Bücherliste Winter 2019

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Es hat schon Tra­di­ti­on, dass wir im Dezem­ber mit Lese­emp­feh­lun­gen auf­war­ten. Ein paar Tage sind bis Weih­nach­ten noch Zeit, um das eine oder ande­re Buch zu besor­gen und jeman­dem oder sich selbst als Lek­tü­re zu schenken.

Empörung reicht nicht!

Mehr als ein Jahr liegt der Pro­zess gegen Bea­te Zsch­ä­pe vom NSU und eini­ge ihrer Hel­fer zurück. Im Juli 2018 wur­den nach dem Mons­ter­pro­zess, der fünf Jah­re dau­er­te, die Urtei­le gespro­chen. Meh­met Dai­ma­gü­ler war einer der 60 Anwäl­te, die die Neben­klä­ger und Opfer ver­tre­ten haben. Dai­ma­gü­lers abschlie­ßen­des Plä­doy­er war das längs­te von allen – es dau­er­te fünf Stun­den. Es ist der zen­tra­le Inhalt sei­nes Buches „Empö­rung reicht nicht“, das schon 2017 erschie­nen ist. Es ist ein gründ­li­ches Buch – das belegt der Zita­ten­an­hang mit mehr als 250 Anmer­kun­gen. Wer nach Indi­zi­en sucht, war­um mit dem NSU-Pro­zess die Cau­sa NSU nicht abge­schlos­sen sein kann, war­um es ziem­lich offen­sicht­lich ist, dass wesent­lich mehr Per­so­nen als die im Pro­zess Ange­klag­ten an Vor­be­rei­tung, Pla­nung und mög­li­cher­wei­se auch Durch­füh­rung der NSU-Mor­de und ande­rer Straf­ta­ten betei­ligt gewe­sen sein müs­sen, war­um die Mit­schuld des Ver­fas­sungs­schut­zes nicht aus­rei­chend geklärt ist (trotz meh­re­rer par­la­men­ta­ri­scher Unter­su­chungs­aus­schüs­se!), der soll­te die­ses Buch lesen. Auch wenn es nicht mehr ganz neu ist. Auch, weil hier einer ganz klar und sehr beschä­mend für die BRD, die sich als Gegen­ent­wurf zum NS-Unrechts­staat defi­niert, den Ras­sis­mus benennt, der sich nicht nur durch die ver­pfusch­ten Ermitt­lun­gen zum NSU zieht, son­dern auch durch die Mit­te der Gesell­schaft. Dai­ma­gü­ler weiß, wovon er spricht. Er ist das Kind tür­ki­scher Arbei­ter und war etli­che Jah­re Mit­glied der FDP, aus der er 2007 aus­ge­tre­ten ist.

Meh­met Dai­ma­gü­ler, Empö­rung reicht nicht! Lüb­be Ver­lag , Köln.

Cover Daimagüler, Empörung reicht nicht!

Cover Dai­ma­gü­ler, Empö­rung reicht nicht!

Hitlers Hofstaat

Das Werk der His­to­ri­ke­rin Gör­tema­ker kann man durch­aus auch als Anti­the­se zu Ian Kers­haws Arbei­ten über Hit­ler und sei­ne The­se von der cha­ris­ma­ti­schen Herr­schaft ver­ste­hen. Wäh­rend bei Kers­haw selbst die vier mäch­tigs­ten Pala­di­ne – Bor­mann, Himm­ler, Goeb­bels und Speer – voll­kom­men von der Gunst ihres „Füh­rers“ abhän­gig blie­ben, zieht Gör­tema­ker die Krei­se wei­ter und bil­ligt vor allem dem pri­va­ten Umfeld Hit­lers bedeu­tend mehr Ein­fluss zu. Es ist zwei­fel­los das Ver­dienst der His­to­ri­ke­rin Gör­tema­ker, durch den Blick hin­ter die Kulis­sen von Hit­lers Selbst­in­sze­nie­rung zu spren­gen, die ihn als einen aus­schließ­lich für „sein“ Volk die­nen­den, selbst­lo­sen und sich auf­op­fern­den Füh­rer beschreibt. Das Leben am Berg­hof hoch über Berch­tes­ga­den, wohin sich Hit­ler all­mäh­lich immer häu­fi­ger und län­ger zurück­zog, um dort sei­ne Krank­hei­ten und Depres­sio­nen aus­zu­le­ben, aber auch, um sich von dem dort ver­sam­mel­ten inners­ten Kreis immer wie­der auf­bau­en zu las­sen, wäh­rend Mil­lio­nen auf den Schacht­fel­dern und in den KZ kre­pier­ten, die­ses nach außen hin streng abge­schirm­te Leben ver­lief völ­lig anders als es Hit­lers Pro­pa­gan­da­ap­pa­rat ver­kün­de­te. Einen „men­schen­lee­ren Raum“ woll­te der Hit­ler-Bio­graph Joa­chim Fest am Ober­salz­berg gesich­tet haben, fiel damit aber nur auf die Dar­stel­lung von Albert Speer hin­ein, der genü­gend schlech­te Grün­de hat­te, sei­ne Rol­le im inners­ten Kreis mög­lichst unsicht­bar zu machen. Zu Hit­lers geschlos­se­ner Gesell­schaft am Berg­hof hat­ten die Spit­zen des NS-Regimes mit ganz weni­gen Aus­nah­men nur sehr beschränkt Zugang; in ihr spiel­ten Frau­en eine wesent­lich grö­ße­re Rol­le als in Ideo­lo­gie und Rea­li­tät des NS.

