Wir wissen, der Anlass für die Einsetzung der FPÖ-Historikerkommission war einer dieser Einzelfälle, die auf die FPÖ in aller Regelmäßigkeit herabprasseln, nämlich ein gewaltiger brauner Sumpf in Form eines Liederbuches aus der Küche der pennalen Burschenschaft „Germania Wiener Neustadt“, deren Vizeobmann bis dahin Udo Landbauer war. Landbauer ist seit mehr als einem Jahr wieder in Amt und Würden, der Fall selbst ist bis heute nicht geklärt – oder weiß jemand, wie denn das nun mit dem Liederbuch wirklich war? Und das ist bereits ein symptomatischer Befund für das Kapitel „Vorwürfe und ‚Einzelfälle’“, wofür der Generalsekretär der FPÖ, Christian Hafenecker, selbst Mitglied der Burschenschaft Nibelungia zu Wien, verantwortlich zeichnet: Es liefert in keinem einzigen Fall Informationen oder Hintergründe, die über bereits bekannte Details hinausgingen. Aber noch schlimmer: Es verdreht, verschleiert, lässt aus und kommt zudem in der gut gelernten Pose zwischen kindlichem Trotz und Opferhaltung daher.
Der Umgang der FPÖ mit dem „Narrensaum“, wie rechtsextreme und neonazistische Personen beschönigend seitens einiger Parteioberen genannt werden, ist alleine schon in Hafeneckers Einleitung bemerkenswert widersprüchlich: Einerseits existieren sie in der Partei gar nicht („Freiheitliche Mandatare stehen alle ohne Ausnahme zu diesen Werten und der demokratischen Weiterentwicklung Österreichs“, S. 491), anderseits gesteht Hafenecker wenige Zeilen weiter ein, durch den „großen Querschnitt der Ö[sic!]sterreichischen Bevölkerung“, der in der Partei repräsentiert sei, doch von diesem nicht näher definierten „Narrensaum“ befallen zu sein: „Wie in jeder Gesellschaft befindet sich auch bei uns der eine oder andere ‚Narrensaum’.“ (S. 491)
Nun wäre zu erwarten gewesen, dass, ausgehend vom Anlassfall der Liederbuchaffäre, es auch bzw. sogar in erster Linie Aufgabe dieses Berichts gewesen wäre, wissenschaftlich zu hinterfragen, inwieweit diese „Einzelfälle“ aus einer historischen Kontinuität heraus in der FPÖ verortet sind und, das wäre ebenfalls von Interesse gewesen, wann und wie die Partei jemals von sich aus aktiv geworden ist und (re)agiert hat, ohne dass zuvor Fälle medienöffentlich geworden wären. Ums kurz zu machen: Nichts davon leistet dieser Bericht.
Stattdessen lesen wir von Hafenecker eine sachlich nicht argumentierte Ablehnung der hierzulande verwendeten Definition von „Rechtsextremismus“ („politischer Kampfbegriff […], der in tagespolitischen Debatten nahezu ausschließlich von deklarierten Gegnern des konservativen bzw. nationalen Lagers in Politik und Medien verwendet wird“; S. 491) (1) samt indirekter Diskreditierung des „Dokumentationsarchivs des österreichischen Widerstandes“ (DÖW): „Darüber darf auch der Umstand nicht hinwegtäuschen, dass als Referenzpunkte immer wieder vermeintlich wissenschaftliche Erkenntnisse privater Vereine, welchen fälschlicherweise offizieller Charakter zugeschrieben wird, angeführt werden.“ (2)
Das führt dann in der Auflistung der konkreten Einzelfälle etwa dazu, dass bei Elmar Podgorschek der Vorwurf einer Inseratenschaltung in „Info-Direkt“ damit abgeschmettert wird, indem die Einstufung des Magazins als rechtsextrem als „subjektive Sichtweise ohne qualitative Grundlage“ (S. 495) abgetan wird, oder indem der Fall Gudenus und dessen „stichhaltige Gerüchte“ rund um George Soros mit der Bemerkung endet: „Die Analyse des ‚Experten’ Andreas Peham (sofern das sein richtiger Name ist) ist politisch motiviert und hat keinerlei Relevanz.“ (S. 497). Dass bei Podgorschek darauf „vergessen“ wurde, dessen Skandalrede vor der AfD-Thüringen, die wir im Juni 2018 publik gemacht haben, als Fall anzuführen, sei angefügt.
