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„Die Ehemaligen“ – Wie war das mit der FPÖ?

Für jene, die sich mit der Geschich­te der FPÖ – vor allem mit ihren Anfän­gen und Vor­läu­fern – seri­ös aus­ein­an­der­set­zen möch­ten, haben wir eine ande­re Lese­emp­feh­lung als den His­to­ri­ker­bericht der FPÖ: das im Sep­tem­ber erschie­ne­ne Buch „Die Ehe­ma­li­gen“ der Wie­ner His­to­ri­ke­rin Mar­git Rei­ter. Sie schil­dert dar­in die per­so­nel­len und ideo­lo­gi­schen Kon­ti­nui­tä­ten von den deutsch­na­tio­na­len Parteien […]

23. Dez 2019

Jetzt ist er also da, der FPÖ-His­to­ri­ker­bericht. Die par­tei­treu­en Kom­mis­si­ons­mit­glie­der glaub­ten bereits im Vor­feld, sie hät­ten Grund zum Jubeln: Die FPÖ sei „nahe­zu eine Par­tei wie jede ande­re“, kei­ne direk­te Nach­fol­ge­par­tei der NSDAP! Zwei­te­res ist rich­tig, wur­de aber von ernst­zu­neh­men­der Sei­te auch noch nie behaup­tet. Das wäre gar nicht mög­lich gewe­sen, denn seit 1945 gibt es bekann­ter­ma­ßen ein NS-Verbotsgesetz.

Der Grün­dungs­ob­mann der FPÖ, Anton Reinth­al­ler, ist ein sehr pro­mi­nen­tes Bei­spiel für die oben ange­spro­che­nen Kon­ti­nui­tä­ten. Dass mit ihm aus­ge­rech­net ein „Ehe­ma­li­ger“ an den Anfän­gen der FPÖ steht, ist weni­ger über­ra­schend als sym­pto­ma­tisch und macht die FPÖ eben zu kei­ner „Par­tei wie jede ande­re“. Der Guts­be­sit­zer war in der Ers­ten Repu­blik Mit­glied des deutsch­na­tio­na­len „Land­bunds“, bereits ab 1928 Mit­glied der NSDAP, ab 1938 NS-Land­wirt­schafts­mi­nis­ter im „Anschluss­ka­bi­nett“ von Arthur Seyß-Inquart, dann SS-Bri­ga­de­füh­rer und ab 1939 bis zum Kriegs­en­de Unter­staats­se­kre­tär im Reichs­mi­nis­te­ri­um für Ernäh­rung und Land­wirt­schaft in Berlin.

1. FPÖ-Parteiobmann Anton Reinthaller (Foto Landheimat 2.4.1938)
1. FPÖ-Par­tei­ob­mann Anton Reinth­al­ler (Foto Land­hei­mat 2.4.1938)

1950 wur­de er zu einer ver­gleichs­wei­sen mil­den Haft­stra­fe von drei Jah­ren ver­ur­teilt, die er jedoch auf­grund der Anrech­nung sei­ner Inter­nie­rungs­zeit nicht antre­ten muss­te. 1952 wur­de die Stra­fe auf zwei­ein­halb Jah­re her­ab­ge­setzt. Zu einer von sei­nen Anwäl­ten betrie­be­nen Wie­der­auf­nah­me des Ver­fah­rens, beglei­tet von mas­sen­haf­ten Inter­ven­tio­nen bei der dama­li­gen poli­ti­schen Eli­te des Lan­des, kam es nicht mehr: Der SPÖ-Bun­des­prä­si­dent Theo­dor Kör­ner begna­dig­te Reinth­al­ler und ebne­te ihm damit den Weg in poli­ti­sche Ämter. Reinth­al­ler galt als opti­ma­le Beset­zung für die FPÖ-Par­tei­füh­rung. Er war übri­gens einer, der sich gegen die Bezeich­nung „Ehe­ma­li­ger“ eben­so wehr­te wie gegen den Begriff „Nazi“. Das waren für ihn Begrif­fe für die oppor­tu­nis­ti­schen neu­en Par­tei­gän­ger ab 1938, er war und sei ein „Natio­nal­so­zia­list“ (S. 32).