Zu kurz kommt das, was im Unter­ti­tel für die Zeit „danach“, also zum Fort­le­ben des inne­ren Krei­ses nach Hit­lers Sui­zid und der Nie­der­la­ge des NS-Regimes, ange­kün­digt wur­de. Da beschränkt sich die Autorin weit­ge­hend dar­auf , die Lebens­lü­gen vor­zu­füh­ren, die NS-Schran­zen wie Albert Speer, Hein­rich Hoff­mann (Hit­lers Leib­fo­to­graf) oder Otto Diet­rich (Reichs­pres­se­chef), aber auch die Frau­en der NS–Größen wie Emmy Göring und Hen­ri­et­te von Schi­rach über sich und ande­re lan­ge Zeit sehr erfolg­reich ver­brei­ten konnten.

Hei­ke B. Gör­tema­ker, Hit­lers Hof­staat. Der inne­re Kreis im Drit­ten Reich und danach. C.H.Beck Ver­lag, Mün­chen 2019.

Cover Görtemaker, Hitlers Hofstaat

Cover Gör­tema­ker, Hit­lers Hofstaat

Das braune Netz

Wil­li Wink­ler war Redak­teur der „Zeit“, des „Spie­gel“ und schreibt jetzt für die „Süd­deut­sche Zei­tung“. Dazwi­schen auch Bücher wie die­ses, wo der Titel „Das brau­ne Netz“ schon die Ankla­ge for­mu­liert, die der Unter­ti­tel „Wie die Bun­des­re­pu­blik von frü­he­ren Nazis zum Erfolg geführt wur­de“ dann noch unter­streicht. Da geht es nicht pri­mär um alte wei­ße Män­ner, son­dern um die alten Brau­nen, die naht­los ihre beruf­li­che Exis­ten­zen und Kar­rie­ren vom „Deut­schen Reich“ der Nazis in die Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land über­führ­ten und dafür über die längs­te Zeit auch noch Dank und Aner­ken­nung erfah­ren durf­ten. Etwa der TV-Mode­ra­tor Wer­ner Höfer, der über Jahr­zehn­te jeden Sonn­tag die jour­na­lis­ti­sche Dis­kus­si­ons­run­de „Früh­schop­pen“ lei­te­te und damit die Bun­des­re­pu­blik die längs­te Zeit mit die­sem „Ersatz­got­tes­dienst“ beglei­te­te. Dafür gab’s auch das Bun­des­ver­dienst­kreuz und erst nach sei­nem Rück­tritt als Fern­seh­di­rek­tor 1987 die Ent­hül­lun­gen über sei­ne Nazi-Ver­gan­gen­heit, über die natür­lich so ziem­lich alle sei­ner eben­falls arri­vier­ten Jour­na­lis­ten-Kol­le­gen Bescheid wuss­ten, weil sie – naja –eben­falls dem NS-Regime schon eif­rig und zumeist pro­pa­gan­dis­tisch gedient hat­ten. In Höfers „Früh­schop­pen“ wur­de vor­nehm, aber doch der öster­rei­chi­sche Wider­stands­kämp­fer Jean Ame­ry noch ein­mal aus­ge­grenzt, indem er als „Publi­zist mit Wohn­sitz Brüs­sel“ ohne Erwäh­nung sei­ner Bio­gra­fie vor­ge­stellt wur­de. Bei­spie­le wie Höfer lie­fert Wink­ler in Hül­le und Fül­le, alle­samt gut belegt. Vor Jahr­zehn­ten hat man das noch als Pro­pa­gan­da von drü­ben, aus der DDR, abge­tan. Mitt­ler­wei­le funk­tio­niert das auch nicht mehr – man­gels DDR. Aber das Buch macht auch klar, dass der Anti­kom­mu­nis­mus und die „kom­mu­nis­ti­sche Gefahr“ lan­ge Zeit den Kitt bil­de­ten, der die alten Nazis fest mit die­ser Nach­kriegs­re­pu­blik ver­band. Die 68er-Gene­ra­ti­on war dann die ers­te, die die­sen unap­pe­tit­li­chen Kon­sens und das brau­ne Netz in der BRD sprengte.

