Wir wissen ja, dass bei Kamerad Sellner die Wendung „in die Hose gehen“ durchaus seine ursprüngliche Bedeutung haben kann und seither „angesellnert“ zu einer Duftmarke geworden ist – aber das meinen wir diesmal nicht. Gestern, 19. Februar 2020, wollte die Sellner’sche Truppe mittels eines Bürgertreffs wieder einmal den großen Bevölkerungsaustausch unter die Bürger bringen, und zwar im Stuwerviertel in der Wiener Leopoldstadt. Aufmerksame NachbarInnen aus der lokalen Initiative des „Stuwerkomitee“ hatten keine Lust auf die ungebetenen Gäste und ersuchten das Gasthaus „Zum Mährischen Spatzen“, die identitäre Reservierung zu stornieren samt dem Angebot, den Verdienstentgang durch ein spontanes Come Together von AnrainerInnen und FreundInnen zu kompensieren. Unterstützung gab’s dafür seitens der Bezirksvorsteherin Uschi Lichtenegger.
Der Wirt lud die Gäste, die sich ganz identitätslos bei ihm angemeldet hatten, wieder aus. Darauf folgte ein durch einen Aufruf von Sellner ausgelöster Telefonterror, der – ganz identitärer Stil – umgedeutet wurde: Es seien Drohungen von „Linksextremisten“ gewesen, die das Lokal zur Ausladung von Sellner und Konsorten gebracht hätten.
Während sich also beim „Mährischen Spatzen“ eine Reihe von StuwerviertlerInnen mit auf Linksextrem gepoltem Kind und Kegel zum typisch linksextremen Schweinsbraten‑, Knödel- und Sauerkrautverzehr einfanden, die Polizei vor dem Lokal Aufstellung nahm und ein paar Identitäre ebenfalls – die hatten nämlich als Treffpunkt offiziell noch immer das Lokal angegeben –, war bereits längst klar, dass anderswo reserviert worden war: nämlich in dem nahegelegenen Gasthaus Reinthaler, dessen Wirtin dann angab, die Reservierung sei bereits fünf oder sechs Tage zuvor erfolgt – was vor dem Protest durch die AnrainerInnen und der Ausladung durch den Spatzen-Wirt gewesen wäre.
Ein „Nikolaus Schmied“ habe bei ihr angerufen und ohne Angabe des eigentlichen Zwecks, eine politische Versammlung durchführen zu wollen, für ca. 50 Personen reserviert, erzählte die empörte Wirtin. Als jedoch vor ihrem Lokal Polizei, JournalistInnen, eine Reihe von StuwerviertlerInnen, andere AntifaschistInnen samt der Bezirksvorsteherin auftauchten, entschloss sich auch diese Wirtin kurzerhand, die Identitären wieder auszuladen. Sie ersuchte die ungebetenen Gäste, das Lokal zu verlassen. Die weigerten sich unter Androhung, die Rechnung für die bis dorthin getätigten Konsumationen nicht zu bezahlen. Die inzwischen völlig verzweifelte Wirtin versicherte vor dem Lokal mehrfach, von den Identitären missbraucht worden zu sein und dass sie befürchte, dadurch in ihrer Existenz bedroht zu sein. Sie sei unpolitisch und wolle keine Radikalen in ihrem Gasthaus sehen.
Nachdem die identitäre Info-Veranstaltung gefloppt ist und keine Infos an die Ohren der Anwesenden dringen konnten, weil die identitäre Energie auf Diskussionen mit den Wirtsleuten und hektische Telefonate gerichtet werden musste, verließ die Crew ganz patriotisch-mannhaft das Lokal: „Highlight des Abends: Beim geschlossenen Verlassen des Lokals kam von einem der Kader das Kommando ‚Männer nach vorne, Frauen nach hinten’. Gedacht war das wohl als ‚Sicherheitsmaßnahme’.“
Highlight des Abends: Beim geschlossenen Verlassen des Lokals kam von einem der Kader das Kommando „Männer nach vorne, Frauen nach hinten“. Gedacht war das wohl als „Sicherheitsmaßnahme“.
— Antifa-Prinzessin (@_schwarzeKatze) February 19, 2020
Was bleibt: Zwei Gasthäuser, deren BesitzerInnen Opfer des identitären Einfalls geworden waren und die sich nun in ihrer Existenz bedroht fühlen. Der Telefonterror aus der identitären Ecke an den Wirt des „Mährischen Spatzen“ geht weiter. Aber auch BewohnerInnen, die in ihrem Viertel darauf schauen, dass Rechtsextreme hier nichts zu sagen haben.
Die Bezirksvorsteherin Uschi Lichtenegger, die schon vorab im Gespräch mit dem Wirt des „Mährischen Spatzen“ und gestern auch vor Ort war, hat ebenfalls eine eindeutige Meinung: „Ich bin in der Vergangenheit immer gegen Hetzer und Spalter vorgegangen und tue das nun selbstverständlich auch als Vorsteherin eines Bezirks, der im Fokus nationalsozialistischer Vernichtungspolitik war. Das sind wir den Opfern von Rassenwahn schuldig. Ich will hier ein friedliches Zusammenleben und unterstütze daher jede Initiative, die dieses Ziel auch verfolgt.“
Der Wiener Gemeinderatsabgeordnete Niki Kunrath war gestern ebenfalls im Stuwerviertel. Er brachte in dieser Woche eine Anzeige ein, weil „Die (identitären) Österreicher“ offenbar die österreichische Gesetzeslage ignorieren und ihr Propagandamaterial ohne Impressum unter die Leute bringen – auch gestern prangten Zettel mit den wahnhaften Bevölkerungsaustauschphantasien hinter den Windschutzscheiben zahlreicher PKW im Stuwerviertel. Wieder illegal, weil ohne Impressum. Kunrath hat die Zettel eingesammelt und wird sie seiner Anzeige beilegen.
Und die Moral von der Geschicht: Liebe Wirte, Obacht! Wenn sich bei Euch ein Nikolaus meldet, könnte es dazu führen, dass sich ein Haufen Krampusse einfindet, die dann die Zeche prellen und nicht mehr verschwinden wollen!
P.S.: Während sich der identitäre Webauftritt im Umbau befindet, ist der Facebook-Auftritt von „Die (identitären) Österreicher“ offline gegangen. Sicher nicht freiwillig.