Sein Nach­fol­ger und „einer der engs­ten Gefolgs­män­ner von Reinth­al­ler“ (S. 198) war Fried­rich Peter. Der ehe­ma­li­ge SS-Mann war zumin­dest in den 1950er- und 1960er-Jah­ren ver­ant­wort­lich für eine ent­spre­chend deutsch­na­tio­na­le Aus­rich­tung der Frei­heit­li­chen. Von ihm ist auch ein Aus­spruch Reinth­al­lers über­lie­fert: „Ich eig­ne mich zum Poli­ti­ker in einer Demo­kra­tie wie der Igel zum A… abwi­schen.“ (S. 217)

Das Buch von Mar­git Rei­ter ist ein Rück­blick auf die Anfän­ge der FPÖ und eine beklem­men­de – weil immer noch aktu­el­le – his­to­ri­sche Milieu­stu­die. Anhand vie­ler Bei­spie­le wird deut­lich, wie sich die­ses Milieu orga­ni­sier­te, wie durch fami­liä­re Prä­gung über Gene­ra­tio­nen hin­weg eine stramm deutsch­na­tio­na­le und anti­de­mo­kra­ti­sche Hal­tung wei­ter­ge­ge­ben wur­de. Die Fami­li­en Hai­der, Scheuch, Huber oder Eigru­ber sei­en da nur als Bei­spie­le erwähnt. Noch wich­ti­ger für das „Milieu“ und die Aus­rich­tung der FPÖ war aber wohl die poli­ti­sche Sozia­li­sie­rung vie­ler ihrer Prot­ago­nis­ten in den Burschenschaften.

War­um eigent­lich „Ehe­ma­li­ge“? Die auch nach 1945 über­zeug­ten Nazis waren eigent­lich „noch immer“ Nazis und kei­ne „Ehe­ma­li­gen“. Da hat­te Reinth­al­ler also durch­aus recht – auch bei sich selbst, was Rei­ter durch die erst­ma­li­ge Auf­ar­bei­tung des Reinth­al­ler-Nach­las­ses her­aus­schält. Sie erteilt damit dem von der FPÖ all­zu gern stra­pa­zier­ten Bild des eher harm­lo­sen, vom NS-Appa­rat nur instru­men­ta­li­sier­ten Par­tei­grün­ders eine her­be Abfuhr. Kon­ti­nui­tät gilt für alle wesent­li­chen ideo­lo­gi­schen Kern­ele­men­te wie etwa den Anti­se­mi­tis­mus. Der Begriff „ehe­ma­lig“ wird von Rei­ter daher zwar zurecht pro­ble­ma­ti­siert – zumal er von den Unver­bes­ser­li­chen selbst ver­wen­det wor­den ist –, durch die Wahl des Buch­ti­tels und das Feh­len von Anfüh­rungs­zei­chen aber gleich­zei­tig wei­ter einzementiert.

Eine der ideo­lo­gi­schen Kon­ti­nui­tä­ten des „Drit­ten Lagers“ ist die pro­gram­ma­ti­sche Fest­le­gung auf den Begriff „Volks­ge­mein­schaft“. Er steht schon im ers­ten Satz in den „Richt­li­ni­en“ der Par­tei bei ihrer Grün­dung. Das Kon­zept wur­de von den deutsch­na­tio­na­len Par­tei­en in den 1920er-Jah­ren ver­tre­ten und von der NSDAP über­nom­men. (S. 258f.). Dass es auch heu­te zum fixen Reper­toire rechts­extre­mer Par­tei­en gehört, ver­steht sich fast von selbst.

Die FPÖ wur­de 1956 gegrün­det, die Vor­läu­fer­or­ga­ni­sa­ti­on“ VdU (Ver­band der Unab­hän­gi­gen“) 1949. Die­ser Grün­dung im Jah­re 1949 gin­gen eini­ge aus heu­ti­ger Sicht ver­blüf­fen­de Vor­gän­ge vor­aus. Unfass­bar ist, was Rei­ter vom Buh­len der bei­den Groß­par­tei­en um die „Natio­na­len“ berich­tet. Die ÖVP war bestrebt, die Grün­dung einer „natio­na­len“ Par­tei mög­lichst zu ver­hin­dern. Die Gedan­ken­spie­le gin­gen dabei so weit, dass ernst­haft über­legt wur­de, die „Ehe­ma­li­gen“ offi­zi­ell als vier­ten Bund in die Par­tei auf­zu­neh­men und so eine „anti­mar­xis­ti­sche Ein­heits­front“ zu bil­den. Das schei­ter­te übri­gens vor allem an den unbot­mä­ßi­gen For­de­run­gen der „Natio­na­len“, die – ange­führt von dem spä­ter zu zwei­fel­haf­tem Ruhm gelang­ten Taras Boro­da­jke­wy­cz – 25% der Man­da­te in Anspruch neh­men woll­ten. (S. 74f.)

In der Stei­er­mark kam es kurz vor den Land­tags­wah­len im Okto­ber 1949 sogar zu einem Wahl­auf­ruf von „100 ehe­ma­li­gen Natio­nal­so­zia­lis­ten“ für die ÖVP, der unter ande­rem auch vom frü­he­ren Put­schis­ten Wal­ter Pfri­mer und dem NS-Bau­ern­füh­rer Sepp Hainzl unter­schrie­ben wor­den war und in den „Salz­bur­ger Nach­rich­ten“ ver­öf­fent­licht wur­de. (S. 99f.)