„Die Herr­schaft der alten Män­ner geht zu Ende“, über­ti­tel­te Wink­ler das letz­te Kapi­tel in sei­nem Buch und meint damit die Gene­ra­ti­on um Kon­rad Ade­nau­er, Franz Josef Strauß, ihre reak­tio­nä­ren Adju­tan­ten in den Medi­en und Büro­kra­tie wie etwa Hans Glob­ke und last not least die mäch­ti­gen Groß­ka­pi­ta­lis­ten wie Fried­rich Flick, die noch die alte Ord­nung fort­schrei­ben woll­ten: „Aber damit, mit der alten Ord­nung, war es 1969 end­gül­tig vor­bei“, schließt ‚Wink­ler sein Buch. Das mag sein, aber alte Brau­ne gibt es noch immer bzw. schon wieder.

Wil­li Wink­ler, Das brau­ne Netz. Wie die Bun­des­re­pu­blik von frü­he­ren Nazis zum Erfolg geführt wur­de. Rowohlt, Ber­lin 2019.

Cover Winkler, Das braune Netz

Cover Wink­ler, Das brau­ne Netz

Wolfszeit

Schon wie­der ein bücher­schrei­ben­der Jour­na­list! Harald Jäh­ner war Redak­teur der „Ber­li­ner Zei­tung“ und hat mit der „Wolfs­zeit“ so etwas wie eine Kul­tur­ge­schich­te, eine Men­ta­li­täts­ge­schich­te, ein Pan­ora­ma oder ein­fach ein Stim­mungs­bild der Nach­kriegs­zeit geschaf­fen. Die Rezen­sen­tIn­nen sind sich nicht einig, wie sie das Buch kate­go­ri­sie­ren sol­len, aber sie stim­men mit der Jury der Leip­zi­ger Buch­mes­se dar­in über­ein, dass es ein abso­lut gelun­ge­ner Ver­such ist, Inter­es­san­tes über die­se Nach­kriegs­jah­re zu erzäh­len. Es ist auch eine Ergän­zung zu Wink­lers Buch über das brau­ne Netz, obwohl oder weil Poli­tik und Öko­no­mie weit­ge­hend aus­ge­spart bleiben.

Das Buch erzählt etwa über die Trüm­mer, die der Krieg hin­ter­las­sen hat­te: 500 Mil­lio­nen Kubik­me­ter Trüm­mer, eine unfass­ba­re Men­ge, die irgend­wie besei­tigt wer­den muss­te. In den ers­ten Wochen nach Kriegs­en­de, in man­chen deut­schen Städ­ten auch län­ger, wur­den Natio­nal­so­zia­lis­ten dafür her­an­ge­zo­gen, spä­ter dann auch (deut­sche) Kriegs­ge­fan­ge­ne. Weil in Ber­lin Män­ner eine Man­gel­wa­re waren, gab es dort bei den Räum­ar­bei­ten einen gewal­ti­gen Frau­en­über­hang bei den Räumarbeiten.