Beginnend mit dem 9.11.2017 listet Hafenecker 33 „Einzelfälle“ auf, die mit Fall Nr. 33 vom 17.7.2018 ein angesichts des Publikationsdatums nicht nachvollziehbares jähes Ende finden. Der Beitrag, der um diese Zeit herum verfasst worden sein muss, erfuhr nicht einmal eine Aktualisierung, was den Stand der aufgelisteten Fälle betrifft, nimmt aber umgekehrt Ergebnisse vorweg, die nun, Ende 2019, noch nicht vorliegen: Während sich Udo Landbauer im Bericht noch auf sein Comeback vorbereitet („Aktuelle Medienberichte deuten darauf hin, dass die FPÖ Landbauers Comeback als Landtagsabgeordneter von Niederösterreich vorbereitet.“, S. 494), im Fall Neururer/Gröber (S. 496) es zu Verurteilungen wegen Wiederbetätigung kam, wird Herwig Götschober bereits exkulpiert, obwohl erst Mitte November 2019 seitens der Staatsanwaltschaft Wien ein Vorhabensbericht an die Oberstaatsanwaltschaft und das Justizministerium ergangen ist, der Fall also noch nicht abgeschlossen ist. (Update 16.7.20: Nachträgliche Mitteilung)
Alleine die Darstellungen der angeführten Fälle sind teilweise so verquer, dass sie schon einer Gängelei nahe kommen. Bei acht Fällen findet sich am Ende von Hafeneckers Repliken die Klammerbemerkung „unbestätigt“. Es liegt die Vermutung nahe, dass hier Behauptungen hinzugefügt wurden, auf deren Abklärung man schlichtweg vergessen hat. Das nimmt dann bei Passagen wie dieser schon groteske Züge an: „Herr Rebhandl hat seine Distanz zu dieser politischen Einstellung [Neonazismus, Anmk. SdR] mehrmals artikuliert. (unbestätigt)“ (S. 495)
„Arndt Praxmarer, einer der Angestellten von Minister Hofer, likte auf FB (machte ein ‚like’ für) ein Restaurant in Deutschland, das Hitlers Geburtstag feierte und ein Schnitzel für € 8,88 (Neonazi-Code für „Heil Hitler“) anbot.“ (S. 498) Praxmarer war Ministeriumsmitarbeiter, also „Angestellter“ der SteuerzahlerInnen. Hafenecker erklärt zwar, was das Wort „liken“ bedeutet, nicht aber, dass es sich um das szenebekannte Restaurant „Goldener Löwe“ des Neonazis Tommy Frenck handelt und das Schnitzel an Hitlers Geburtstag um diesen Preis angeboten wurde – worauf übrigens die Facebook-Seite des Lokals gesperrt wurde. Richtiggehend ins Absurde gerät die versuchte Weißwaschung von Praxmarer, indem erklärt wird, „Herrn Praxmarer ist dieses Lokal weder bekannt noch weiß er, wie es zu diesem ‚Like’ gekommen ist. (…) Dass Herr Praxmarer mit diesen in Verbindung gebracht wird [sic!] ist daher höchst unredlich und entspricht reinem Kalkül politischer Gegner der FPÖ.“ (S. 498) Dass dann auch noch die Bedeutung des Codes 8,88 infrage gestellt wird und als Pseudobeleg das „AH“ (in Anspielung auf den NS-Code „AH“ als Abkürzung für Adolf Hitler) im Autokennzeichen eines SPÖ-Politikers dafür herhalten muss, ist eine Draufgabe, die aus einem Satiremedium stammen könnte.
Andreas Bors, bei angeblichen Fußball-Fangesängen mit Hitlergruß abgelichtet, wird nach der Einstellung des Verfahrens wegen Verjährung von der FPÖ „sodann auf einen harten Prüfstand gestellt und eindringlich befragt“ und als Funktionär samt „Überlegungen“ (S.492), Bors in den Bundesrat zu entsenden, in der Partei behalten. Es wäre gerade im Zuge eines solchen Berichts interessant zu erfahren, wie der „harte Prüfstand“ der FPÖ aussieht. Dass es überdies nicht nur „Überlegungen“ waren, wie Hafenecker betont, sondern Bors seitens der FPÖ-Niederösterreich für den Bundesrat nominiert worden war, disqualifiziert die Darstellung des Falles noch mehr.
Obwohl bei der Pressekonferenz anlässlich der Präsentation des Berichts behauptet wurde, dass Burschenschaften keine Vorfeldorganisationen der FPÖ seien (was formal korrekt ist) und es daher nicht Aufgabe der FPÖ sei, in die Archive von privatrechtlichen Vereinen zu schauen, spricht Hafenecker Burschenschaften und damit auch deren dominante Rolle in der FPÖ pauschal frei. Das funktioniert in einem fast schon bewundernswerten gedanklichen Schluss: Burschenschafter seien untadelige Demokraten („… haben in ihren Studentenverbindungen eine Schule an Fleiß und Persönlichkeitsbildung hinter sich gebracht. Aus der Geschichte heraus, welche von den Korporationen in hohem Anteil geprägt wurde, haben sie gelernt, wie tiefgreifend eine politische Fehlentwicklung Menschen und Nationen vernichtet [sic!] aber auch wie stark der Wille zu Demokratie und Republik eben diese herbeiführen und verbessern kann.“; S. 491), und demzufolge seien sie in der FPÖ „eine Bereicherung bei der demokratischen Arbeit für Österreich“ (S. 491).