Die SPÖ ging nicht ganz so weit: Immer­hin aber gelang es ihr, vie­le „Ehe­ma­li­ge“ im „Bund Sozia­lis­ti­scher Aka­de­mi­ker“ zu inte­grie­ren. Dadurch gelang­ten vie­le frü­he­re NSDAP-Mit­glie­der in hohe Posi­tio­nen in Wirt­schaft und Gesell­schaft. (S. 101ff.)

Um daher einen, gera­de von der FPÖ immer wie­der vor­ge­brach­ten Ein­wand vor­weg­zu­neh­men: Ja, auch ÖVP und SPÖ haben ihre „brau­nen Fle­cken“, ja auch sie haben um die „Ehe­ma­li­gen“ gebuhlt und ihnen hohe Pos­ten in der Wirt­schaft und auch in ihrer Par­tei beschafft, und ja, auch in ÖVP und SPÖ hat sich wider­li­cher Anti­se­mi­tis­mus gezeigt. Rei­ter macht aber klar, dass die FPÖ im Gegen­satz zu ÖVP und SPÖ nicht nur „brau­ne Fle­cken“ auf­weist, son­dern direkt aus dem brau­nen Nach­kriegs­mi­lieu her­aus ent­stan­den ist und sich bis­lang nicht aus die­sem Sumpf befrei­en konn­te und sich trotz eini­ger zag­haf­ter Ver­su­che meist auch nicht dar­aus befrei­en wollte.

Was die Par­tei jedoch seit damals bis heu­te (meis­ter­haft?) beherrscht, ist der „Dou­ble­speak“. Man offen­bart die eige­nen Vor­stel­lun­gen nur soweit, dass zwar jede/r weiß, was gemeint ist, die gewähl­te For­mu­lie­rung aber zumin­dest auch eine ande­re Inter­pre­ta­ti­on zulässt. Der Chef­ideo­lo­ge der Par­tei und FPÖ-Klub­ob­mann im Natio­nal­rat, Emil van Ton­gel, erklär­te das „Bekennt­nis zur deut­schen Volks- und Kul­tur­ge­mein­schaft“ im Wahl­pro­gramm so: „Es ist nie­mand im Saal, der nicht weiss, was wir wol­len. (…) Es gibt nie­man­den in Öster­reich, der nicht weiss, was wir mit die­sen Sät­zen sagen wol­len.“ (S. 219) Aber so rich­tig gesagt haben es die Her­ren halt nur im inne­ren Kreis.

Rei­ter stellt etli­che aktu­el­le Bezü­ge im Buch her – etwa die „Lie­der­buch­af­fä­re“, die vie­len „Ein­zel­fäl­le“ oder die nach wie vor funk­tio­nie­ren­den bur­schen­schaft­li­chen Netz­wer­ke der Par­tei, die in den 1950er-Jah­ren inner­halb der „Natio­na­len“ an Bedeu­tung gewan­nen. Anti­se­mi­tis­mus oder das Fest­hal­ten am Kon­zept einer künst­lich kon­stru­ier­ten „Volks­ge­mein­schaft“ waren als ideo­lo­gi­sche Kon­ti­nui­tät in der extre­men Rech­ten immer vor­han­den und sind in Öster­reich „jeder­zeit abruf­bar“. „Jeder weiß, was gemeint ist“, wenn ent­spre­chen­de Anspie­lun­gen gemacht wur­den und wer­den, weil sie sich als oft­mals knapp am Straf­recht vor­bei­schram­men­de Codes ver­fes­tigt haben.

Um das The­ma der Ein­lei­tung noch ein­mal auf­zu­neh­men: Inter­es­sier­te tun bes­ser dar­an, das Buch von Mar­git Rei­ter zu lesen, als auf die Auf­ar­bei­tung der FPÖ von deren eige­nen brau­nen Wur­zeln zu set­zen. Rei­ter erhielt trotz mehr­fa­cher Bemü­hun­gen zwar kei­nen Ein­blick ins Par­tei­ar­chiv der FPÖ, hat aber mit dem not­wen­di­gen wis­sen­schaft­li­chen Blick von außen ein Buch vor­ge­legt, das bereits mit dem Erschei­nen als Stan­dard­werk zur Geschich­te der FPÖ zu wer­ten ist.

Cover Reiter, Die Ehemaligen
Cover Rei­ter, Die Ehemaligen

Mar­git Rei­ter: Die Ehe­ma­li­gen. Der Natio­nal­so­zia­lis­mus und die Anfän­ge der FPÖ. Göt­tin­gen 2019.