsextremist und Rassist T. R. hinterlassen hat. In sehr nüchterner Sprache zählt er wie ein Buchhalter die „Völker“, eigentlich Länder auf, die vernichtet werden müssen, weil sie „in jeglicher Hinsicht destruktiv“ seien, während sein eigenes Volk „die Menschheit als Ganzes emporgehoben“ habe. Das schreibt einer, der sich an anderer Stelle seines Pamphletes sehr wohl der Shoa bewusst ist, sie implizit in die rassistische Würdigung seines Volkes miteinbezieht.
In dem Pamphlet finden sich auch die verschwörungstheoretischen Elemente, die in dem Umvolkungs- und Austauschgesülze von alten und neuen Rechtsextremen immer dabei sind: „Gewisse Personen aus meinem eigenen Land“ hätten dazu beigetragen, dass nun „Volksgruppen, Rassen oder Kulturen“ im Land sind, die vernichtet werden müssen, weil sie eben „in jeglicher Hinsicht destruktiv“ seien.
Sehr deutlich auch die frauenfeindlichen Bezüge, die schon in der Erinnerung (!) an seine eigene Geburt durchschimmern und schließlich in der Ermordung seiner 72-jährigen Mutter (der Vater darf überleben) enden. Seit seiner Geburt fühlt sich T. R. verfolgt, von einem unbekannten geheimen Dienst, den er nach eigenen Angaben auch dreimal, nämlich 2002, 2004 und 2019 bei der Polizei angezeigt hat. Ist da niemandem irgendetwas aufgefallen? Die Behörden erteilten ihm 2013 eine Waffenbesitzkarte, überprüften zuletzt vor einem Jahr angeblich seine „charakterliche Eignung“ zum Führen von Waffen.
R. hatte – das soll nicht verschwiegen werden – offensichtlich wahnhafte Ideen, eine pathologische Störung, die er in seine rechtsextreme, rassistische und verschwörungstheoretische Welt einbettet, hinter ihr versteckt. Rechtsextreme wie Alexander Gauland und Jörg Meuthen von der AfD haben sich sofort auf die pathologische Störung gestürzt, den Rechtsextremismus und die Verschwörungstheorien, die sie mit ihm teilen, ebenso unter den Tisch fallen lassen wie seinen rassistischen Vernichtungswillen. Ähnlich gelagerte Interpretationen geistern auch zuhauf beim österreichischen rechten Publikum herum.
R. steht mit vielen Merkmalen seiner Biographie in einer mittlerweile schon sehr langen Tradition von scheinbar „einsamen Wölfen“ und rechtem Terror (Breivik, Christchurch, Halle), die von Franz Fuchs und dessen Bajuwarischer Befreiungsarmee bis hin zu Johann Neumüller, dem Breivik von Traun auch ihre österreichischen Ausprägungen hat. Der rassistische Vernichtungswille von Neumüller wurde nur durch seine nicht funktionierende Waffe gestoppt.
„Empörung reicht nicht“, hat Daimagüler sein Plädoyer zum NSU-Prozess übertitelt und im Nachsatz dann „Unser Staat hat versagt. Jetzt sind wir dran“. Stimmt!