Nicht mehr überraschend ist daher die pauschale Reinwaschung der Burschenschaft „Bruna Sudetia“, der Norbert Hofers Mitarbeiter Herwig Götschober als Vorsitzender angehört: „Die Wiener akademische Burschenschaft Bruna Sudetia teilt keine antisemitischen Ansichten und lehnt jeden Antisemitismus und Rassismus zutiefst ab.“ (S. 493) Das tut Hafenecker, obwohl im von ihm genannten „Einzelfall“ bzw. Vorwurf, der aus dem Kurier vom 29.12.17 stammt, in keiner Zeile eine Charakteristik der „Bruna Sudetia“ und daher auch nichts von Antisemitismus zu lesen ist.
Wenn es denn gar nicht mehr anders geht, verfällt die FPÖ in Unkenntnis, wie bei der Burschenschaft „Olympia“ und ihrer Einladung des Ex-NPD-Vorsitzenden Udo Voigt: „Ob es die erwähnte Einladung gab [sic!] entzieht sich unserer Kenntnis.“ (S. 499) Dafür erfahren LeserInnen Bahnbrechendes: „Die Burschenschaft ‚Olympia’ in Wien ist nach eigener Bezeichnung eine Burschenschaft.“ In dieser Klasse bewegt sich auch der Informationsgehalt des gesamten Kapitels. Und das ist wohl noch das Beste, was darüber zu sagen ist, aber eigentlich müsste es als nächster Einzelfall subsumiert werden.
Fußnoten
1 In der Pressekonferenz zur Präsentation des Berichts präzisierte Hafenecker auf die Bemerkung des Standard-Journalisten Markus Sulzbacher, dass das DÖW die FPÖ als rechtsextrem klassifiziert, was er unter Extremismus versteht: „Wenn Sie zum Beispiel sich vor Augen führen, wie Extremismus definiert wird, und wenn man weiß, dass Extremismus dadurch definiert wird, auch politisch gewaltbereit agieren zu wollen, dann führt sich diese Argumentationslinie selbst ad absurdum.“ (Transkript Pressekonferenz 23.12.19) Dieser Logik folgend, wären etwa Verstöße gegen das Verbotsgesetz, die mit keiner Gewaltandrohung oder ‑ausübung verbunden sind – etwa die Leugnung des Holocaust – nicht rechtsextrem.
2 Hier ist etwa an die Rede zu erinnern, die der damalige Generalsekretär der FPÖ, Herbert Kickl, 2016 vor dem rechtsextremen Kongress der „Verteidiger Europas“ gehalten hat: „Wir können tun und machen, was wir wollen, und sie werden ihre Nase rümpfen, weil ihnen unsere ideologische Einstellung nicht passt. (…) Und ich für meinen Teil, ich denke keine Sekunde daran, (…) dass ich nachfragen werde vielleicht beim Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes, einem Verein, der an der Spitze der Skala der sogenannten unnötigen Vereine steht.“
Die FPÖ versucht immer wieder, das DÖW als „privaten Verein“ ohne staatliche bzw. wissenschaftliche Legitimation zu denunzieren. Tatsächlich wurde das DÖW 1963 zunächst von dem privatrechtlichen Verein „Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes“ gegründet. 1983 wurde eine seitens der Republik Österreich, der Stadt Wien und dem Verein getragene Stiftung eingerichtet, deren Aufgabe es ist, die Arbeit des DÖW finanziell zu unterstützen. (siehe: https://www.doew.at/wir-ueber-uns/geschichte). In den Organen des DÖW finden sich vorwiegend VertreterInnen aus Wissenschaft, Politik und Ministerien. Das DÖW, das ab der Gründung seinen Tätigkeitsbereich sukzessive erweiterte, hat neben seinen Pionierarbeiten im Bereich der Widerstands- und Opferforschung mit dem „Handbuch des österreichischen Rechtsextremismus“ Anfang der 1990er-Jahre das bis dorthin umfassendste Werk zu diesem Thema vorgelegt und mit dem darin enthaltenen Beitrag von Willibald I. Holzer auch eine der präzisesten Definitionen von Rechtsextremismus geliefert, an der sich keineswegs nur das DÖW orientiert. Das DÖW berät in der Erfassung und Einordnung von Vorfällen und Personen u.a. auch das Innenministerium.