„Dass sich die Trüm­mer­frau (den­noch) zur mythi­schen Heroi­ne des Wie­der­auf­baus ent­wi­ckeln konn­te, liegt an dem unver­gess­li­chen Anblick, den ihr Ein­satz in den Rui­nen­fel­dern bot“, fol­gert Jäh­ner aus den Bil­dern mit den Frau­en, die „in lan­gen Rei­hen hügel­an ste­hen“, mit Kopf­tü­chern und in Eimer­ket­ten: „Die­se Bil­der brann­ten sich ein, weil die Eimer­ket­ten eine groß­ar­ti­ge visu­el­le Meta­pher für den Gemein­sinn boten, den die Zusam­men­bruchs­ge­sell­schaft bit­ter nötig hat­te“. (S. 39) Viel­leicht auch, weil die Meta­pher für den neu­en Gemein­sinn nicht weit weg war von der brau­nen Lüge der Volks­ge­mein­schaft, die ja noch in den Men­schen steck­te, auch wenn sie ver­drängt wurde?

Eini­ge die­ser iko­no­gra­phi­schen Fotos der Nach­kriegs­zeit wie etwa Her­mann Claa­sens „Fron­leich­n­am­pro­zes­si­on“ oder auch Richard Peters „Blick auf Dres­den vom Rat­haus­turm“ wur­den mon­tiert bzw. kon­stru­iert, ja, es ent­wi­ckel­te sich eine regel­rech­te Trüm­mer­fo­to­gra­fie: „Gut mach­ten sich in Trüm­mern spie­len­de Kin­der, Lie­bes­paa­re und natür­lich Mode.“ (S. 52)

Wer weiß heu­te noch, dass das Las­ten­aus­gleichs­ge­setz aus 1952 eine für heu­ti­ge Ver­hält­nis­se fast schon undenk­bar hef­ti­ge Ver­mö­gens­um­ver­tei­lung bedeu­te­te? Ver­mut­lich war sie damals nur des­halb umsetz­bar, weil sie vor allem Grup­pen begüns­tig­te, die für die Kon­ser­va­ti­ven inter­es­sant waren. Aber es war eben mög­lich und hat die wirt­schaft­lich auf­stre­ben­de BRD kei­nes­wegs geschä­digt oder ins Elend getrieben.

In der „Wolfs­zeit“ fin­det man auch eine Geschich­te über Bea­te Uhse, die mit ihrem „Ver­sand­ge­schäft für Ehe­hy­gie­ne“ (in neu­tra­ler Ver­pa­ckung!) die rigi­de Sexu­al­mo­ral der Nach­kriegs­zeit etwas lockern konn­te. Auch die „Con­stan­ze“, die ers­te und größ­te Frau­en­zeit­schrift der Nach­kriegs­jah­re, wird prä­sen­tiert – fast die kom­plet­te Redak­ti­on bestand zunächst ein­mal aus Männern.

Dann fin­det sich unter den vie­len klei­nen Per­len auch noch der zyni­sche Satz von Ade­nau­er über den Nazi-Juris­ten und Mit­ver­fas­ser der Nürn­ber­ger Ras­sen­ge­set­ze Hans Glob­ke, den er als Kanz­ler­amts­chef beschäf­tig­te und so ver­tei­dig­te: „Man schüt­tet kein schmut­zi­ges Was­ser weg, solan­ge man kein sau­be­res hat.“Der könn­te auch in dem Buch von Wink­ler stehen.

Harald Jäh­ner, Wolfs­zeit. Deutsch­land und die Deut­schen 1945–1955. Rowohlt, Ber­lin 2019.

Cover Jähner, Wolfszeit

Cover Jäh­ner, Wolfszeit

Die Ehemaligen

Da die His­to­ri­ker­kom­mis­si­on von „Stoppt die Rech­ten“ ohne­hin schon an einer umfas­sen­den Rezen­si­on die­ser gründ­li­chen und span­nen­den Stu­die von Mar­git Rei­ter arbei­tet, die sich lei­der wegen eines pas­sen­den Prä­sen­ta­ti­ons­ter­mins immer wie­der ver­zö­gert, sei hier nur ange­regt: Die­ses Buch soll­te in kei­nem anti­fa­schis­ti­schen Bücher­re­gal feh­len. Lasst es Euch schen­ken oder kauft es selbst – lest es jeden­falls! Es zahlt sich aus. Die Stu­die behan­delt zwar „nur“ die Anfän­ge der FPÖ, aber man wird trotz aller Häu­tungs­ver­su­che die heu­ti­ge FPÖ wie­der­erken­nen. Die Autorin regt auch immer wie­der zu Ver­glei­chen an und selbst dort, wo sie das nicht tut, wenn sie etwa den „dou­ble-speak“ der „Ehe­ma­li­gen“ cha­rak­te­ri­siert, blinkt die Hai­der-Stra­che-Hofer-FPÖ auf.

Mar­git Rei­ter, Die Ehe­ma­li­gen. Der Natio­nal­so­zia­lis­mus und die Anfän­ge der FPÖ. Wall­stein Ver­lag, Göt­tin­gen 2019.

Cover Reiter, Die Ehemaligen

Cover Rei­ter, Die Ehemaligen

„Umvolkung“ und „Volkstod“

Es ist ein schma­les und klu­ges Büch­lein, das das Leib- und Lebens­the­ma der extre­men Rech­ten abhan­delt. Auf rund 40 Sei­ten nur – da wünscht man sich dann schon eine stren­ge­re Glie­de­rung! Aber man soll­te das Büch­lein nicht unter­schät­zen! Vom „Unter­gang des Abend­lan­des“ des Anti­de­mo­kra­ten Oswald Speng­ler über die bei den Nazis streng geahn­de­te Ras­sen­mi­schung bis hin zu den Über­frem­dungs­phan­ta­sien der Alt­na­zis in der Nach­kriegs­zeit, die dann durch die „Umvol­kung“, den „Gro­ßen Aus­tausch“ und den „Volks­tod“ abge­löst wur­den, aber im Prin­zip das Glei­che bezeich­nen, kann man auf­schluss­rei­che Zita­te fin­den. Für Speng­ler, der schon sehr lan­ge (1922) vor der Erfin­dung hor­mo­nel­ler Kon­tra­zep­ti­va sein Opus Magnum ver­fass­te, waren es genau­so die Frau­en, die für die feh­len­de Frucht­bar­keit ver­ant­wort­lich waren wie Jahr­zehn­te spä­ter nach der Erfin­dung! Speng­ler mach­te das „Ibsen-Weib“ dafür ver­ant­wort­lich, also eine selbst­be­wuss­te star­ke Frau. Die­se Miso­gy­nie gilt auch für heu­ti­ge Rechts­extre­me, die zusätz­lich die Anti­ba­by­pil­le und ande­re Kon­tra­zep­ti­va ver­ant­wort­lich machen für den „Volks­tod“ durch den „selbst­mör­de­ri­schen Gebur­ten­rück­gang“ der „Auto­chtho­nen“.

Da tut sich für die Rechts­extre­men ein gewal­ti­ges Dilem­ma auf. Dem „Volks­tod“ ste­hen noch immer höhe­re (wenn auch rück­läu­fi­ge) Gebur­ten­ra­ten und Kin­der­zah­len bei Migran­tIn­nen gegen­über: „Umvol­kung“, „Gro­ßer Aus­tausch“! Das schma­le Büch­lein regt an, die jetzt gekipp­te Sozi­al­hil­fe­re­ge­lung unter die­sem Gesichts­punkt zu betrach­ten. Da pure Repres­si­on, sprich Ver­trei­bung, trotz Kick­ls „Aus­rei­se­zen­tren“ nicht so ein­fach mög­lich ist, ver­such­te man es eben mit plum­per und ver­fas­sungs­wid­ri­ger Kür­zung bei Mehrkindfamilien.

In der Schluss­kur­ve wer­den die Iden­ti­tä­ren samt Sell­ner abge­fer­tigt und ihr Anti­se­mi­tis­mus benannt, der sich in den Zuschrei­bun­gen für die „Aus­tau­scher“, „kla­re Ver­ant­wort­li­che, Pro­pa­gan­dis­ten und Ver­tu­scher des Gro­ßen Aus­tau­sches“ äußert.

Gideon Botsch, Chris­toph Kop­ke, „Umvol­kung“ und „Volks­tod“. Zur Kon­ti­nui­tät einer extrem rech­ten Para­noia. Edi­ti­on Pyr­rhus, Ver­lag Klemm+ Oel­schlä­ger, Ulm 2019.

Cover Botsch/Kopke, "Umvolkung" und "Volkstod"

Cover Botsch/Kopke, „Umvol­kung” und „Volks­tod”